KONSTANZER
INVENTAR
SANKTIONSFORSCHUNG
Kriminalprävention auf justitieller Ebene: Hilft
weniger mehr?
Alternativen zu ”klassischen” Sanktionen – Erfahrungen aus Deutschland
Wolfgang
Heinz, Universität Konstanz
Vortrag auf der
internationalen Konferenz
„Kriminalität und Kriminalprävention in Ländern des Umbruchs“
vom 9.-14. April 2005 in Baku, Azerbaijan
PDF-Version dieses
Textes: <http://www.uni-konstanz.de/rtf/kis/Heinz_Alternativen_zu_klassischen_Sanktionen.pdf>
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I.
Kriminalprävention durch Strafrecht – Positionsbestimmung des
Strafrechts
II.
Kriminalprävention durch Strafrecht – Umsetzung durch den Gesetzgeber
2.1 Ergebnisse der Rückfallstatistik – Bezugsjahr 1994
2.2.3 Geldstrafe versus bedingte Freiheitsstrafe
2.2.4 Strafaussetzung zur Bewährung
2.3 Zusammenfassung der Befunde zur spezialpräventiven Wirksamkeit von Sanktionen
Tabelle 1: Nach allgemeinem
Strafrecht Sanktionierte. Bundesrepublik Deutschland (alte Länder), 2003
Tabelle 2: Nach Jugendstrafrecht Sanktionierte. Bundesrepublik
Deutschland (alte Länder), 2003
Schaubild 1: Dimensionen der Kriminalprävention mit dem Ziel der Verhütung von Straftaten
Schaubild
2:
Rechtsfolgen im Kriminalrecht (Übersicht)
Schaubild
3:
Diversionsraten (Staatsanwaltschaft und Gericht) insgesamt (allgemeines und
Jugendstrafrecht), 1981 .. 2003. Anteile der Personen mit Einstellungen
gem. §§ 153, 153a, 153b StPO, §§ 45, 47 JGG (bezogen auf nach allgemeinem
Strafrecht und nach Jugendstrafrecht Sanktionierte insgesamt). Alte
Länder mit Berlin-West, ab 1995 mit Gesamtberlin.
Schaubild
4:
Entwicklung der Sanktionierungspraxis (formelle Sanktionen) insgesamt Deutsches
Reich bzw. Bundesrepublik Deutschland 1882 ... 2003 (alte Länder
und Berlin) Anteile bezogen auf nach allgemeinem und nach
Jugendstrafrecht Verurteilte
Schaubild
5:
Gefangenenraten im westeuropäischen Vergleich
Schaubild
6:
Legalbewährung und Rückfall nach allgemeinem Strafrecht und
nach Jugendstrafrecht – Bezugsjahr 1994
Schaubild
7:
Diversionsraten gem. §§ 45, 47 JGG und Nachentscheidungsraten (informelle oder
formelle Sanktionierung) innerhalb von drei Jahren nach der Art der erstmaligen
Sanktionierung bei "einfachem Diebstahl" (§§ 242, 247, 248a StGB) bei
Jugendlichen in den Ländern
Schaubild
8:
Rückfallraten in Abhängigkeit von Bussen bzw. bedingter Freiheitsstrafe – nach
Kantonen - bei erstmals wegen Massendelikten (einfachen Diebstahls gem. Art.
137.1 schwStGB, Verletzung der Verkehrsregeln gem. Art 90 SVG, Fahrens in
angetrunkenem Zustand gem. Art. 91 SVG) Verurteilten Anteil der Bussen
bei erstmaliger Verurteilung 1986 und 1987 und Wiederverurteilungsraten
Schaubild
9:
Veränderung der Bewährungsraten nach strafrechtlicher Vorbelastung
Unterstellungsjahrgänge 1977 .. 1985 (prospektive Analyse) in den Ländern
Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen.
Die Grundgedanken zum Sinn der Strafe sind seit dem Altertum bekannt. Entweder blickt die Strafe in die Vergangenheit und will durch die gewollte Zufügung eines Übels – eben die Strafe – einen Ausgleich der geschehenen Rechtsverletzung herbeiführen (absolute Theorie), oder die Strafe blickt in die Zukunft und will auf den Täter bzw. die Allgemeinheit einwirken, um künftige Straftaten zu verhüten (relative Theorie).
Das deutsche Strafrecht des ausgehenden 19. Jahrhunderts war straftheoretisch noch der Vergeltungsidee verpflichtet. In der Auseinandersetzung, die um die Wende zum 20. Jahrhundert zwischen klassischer und moderner Schule geführt wurde, prallten die gegensätzlichen Auffassungen über den Sinn der Strafe heftig aufeinander. Diese Auseinandersetzung ist hier nicht nachzuzeichnen. Als Ergebnis ist festzuhalten, dass in Deutschland heute weitgehend Konsens darüber besteht, dass die Vergeltungsidee den Einsatz der Strafe nicht mehr rechtfertigen kann. Ausschlaggebend hierfür war u.a. eine Neubestimmung des Verhältnisses zwischen Staat und Bürger. Die Rechtfertigung staatlicher Strafe kann nur aus der allgemeinen Staatszielbestimmung erfolgen. In einem freiheitlichen, weltanschaulich neutralen Rechts- und Sozialstaat hat der Staat lediglich den Schutzauftrag, ein ungefährdetes Zusammenleben aller Bürger zu gewährleisten. Strafe als Mittel zur Verwirklichung dieses Ziels kann deshalb ebenfalls nur dem präventiven Rechtsgüterschutz dienen. Ihr Einsatz ist gerechtfertigt, wenn sie sich als ein "wirksames und für den Rechtsschutz unentbehrliches Mittel der Prävention" erweist. Sie darf also nur dort eingesetzt werden, wo erstens das Präventionsziel durch Strafe überhaupt erreichbar ist (Eignung) und wo es zweitens nicht auf eine andere, gleich wirksame, den Einzelnen aber weniger belastende Weise erreicht werden kann (Erforderlichkeit). Eine hiervon absehende Vergeltungsstrafe, die der Wahrung der Autorität des Gesetzes oder der Verwirklichung der Gerechtigkeit dient, ist dagegen nicht zu rechtfertigen.
Ist der Einsatz von Strafe nur durch deren Eignung legitimierbar, Rechtsgüterschutz durch Prävention zu verwirklichen, dann bedeutet dies in der Terminologie der Strafrechtstheorien, dass Strafrecht der Generalprävention dient und, wo es auf einen konkreten Täter angewendet wird, der Spezialprävention (präventive Vereinigungstheorie). Damit ist gemeint, dass die der Strafe angesonnenen Wirkungen zum einen beruhen können auf der Einwirkung auf potentielle Täter, die durch den Eindruck von Strafandrohung, Strafverfolgung, Bestrafung, Strafvollstreckung und Strafvollzug von der Begehung von Straftaten abgehalten werden (negative Generalprävention), sowie auf der Normstabilisierung in der Bevölkerung durch Bestätigung der Normgeltung (positive Generalprävention). Diese Wirkungen können zum anderen darauf beruhen, dass der verurteilte Täter entweder resozialisiert (positive Spezialprävention), dass er von weiteren Straftaten abgeschreckt, oder dass die Rechtsgemeinschaft vor diesem Täter gesichert wird (negative Spezialprävention).
Schuld ist Voraussetzung für Strafe (Strafbegründungsschuld). Schuld fordert aber nicht Strafe, wie dies die Vergeltungstheorie postuliert, sondern begrenzt sie, und zwar ausschließlich nach oben (Strafzumessungsschuld). Strafe darf das Maß an Schuld nicht über-, wohl aber unterschreiten. Folglich braucht auch nicht jede schuldhafte Tatbestandsverwirklichung zwingend die Bestrafung nach sich zu ziehen, wie dies für das Vergeltungsstrafrecht selbstverständlich war: "Wo Strafe nicht erforderlich ist, kann, wo sie schädlich ist, muss auf sie verzichtet werden".
In dem bislang verbreitetsten Strukturmodell von Kriminalprävention, in dem in Anlehnung an Modelle der Medizin zwischen primärer, sekundärer und tertiärer Prävention unterschieden wird, sind strafrechtliche General- und Spezialprävention Bestandteile dieses Präventionsmodells (vgl. Schaubild 1). Dieses Modell verdeutlicht, dass Strafrecht eben nicht nur auf den Bereich der 'tertiären' Prävention zielt, sondern durch positive und negative Generalprävention auch Wirkungen im Sinne primärer und sekundärer Prävention anstrebt. Dieses Strukturmodell verdeutlicht aber auch eine weitere Einsicht, dass nämlich
· Strafrecht nur eines von mehreren Normensystemen,
· Strafjustiz nur einer von mehreren Trägern und
· Strafe nur eine von mehreren Mitteln der Kriminalprävention ist.
Bestimmen Eignung und Erforderlichkeit den Einsatz des Strafrechts und der Strafe, dann sind Strafe und Strafverfahren schon aus verfassungsrechtlichen Gründen "ultima ratio". Dies bedeutet:
(1) Strafrecht darf nur dann eingesetzt werden, wenn mildere Mittel zum Rechtsgüterschutz nicht ausreichen. "Es verstößt gegen das Übermaßverbot, wenn der Staat zum scharfen Schwert des Strafrechts greift, wo andere sozialpolitische Maßnahmen ein bestimmtes Rechtsgut ebenso gut oder gar wirkungsvoller schützen können." Daraus folgt "der Leitgedanke des Vorranges der Prävention vor der Repression".
(2) Aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip folgt für die Strafverhängung, dass unter mehreren, hinsichtlich des Präventionsziels gleichermaßen wirksamen Sanktionen nur die den Einzelnen am wenigsten belastende verhängt werden darf.
(3) Der ultima ratio-Grundsatz bedeutet ferner, dass auf eine Verurteilung zu verzichten ist, wo eine informelle Sanktionierung (=Diversion) ausreicht. Deshalb verlor mit dem Vordringen general- und spezialpräventiver Auffassungen das strafverfahrensrechtliche Legalitätsprinzip (Verfolgungs- und Anklagezwang) einen Großteil seiner ursprünglichen Berechtigung.
Dieser Änderung sowohl der strafrechts- als auch der straftheoretischen Grundkonzeption musste das Strafrecht, insbesondere das Sanktionensystem, angepasst werden. Dieser straftheoretische Wandel ist vor allem umgesetzt worden durch:
(1) Einschränkungen des Legalitätsprinzips zugunsten des Opportunitätsprinzips, um „informell" dort reagieren zu können, wo eine Verurteilung aus Präventionsgründen entweder nicht geeignet oder nicht erforderlich erschien. Die Palette „klassischer Sanktionen“, namentlich Geld- und Freiheitsstrafen, ist damit durch Reaktionsmöglichkeiten ergänzt worden, die Alternativen zur Anklage oder zur Verurteilung darstellen. Der Gesetzgeber hat insbesondere mit den §§ 153 ff Strafprozessordnung (StPO), §§ 45, 47 Jugendgerichtsgesetz (JGG), §§ 29, 31a, 37 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) - straftheoretisch zutreffend - Möglichkeiten geschaffen, das Verfahren – trotz hinreichenden Tatverdachts - einzustellen. In dieser deutschen Variante von Diversion ist das Verfahren selbst (in Verbindung mit der Einstellungsentscheidung) die nach Auffassung der Justiz präventiv geeignete und erforderliche Sanktion.
(2) Um- und Ausbau des Sanktionensystems zu einem tauglichen Instrument präventiver Kriminalpolitik. Hierzu zählt etwa die 1923 mit dem JGG erfolgte Einführung eines Sonderstrafrechts für junge Täter, das seitdem eine Vorreiterfunktion innehat, insbesondere hinsichtlich der Erprobung alternativer Sanktionen. Nach einer Reihe wichtiger Zwischenschritte – Einführung der Maßregeln der Besserung und Sicherung, Abschaffung der Todesstrafe, Einführung der Strafaussetzung zur Bewährung – sollte nach Auffassung des Gesetzgebers vor allem durch die beiden Strafrechtsreformgesetze vom 25.6. und 4.7.1969 das allgemeine Strafrecht „als taugliches Instrument der Kriminalpolitik (ausgestaltet werden) mit dem Ziel einer Verhütung künftiger Straftaten, vor allem durch Resozialisierung des Straftäters." Kernstück des kriminalpolitischen Programms war die nachhaltige Einschränkung der als resozialisierungsfeindlich angesehenen kurzen Freiheitsstrafe, die "in Zukunft nur noch in einem ganz engen und auch kriminalpolitisch vertretbaren Bereich verhängt und vollstreckt" werden sollte. Damit war die Erwartung verbunden, den Strafvollzug nachhaltig zu entlasten und so überhaupt erst die tatsächlichen Voraussetzungen für dessen Reform zu schaffen. Hauptstrafe der Gegenwart sollte die Geldstrafe sein.
Der zutreffenden Erkenntnis folgend, dass sich ein allein um den Täter und nicht auch um das Opfer kümmerndes Strafrecht "zu seinen Zielen der Friedensstiftung, Humanität und Prävention" in Widerspruch setzen würde, wurden zunehmend auch berechtigte Opferbelange berücksichtigt, insbesondere durch den Täter-Opfer-Ausgleich. Insbesondere ist die Staatsanwaltschaft gehalten, die Möglichkeiten zu prüfen, einen Ausgleich zwischen Beschuldigtem und Verletztem zu erreichen (§ 155a StPO). Das Bemühen des Beschuldigten, einen Täter-Opfer-Ausgleich zu erreichen, kann die Einstellung des Strafverfahrens rechtfertigen (§ 153a StPO). Entsprechende Möglichkeiten hat das Gericht nach Anklageerhebung. Ein Täter-Opfer-Ausgleich eröffnet für das Gericht ferner die Möglichkeit, die Strafe zu mildern oder ganz von Strafe abzusehen (§ 46a StGB).
In der Kriminalpolitik der letzten beiden Jahrzehnte erfolgte eine Ausdifferenzierung des Sanktionensystems hinsichtlich bestimmter Tätergruppen.
Während bei leichter und mittelschwerer Kriminalität weiterhin Diversionsmöglichkeiten behutsam ausgebaut wurden, wurden bei typischen Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität die Möglichkeiten erweitert, mithilfe strafrechtlicher Sanktionen illegal erlangte Gewinne abzuschöpfen.
Vor allem bei Gewalt-, Drogen- und Sexualdelikten wurden Mindeststrafen erhöht, bedingte Entlassungen aus dem Straf- und Maßregelvollzug erschwert sowie die Voraussetzungen für eine Unterbringung als „gefährliche“ Täter in Sicherungsverwahrung erheblich erleichtert.
Das gegenwärtige strafrechtliche Rechtsfolgensystem weist demnach inzwischen mehrere „Spuren“ auf (vgl. Schaubild 2).
Die Praxis hat sich dieser Umorientierung nicht verweigert, sie eilte, insbesondere was die Nutzung der Opportunitätsvorschriften und den zunehmenden Verzicht auf die als schädlich erkannten kurzen Freiheitsstrafen anging, dem Gesetzgeber teilweise weit voraus.
· Von den Opportunitätsvorschriften wurde in hohem und in zunehmendem Maße Gebrauch gemacht (vgl. Schaubild 3); derzeit wird bei mehr als jedem zweiten, hinreichend tatverdächtigen Beschuldigten das Verfahren aus Opportunitätsgründen eingestellt. Im Jugendstrafrecht ist die Diversionsrate mit 69% deutlich höher als im allgemeinen Strafecht mit 52% (vgl. Tabelle 1 und 2, jeweils Zeile 2).
· Die freiheitsentziehenden Sanktionen wurden stark zurückgedrängt. Besonders deutlich wird dies im Langzeitvergleich (vgl. Schaubild 4). Im Gefolge der Strafrechtsreform von 1969 ging der Anteil der unbedingten, also der nicht zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafen an allen nach allgemeinem Strafrecht Verurteilten von 24% (1968) auf 6% (2003) zurück (vgl. Tabelle 1, Zeile 11, Spalte 3). Im Jugendstrafrecht wird derzeit nur noch bei 7% der Verurteilten eine unbedingte Jugendstrafe und bei weiteren 19% ein Jugendarrest verhängt (vgl. Tabelle 2, Zeile 11 und 13, Spalte 3). Diese Anteile sind freilich deutlich überhöht, weil durch Opportunitätseinstellungen ein zunehmend größer gewordener Teil der leichten und mittelschweren Kriminalität gar nicht mehr zur Verurteilung gelangt. Unter den Verurteilten nahm dementsprechend der Anteil der Täter mit schweren Straftaten oder mit erheblichen Vorbelastungen zu, bei denen eher freiheitsentziehende Sanktionen verhängt wurden.
· Deshalb ist es geboten, die Zahl der zu freiheitsentziehenden Sanktion Verurteilten auf die Gesamtheit aller (informell oder formell) Sanktionierten zu beziehen. Dann zeigt sich, dass 2003 im allgemeinen Strafrecht lediglich bei 3% eine unbedingte Freiheitsstrafe verhängt wurde (vgl. Tabelle 1, Zeile 11, Spalte 2); im Jugendstrafrecht wurde bei 2% aller Sanktionierten eine unbedingte Jugendstrafe und bei 6% ein Jugendarrest angeordnet (vgl. Tabelle 1, Zeile 11 und 13, Spalte 2).
· Ambulante Sanktionen dominieren dementsprechend mit Anteilen von über 90%. Sowohl im allgemeinen Strafrecht als auch im Jugendstrafrecht überwiegen die informellen ambulanten Sanktionen, darunter wiederum die interventionslosen Sanktionen.
Allerdings ist nicht zu verkennen, dass in den letzten 15 Jahren in Deutschland – wie in den meisten westeuropäischen Staaten - die Gefangenenraten angestiegen sind. Dies dürfte vor allem auf vermehrten Verurteilungen wegen Gewaltdelikten, auf (jedenfalls bei einigen Deliktsgruppen) durchschnittlich längeren Freiheitsstrafen sowie auf einer in den letzten Jahren restriktiver gewordenen Handhabung vorzeitiger Entlassungen beruhen. Innerhalb der westeuropäischen Staaten (vgl. Schaubild 5) liegt Deutschland mit seiner Gefangenenrate im oberen Bereich des Mittelfeldes, was vor allem auf den vergleichsweise langen Haftzeiten beruht, die fast doppelt so hoch sind wie in den skandinavischen Ländern.
Hinsichtlich der generalpräventiven Wirkung von Strafandrohung, Strafverhängung und Strafvollstreckung wird von Teilen der Politik in Deutschland die Erwartung geäußert, durch eine Verschärfung eine höhere Präventionswirkung erzielen zu können. Für die Richtigkeit dieser Erwartungen gibt es indes keinerlei empirisch gestützte Anhaltspunkte.
Nach dem derzeitigen Forschungsstand sind die Abschreckungswirkungen (negative Generalprävention), die von Androhung, Verhängung oder Vollstreckung von Strafen auf die Allgemeinheit ausgehen, sehr gering. Für den Bereich der leichteren und der mittelschweren Kriminalität jedenfalls gilt, dass die Strafvariablen (Entdeckungsrisiko sowie Höhe und Schwere der Strafe) neben anderen - außerstrafrechtlichen - Faktoren zur Erklärung von Delinquenz nahezu bedeutungslos sind. Höhe und Schwere der Strafe haben keine messbare Bedeutung. Lediglich dem (subjektiv eingeschätzten) Entdeckungsrisiko kommt eine gewisse Bedeutung zu, allerdings nur bei einigen (Bagatell-)Delikten und auch dann nur überaus schwach. Weitaus bedeutsamer sind die moralische Verbindlichkeit der Normen, die Häufigkeit der Deliktsbegehung im Verwandten- und Bekanntenkreis, die vermuteten Reaktionen des sozialen Umfelds sowie, nach den Ergebnissen der Göttinger Studie, das subjektive Strafempfinden.
Ein funktionierendes Strafrecht hat freilich auch die Aufgabe, strafrechtliche Normen dadurch zu stabilisieren, dass schon durch die Strafdrohung die Bedeutung der geschützten Werte und Normen verdeutlicht und durch Verfolgung und Sanktionierung der Normbruch sozialethisch missbilligt wird. Zu diesem Aspekt der Normstabilisierung liegen erst wenige empirische Studien vor, die jedoch - schon wegen der Verwobenheit von Moral- und Überzeugungsbildung durch Erziehung einerseits und darauf bezogener strafrechtlicher Normbestätigung andererseits - den auf Strafrecht zurückführbaren Einfluss nicht eindeutig zu isolieren in der Lage waren. Irgendein Anhaltspunkt dafür, dass eine Verschärfung des Strafrechts das Normbewusstsein positiv beeinflussen würde, konnte indes nicht gefunden werden. Streng stellt dementsprechend nüchtern fest: "Für die Annahme etwa einer 'sittenbildenden Kraft' des Strafrechts fehlt jeder empirische Anhaltspunkt. Vom Strafrecht und seinen Sanktionen kann unter dem Gesichtspunkt positiver Generalprävention nicht mehr erwartet werden als die Abstützung von Werten und Normen, welche die Bürger von vornherein zu akzeptieren bereit sind."
Aus dem gegenwärtigen Stand der Forschung folgt so viel, dass - abgesehen vielleicht von Tätergruppen, die rational Risiken abwägen, wie dies für einige Gruppen von Umwelt- bzw. Wirtschaftsstraftätern oder für Täter der organisierten Kriminalität vermutet wird - eine Verschärfung des Strafrechts weder unter dem Gesichtspunkt der negativen noch der positiven Generalprävention als erforderlich begründet werden kann, weil es keinen Beleg dafür gibt, dass dadurch die Kriminalitätsraten gesenkt oder das Normbewusstsein und die Normtreue gestärkt werden könnten. Bestätigt wird dieser Befund durch eine neue internationale Bestandsaufnahme über den Zusammenhang von Strafhärte und Generalprävention, wonach "die Möglichkeiten des Strafgesetzgebers, präventiv zu wirken, beschränkt sind, und dass jedenfalls über die Strafschwere selbst substantielle Zuwächse an Abschreckung oder Normverdeutlichung nicht erreicht werden können."
Bis vor Kurzem stützte sich das empirische Wissen über Rückfallraten nach einzelnen Sanktionen lediglich auf einzelne, zumeist örtlich, zeitlich und deliktsspezifisch beschränkte Untersuchungen zu einzelnen Sanktionen. Erst mit der 2003 veröffentlichten Rückfallstatistik liegen Befunde über die Rückfallraten hinsichtlich sämtlicher förmlicher Sanktionen vor, und zwar in Abhängigkeit von Alter, Geschlecht, Deliktsart und Vorbelastung. Bezogen auf das Jahr 1994 und für einen Rückfallzeitraum von genau vier Jahren wurde z.B. ermittelt:
· Entgegen Alltagsvorstellungen – einmal kriminell, immer kriminell – ist Rückfälligkeit die Ausnahme, nicht die Regel. Nur ein gutes Drittel aller Verurteilten wurde innerhalb von vier Jahren erneut justiziell registriert (vgl. Schaubild 6).
· Die Rückfallraten nehmen in der Tendenz mit der Schwere der Sanktion zu: Je härter die verhängte Sanktion, desto höher die Rückfallraten.
· Kommt es zu einer Wiederverurteilung, dann ist eine freiheitsentziehende Folgesanktion eher die Ausnahme.
· Die Rückfallraten sind – ebenso wie die Kriminalitätsbelastung – altersabhängig recht ungleich verteilt. Junge Menschen weisen eine deutlich höhere Kriminalitätsbelastung auf als Erwachsene. Erwartungsgemäß sind deshalb auch die Rückfallraten junger Menschen deutlich höher als die von Erwachsenen.
Die Ergebnisse der Rückfallstatistik besagen etwas über die Rückfallwahrscheinlichkeit, die nach der jeweiligen Sanktion und in Abhängigkeit von der Klientel, auf die diese Sanktion angewendet wird, zu erwarten ist. Dementsprechend können Erwartungen, die hinsichtlich der spezialpräventiven Wirkung von Sanktionen bestehen, daraufhin geprüft werden, ob sie durch die Empirie gestützt werden oder sich als unhaltbar erweisen. Wer z.B. eine Freiheits- oder Jugendstrafe in der Annahme verhängt, den Strafgefangenen dadurch von weiteren Straftaten (genauer: von der Verurteilung wegen weiterer Straftaten) abhalten zu können, weiß nunmehr, dass diese Annahme bei Erwachsenen in fast 6 von 10 Fällen und bei jungen Menschen sogar in nahezu 8 von 10 Fällen falsch ist.
Eine Rückfallstatistik ersetzt indes keine Forschung darüber, mit welcher (von verschiedenen) Sanktion bei vergleichbaren Tat- und Tätergruppen die spezialpräventiv bessere Wirkung erzielt wird. Voraussetzung für solche vergleichende Wirkungsaussagen ist die Vergleichbarkeit der Gruppen, die unterschiedlich sanktioniert wurden und sich nur in einem Punkt unterscheiden dürfen, nämlich in der Art bzw. Höhe der Sanktion. Denn die sanktionenspezifische Rückfallwahrscheinlichkeit kann von der richterlichen Selektion beeinflusst sein. Wenn z.B. Richter einigermaßen gut die bei einer Strafaussetzung zur Bewährung geforderte Prognose treffen, dann muss – wie die Rückfallstatistik auch zeigt – die Rückfallrate nach einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheits- oder Jugendstrafe deutlich niedriger sein als nach einer nicht ausgesetzten, aber aussetzungsfähigen Freiheits- oder Jugendstrafe. Der methodisch beste Versuchsplan, das Experiment, kommt aus ethischen wie rechtlichen Gründen in Deutschland nur unter sehr engen Voraussetzungen in Betracht. Alternativen sind vor allem quasi-experimentelle Ansätze. Quasi-experimentelle Studien orientieren sich zwar an den Kriterien des Experiments. Der Hauptunterschied besteht aber in der Zuteilung zu den Vergleichsgruppen, die - im Unterschied zu experimentellen Studien – nicht durch den Forscher nach dem Zufallsprinzip gebildet werden, sondern die der Forscher im Feld vorfindet. Dies ist insbesondere dann der Fall, “wenn die Sanktionierungspraxis für gleichartige Fälle zeitlich oder regional uneinheitlich ist." Die Aufteilung der Probanden in unterschiedliche Behandlungsgruppen ergibt sich demnach lediglich aus der unterschiedlichen Sanktionierungspraxis.
Ein Beispiel für einen quasi-experimentellen Ansatz ist die Untersuchung von Storz zur Diversion (§§ 45, 47 JGG) im Jugendstrafverfahren. Im Rahmen ihrer Auswertung der Eintragungen im Bundeszentralregister für den Geburtsjahrgang 1961 bildete Storz zwei hinreichend homogene Untergruppen (im Jugendalter erstmals entweder wegen "einfachen Diebstahls" [§§ 242, 247, 248a StGB] oder wegen "Fahrens ohne Fahrerlaubnis" [% 21 StVG] informell oder formell Sanktionierte). Die zwischen den einzelnen Bundesländern bestehende Spannweite der Diversionsraten, also der Anteil der informell Sanktionierten an allen Sanktionierten, war extrem groß. In den drei Stadtstaaten (Berlin, Bremen, Hamburg) wurden z.B. über 80% aller gegen Ersttäter wegen "einfachen Diebstahls" durchgeführten Verfahren nach §§ 45, 47 JGG eingestellt, in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz war dies lediglich bei rd. 43% der Fall. Vergleichbare Befunde zeigten sich auch bei der zweiten untersuchten Deliktsgruppe, nämlich bei "Fahren ohne Fahrerlaubnis". Diese Unterschiede sind, da die Gruppen einigermaßen homogen sind, nicht durch Unterschiede in der Tat- oder Täterstruktur erklärbar, sie sind vielmehr Ausdruck differentieller Sanktionsstile.
Würde nun eine Verurteilung den Rückfall eher verhindern als Diversion, dann müssten – bei sonst gleichen Ausgangsbedingungen - die Anteile derjenigen Jugendlichen, die innerhalb eines Rückfallzeitraums von drei Jahren erneut justiziell (also durch eine im Zentral- oder im Erziehungsregister registrierte informelle oder formelle "Nachentscheidung") in Erscheinung treten, mit der Höhe der Diversionsraten systematisch zunehmen. Insbesondere müsste bei einer weitgehenden Ausweitung der Diversion über die Gruppe von Ersttätern mit günstiger Prognose hinaus ein – mutmaßlich selektionsbedingter – Vorteil der Legalbewährung der Divertierten gegenüber den förmlich Sanktionierten verschwinden. Die empirische Prüfung ergab indes keinen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen der Höhe der Diversions- und der Höhe der Nachentscheidungsrate (vgl. Schaubild 7 zur Gruppe „einfacher Diebstahl“). Anhaltspunkte dafür, dass die festgestellten Zusammenhänge zwischen informeller Sanktionierung und Legalbewährung auf einem Selektionseffekt beruhen, konnten auch bei gezielter Prüfung dieser Frage anhand des Datenmaterials nicht festgestellt werden.
Damit wird der kriminologische Wissensstand ergänzt, der der Philadelphia-Kohortenstudie von Wolfgang u.a. zu verdanken ist, wonach die Fortsetzung der Karriere um so wahrscheinlicher wird, je früher und je öfter formell sanktioniert worden war; bei vergleichbarem Deliktshintergrund wurde selbst nach dreimaliger Auffälligkeit das Abbrechen einer Karriere dort häufiger beobachtet, wo eher informell als formell reagiert wurde: "Je früher und je konsequenter auf einen bestimmten Delikttyp strafend reagiert wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die kriminelle Karriere verlängert wird. Bestimmte rein strafende Sanktionsabfolgen erhöhen das Risiko, dass es nach einer dritten noch zu einer vierten Straftat kommt, auf das Dreifache“, so die pointierte Zusammenfassung dieser Befunde durch Albrecht.
Diese Befunde von Storz wurden durch weitere, mit anderem Design durchgeführte Studien bestätigt. Übereinstimmend wurde festgestellt, dass die formelle Erledigung (Verurteilung) in spezialpräventiver Hinsicht einer Verfahrenseinstellung nicht überlegen ist. Bei vergleichbaren Tat- und Tätergruppen waren die Rückfallraten - im Sinne erneuter justizieller Registrierung - nach einer Verfahrenseinstellung regelmäßig nicht höher als nach einer Verurteilung, sondern zumeist niedriger.
Dölling, Hartmann und Traulsen untersuchten die Legalbewährung von 85 erfolgreichen TOA-Fällen, die mit jugendlichen Beschuldigten in den beiden Modellprojekten in München und Landshut in den Jahren 1987 bis 1989 durchgeführt worden waren. Ihnen wurde eine nachträglich gebildete Vergleichsgruppe von Nicht-TOA-Fällen, die die grundsätzlichen Eignungskriterien für einen TOA erfüllten, sowie von gescheiterten TOA-Fällen gegenübergestellt. Nach statistischer Kontrolle der Unterschiede erwies sich die Zahl der Bundeszentralregister-Eintragungen in der erfolgreichen TOA-Gruppe als signifikant niedriger als in der Vergleichsgruppe. Beim Vergleich der erfolgreichen TOA-Fälle mit den gescheiterten TOA-Fällen schnitten erstere nur geringfügig besser ab; der Zusammenhang war statistisch allerdings nicht signifikant. Die günstigere Legalbewährung der TOA-Gruppe dürfte nicht auf einem Selektionseffekt beruhen, weil dann die gescheiterten TOA-Fälle hätten besser abschneiden müssen als die Vergleichsgruppe; dies war aber nicht der Fall. Nach Bewertung der Autoren spricht deshalb die Untersuchung “für einen günstigen Zusammenhang zwischen TOA und Legalbewährung.” Da die TOA-Teilnehmer-Gruppe insgesamt (also einschließlich der gescheiterten Ausgleichsfälle) und die nicht am TOA teilnehmende Vergleichsgruppe einander nicht gegenübergestellt wurden, ist allerdings nicht der Effekt der Verfahrensalternative - Zuweisung zum TOA vs. Verfahren ohne TOA - überprüft worden, sondern nur der eines späteren “erfolgreichen Abschlusses”. Immerhin bleibt die Erkenntnis, dass ein größerer Teil der dem TOA zugewiesenen Teilnehmer insofern profitiert hat, dass sie an einem pädagogisch sinnvollen Ausgleichsverfahren teilgenommen haben, und dass ihre Legalbewährung sich im Vergleich zu den nicht am TOA-Verfahren Teilnehmenden günstig darstellt.
In seiner 1982 veröffentlichten Studie stellte Albrecht fest, dass sich die anfänglich bestehenden Unterschiede in den Wiederverurteilungsraten nach Geldstrafe und Freiheitsstrafe bei Kontrolle von Selektionsmerkmalen stark verringerten. Er zog daraus den Schluss, „dass eine Variierung der Strafart in dem normativ zugelassenen und strafrechtspraktisch sichtbaren Rahmen bei vergleichbaren Gruppen keine interpretierbaren Unterschiede mehr mit sich bringen würde.“
Eindrucksvoll bestätigt wurde diese These durch eine neuere Auswertung von Daten des Schweizer Bundesamtes für Statistik. Storz nutzte erneut die Tatsache, dass aufgrund kantonaler Sanktionsstile extrem große Unterschiede in der Verhängung von Geldstrafen (Bussen) und bedingten Freiheitsstrafen bei homogenen Tat- und Tätergruppen bestehen. Überprüft wurde der Zusammenhang zwischen Strafart und Wiederverurteilungsrate bei erstmals wegen Massendelikten (einfachen Diebstahls gem. Art. 137.1 schwStGB, Verletzung der Verkehrsregeln gem. Art 90 SVG, Fahrens in angetrunkenem Zustand gem. Art. 91 SVG) in den Jahren 1986 und 1987 Verurteilten. Storz stellte fest: "... zwischen regionalen Sanktionspräferenzen und Rückfallraten (ergibt sich kein Zusammenhang). Beide Merkmale sind statistisch unabhängig voneinander (vgl. Schaubild 8). Über alle untersuchten Delikte zusammen sind die Rückfallraten in den Kantonsgruppen mit höherem Bußenanteil genau gleich groß wie in den anderen Kantonen, nämlich 13%. Das heißt, hohe Bußenanteile bei identischen Delikten ergeben keine schlechteren Resultate" als zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafen.
Die 1969 erfolgte Ausweitung der Strafaussetzung zur Bewährung durch Anhebung der Obergrenzen der aussetzbaren Freiheitsstrafen stellte ein natürliches Experiment dar. Bei einem erheblichen Teil der Straftäter, der früher zwingend zu einer vollstreckten Freiheitsstrafe verurteilt worden wäre, wird nunmehr die Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Wie Spiess bei einer prospektiven, also auf den Beginn der Unterstellung bezogenen Auswertung von Datensätzen der Bewährungshilfestatistik der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen für die Unterstellungsjahrgänge 1977 .. 1985 zeigen konnte, führte die zunehmende Einbeziehung strafrechtlich bereits vorbelasteter Verurteilter in die Bewährungsunterstellungen nicht zu einer Zunahme der Widerrufsraten. Auch die Bewährungsraten der strafrechtlich vorbelasteten Probandengruppen zeigten eine günstige Entwicklung (vgl. Schaubild 9). Dies ist deshalb bemerkenswert, weil mit dem Merkmal der strafrechtlichen Vorbelastung eine Häufung weiterer sozialbiographischer Belastungsmerkmale verbunden ist, wie sie im Übrigen auch für die Strafvollzugspopulation charakteristisch ist. Daraus folgt, dass empirisch nicht begründbar ist, weshalb das Potential der Strafaussetzung zur Bewährung bereits ausgeschöpft sein sollte.
Diese hier nur beispielhaft vorgestellten Befunde fügen sich bruchlos ein in den allgemeinen Wissensstand kriminologischer Forschung. Die neueren US-amerikanischen Sekundäranalysen zeigen, dass von einer “tough on crime”-Kriminalpolitik, die auf Strafschärfungen, insbesondere auf freiheitsentziehende Sanktionen setzt, keine positiven Effekte zu erwarten sind. Nach härteren, insbesondere nach freiheitsentziehenden Sanktionen sind vielmehr die Rückfallraten bei vergleichbaren Tat- und Tätergruppen nicht niedriger, sondern eher höher als nach weniger eingriffsintensiven Sanktionen.
Nach dem gegenwärtigen Stand der vergleichenden Sanktionsforschung lässt sich deshalb als Ergebnis festhalten:
1. Es gibt keinen empirischen Beleg dafür, dass - bei vergleichbaren Tat- und Tätergruppen – die Rückfallrate nach einer Verurteilung niedriger ist als nach einer Verfahrenseinstellung (Diversion). Niedriger sind die Rückfallraten eher nach Diversion.
2. Im Bereich der leichten und mittelschweren Kriminalität haben unterschiedliche Sanktionen keine differenzierende Wirkung auf die Legalbewährung; die Sanktionen sind vielmehr weitestgehend ohne messbare Konsequenzen auf die Rückfallraten austauschbar.
3. Es gibt keinen empirischen Beleg für die Annahme, durch härtere Sanktionen messbar bessere Legalbewährungsraten erzielen zu können.
4. Wenn es eine Tendenz gibt, dann die, dass nach härteren Sanktionen die Rückfallrate bei vergleichbaren Tat- und Tätergruppen höher ist.
Diese Ergebnisse sind folgenreich. Denn die Wahl der Sanktion muss stets gerechtfertigt werden dadurch, dass ein solcher Eingriff als notwendig und verhältnismäßig begründbar ist. Wo - und das ist die Forschungslage - die bessere Wirksamkeit der härteren Sanktion nicht belegbar ist, müsste nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip die mildere Sanktion der jeweils härteren vorgezogen werden. Nicht der Nachweis eines größeren Erfolgs weniger eingriffsintensiver Maßnahmen gegenüber den intensiveren Reaktionen ist zu erbringen, sondern es bedürfen umgekehrt die eingriffsintensiveren Maßnahmen der Begründung ihrer präventiven Effizienz.
In der deutschen Kriminologie wird deshalb schon seit längerem vertreten: "Immerhin reicht die Mehrheit der internationalen Befunde für die Schlussfolgerung, dass im Bereich der großen Zahl verschiedene Sanktionen ähnliche Effekte nach sich ziehen, wenn man sie gegen zumindest angenähert vergleichbare Gruppen von Personen einsetzt, die wegen Straftaten verfolgt werden. Dieses Phänomen der spezialpräventiven Austauschbarkeit von Sanktionen ... wird unterstützt von der Einsicht, dass auch generalpräventiv nicht schon von der Rücknahme schwerer Sanktionen als solcher ein Verlust an Innerer Sicherheit befürchtet werden muss ... Die Devise 'im Zweifel weniger' hat also immerhin viel empirische Evidenz für sich. Daraus folgt schon heute für eine Kriminalpolitik und generalisierte Sanktionspraxis, die dem Anspruch auf Rationalität (jedenfalls mit) genügen wollen, die Pflicht zur offenen Begründung (etwa Schuld, Sühne, Gerechtigkeit), wenn man auf bestimmte Delikte oder Tätergruppen stärker als mit der spezialpräventiv geeigneten Mindestreaktion reagieren will." "Nach kriminologischen Erkenntnissen ist von Sanktionsverschärfungen weder unter spezial- noch unter generalpräventiven Gesichtspunkten eine Reduzierung von Jugendkriminalität zu erwarten." Oder noch kürzer formuliert:: "Dem Glauben an die instrumentelle Nützlichkeit eines 'harten' Strafrechts fehlt heute mehr denn je die erfahrungswissenschaftliche Basis." Der Forschungsstand spricht folglich dafür, im Zweifel weniger, nicht mehr zu tun.
Aus der "Austauschbarkeitsthese" folgt positiv, dass die Intensität von strafrechtlicher Übelszufügung zurückgenommen werden kann, ohne damit einen messbaren Verlust an Prävention befürchten zu müssen. Dagegen folgt aus der "Austauschbarkeitsthese" nicht, dass das Resozialisierungskonzept zugunsten eines Tatstrafrechts aufzugeben oder gar das Strafrecht abzuschaffen sei. Vielmehr muss das Strafrecht als formalisierte Sozialkontrolle auf den rationalen Umgang mit dem Abweicher festgelegt und in dieser Hinsicht der permanenten Kritik ausgesetzt sein; die Suche nach Problemlösungen, die den kriminalpolitischen Leitprinzipien von Humanität, Sozialstaatlichkeit und Rechtsstaatlichkeit noch besser als jetzt gerecht werden, bleibt deshalb als ständige Aufgabe. Das Resozialisierungskonzept wird - moderat - auch von der empirischen Forschung gestützt. Verfassungsrechtlich ist es sogar geboten. Es lebt "von der sozialstaatlich begründeten Verpflichtung von Staat und Gesellschaft, dem Straftäter bei Problemen Hilfe zu gewähren, an denen er mit seiner Straftat gescheitert ist. ... Diese Verpflichtung wird heute nicht in Frage gestellt, in Frage steht vielmehr die Form ihrer Verwirklichung. Zukunft hat das Resozialisierungskonzept in den Bemühungen wissenschaftlich und praktisch betriebener Kriminalpolitik,
· schon heute wenigstens desozialisierende Wirkungen des Vollzugs der Freiheitsstrafe zu vermeiden;
· differenzierte Programme für unterschiedliche Typen von Menschen zu entwickeln, welche nicht nur hilfreich sind, sondern auch die Würde der Betroffenen bewahren, und
· langfristig am Abbau von Zwängen zu arbeiten."
Das derzeit populäre Konzept “tough on crime” ist ein Katastrophenrezept, weil es dem falschen Prinzip "mehr desselben" folgt. Es steht zu sämtlichen Ergebnissen der einschlägigen empirischen Forschung in Widerspruch. Kriminalität wird durch härtere Sanktionen nicht reduziert, sondern gefördert. Innere Sicherheit wird dadurch nicht erhöht, sondern gefährdet. Steuergelder werden dadurch in Maßnahmen investiert, mit denen das angestrebte Ziel nicht erreicht, sondern deutlich verfehlt wird. Vor allem: Eingriffsintensivere Sanktionen fügen unnötiges Leid zu; unnötig, weil sie, gemessen am Ziel der Rückfallverhütung, den eingriffsschwächeren Sanktionen nicht überlegen sind.
Mit einer “tough on crime”-Kriminalpolitik werden aber nicht nur falsche Erwartungen – Kriminalitätsraten würden nachhaltig gesenkt – geweckt, sondern es wird der richtige Ansatz systematisch verfehlt. Eine derartige Kriminalpolitik verkürzt Kriminalpolitik auf Strafrechtspolitik und überschätzt dabei zugleich die präventiven Möglichkeiten des Strafrechts. Mit Strafrecht lassen sich soziale Probleme nicht lösen. Kriminalität ist durch eine Vielzahl von ökonomischen, sozialen, individuellen und situativen Faktoren bedingt, die regelmäßig außerhalb des Einflusses des strafrechtlichen Systems liegen. Untersuchungen zur Kriminalität sowohl jugendlicher Mehrfach- und Intensivtäter wie jugendlicher Gewalttäter zeigen ein hohes Maß sozialer Defizite und Mängellagen bei diesen Tätergruppen, angefangen von erfahrener, beobachteter und tolerierter Gewalt in der Familie, materiellen Notlagen, Integrationsproblemen vor allem bei jungen Zuwanderern (mit oder ohne deutschen Pass), bis hin zu Schwierigkeiten in Schule und Ausbildung und dadurch bedingter Chancen- und Perspektivlosigkeit. Lebenslagen und Schicksale sind positiv beeinflussbar, aber nicht mit den Mitteln des Strafrechts. Strafrecht kann weder Ersatz noch Lückenbüßer sein für Kinder- und Jugendhilfe, für Sozial- und Integrationspolitik. Strafrecht kann Prägungen durch erfahrene, beobachtete oder tolerierte Gewalt in der Familie und im sonstigen sozialen Umfeld nur begrenzt ausgleichen. Durch Schwierigkeiten in Schule und Ausbildung bedingte Chancen- und Perspektivlosigkeit kann Strafrecht nicht beheben, wohl aber verschärfen. Deshalb sind vorrangig Einrichtungen und Maßnahmen der primären und sekundären Prävention zu fördern, die anzusetzen haben bei den Familien, Schulen und in den Kommunen.
Die Grundsätze der subsidiären und fragmentarischen Natur des Strafrechts fordern deshalb einen Ansatz, in den sämtliche Dimensionen von Prävention einbezogen werden. Vorrang müssen hierbei die Mittel der primären und sekundären Prävention haben, durch die früher und besser die Entstehungsgründe von Kriminalität beeinflusst werden können als durch das regelmäßig zu spät kommende, nur partiell einwirkende Strafrecht. Eine Kurskorrektur der Kriminalpolitik ist deshalb geboten. Es gilt, Einrichtungen und Maßnahmen der primären und sekundären Prävention zu fördern, insbesondere solche vor Ort.
Die Besinnung auf Prävention und auf die Verantwortung der Gemeinschaft für Prävention wird das Strafrecht weder kurz-, noch mittel-, noch langfristig entbehrlich machen. Aber sie kann beitragen zur notwendigen Korrektur der Aufgabenverteilung, zur Vermeidung der Überforderung des Strafrechts, damit zur Stärkung des Ausnahmecharakters strafrechtlicher Reaktion.
Der Staat hat den Schutzauftrag, ein ungefährdetes Zusammenleben aller Bürger zu gewährleisten. Dieser Präventionsaufgabe wird auch, aber nicht nur, durch Strafrecht erfüllt. Denn Strafrecht ist nur eines von mehreren Normensystemen, Strafe nur eines von mehreren Mitteln, die Strafjustiz nur einer von mehreren Trägern der Kriminalprävention.
Strafrecht ist ultima ratio. Dies heißt, dass Strafrecht nur dann eingesetzt werden darf, wenn mildere Mittel zum Rechtsgüterschutz nicht ausreichen, dass unter mehreren, hinsichtlich des Präventionsziels gleichermaßen wirksamen Sanktionen nur die den Einzelnen am wenigsten belastende verhängt werden darf, dass auf eine Verurteilung zu verzichten ist, wo Diversion (Verfahrenseinstellung) ausreicht.
Insbesondere durch die beiden Strafrechtsreformgesetze von 1969 und 1975 erhielt das Sanktionensystem des deutschen Strafrechts seine präventive Ausrichtung. Namentlich die Freiheitsstrafe wurde zugunsten der Geldstrafe eingeschränkt, die Strafaussetzung zur Bewährung wurde ausgebaut. Die Möglichkeiten zur Verfahrenseinstellung (Diversion) wurden in den letzten Jahrzehnten deutlich erweitert.
Die Praxis hat diese Reformen aufgegriffen. Derzeit wird bei jedem zweiten, hinreichend tatverdächtig Beschuldigten das Verfahren aus Opportunitätsgründen eingestellt. Der Anteil der freiheitsentziehenden Sanktionen an allen Verurteilten sank auf 9%, bezogen auf alle (informell oder formell) Sanktionierten beträgt ihr Anteil derzeit nur noch 4%.
Diese Reformen und deren Umsetzung haben sich grundsätzlich bewährt. Unter spezialpräventiver Fragestellung konnte in keiner Untersuchung in Deutschland ein Beleg dafür gefunden werden, dass – bei vergleichbaren Tat- und Tätergruppen - die Rückfallwahrscheinlichkeit nach einer eingriffsintensiveren Sanktion geringer ist als nach einer milderen Sanktion. Wenn es eine Tendenz gibt, dann die, dass nach härteren Sanktionen die Rückfallraten höher sind. Es konnte ferner kein Beleg dafür gefunden werden, dass die Rückfallwahrscheinlichkeit nach einer Verurteilung niedriger ist als nach Diversion. Insbesondere hinsichtlich junger Täter wurde festgestellt, dass je früher und je konsequenter auf einen bestimmten Delikttyp strafend reagiert wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die kriminelle Karriere verlängert wird.
Diese Befunde fügen sich bruchlos ein in den Stand der internationalen Sanktionsforschung. Insbesondere die neueren US-amerikanischen Sekundäranalysen zeigen, dass von einer „tough on crime“-Kriminalpolitik, die auf Strafschärfungen setzt, insbesondere auf freiheitsentziehende Sanktionen, in spezialpräventiver Hinsicht keine positiven Effekte zu erwarten sind; diese Sanktionen erwiesen sich vielmehr häufig als kontraproduktiv. Weder bei boot camps, noch bei shock probation, noch bei scared straight-Programmen konnte in methodisch sorgfältig durchgeführten Studien ein positiver Effekt festgestellt werden.
Generalpräventive Wirkungen sind von Strafschärfungen ebenfalls nicht zu erwarten. Sämtliche Untersuchungen zur negativen Generalprävention stimmen darin überein, dass die erwartete Schwere der Strafe bedeutungslos ist, lediglich das wahrgenommene Entdeckungsrisiko war – allerdings nur bei einer Reihe leichterer Delikte - immerhin etwas relevant. Bislang wurden auch keine Anhaltspunkte dafür gefunden, dass eine Verschärfung des Strafrechts das Normbewusstsein positiv beeinflussen würde.
Aufgrund dieser Ergebnisse der nationalen wie internationalen Sanktionsforschung wird deshalb schon seit längerem in der deutschsprachigen Kriminologie vertreten: "Dem Glauben an die instrumentelle Nützlichkeit eines 'harten' Strafrechts fehlt heute mehr denn je die erfahrungswissenschaftliche Basis." Der Forschungsstand spricht dafür, im Zweifel weniger, nicht mehr zu tun.
Sanktionsschärfungen fügen demnach unnötiges Leid zu; unnötig, weil sie, gemessen am Ziel der Rückfallverhütung, den eingriffsschwächeren Sanktionen nicht überlegen sind.
Eine auf Strafschärfungen setzende „tough on crime“-Kriminalpolitik überschätzt die Möglichkeiten des Strafrechts und verkürzt Kriminalpolitik auf Strafrechtspolitik. Strafrecht kann Versäumnisse der Sozial-, Arbeitsmarkt-, Bildungs- und Wirtschaftspolitik nicht ausgleichen, gesellschaftspolitische Gestaltungsdefizite nicht ersetzen. Deshalb ist eine Kurskorrektur der Kriminalpolitik angezeigt, in der Prävention statt Repression im Vordergrund steht. Statt Ausbau des Strafrechts sind vor allem Einrichtungen und Maßnahmen der primären und sekundären Prävention zu fördern, die anzusetzen haben bei den Familien, Schulen und in den Kommunen.
Konstanzer Inventar Sanktionsforschung
(KIS)
Konstanzer Inventar Kriminalitätsentwicklung
(KIK)
Konstanzer Inventar - Materialien zu Kriminalitätsentwicklung und
Sanktionsforschung
Konstanzer Inventar - Links zu kriminologischen und
kriminalstatistischen Ressourcen - Suchfunktion
Tabellen:
Tabelle 1: Nach allgemeinem
Strafrecht Sanktionierte. Bundesrepublik Deutschland (alte Länder), 2003
Tabelle 2: Nach
Jugendstrafrecht Sanktionierte. Bundesrepublik Deutschland (alte Länder),
2003
Tabelle 1: Nach allgemeinem Strafrecht Sanktionierte. Bundesrepublik Deutschland (alte Länder), 2003
|
Nach allgemeinem Strafrecht Sanktionierte - 2003
|
N |
in % von Zeile 1 |
in % von Zeile 9 |
|
|
(1) |
(2) |
( 3) |
1 |
Sanktionierte
insgesamt |
1.332.669 |
100 |
|
2 |
Informell
Sanktionierte |
697.610 |
52,1 |
|
3 |
ohne
Auflagen (§§ 153, 153b StPO) |
423.060 |
31,6 |
|
4 |
mit
Auflagen (§ 153a StPO) |
274.550 |
20,5 |
|
5 |
Formell
Sanktionierte |
640.559 |
47,9 |
|
6 |
Absehen von
Strafe (§ 60 StGB) |
324 |
0,0 |
|
7 |
Verwarnung
mit Strafvorbehalt |
5.500 |
0,4 |
|
8 |
Verurteilte |
634.735 |
47,4 |
100 |
9 |
Geldstrafe |
507.086 |
37,9 |
79,9 |
10 |
Freiheitsstrafe
bzw. Strafarrest bedingt |
88.166 |
6,6 |
13,9 |
11 |
Freiheitsstrafe bzw. Strafarr. unbedingt |
39.483 |
3,0 |
6,2 |
12 |
ambulante (informelle oder formelle) Sanktionen |
1.298.686 |
97,0 |
|
13 |
informelle
ambulante Sanktionen |
697.610 |
52,1 |
|
14 |
formelle
ambulante Sanktionen |
601.076 |
44,9 |
|
15 |
ohne
Intervention |
423.060 |
31,6 |
|
16 |
mit
Intervention |
875.626 |
65,4 |
|
17 |
stationäre
Sanktionen |
39.483 |
3,0 |
|
Datenquelle:
Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Staatsanwaltschaftsstatistik 2003;
Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Justizgeschäftsstatistik in Strafsachen 2003;
Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Strafverfolgung 2003
(Berechnungen durch Verf.)
Tabelle 2: Nach Jugendstrafrecht Sanktionierte. Bundesrepublik Deutschland (alte Länder), 2003
|
Nach Jugendstrafrecht Sanktionierte - 2003
|
N |
in % von Zeile 1 |
in % von Zeile 9 |
|
|
(1) |
(2) |
( 3) |
1 |
Sanktionierte
insgesamt |
331.679 |
100 |
|
2 |
Informell
Sanktionierte |
228.132 |
68,8 |
|
3 |
ohne
Auflagen (§ 45 I, II JGG) |
173.690 |
52,4 |
|
4 |
mit
Auflagen (§ 45 III JGG) |
14.014 |
4,2 |
|
5 |
(§ 47 JGG)
|
40.428 |
12,2 |
|
6 |
Formell
Sanktionierte |
103.547 |
31,2 |
|
7 |
Aussetzung der
Verhängung der Jugendstrafe (§ 27 JGG) |
1.985 |
0,6 |
|
8 |
Verurteilte |
101.562 |
30,6 |
100 |
9 |
Erziehungsmaßregel |
7.001 |
2,1 |
6,9 |
10 |
ambulante Zuchtmittel |
58.281 |
17,6 |
57,4 |
11 |
Jugendarrest |
18.992 |
5,7 |
18,7 |
12 |
Jugendstrafe bedingt |
10.642 |
3,2 |
10,5 |
13 |
Jugendstrafe unbedingt |
6.646 |
2,0 |
6,5 |
14 |
ambulante (informelle
oder formelle) Sanktionen |
306.041 |
92,3 |
|
15 |
informelle
ambulante Sanktionen |
228.132 |
52,4 |
|
16 |
formelle
ambulante Sanktionen |
77.909 |
39,9 |
|
17 |
ohne
Intervention |
173.690 |
52,4 |
|
18 |
mit Intervention |
132.351 |
39,9 |
|
19 |
stationäre
Sanktionen |
25.638 |
7,7 |
|
Datenquelle:
Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Staatsanwaltschaftsstatistik 2003;
Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Justizgeschäftsstatistik in Strafsachen 2003;
Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Strafverfolgung 2003
(Berechnungen durch Verf.)
Schaubilder:
Schaubild 1: Dimensionen der Kriminalprävention mit dem Ziel der Verhütung von Straftaten
Schaubild 2: Rechtsfolgen
im Kriminalrecht (Übersicht)
Schaubild 3: Diversionsraten
(Staatsanwaltschaft und Gericht) insgesamt (allgemeines und Jugendstrafrecht),
1981 .. 2003. Anteile der Personen mit Einstellungen gem. §§ 153, 153a,
153b StPO, §§ 45, 47 JGG (bezogen auf nach allgemeinem Strafrecht und
nach Jugendstrafrecht Sanktionierte insgesamt). Alte Länder mit
Berlin-West, ab 1995 mit Gesamtberlin.
Schaubild 4: Entwicklung
der Sanktionierungspraxis (formelle Sanktionen) insgesamt Deutsches Reich
bzw. Bundesrepublik Deutschland 1882 ... 2003 (alte Länder und
Berlin) Anteile bezogen auf nach allgemeinem und nach Jugendstrafrecht
Verurteilte
Schaubild 5: Gefangenenraten
im westeuropäischen Vergleich 3
Schaubild 6: Legalbewährung
und Rückfall nach allgemeinem Strafrecht und nach
Jugendstrafrecht – Bezugsjahr 1994
Schaubild 7: Diversionsraten
gem. §§ 45, 47 JGG und Nachentscheidungsraten (informelle oder formelle
Sanktionierung) innerhalb von drei Jahren nach der Art der erstmaligen
Sanktionierung bei "einfachem Diebstahl" (§§ 242, 247, 248a StGB) bei
Jugendlichen in den Ländern
Schaubild 8:
Rückfallraten in Abhängigkeit von Bussen bzw. bedingter Freiheitsstrafe – nach
Kantonen - bei erstmals wegen Massendelikten (einfachen Diebstahls gem. Art.
137.1 schwStGB, Verletzung der Verkehrsregeln gem. Art 90 SVG, Fahrens in
angetrunkenem Zustand gem. Art. 91 SVG) Verurteilten Anteil der Bussen
bei erstmaliger Verurteilung 1986 und 1987 und Wiederverurteilungsraten
Schaubild 9: Veränderung
der Bewährungsraten nach strafrechtlicher Vorbelastung Unterstellungsjahrgänge
1977 .. 1985 (prospektive Analyse) in den Ländern Baden-Württemberg, Bayern,
Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen.
Schaubild 1: Dimensionen der Kriminalprävention mit dem Ziel der Verhütung von Straftaten
|
Primäre |
Sekundäre |
Tertiäre |
Zielgruppen: |
|||
- Täter |
Allgemeinheit |
potentielle Täter |
Verurteilte |
- Situationen |
allg. Situationen |
gefährdete Objekte |
'hot spots' |
- Opfer |
Jeder als mögl. Opfer |
potentielle Opfer |
verletzte Opfer |
Maßnahmenbeispiele |
|||
(potentielle/ reale)
Täter |
Stärkung des Rechts- und Wertebewusstseins; |
Stärkung des Rechts- und Wertebewusstseins bei Problemgruppen; |
spezialpräventive Sanktionierung; |
Situationen/ |
kriminalitätsabwehrende |
Erhöhung des Tataufwands; |
Entschärfung von Kriminalitätsbrennpunkten ('hot spots') |
Opfer |
Allg. Aufklärung über Selbstschutz/ Selbstverteidigung; |
Schulung gefährdeter Opfer (z.B. Taxifahrer, Bankangestellte,
Flugpersonal); |
Opferschutz; Opferberatung; Opferbetreuung; Opferhilfe; |
Schaubild 2: Rechtsfolgen im Kriminalrecht (Übersicht)
|
||||
1. Spur |
2. Spur |
3. Spur |
4. Spur |
5. Spur |
Verfahrens- |
Wiedergut- |
Strafen bzw. Rechtsfolgen im Jugendstrafrecht |
Vermögens- |
Maßregeln
der Besserung und Sicherung |
Reaktionsverzicht bei
fehlendem öffentlichem Interesse an der Strafverfolgung oder Beseitigung des
öffentlichen Strafverfolgungs- |
Wiedergut- |
Strafe als |
Einziehung des für
oder aus einer Straftat Erlangten - Zerstörung
krimi-neller Strukturen durch deren „Aus- - Rückgewin- |
Maßregeln als Gefahren- |
Schaubild 3:
Diversionsraten (Staatsanwaltschaft und
Gericht) insgesamt (allgemeines und Jugendstrafrecht), 1981 ..
2003.
Anteile der Personen mit Einstellungen gem. §§ 153, 153a, 153b StPO, §§ 45, 47
JGG (bezogen auf nach allgemeinem Strafrecht und nach Jugendstrafrecht
Sanktionierte insgesamt).
Alte Länder mit Berlin-West, ab 1995 mit Gesamtberlin.
Legende:
Diversionsrate: Mit Diversionsrate (insgesamt) wird der Anteil der
Personen bezeichnet, bei denen das Verfahren nach §§ 153, 153a, 153b StPO, §§
45, 47 JGG eingestellt worden ist (informell Sanktionierte) an allen formell
(nach Jugendstrafrecht oder nach allgemeinem Strafrecht Verurteilte
einschließlich Personen mit Entscheidungen gem. §§ 59, 60 StGB, § 27 JGG) oder
informell Sanktionierten.
Einstellungen durch StA ohne Auflagen: Einstellung ohne Auflagen gem.
§§ 153 Abs. 1, 153b Abs. 1 StPO, § 45 Abs. 1 und 2 JGG (bzw. § 45 Abs. 2 JGG
a.F.).
Einstellungen durch StA mit Auflagen: Einstellungen mit Auflagen gem. § 153a Abs. 1
StPO, § 45 Abs. 3 JGG (bzw. § 45 Abs. 1 JGG
a.F.).
Einstellungen durch das Gericht: Einstellungen gem. §§ 153 Abs. 2, 153a Abs.
2, 153b Abs. 2 StPO, § 47 JGG.
Formell Sanktionierte: Nach allgemeinem oder nach Jugendstrafrecht
Verurteilte, einschließlich Personen mit Entscheidungen gem. §§ 59, 60
StGB, § 27 JGG.
Anmerkung:
Aus Schleswig-Holstein liegen
Ergebnisse zu § 45 JGG letztmals für 1997 vor. Diese wurden für die Folgejahre
als Näherungswerte verwendet.
Datenquellen:
Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Staatsanwaltschaftsstatistik
(Arbeitsunterlage) 1981 .. 2003;
Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Justizgeschäftsstatistik in Strafsachen
(Arbeitsunterlage) 1981 .. 2003;
Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Strafverfolgungsstatistik 1981 ..
2003
(Berechnungen durch Verf.)
Schaubild 4:
Entwicklung der Sanktionierungspraxis (formelle
Sanktionen) insgesamt
Deutsches Reich bzw. Bundesrepublik Deutschland 1882 ... 2003
(alte Länder und
Berlin)
Anteile bezogen auf nach allgemeinem und nach Jugendstrafrecht Verurteilte
Legende zu
Schaubild 4:
Gebiet:
1882 bis 1939: jeweiliges
Reichsgebiet;
ab 1950 bis 1960: Bundesgebiet ohne Saarland und Berlin (West); ab 1961
Bundesrepublik Deutschland nach dem Gebietsstand vor dem 3.10.1990
(einschließlich Berlin-West), ab 1995 mit Gesamtberlin.
Verurteilungen zu Strafen:
1882 bis 1936: Hauptstrafen (bei Doppelstrafen nur die jeweils schwerste
Strafe) wegen Verbrechen und Vergehen; 1937 bis 1939 insgesamt verhängte
Hauptstrafen (einschließlich Doppelstrafen). Von 1882 bis 1918 ohne die wegen
Wehrpflichtverletzung Verurteilten, von 1914 bis 1936 ohne die Verurteilten wegen
Verbrechen und Vergehen gegen die aus Anlass des Krieges oder der
Übergangszeit erlassenen Strafvorschriften, von 1921 ab ohne die wegen
Verstößen gegen das Militärstrafgesetzbuch Verurteilten. Von 1934 ab auch ohne
die Verurteilungen wegen Verbrechen und Vergehen gegen Reichsgesetze, die zur
Zuständigkeit des Volksgerichtshofs gehörten. Von 1937 bis 1939 Verbrechen
und Vergehen überhaupt, aber ohne Verstöße gegen das Militärstrafgesetzbuch.
Ab 1950: Verbrechen und Vergehen gegen Bundes- und
Landesgesetze.
Personen:
Bis 1923 12 Jahre und älter, danach: 14 Jahre und älter. Durch das am 1.7.1923
in Kraft getretene JGG wurde die Altersgrenze von 12 auf 14 Jahre
angehoben.
Unbedingte freiheitsentziehende Sanktionen:
1882 bis 1939 Zuchthaus, Gefängnis (soweit nicht zur Bewährung ausgesetzt),
Festungshaft und Haft, 1921 bis 1933 einschließlich Arrest. 1937 bis 1939 sind
die Quoten um bis zu 2 Prozentpunkte überschätzt, weil die Strafaussetzung zur
Bewährung bei Jugendlichen (§ 10 JGG 1923) in der amtlichen Statistik
nicht mehr ausgewiesen
wurde.
Ab 1950: Bei Verurteilungen nach allgemeinem Strafrecht: Zuchthaus, nicht
ausgesetzte Gefängnisstrafe und Haft, seit dem 3. StrÄG vom 4.8.1953 auch
Einschließung. Seit 1957 auch der durch das Wehrstrafgesetz vom 30.3.1957
eingeführte Strafarrest (insgesamt). Seit dem 1. Strafrechtsreformgesetz vom
25.6.1969 unbedingte Freiheitsstrafen und (seit 1975) unbedingter
Strafarrest.
Bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht: Bis 1953 Jugendgefängnis,
Jugendarrest und Fürsorgeerziehung, ab 1954 nicht zur Bewährung ausgesetzte
Jugendstrafe, Jugendarrest und Fürsorgeerziehung (ab 1991:
Heimerziehung).
Freiheitsentziehende Sanktionen zur Bewährung:
1923 bis 1936: Aussetzung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe gegenüber
Jugendlichen gem. § 10 JGG 1923. 1937 bis 1939 wurde in der amtlichen
Statistik die Aussetzung der Freiheitsstrafe bei Jugendlichen (§ 10 JGG
1923) nicht mehr ausgewiesen. Der Anteil der unbedingten Freiheitsstrafen ist
deshalb um ca. 1-2%
überschätzt.
Ab 1954: Bei Verurteilungen nach allgemeinem Strafrecht: Aussetzungen zur
Bewährung bei Gefängnis und Haft. Die gem. § 23 Abs. 1 StGB a.F. mögliche
Strafaussetzung bei Einschließungsstrafe von nicht mehr als 9 Monaten wurde in
der amtlichen Statistik überhaupt nicht, die Aussetzung von Strafarrest zur
Bewährung (§ 14 Wehrstrafgesetz - WStG) bis 1974 nicht nachgewiesen.
Quantitativ sind die nicht nachgewiesenen Aussetzungen bei Einschließung und
Strafarrest bedeutungslos. Seit 1970 Strafaussetzung zur Bewährung bei
Freiheitsstrafe sowie - seit 1975 - bei
Strafarrest.
Bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht: Strafaussetzung zur Bewährung bei
Jugendstrafe bis einschließlich 1 Jahr. Durch Art. 11 Nr. 6 des 1. StrRG 1969
wurde zum 1.4.1970 die Strafaussetzung zur Bewährung auch bei Jugendstrafen
von mehr als einem bis einschließlich zwei Jahren eingeführt. In der amtlichen
Statistik wurden diese "unter besonderen Umständen" möglichen Aussetzungen
erst seit 1975 ausgewiesen.
"Sonstige" Sanktionen:
1882 bis 1924: Verweis (gegenüber Jugendlichen); 1923 bis 1939: Absehen von
Strafe gem. § 6 JGG 1923 zugunsten von Erziehungsmaßregeln und gem.
§ 9 Abs. 4 JGG 1923 in besonders leichten Fällen.
Ab 1950: Ambulante Erziehungsmaßregeln und ambulante Zuchtmittel (jeweils als
schwerste Sanktion) nach Jugendstrafrecht (Erziehungsmaßregeln, jedoch ohne
Fürsorgeerziehung bzw. Heimerziehung; Zuchtmittel [bis 1953: Auferlegung
besonderer Pflichten gem. § 9 JGG a.F.], jedoch ohne Jugendarrest).
Datenquellen:
"Die Entwicklung der Strafen im Deutschen Reich seit 1882", in:
Kriminalstatistik für das Jahr 1928, S. 65, 69, Statistik des Deutschen Reichs.
NF. Bd. 384.
Kriminalstatistik für das Jahr 1929. Statistik des Deutschen Reichs. NF. Bd.
398.
Kriminalstatistik für das Jahr 1930. Statistik des Deutschen Reichs. NF. Bd.
429.
Kriminalstatistik für das Jahr 1931. Statistik des Deutschen Reichs. NF. Bd.
433.
Kriminalstatistik für das Jahr 1932. Statistik des Deutschen Reichs. NF. Bd.
448.
Kriminalstatistik für das Jahr 1933. Statistik des Deutschen Reichs. NF. Bd.
478.
Kriminalstatistik für das Jahr 1934. Statistik des Deutschen Reichs. NF. Bd.
507.
Kriminalstatistik für die Jahre 1935 und 1936. Mit Hauptergebnissen für die
Jahr 1937, 1938 und 1939. Statistik des Deutschen Reichs. NF. Bd.
577.
Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Statistik der Bundesrepublik Deutschland, Bd.
110 (Die Kriminalität in den Jahren 1950 und 1951), Bd. 129 (Die Kriminalität
in den Jahren 1952 und 1953), Bd. 158 (Die Abgeurteilten und Verurteilten
1954), Bd. 172 (Die Abgeurteilten und Verurteilten 1955), Bd. 210 (Abgeurteilte
und Verurteilte 1956), Bd. 219 (Abgeurteilte und Verurteilte 1957), Bd. 251
(Abgeurteilte und Verurteilte 1958);
Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Fachserie A. Bevölkerung und Kultur. Reihe 9:
Rechtspflege
1959-1974;
Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Fachserie 10: Rechtspflege. Reihe 3:
Strafverfolgung 1975-1986 (1986: korrigierte Daten),
1987-2003
(Berechnungen durch
Verf.)
Schaubild 5: Gefangenenraten im westeuropäischen Vergleich (Stand: 1.9.2003)
Datenquelle:
Council of Europe, SPACE 2003.2.
Schaubild 6: Legalbewährung und Rückfall
nach allgemeinem Strafrecht und
nach Jugendstrafrecht – Bezugsjahr 1994
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Datenquelle: Jehle, Jörg-Martin; Heinz,
Wolfgang; Sutterer, Peter [unter Mitarbeit von Sabine Hohmann, Martin Kirchner
und Gerhard Spiess]: Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen - Eine
kommentierte Rückfallstatistik, Mönchengladbach 2003, Übersichtstabelle 4.1.a,
S. 121, 4.3.a, S. 123.
Datenquelle: Storz, Renate: Jugendstrafrechtliche Reaktionen und Legalbewährung, in: Heinz, Wolfgang; Storz, Renate: Diversion im Jugendstrafverfahren der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1992. S. 180, Tab. 20.
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Legende:
AG = Aargau; AI = Appenzell I. Rh.; AR =
Appenzell A.Rh.; BE = Bern; BL = Basel-Landschaft; BS = Basel-Stadt; FR =
Freiburg; GE = Genf; GL = Glarus; GR = Graubünden; JU = Jura; LU = Luzern; NE =
Neuenburg; NW = Nidwalden; OW = Obwalden; SG = St. Gallen; SH = Schaffhausen;
SO = Solothurn; SZ = Schwyz; TG = Thurgau; TI = Tessin; UR = Uri; VS = Wallis;
ZG = Zug; ZH = Zürich.
Datenquelle: Storz, Renate: Strafrechtliche Verurteilung und Rückfallraten, Bundesamt für Statistik, Bern 1997
Datenquelle: Spiess, Gerhard: Bewährungshilfe im Länder- und im Zeitreihenvergleich. Unveröff. Abschlußbericht für das BMJ, Konstanz 1994.
Konstanzer
Inventar Sanktionsforschung (KIS)
Konstanzer
Inventar Kriminalitätsentwicklung
(KIK)
Konstanzer
Inventar - Materialien zu Kriminalitätsentwicklung und Sanktionsforschung
Konstanzer
Inventar - Links zu kriminologischen und kriminalstatistischen
Ressourcen - Suchfunktion
Anmerkungen:
Vortrag auf der internationalen Konferenz „Kriminalität und Kriminalprävention in Ländern des Umbruchs“ vom 9.-14. April 2005 in Baku, Azerbaijan.
Um den Unterschied zu verdeutlichen, wird häufig ein Satz des römischen Philosophen Seneca zitiert: „Nam, ut Plato ait, nemo prudens punit, quia peccatum est, sed ne peccetur“ (denn, wie schon Plato sagt, straft kein Vernünftiger, weil gefehlt worden ist, sondern damit nicht gefehlt werde). „Quia peccatum est“ – so sehen die absoluten oder Vergeltungs-Theorien die Strafe; „ne peccetur“ – so sehen die relativen (oder präventiven) Theorien die Strafe.
Gallas, W.: Der dogmatische Teil des Alternativ-Entwurfs, Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 1968, S. 3.
Generell gilt, dass der Zweck der Strafandrohungen im Sinne der positiven Generalprävention zu sehen ist, d.h. der öffentlichen Behauptung und Sicherung fundamentaler Normen. Diese Zielrichtung wirkt noch in die Strafverhängung hinein, denn Generalprävention würde in sich zusammenfallen, wenn hinter ihr keine Realität stünde. Sollten generalpräventive und spezialpräventive Überlegungen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, kommt Spezialprävention der Vorrang zu, und zwar schon aus verfassungsrechtlichen Gründen. Die Hilfe für den Straffälligen ist ein grundgesetzliches, aus der Menschenwürde und dem Sozialstaatsprinzip folgendes Gebot.
Vereinigungstheorien werden heute überwiegend vertreten; die Konzeptionen weichen indes im Einzelnen stark voneinander ab, insbesondere hinsichtlich der Frage, ob und ggfs. welcher Stellenwert der Vergeltung zukommt (vgl. den Überblick bei Roxin, C.: Strafrecht: Allgemeiner Teil, Bd. 1, 3. Aufl., München 1997, § 3 Rdnr. 33 ff.). Vorherrschend dürfte weniger die hier vertretene präventive Vereinigungstheorie (hierzu eingehend Roxin aaO, § 3 Rdnr. 37 ff.; Meier, B.-D.: Strafrechtliche Sanktionen, Berlin u.a. 2001, S. 33 ff.) sein, als vielmehr additive Vereinigungstheorien (zu deren Kritik Roxin aaO., § 3 Rdnr. 33 ff.).
Die Frage des Schuldunterschreitungsverbots ist heftig umstritten; die h.M. nimmt ein solches Verbot zumindest für die Strafverhängung an. Wenn aber die Vollstreckung hinter dem Strafausspruch zurückbleiben darf, dann ist das Verbot der Schuldunterschreitung beim Ausspruch nicht sehr einleuchtend. § 46 I S. 2 StGB fordert, (schädliche) Wirkungen, die von der Strafe auf das künftige Leben des Täters ausgehen, zu berücksichtigen. Dies kann als gesetzliche Erlaubnis der Schuldunterschreitung interpretiert werden. Zur hier vertretenen Position vgl. Roxin (Anm. 5), Rdnr. 48 ff.; zuletzt eingehend Schütz, H.: Diversionsentscheidungen im Strafrecht, Wien/New York 2003, S. 16 ff.
Das Verhältnismäßigkeitsprinzip besagt hinsichtlich strafrechtlicher Sanktionen, "dass eine Maßnahme unter Würdigung aller persönlichen und tatsächlichen Umstände des Einzelfalles zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet und erforderlich sein muss, das heißt, dass das Ziel nicht auf eine andere, den Einzelnen weniger belastende Weise ebenso gut erreicht werden kann, und dass der mit der Maßnahme verbundene Eingriff nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und zur Stärke des bestehenden Tatverdachts stehen darf" (Hill, H.: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen gegenüber der staatlichen Strafgewalt, in: Isensee/Kirchhof [Hrsg.]: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VI, Heidelberg 1989, Rdnr. 22).
Das Legalitätsprinzip ist das verfahrensrechtliche Korrelat der Vergeltungsidee, derzufolge der Staat zur Verwirklichung absoluter Gerechtigkeit jede Straftat auch zu bestrafen hatte. Es forderte eine Strafverfolgung auch in jenen Fällen, in denen eine Strafe weder zur Abschreckung potentieller Täter noch zur Einwirkung auf den jeweiligen Täter notwendig und geboten war, ja sogar dann, wenn eine Bestrafung zur Erreichung des Ziels der Legalbewährung kontraproduktiv erschien.
Vgl. Heinz, W.: Verfahrensrechtliche Entkriminalisierung - kriminologische und kriminalpolitische Aspekte der Situation in Deutschland, in: Festschrift für M. Burgstaller, Wien/Graz 2004, S. 507 ff.
Erster Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BT-Drs. V/4094, S. 3.
Kaiser, G.: Kriminalpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, in: Hirsch/Weigend (Hrsg.): Strafrecht und Kriminalpolitik in Japan und Deutschland, Berlin 1989, S. 47.
Vgl. hierzu vor allem das Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG) vom 15.7.1992, das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.1.1998, das Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 26.1.1998, das Gesetz zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung vom 21.8.2002, das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften vom 27.12.2003, das Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23.7.2004.
Zur Entwicklung der Sanktionierungspraxis vgl. Heinz, W.: Das strafrechtliche Sanktionensystem und die Sanktionierungspraxis in Deutschland 1882 - 2003 (Stand: Berichtsjahr 2003) Version: 2/2005. Internet-Publikation: http://www.uni-konstanz.de/rtf/kis/sanks03.htm, Version 2/2005; PDF-Version: http://www.uni-konstanz.de/rtf/kis/sanks03.pdf.
Zum internationalen Vergleich eingehend Dünkel, F.: Der deutsche Strafvollzug im internationalen Vergleich <http://www.uni-greifswald.de/~ls3/Strafvollzug%20BRD.pdf>.
Vgl. zum Forschungsstand die Überblicke bei Dölling, D.: Generalprävention durch Strafrecht: Realität oder Illusion?, ZStW 1990, S. 1 ff.; Dölling, D.; Hermann, D.: Befragungsstudien zur negativen Generalprävention: Eine Bestandsaufnahme, in: Albrecht, H.-J.; Entorf, H. [Hrsg.]: Kriminalität, Ökonomie und Europäischer Sozialstaat, Heidelberg 2003, S. 133 ff.; Eisele, H.: Die general- und spezialpräventive Wirkung strafrechtlicher Sanktionen – Methoden – Ergebnisse – Metaanalyse, Diss. phil., Heidelberg 1999; Meier aaO. (Anm. 5), S. 27 ff.; Müller-Dietz, H.: Prävention durch Strafrecht: Generalpräventive Wirkungen, in: Jehle (Hrsg.): Kriminalprävention und Strafjustiz, Wiesbaden 1996, 227, S. 240 ff.; Schöch, H.: Empirische Grundlagen der Generalprävention, in: Festschrift für H.-H. Jescheck, Berlin 1985, S. 1081 ff.; Schöch, H.: Zur Wirksamkeit der Generalprävention, in: Frank/Harrer (Hrsg.): Der Sachverständige im Strafrecht – Kriminalitätsverhütung, Berlin u.a. 1990, 95 ff.; Schumann, K. F.: Empirische Beweisbarkeit der Grundannahmen von positiver Generalprävention, in: Schünemann/Hirsch/Jareborg (Hrsg.): Positive Generalprävention, Heidelberg 1998, S. 17 ff.; Streng, F.: Strafrechtliche Sanktionen, 2. Aufl., Stuttgart u.a., 2002, S. 30 ff.
Vgl. die Darstellung des Forschungsstandes in Deutschland bei Dölling aaO. (Anm. 20), bei Schumann (Schumann, K.F.: Positive Generalprävention, Heidelberg 1989) und zuletzt bei Schumann aaO. (Anm. 20).
Jehle, J.-M.; Heinz, W.; Sutterer, P. (unter Mitarbeit von Hohmann, S.;
Kirchner, M.; Spiess, G.): Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen -
Eine kommentierte Rückfallstatistik, Mönchengladbach 2003 <http://www.bmj.de/media/archive/443.pdf>.
Vgl. auch Heinz, W.: Die neue Rückfallstatistik - Legalbewährung junger
Straftäter, Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe 2004, S. 35
ff. <http://www.uni-konstanz.de/rtf/kis/Heinz_ZJJ_2003-1-35ff.pdf>;
ferner Jehle, J.-M.; Weigelt, E.: Rückfall nach Bewährungsstrafen - Daten aus
der neuen Rückfallstatistik, Bewährungshilfe 2004, S. 149 ff.; Jehle, J.-M.;
Hohmann-Fricke, S.: Rückfälligkeit exhibitionistischer Straftäter, in:
Elz/Jehle/Kröber (Hrsg.): Exhibitionisten – Täter, Taten, Rückfall, Wiesbaden
2004, S. 133 ff.
Entscheidender Anknüpfungspunkt für die Bestimmung des Rückfallzeitraums ist
der Zeitpunkt, ab dem eine sanktionierte Person in Freiheit wieder straffällig
werden konnte. Für diejenigen, die 1994 zu einer ambulanten Sanktion (nach JGG:
Einstellungen gem. §§ 45, 47 JGG, Entscheidungen gem. §§ 3 S.
2, 10, 14, 15, 21, 27, 53 JGG; nach allgemeinem Strafrecht: Entscheidungen gem.
§§ 59, 50 StGB, Verurteilung zu Geldstrafe, zu einer zur Bewährung
ausgesetzten Freiheitsstrafe, zu Strafarrest; ferner ausgesetzte Maßregeln
gem. §§ 63, 64 StGB) oder zu Jugendarrest verurteilt worden waren, wurde
der Rückfallzeitraum ab Urteil bestimmt.
Wer eine Freiheits- oder Jugendstrafe oder freiheitsentziehende Maßregeln gem.
§§ 63, 64 StGB zu verbüßen hatte, wurde berücksichtigt, wenn die
Entlassung 1994 erfolgte. Der Rückfallzeitraum wurde ab Entlassung berechnet.
In einem weiten Sinne kann unter Rückfall jede erneute Straftatbegehung verstanden werden. Dieser Rückfallbegriff ist indes nicht operationalisierbar, denn im Dunkelfeld verbleibende Straftaten sind selbst mit aufwändigen Dunkelfeldforschungen nur zum Teil erfassbar. Deshalb wurde Rückfälligkeit als Legalbewährung bestimmt, und zwar i.S. von erneuter justizieller Sanktion wegen einer im Rückfallzeitraum verübten Straftat. Hinsichtlich der informellen Sanktionen (Verfahrenseinstellungen aus Opportunitätsgründen) kann freilich auch dieses Kriterium nur teilweise gemessen werden. Im Bundeszentralregister sind zwar die Verfahrenseinstellungen gem. §§ 45, 47 JGG einzutragen, nicht aber jene gem. §§ 153 ff. StPO. Diversionsentscheidungen nach allgemeinem Strafverfahrensrecht können deshalb weder bei der Bezugs- noch bei der Rückfalltat berücksichtigt werden.
Bundesministerium des Innern; Bundesministerium der Justiz (Hrsg.): Erster Periodischer Sicherheitsbericht, Berlin, 2001, S. 445 f.
Storz, R.: Jugendstrafrechtliche Reaktionen und Legalbewährung, in: Heinz/Storz: Diversion im Jugendstrafverfahren der Bundesrepublik Deutschland. 3. unveränd. Aufl., Bonn 1994, S. 131 ff.
Albrecht, G.: Möglichkeiten und Grenzen der Prognose "krimineller Karrieren", in: DVJJ (Hrsg.): Mehrfach Auffällige - Mehrfach Betroffene, Dokumentation des 21. DJGT, Bonn 1990, S. 110.
Vgl. hierzu die beiden neueren Sekundäranalysen von Fasoula (Fasoula, E.: Rückfall nach Diversionsentscheidungen im Jugendstrafrecht und im allgemeinen Strafrecht, München 2003) und Synowiec (Synowiec, P.: Wirkung und Effizienz der ambulanten Maßnahmen des Jugendstrafrechts, Stuttgart 1999). Zum selben Ergebnis wie Storz kommen auch die beiden neueren empirischen, in diesen beiden Sekundäranalysen noch nicht berücksichtigten Untersuchungen von Bareinske (Bareinske, Ch.: Sanktion und Legalbewährung im Jugendstrafverfahren in Baden-Württemberg, Freiburg i.Br. 2004) und Schumann (Schumann, K.F. [Hrsg.]: Berufsbildung, Arbeit und Delinquenz, 2 Bde., Weinheim/München 2003).
Dölling, D.; Hartmann, A.; Traulsen, M.: Legalbewährung nach Täter-Opfer-Ausgleich im Jugendstrafrecht, MSchrKrim 2002, S. 185 ff.; Dölling, D.; Hartmann, A.: Re-offending after victim-offender mediation in juvenile court proceedings, in: Weitekamp/Kerner (ed.): Restorative Justice in Context, Portland 2003, S. 208 ff.
Albrecht, H.-J.: Legalbewährung bei zu Geldstrafe und Freiheitsstrafe Verurteilten, Freiburg i.Br. 1982.
Storz, R.: Strafrechtliche Verurteilung und Rückfallraten, in: Bundesamt für Statistik (Hg.), Statistik der Schweiz, Reihe 19: Rechtspflege, Bern 1997.
Spiess, G.: Bewährungshilfe im Länder- und im Zeitreihenvergleich. Unveröff. Abschlussbericht für das BMJ, Konstanz 1994.
Sherman, L.W.;
Gottfredson, D.C.; MacKenzie, D. L.; Eck, J.; Reuter, P. ; Bushway, S.D.:
Preventing Crime: What Works, What Doesn't, What's Promising, A Report to the
United States Congress 1998 <http://www.ncjrs.org/works/download.htm>,
in revidierter Fassung veröffentlicht von Sherman, L.W.; Farrington, D. P.;
Welsh, B. C.; Layton MacKenzie, D. (Hrsg.): Evidence-Based Crime Prevention,
London/New York 2002;
reviews der Campbell Collaboration Criminal Justice Group <http://www.campbellcollaboration.org/>;
”blueprints” des Center for Study and Prevention of Violence at the University
of Colorado in Boulder <http://www.colorado.edu/cspv/blueprints>;
Meta-Analysen von Mark W. Lipsey vom Center for Evaluation Research and Methodology
at the Vanderbilt Institute for Public Policy Studies in Nashville <http://www.vanderbilt.edu/cerm/>.
Vgl. hierzu auch die Bundesregierung in ihrem Ersten Periodischen Sicherheitsbericht (Bundesministerium des Innern; Bundesministerium der Justiz [Hrsg.]: Erster Periodischer Sicherheitsbericht, Berlin 2001), S. 611: “Hinter der Forderung nach einer Ausweitung und Verschärfung des Jugendstrafrechts steht insbesondere die Vorstellung, hierdurch lasse sich der Jugendkriminalität wirksamer begegnen. Für diese Annahme gibt es keine Belege aus der empirischen Sozialforschung.”
Kerner, H.-J.: Erfolgsbeurteilung nach Strafvollzug, in: Kerner/Dolde/Mey (Hrsg.): Jugendstrafvollzug und Bewährung, Bonn 1996, S. 89.
Dölling, D.: Mehrfach auffällige junge Straftäter - kriminologische Befunde und Reaktionsmöglichkeiten der Jugendkriminalrechtspflege, ZBlJR 1989, S. 318.
Neuere Meta-Analysen der bisherigen Evaluationsstudien belegen positive, wenngleich moderate Effekte von gut strukturierten und auf die Poblemlagen der Probanden zugeschnittenen Behandlungsprogrammen (zusammenfassend Kury, H.: Zum Stand der Behandlungsforschung oder: Vom nothing works zum something works, in: Festschrift für A. Böhm, Berlin/New York 1999, 251 ff.). "Das darf jedoch nicht so gewendet werden - Kritiker weisen zurecht auf die Gefahr hin - dass durch bestehende Behandlungsmaßnahmen im Vollzug die Anordnung einer Freiheitsstrafe im Hinblick auf eine Resozialisierung eines Straftäters sinnvoll sei. ... Gegenwärtig kann kaum Zweifel daran bestehen, dass Resozialisierungsmaßnahmen außerhalb des Strafvollzuges wirksamer sind" (aaO., 261, 267).
Hassemer, W., in: Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch. Band 1, Baden-Baden 1995, Vor § 1, Rdnr. 421.
"Hinter diesen beiden einfachen Worten, mehr desselben, verbirgt sich eines der erfolgreichsten und wirkungsvollsten Katastrophenrezepte, das sich auf unserem Planeten im Laufe der Jahrmillionen herausgebildet ... hat" (Watzlawick, P.: Anleitung zum Unglücklichsein, München/Zürich 1983, S. 27 f.).
Vgl. statt vieler Heinz, W.: Kriminalprävention - Anmerkungen zu einer überfälligen Kurskorrektur der Kriminalpolitik, in: Kerner/Jehle/Marks (Hrsg.): Entwicklung der Kriminalprävention in Deutschland, Godesberg 1998, S. 17 ff.
Kunz, K.-L.: Kriminologie - Eine Grundlegung, 4. Aufl., Bern u.a. 2004, § 43 Rdnr. 4.
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Inventar Kriminalitätsentwicklung
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