c:\kidat\Bericht_2003\
KIS |
Konstanzer Inventar Sanktionsforschung |
Wolfgang Heinz:
Das strafrechtliche Sanktionensystem und die
Sanktionierungspraxis in Deutschland 1882 - 2003
Stand: Berichtsjahr 2003 Version: 2/2005
Originalpublikation im
Konstanzer Inventar Sanktionsforschung 2005
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Zitierhinweis:
Heinz, Wolfgang: Das strafrechtliche Sanktionensystem und die
Sanktionierungspraxis in Deutschland 1882 - 2003 (Stand: Berichtsjahr 2003)
Internet-Publikation: <www.uni-konstanz.de/rtf/kis/sanks03.pdf>
Version 2/2005
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I. Das
Sanktionensystem des deutschen Strafrechts
1.
Strafrecht und Strafe im Wandel
2. Die
Sanktionenrechtsreform im Überblick
2.1.1
Materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Entkriminalisierung
2.1.2
Verfahrensrechtliche Entkriminalisierung durch Einschränkung des
Legalitätsprinzips
2.2 Reform
des strafrechtlichen Sanktionensystems
2.2.1
Sanktionenrechtsreform im StGB
2.2.2
Sanktionenrechtsreform im JGG
3. Das
derzeitige Sanktionensystem des StGB und des JGG
3.1 Das
gegenwärtige System der Rechtsfolgen im allgemeinen Strafrecht
3.1.2
Verwarnung mit Strafvorbehalt
3.2 Das
gegenwärtige Sanktionensystem des Jugendstrafrechts
3.2.1
Jugendstrafrecht als Sonderstrafrecht für junge Menschen
3.2.2 Das
gegenwärtige Rechtsfolgensystem des Jugendstrafrechts
II.
Beschreibung und Analyse der Sanktionierungspraxis anhand der amtlichen
Rechtspflegestatistiken
1. Die
amtlichen Rechtspflegestatistiken als Datenquellen
2.
Aussagemöglichkeiten und Aussagegrenzen der amtlichen Rechtspflegestatistiken
2.1 Probleme
der Vergleichbarkeit der Ergebnisse von StA-Statistik und StVStat
2.2 Grenzen
der Aussagemöglichkeiten aufgrund der Datenlage
2.2.1
Staatsanwaltschafts-Statistik
2.2.2
Strafverfolgungsstatistik
2.2.3
Justizgeschäftsstatistik in Strafsachen
2.2.4
Bewährungshilfestatistik
2.4
Folgerungen für die Zeitreihenanalyse
3.
Sanktionierungspraxis in der Bundesrepublik Deutschland - räumlicher Bezug der
Beschreibung
III. Entwicklung
der Sanktionierungspraxis in Deutschland seit 1882
1.1
Zurückdrängung stationärer zugunsten ambulanter Sanktionen
1.2
Bedeutungsgewinn informeller Sanktionen im allgemeinen Strafrecht und im
Jugendstrafrecht
1.3
Abgeurteilte und Verurteilte
2. Entwicklung
und Stand der Sanktionierungspraxis im allgemeinen Strafrecht
2.2.1
Bedeutungsgewinn der Geldstrafe
2.2.2 Zurückdrängung
der Freiheitsstrafen
2.2.3
Bedeutungsgewinn von Strafaussetzung zur Bewährung und Bewährungshilfe
3.
Entwicklung und Stand der Sanktionierungspraxis im Jugendstrafrecht
3.1 Durch
Jugendgerichte verurteilte Jugendliche und Heranwachsende
3.3.1
Bedeutungsgewinn ambulanter Massnahmen
3.3.2 Die
formellen Sanktionen im Einzelnen
5.
Europäischer pönologischer Vergleich
IV.
Entwicklung der Massregelpraxis in Deutschland
1. Freiheitsentziehende
Massregeln der Besserung und Sicherung
2. Ambulante
Massregeln der Besserung und Sicherung
Weiterführende
Literatur des Verfassers:
Schaubilder und
Tabellen:
Schaubild 1:
Strafrechtliche Folgen (nach StGB)
Schaubild 2: Strafrechtliche Folgen (nach
JGG)
Schaubild 3: Entwicklung der
Sanktionierungspraxis insgesamt (Zeitreihe)
Schaubild 4: Informell und formell
Sanktionierte, abs. Zahlen (Zeitreihe)
Schaubild 5: Informell und formell
Sanktionierte, in % der Sanktionierten (Zeitreihe)
Schaubild 6: Nach Allgemeinem Strafrecht
informell und formell Sanktionierte
Schaubild 7: Entwicklung der Sanktionspraxis
im Allgemeinen Strafrecht
Schaubild 8: Diversionsraten (StA und
Gerichte) im Allg. Strafrecht (Zeitreihe)
Schaubild 9: Diversionsraten (StA und
Gerichte) in Verf. nach Allg. Strafrecht, nach Ländern, 2003
Schaubild 10: Entwicklung der Sanktionspraxis
im Allg. Strafrecht (Zeitreihe)
Schaubild 11: Geldstrafe nach der Zahl der
Tagessätze (Zeitreihe)
Schaubild 12: Geldstrafe nach der Höhe der
Tagessätze (Zeitreihe)
Schaubild 16: Aussetzungsraten bei den nach
Allg. Strafrecht verhängten Freiheitsstrafen (Zeitreihe)
Schaubild 20: Untersuchungsgefangene nach Art
der Sanktion (Allg. Strafrecht) (Zeitreihe)
Schaubild 21: Durch die Jugendgerichte Verurteilte (Zeitreihe)
Schaubild 22: Nach Jugendstrafrecht informell
und formell Sanktionierte (Zeitreihe)
Schaubild 23: Die strafrechtliche Behandlung
der Heranwachsenden (Zeitreihe)
Schaubild 24: Die strafrechtliche Behandlung
der Heranwachsenden, nach Hauptdeliktsgruppen
Schaubild 25: Diversionsraten (StA und
Gerichte) im Jugendstrafrecht
Schaubild 26: Entwicklung der Sanktionspraxis
im Jugendstrafrecht
Schaubild 29: Diversionsraten im
Jugendstrafrecht, nach Ländern.
Schaubild 30: Entwicklung der Sanktionspraxis
im Jugendstrafrecht
Schaubild 31: Ambulante Sanktionen nach
Jugendstrafrecht
Schaubild 32: Nach Jugendstrafrecht zu
Erziehungsmassregeln Verurteilte (Zeitreihe)
Schaubild 33: Nach Jugendstrafrecht zu
Zuchtmitteln Verurteilte (Zeitreihe)
Schaubild 34: Nach Jugendstrafrecht zu
Auflagen Verurteilte (Zeitreihe)
Schaubild 35: Nach Jugendstrafrecht zu
Jugendarrest Verurteilte (Zeitreihe)
Schaubild 36: Dauer der Jugendstrafen
(Zeitreihe)
Schaubild 37: Dauer der Jugendstrafen
(Zeitreihe)
Schaubild 38: Aussetzungsraten bei
Jugendstrafen (Zeitreihe)
Schaubild 39: Beendete Bewährungsaufsichten
nach früherer Verurteilung der Probanden
Schaubild 40: Durch Bewährung beendete
Bewährungsaufsichten
Schaubild 41: Untersuchungsgefangene nach Art
der Sanktion (Jugendstrafrecht)
Schaubild 42: Dauer der nach Allg./nach
Jugendstrafrecht verhängten Freiheitsstrafen
Schaubild 43: Freiheitsentziehende Strafen
nach Jugend- und nach Allgem. Strafrecht (Zeitreihe)
Schaubild 44: Dauer der nach Allg./nach
Jugendstrafrecht verhängten Freiheitsstrafen (Zeitreihe)
Schaubild 45: Gefangene in westeuropäischen
Staaten
Die
unterstrichenen Begriffe werden im Glossar
erläutert.
Das
materielle Strafrecht, das die Voraussetzungen der Strafbarkeit und die
Straftatfolgen regelt, ist im Strafgesetzbuch (StGB), in
strafrechtlichen Hauptgesetzen (Jugendgerichtsgesetz, Wehrstrafgesetz) und
in zahlreichen Nebengesetzen (z.B. Abgabenordnung, Betäubungsmittelgesetz,
Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, Strassenverkehrsgesetz, Urheberrechtsgesetz,
Waffengesetz) geregelt. Quantitativ dominieren freilich die Deliktstatbestände
des StGB das Bild der Kriminalität und der Sanktionierungspraxis,
denn die weit überwiegende Zahl aller Verurteilungen erfolgt wegen Verbrechen
und Vergehen des StGB. So wurden
z.B. 2003 736.297 Personen verurteilt, davon 79,9% gem. StGB
(davon waren indes 25,6% Vergehen im Strassenverkehr), weitere 6,1% entfielen
auf nach Strassenverkehrsgesetz strafbare Verkehrsdelikte, 14,1% auf
strafrechtliche NebengesetzeSanktionierung_Sonderberechnung.xls.
Das
geltende StGB geht zurück auf das Strafgesetzbuch für das
Deutsche Reich von 1871. Aufgrund einer Neubestimmung des Verhältnisses
zwischen Bürger und Staat als Folge der Betonung verfassungsrechtlicher und menschenrechtlicher
Grenzen des Strafrechts haben sich freilich die traditionellen Auffassungen von
Strafrecht und Kriminalität grundlegend gewandelt. Mit Jescheck (Einführung,
in: dtv-Textausgabe StGB, 39. Aufl., 2004, S. XII f.) lässt sich das Ergebnis
dieses Wandels folgendermassen beschreiben: "Die Erkenntnis, dass das
Strafrecht nur ein Mittel der sozialen Kontrolle neben anderen ist und wegen
der mit seiner Anwendung verbundenen tiefen Eingriffe in Freiheit, Ansehen und
Einkommen der Betroffenen und wegen der daraus folgenden sozialen Nachteile
möglichst sparsam verwendet werden sollte, hat sich weitgehend durchgesetzt.
Zugleich ist durch die vielfältigen ideologischen Angriffe auf alle
repressiven Institutionen des Staates als Gegeneffekt die Überzeugung
gewachsen, dass nur ein am Schuldprinzip orientiertes Strafrecht den Schutz der
Allgemeinheit in Freiheit ermöglicht, weil allein ein solches Recht den
Menschen als verantwortlichen Mitbürger betrachtet, indem es durch Gebot und
Sanktion an seine Einsicht und seine Disziplin appelliert, aber damit auch
ernst macht. Auch die Notwendigkeit der Beschränkung des Strafrechts durch
die Grundsätze des Rechtsstaats und die Erkenntnis, dass nicht alles, was für
die Behandlung von Rechtsbrechern zweckmässig erscheint, auch gerecht ist,
sind heute Allgemeingut geworden. Allmählich beginnt man ferner zu verstehen,
dass die Humanität als Grundlage der Kriminalpolitik nicht mehr nur eine
Angelegenheit des Idealismus von einzelnen ist, die sich dieser Sache aus
Mitgefühl annehmen, sondern auch eine Frage der Mitverantwortung der
Gesellschaft für die Kriminalität, und dass die Sorge um den Rechtsbrecher
nicht eine Gnade, sondern ein verbindlicher Auftrag des Sozialstaats ist.
Endlich wird die Strafrechtspflege selbst - viel stärker als früher - nicht
mehr nur als Instanz für die Verwirklichung der Gerechtigkeit verstanden,
sondern auch als eine soziale Aufgabe, die durch die Art und Weise ihrer
Erfüllung dem straffälligen Menschen eine Lebenshilfe geben soll. Dabei wird
die Wirksamkeit der Strafrechtspflege nicht so sehr in dem statistischen
Nachweis von Erfolgen bei der Resozialisierung von Straftätern gesehen als
vielmehr in einer Ausgestaltung der gesamten kriminalrechtlichen Tätigkeit
des Staates, die sich mit dem geschärften sozialen Gewissen unserer Zeit
vereinbaren lässt. Die neueste Entwicklung der Kriminalität hat freilich auch
der verständnisbereiten Allgemeinheit gezeigt, dass zur Bekämpfung der
Gewaltdelikte, der Sexualstraftaten, insbesondere an Kindern, der Brandstiftung
an Asylanten- und Ausländerheimen, des Auftretens von bewaffneten
Schlägertrupps, des Einbruchsdiebstahls in Wohnungen und der organisierten
Kriminalität Freiheitsstrafen und freiheitsentziehende Massregeln voll
eingesetzt werden müssen, ohne die Resozialisierungsaufgabe des
Strafvollzugs aus den Augen zu verlieren. Die Grundstimmung der Bevölkerung
beginnt in Richtung auf eine Verschärfung der Kriminalpolitik umzuschlagen und
die grossen politischen Parteien scheinen sich dem anzuschliessen."
Leitend
für die Ausgestaltung des Sanktionensystems waren vor allem die beiden
zentralen verfassungsrechtlichen Prinzipien, das Rechts- und das Sozialstaatsprinzip.
·
Aus dem Rechtsstaatsprinzip werden die für
die Strafgesetzgebung zentralen Grundsätze der Geeignetheit der Mittel, der
Verhältnismässigkeit sowie das Subsidiaritätsprinzip abgeleitet. Diese
Leitprinzipien einer rationalen Strafgesetzgebung sind nicht nur für die
Frage entscheidend, ob und inwieweit ein Verhalten unter Strafe gestellt werden
soll, sondern auch dafür, welche Sanktionen angedroht werden. Bestimmen Eignung
und Erforderlichkeit den Einsatz der Strafe, dann führt nicht jede schuldhafte
Tatbestandsverwirklichung zwingend zur - durch das Mass der Schuld begrenzten -
Bestrafung, wie dies für das Vergeltungsstrafrecht selbstverständlich war:
"Wo Strafe nicht erforderlich ist, kann, wo sie schädlich ist, sollte
nach Möglichkeit auf sie verzichtet werden" (Schäfer, Gerhard: Praxis der
Strafzumessung, 3. Aufl., München 2001, Rdnr. 4). Strafrecht ist danach nicht
nur ultima ratio im Instrumentarium des Gesetzgebers, sondern muss mit seinen
Sanktionen auch geeignetes Mittel zur Erreichung des gesetzgeberischen Zwecks
sein, wobei das verfassungsrechtliche Gebot des sinn- und massvollen Strafens
zu beachten ist (vgl. Heinz: Kriminalpolitik an der Wende zum 21. Jahrhundert:
Taugt die Kriminalpolitik des ausgehenden 20. Jahrhunderts für das 21. Jahrhundert?
Bewährungshilfe 2000, 131 ff.).
·
Das Sozialstaatsprinzip verlangt von der
Gemeinschaft "staatliche Vor- und Fürsorge für Gruppen der Gesellschaft,
die aufgrund persönlicher Schwäche oder Schuld, Unfähigkeit oder
gesellschaftlicher Benachteiligung in ihrer persönlichen und sozialen
Entfaltung behindert sind" (BVerfGE 35, 202, [235]).
Das (Re-)Sozialisierungsziel des Strafrechts folgt danach aus der
verfassungsrechtlichen Anerkennung der Menschenwürde und dem
Sozialstaatsprinzip. Die Bedeutung dieses Prinzips erschöpft sich damit nicht
in der Bestimmung des Vollzugsziels und in der Ausgestaltung eines
(behandlungsorientierten) Vollzugs, sondern prägt die Ausgestaltung des
strafrechtlichen Sanktionensystems insgesamt.
Dem Wandel im
Verständnis der Aufgaben des Strafrechts entspricht es, dass das Recht der
Sanktionen tiefgreifende Änderungen und Ergänzungen erfahren hat. Zum einen
wurde das System der dem Schuldausgleich dienenden Strafen durch eine
"zweite Spur" ergänzt, das System der Massregeln der Besserung und
Sicherung. Zum zweiten wurde, entsprechend der Einsicht, dass Strafrecht nur
ultima ratio sein kann, das Strafrecht auf materiellrechtlichem, vor allem
aber auf verfahrensrechtlichem Wege entkriminalisiert. Zum dritten wurde das
Strafensystem selbst grundlegend geändert, um es mit der kriminalpolitischen
Grundkonzeption in Übereinstimmung zu bringen.
Der
Forderung nach Entkriminalisierung als Ausdruck des ultima ratio-Gedankens hat
der deutsche Gesetzgeber zum einen durch eine materiell-rechtliche, zum anderen
durch eine verfahrensrechtliche Entkriminalisierung Rechnung getragen.
·
Die materiell-rechtliche Lösung besteht
darin, dass zahlreiche Rechtsverletzungen von geringerer Bedeutung nicht
bestraft, sondern als Ordnungswidrigkeiten mit nicht-krimineller Geldbusse
nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) geahndet
werden. Die klassische Dreiteilung des RStGB in
Verbrechen, Vergehen und Übertretungen wurde zum 1.1.1975 aufgehoben und durch
die Dichotomie von Verbrechen und Vergehen ersetzt. Die bisherigen
Übertretungen wurden teils zu Vergehen hochgestuft, überwiegend aber zu
Ordnungswidrigkeiten heruntergestuft. Ordnungswidrigkeiten kennzeichnen ein
sozial unerwünschtes, das soziale Leben störendes Verhalten, das aber nicht
so bedeutsam ist, dass es bereits als strafwürdig und strafbedürftig
anzusehen wäre. Wegen Ordnungswidrigkeiten können keine Kriminalstrafen,
sondern lediglich Geldbussen (§§ 17 f. OWiG) verhängt
werden.
·
Die verfahrensrechtliche Lösung besteht zum
einen in der Einschränkung der für die Staatsanwaltschaft bestehenden
Anklagepflicht durch das Opportunitätsprinzip, wonach die Anklage in
bestimmten Fällen in das Ermessen der Staatsanwaltschaft gestellt wird
(entsprechende Möglichkeiten, von einer Verurteilung abzusehen und das
Verfahren einzustellen, wurden auch dem Gericht eingeräumt), zum anderen im
Strafantragserfordernis im Bereich der leichten Kriminalität. Der Gesetzgeber
geht davon aus, dass derartige Fälle meist nicht zu einem Strafantrag führen,
sondern auf zivilrechtlichem oder aussergerichtlichem Wege erledigt werden.
In
der Reichsstrafprozessordnung von 1877 war das Legalitätsprinzip (Verfolgungs-
und Anklagezwang für die Staatsanwaltschaft) nahezu ausnahmslos zur
Anerkennung gelangt. Es bildete das verfahrensrechtliche Korrelat zur damals
herrschenden Vergeltungsidee, derzufolge der Staat zur Verwirklichung
absoluter Gerechtigkeit jede Straftat auch zu bestrafen hatte. Mit dem
allmählichen Vordringen general- und spezialpräventiver Auffassungen, die die
Bestrafung an ihre gesellschaftliche Notwendigkeit und Zweckmässigkeit im
Hinblick auf Kriminalitätsverhütung und Rückfallverhinderung knüpften,
verlor das Legalitätsprinzip einen Grossteil seiner ursprünglichen Berechtigung.
Denn es forderte eine Strafverfolgung auch in jenen Fällen, in denen eine
Strafe weder zur Abschreckung potentieller Täter noch zur Einwirkung auf den
jeweiligen Täter notwendig und geboten war, ja sogar dann, wenn eine Bestrafung
zur Erreichung des Ziels der Legalbewährung kontraproduktiv erschien.
Erstmals
im JGG von 1923 wurde das Legalitätsprinzip, und zwar
gestützt auf spezialpräventive Annahmen, eingeschränkt. In den Jugendgerichtsgesetzen
von 1943 und von 1953 wurden diese Einstellungsmöglichkeiten
(Subsidiaritätsprinzip) weiter ausgebaut (vgl. Heinz: Diversion
im Jugendstrafverfahren der Bundesrepublik Deutschland, in: Heinz/Storz:
Diversion im Jugendstrafverfahren der Bundesrepublik Deutschland. Bonn 1992,
15 ff.). Durch das EGStGBÄndG von 1974 wurden auch die
Heranwachsenden in den Anwendungsbereich der §§ 45, 47 JGG
einbezogen.
Im
allgemeinen Strafverfahrensrecht wurde das Legalitätsprinzip erstmals durch die
- nach dem damaligen Justizminister benannte - Emmingersche Verordnung von 1924
eingeschränkt. Seitdem wurde das Opportunitätsprinzip vom Gesetzgeber immer
weiter ausgebaut. Überlastung mit Bagatelldelikten, Flexibilität der
prozessualen Entkriminalisierung, Vermeidung von stigmatisierenden
Begleitschäden machten diese "informelle Erledigungsmöglichkeit" (Diversion) auch im allgemeinen Strafrecht attraktiv.
Durch das EGStGB von 1974 wurde mit § 153a StPO auch im allgemeinen Strafrecht erstmals die Möglichkeit
geschaffen, das Strafverfahren bei Erfüllung von Auflagen oder Weisungen einzustellen.
Das Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 erweiterte die eine Konzentration des
Prozessstoffes ermöglichenden §§ 154, 154a StPO
wesentlich; insbesondere bei Grossverfahren ist eine Einstellung auch dann
noch möglich, wenn die Rechtsfolge der einzustellenden Tat beträchtlich ins
Gewicht fallen würde. Die Vorschriften der §§ 153 ff. StPO
wurden 1993 durch das Rechtspflegeentlastungsgesetz erneut erweitert.
Hierdurch sollte "der Praxis die Möglichkeit (gegeben werden), auch im
Bereich der mittleren Kriminalität von der Erhebung der öffentlichen Klage
gegen Auflagen und Weisungen abzusehen" (Begründung zum Entwurf eines
Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 27.9.1991, BT-Drs.
12/1217, S. 34). Der Katalog der zulässigen Massnahmen wurde 1998 durch die Aufnahme
der für verkehrsauffällige Kraftfahrer bestimmten Nachschulung (Aufbauseminar)
sowie 1999 durch die des Täter-Opfer-Ausgleichs erweitert. Durch das Gesetz
zur strafverfahrensrechtlichen Verankerung des Täter-Opfer-Ausgleichs von 1999
wurde der bisher abschliessende Katalog der Massnahmen geöffnet und dadurch
die „Möglichkeit einer Einstellung des Strafverfahrens ... erweitert
(Begründung zum Entwurf vom 29.10.1999, BT-Drs. 14/1928,
S. 1).
Die rechtsphilosophische Grundlage des Strafgesetzbuches für
das Deutsche Reich (RStGB) von 1871 war von der in den
Dienst der Generalprävention gestellten strengen Vergeltungsidee der
Philosophie Kants und Hegels bestimmt. Gesichtspunkte der Spezialprävention
fanden so gut wie keine Berücksichtigung. Das Sanktionensystem bildeten Todesstrafe, ferner vier verschiedene, nach ihrer
Schwere abgestufte Arten von Freiheitsstrafe (Zuchthaus,
Gefängnis, Festungshaft
[ab 1953: Einschliessung] und Haft)
sowie die Geldstrafe. Das Schwergewicht des Strafensystems lag bei den Freiheitsstrafen.
Das RStGB enthielt keine Massregeln, es kannte keine Strafaussetzung und bot auch sonst kaum
Möglichkeiten für eine resozialisierende Einwirkung auf den Straftäter. Unter
dem Einfluss der modernen Strafrechtsschule, die für ein präventiv orientiertes
Strafrecht eintrat, wurde das RStGB allmählich
umgestaltet.
Die
wichtigsten Zwischenschritte bis zur grundlegenden Neuregelung des Sanktionensystems
durch das 1. und 2. Strafrechtsreformgesetz von 1969 waren:
·
die Erweiterung des Anwendungsbereichs der
Geldstrafe in den Jahren 1921-1924,
·
die 1923 erfolgte Schaffung eines
besonderen Jugendstrafrechts (JGG), durch das die
Strafmündigkeitsgrenze von 12 auf 14 Jahre heraufgesetzt und die 14- bis unter
18jährigen jungen Straftäter aus dem allgemeinen Strafrecht herausgenommen
wurden,
·
die 1933 erfolgte - einer alten Forderung
der modernen Strafrechtsschule entsprechende - Einführung der Massregeln der
Sicherung und Besserung, durch die Präventionsbedürfnisse, denen mit der
vergeltenden Strafe allein nicht genügt werden kann, erfüllt werden sollen,
·
die Abschaffung der Todesstrafe
durch Art. 102 des Grundgesetzes (GG) vom 23.5.1949,
·
die Einführung der Strafaussetzung und Entlassung zur Bewährung im allgemeinen
Strafrecht 1953 und deren Wiedereinführung im Jugendstrafrecht, schliesslich
·
die 1953 erfolgte partielle Einbeziehung
der 18- bis unter 21jährigen (Heranwachsende) in das Jugendstrafrecht.
Die
gegenwärtige Struktur des Sanktionensystems des allgemeinen Strafrechts wird
wesentlich geprägt durch das 1. und 2. Strafrechtsreformgesetz von 1969 sowie
durch das EGStGB von 1974. "In der Neuregelung des
Sanktionensystems steht das gegenwärtige Recht mit dem Übergang von der
Freiheitsstrafe zur Geldstrafe als weitaus häufigster Strafart an einem
ähnlich bedeutsamen Wendepunkt, wie es einst der Übergang von den Leibes- und
Lebensstrafen des Mittelalters zur Freiheitsstrafe der Aufklärungszeit
gewesen ist" (Jescheck, in: Leipziger Kommentar, 11. Aufl., Berlin/New
York 1992, Einleitung, Rndr. 93). Namentlich durch die beiden Strafrechtsreformgesetze
sollte u.a. "die moderne Ausgestaltung des Sanktionensystems als taugliches
Instrument der Kriminalpolitik mit dem Ziel einer Verhütung künftiger
Straftaten, vor allem durch Resozialisierung des Straftäters" (Erster
Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BT-Drs. V/4094, S. 3) erreicht werden. Dem dienten vor allem
·
die Ersetzung der verschiedenen Arten
freiheitsentziehender Strafen durch die (Einheits-)Freiheitsstrafe (§ 38 StGB),
·
die Heraufsetzung des Mindestmasses der
Freiheitsstrafe von einem Tag auf einen Monat (§ 38 Abs. 2 StGB),
·
die Zurückdrängung der kriminalpolitisch
unerwünschten kurzen Freiheitsstrafe unter sechs Monaten zugunsten der
Geldstrafe (§ 47 StGB),
·
die Erweiterung des Anwendungsbereichs der Strafaussetzung zur
Bewährung auf Freiheitsstrafen bis zwei Jahren (§ 56 StGB),
·
die Umstellung der Geldstrafe auf das
Tagessatzsystem (§ 40 StGB)
sowie
·
die Einführung der Rechtsinstitute der
Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59 StGB)
und des Absehens von Strafe (§ 60 StGB).
Kernstück
des kriminalpolitischen Programms war die nachhaltige Einschränkung der als
resozialisierungsfeindlich angesehenen kurzen Freiheitsstrafe, die "in
Zukunft nur noch in einem ganz engen und auch kriminalpolitisch vertretbaren
Bereich verhängt und vollstreckt" (Erster Schriftlicher Bericht des
Sonderausschusses für die Strafrechtsreform. BT-Drs. V/4094, S. 6) werden sollte.
Damit war die Erwartung verbunden, den Strafvollzug nachhaltig zu entlasten
und so überhaupt erst die tatsächlichen Voraussetzungen für dessen Reform zu
schaffen (Erster Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die
Strafrechtsreform. BT-Drs. V/4094, S. 11).
Hauptstrafe der Gegenwart sollte die Geldstrafe sein, deren Anwendungsbereich
die leichte und mittlere Kriminalität sein sollte. In Verbindung mit der
Strafzumessungsvorschrift von § 46 StGB
wurde durch die Strafrechtsreform von 1969 die Idee der Spezialprävention
wesentlich gestärkt und in den Vordergrund gerückt.
Der
Bundesgerichtshof hat diese kriminalpolitische Grundkonzeption folgendermassen
zusammengefasst: "Nach der kriminalpolitischen Gesamtkonzeption, von der
die Strafrechtsreform ausgeht, soll in der Regel auf die Verhängung kurzer
und die Vollstreckung mittlerer Freiheitsstrafen verzichtet werden .... Der
Begriff 'Verteidigung der Rechtsordnung' dient insoweit der Abgrenzung der
Ausnahmefälle, in denen dies nicht möglich ist. Seine Auslegung kann daher nur
an die kriminalpolitischen Erwägungen anknüpfen, auf denen die in den
§§ 14, 23 StGB
(jetzt: 47, 56 StGB - d. Verf.) getroffene Regelung
beruht.
Dem 1. Strafrechtsreformgesetz liegt der Gedanke zugrunde, dass die Strafe
nicht die Aufgabe hat, Schuldausgleich um ihrer selbst willen zu üben, sondern
nur gerechtfertigt ist, wenn sie sich zugleich als notwendiges Mittel zur
Erfüllung der präventiven Schutzaufgabe des Strafrechts erweist. Einen wesentlichen
Akzent hat der Gesetzgeber durch die Aufnahme der spezialpräventiven Klausel
als Ziel des Strafzumessungsvorgangs in § 13 Abs. 1 Satz 2 StGB
(jetzt: § 46 Abs. 1 StGB -
d. Verf.) gesetzt. Die Tatsache, dass das Gesetz den Strafzweck der Generalprävention
im Gegensatz zur mehrfachen Erwähnung des Gedankens der sozialen Anpassung
(§ 13 Abs. 1 Satz 2, § 14 Abs. 1, § 23 Abs. 1 StGB)
(jetzt: § 46 Abs. 1 Satz 2, § 47 Abs. 1, § 56 Abs. 1 StGB -
d. Verf.) nicht ausdrücklich nennt, lässt für die Bemessung der Strafe eine
bedeutsame Schwerpunktverlagerung auf den spezialpräventiven Gesichtspunkt
im weitesten Sinne erkennen. Bei diesem Grundsatz der 'Individualisierung'
geht es nicht allein um die gezielte Einwirkung auf einen schon
entsozialisierten Täter, die Verurteilung und sinnvoller Vollzug erreichen
sollen (Resozialisierung), sondern auch um die Vermeidung unbeabsichtigter
Nebenwirkungen von Verurteilung und Vollzug, etwa der Gefahr, dass die Strafe
einen bisher sozial ausreichend eingepassten Täter aus der sozialen Ordnung
herausreisst. Die Strafvollstreckung soll sich nicht in einem sinnlosen
Absitzen erschöpfen, sondern Behandlung im Vollzug sein.
Grundsätzlich geht deshalb die Geldstrafe der Freiheitsstrafe, die Aussetzung
dem Vollzug vor, soweit dies im Hinblick auf die zu erwartende kriminalpolitische
Wirksamkeit der Rechtsgüterschutz zulässt. Die kurze Freiheitsstrafe wird
daher nur noch ausnahmsweise, ihr Vollzug nur unter ganz besonderen Umständen
vorgesehen (§§ 14 Abs. 1, 23 Abs. 1 StGB)
(jetzt: § 47 Abs. 1, § 56 Abs. 1 StGB -
d. Verf.). Vor allem wird die vermehrte Durchführung einer 'ambulanten'
Behandlung des Täters in Freiheit angestrebt, die durch Weisungen sinnvoll
gestaltet werden soll. Diesem Ziel dient die Erweiterung der Möglichkeit einer Strafaussetzung durch Heraufsetzung der zeitlichen
Grenze, die Vereinfachung der Prognose und der Wegfall der formellen Ausschlussvoraussetzungen
(vgl. hierzu § 23 Abs. 3 StGB
aF). Zwar ist die Strafaussetzung zur Bewährung
eine Modifikation der Strafvollstreckung. Die neue gesetzliche Regelung lässt
jedoch ihre Eigenständigkeit im Sinne einer besonderen 'ambulanten' Behandlungsart
deutlich werden, wenn sie sich auch bei bestimmten Tätergruppen in einer
blossen Vergünstigung erschöpft. Ihre zeitliche Grenze bestimmt sich ohne
Rücksicht auf den Deliktscharakter (§ 1 StGB)
nach der Höhe der erkannten Strafe, so dass auch wegen Verbrechen verhängte
Freiheitsstrafen aussetzungsfähig sind. Bei guter Sozialprognose muss die
Vollstreckung von Freiheitsstrafen unter sechs Monaten stets ausgesetzt werden;
auch bei Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis zu einem Jahr ist die
Aussetzung im Regelfall zwingend, sofern nicht die 'Verteidigung der Rechtsordnung'
dem entgegensteht" (BGHSt 24, 40 [42 f.]).
Die
deutsche Bundesregierung und der Deutsche Bundestag haben in ihren bisherigen
Zwischenbilanzen keinen Anlass gesehen, dieses durch das 1.
und 2. StrRG geschaffene System "grundlegend zu
ändern" (vgl. die Antwort der Bundesregierung auf eine Grosse Anfrage
hinsichtlich der Weiterentwicklung des strafrechtlichen Sanktionensystems
[BT-Drs. 12/3718] vom 12.11.1992). Das Schwergewicht der Reform verlagerte sich
auf den Besonderen Teil (vgl. hierzu die umfassende Darstellung bei
Hilgendorf, Eric: Die deutsche Strafrechtsentwicklung 1975 - 2000, in:
Vormbaum, Thomas; Welp, Jürgen [Hrsg.]: Das Strafgesetzbuch. Supplementband I:
130 Jahre Strafgesetzgebung - Eine Bilanz, Berlin 2004, S. 258 ff.; Son, Misuk:
Straftatfolgen im deutschen und koreanischen Strafrecht, Schriften zum
Strafrecht und Strafprozessrecht, Frankfurt a. M. u. a., 2004, S. 77 ff.).
Lediglich einige behutsame Fortentwicklungen sowie - als Reaktion auf neue
Erscheinungsformen der Kriminalität - einige Ergänzungen des Sanktionensystems
wurden bislang als notwendig erachtet.
·
1981 wurde durch das 20.
StrÄndG die Strafrestaussetzung zur Bewährung auch bei lebenslanger
Freiheitsstrafe (§ 57a StGB)
eingeführt. Durch das 23. StrÄndG von 1986, das u.a die
alte Rückfall-Regelung des bisherigen § 48 StGB ersatzlos
aufhob, wurde der Anwendungsbereich der Strafaussetzung bei Freiheitsstrafen
zwischen 12 und 24 Monaten durch Anpassung an die höchstrichterliche
Rechtsprechung erweitert. Das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und
anderen gefährlichen Straftaten von 1999 engte die Strafrestaussetzung
insofern ein, als es nunmehr das Gericht verpflichtet, bei der Aussetzung der
Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe stärker als bisher
Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit zu berücksichtigen (zusammenfassend
Schöch, Heinz: Das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen
gefährlichen Straftaten vom 26.1.1999, NJW 1999, 1257 ff.).
·
Durch das 23. StrÄndG
von 1986 wurden ferner die Voraussetzungen für die Abwendung der Vollstreckung
der - an die Stelle einer uneinbringlichen Geldstrafe tretenden -
Ersatzfreiheitsstrafe durch gemeinnützige Arbeit (Art. 293 Einführungsgesetz
zum Strafgesetzbuch [EGStGB])
neu gefasst.
·
Wiedergutmachung und Täter-Opfer-Ausgleich
wurden durch das Opferschutzgesetz von 1986 in den Katalog der
Strafzumessungsgründe aufgenommen (§ 46 Abs. 2 StGB)
und dadurch deutlich aufgewertet. Weitergeführt wurde dieser Gedanke einer
konfliktlösenden Verständigung zwischen Täter und Opfer durch das
Verbrechensbekämpfungsgesetz von 1994, durch das u.a. Täter-Opfer-Ausgleich und
Schadenswiedergutmachung als fakultative Strafmilderungsvorschrift ausgestaltet
wurden; in Fällen leichter Kriminalität kann seitdem sogar von Strafe abgesehen
werden (§ 46a StGB).
·
Als neue Sanktionsformen wurden 1992 die
Vermögensstrafe (§ 43a StGB)
und der erweiterte Verfall (§ 73d StGB)
eingeführt, um bei bestimmten, für organisierte Kriminalität milieutypischen
Taten Gewinne aus Straftaten abschöpfen zu können. Inzwischen hat aber das
BVerfG mit Urteil vom 20.03.2002 - 2 BvR 794/95 - § 43a StGB wegen
Unvereinbarkeit mit dem Gebot der Gesetzesbestimmtheit (Art. 103 Abs. 2 GG)
insgesamt für nichtig erklärt (BVerfGE 105, 135-185; http://www.bverfg.de/entscheidungen/frames/rs20020320_2bvr079495)
Vor
dem Hintergrund vielfältiger Reformvorschläge aus Wissenschaft und Praxis (vgl.
nur die Verhandlungen der strafrechtlichen Abteilung des 59. Deutschen
Juristentags, hierzu das Gutachten von Schöch, Heinz: Empfehlen sich
Änderungen und Ergänzungen bei den strafrechtlichen Sanktionen ohne
Freiheitsentzug? Gutachten C zum 59. Deutschen Juristentag. München 1992;
ferner die Beratungen auf der Strafrechtslehrertagung 1999 in Halle/Saale,
hierzu u.a. Streng, Franz: Modernes Sanktionenrecht, Zeitschrift für die
Gesamte Strafrechtswissenschaft 1999, 827 ff.) und im Hinblick auf mehrere,
teils in den Deutschen Bundestag, teils in den Bundesrat eingebrachte
Gesetzesentwürfe, wurde 1999 durch das Bundesministerium der Justiz die
"Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems"
eingesetzt, die im März 2000 ihren Abschlussbericht (http://www.bmj.bund.de/media/archive/137.pdf;
vgl. dort auch die Übersicht über die wichtigsten sanktionenrechtlichen
Gesetzesentwürfe der letzten beiden Jahrzehnte) vorgelegt hat (die Materialien
der Kommission sind abgedruckt bei Hettinger, Michael [Hrsg.]: Reform des
Sanktionenrechts, Baden-Baden 2001/2002, 3 Bde).
Den „Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Sanktionsrechts“ hat die
Bundesregierung am 2.1. 2004 im Bundesrat eingebracht (BR-Drs.
3/04). Der Gesetzentwurf (BT-Drs. 15/2725) wurde mit der
Stellungnahme des Bundesrates am 1.4. vom Bundestag in erster Lesung beraten
und in die Ausschüsse überwiesen. Am 1.12.2004 führte der Rechtsausschuss eine
öffentliche Anhörung durch.
Das
Jugendstrafrecht, das hinsichtlich der Erprobung spezialpräventiver Konzepte
"Schrittmacher-" oder "Vorreiterfunktion" für das allgemeine
Strafrecht hatte, wurde in den 80er Jahren durch eine "Reform durch die
Praxis" (vgl. BMJ [Hrsg.]: Jugendstrafrechtsreform durch die Praxis, Bonn
1989) weiterentwickelt: Neue ambulante
Massnahmen (Täter-Opfer-Ausgleich, Betreuungsweisung, sozialer
Trainingskurs, Arbeitsweisung) wurden erprobt,
Untersuchungshaftvermeidungsmodelle wurden entwickelt; das Konzept der Diversion, d.h. der "Umlenkung" des Straftäters
um das förmliche Strafverfahren bzw. um die Verurteilung, wurde in hohem und
wachsendem Masse umgesetzt. Die Normen des Jugendstrafrechts waren für diese
Reform flexibel genug. 1990 schrieb der Gesetzgeber durch das 1. Gesetz zur
Änderung des JGG (1. JGGÄndG) diese
Reform fest und stellte sie auf eine sichere Grundlage, insbesondere
verdeutlichte er die damit verbundene kriminalpolitische Konzeption:
·
"Neuere kriminologische Forschungen
haben erwiesen, dass Kriminalität im Jugendalter meist nicht Indiz für ein
erzieherisches Defizit ist, sondern überwiegend als entwicklungsbedingte
Auffälligkeit mit dem Eintritt in das Erwachsenenalter abklingt und sich nicht
wiederholt. Eine förmliche Verurteilung Jugendlicher ist daher in weitaus
weniger Fällen geboten, als es der Gesetzgeber von 1953 noch für erforderlich
erachtete.
·
Untersuchungen zu der Frage, inwieweit der
Verzicht auf eine formelle Sanktion zugunsten einer
informellen Erledigung kriminalpolitisch von Bedeutung ist, haben - jedenfalls
für den Bereich der leichten und mittleren Jugenddelinquenz - zu der Erkenntnis
geführt, dass informellen Erledigungen als kostengünstigeren, schnelleren und
humaneren Möglichkeiten der Bewältigung von Jugenddelinquenz auch kriminalpolitisch
im Hinblick auf Prävention und Rückfallvermeidung höhere Effizienz zukommt.
·
Es hat sich weiterhin gezeigt, dass die in
der Praxis vielfältig erprobten neuen ambulanten Massnahmen
(Betreuungsweisung, sozialer Trainingskurs, Täter-Opfer-Ausgleich) die
traditionellen Sanktionen (Geldbusse, Jugendarrest, Jugendstrafe) weitgehend
ersetzen können, ohne dass sich damit die Rückfallgefahr erhöht. Schliesslich
ist seit langem bekannt, dass die stationären
Sanktionen des Jugendstrafrechts (Jugendarrest und Jugendstrafe) sowie
die Untersuchungshaft schädliche Nebenwirkungen für die jugendliche
Entwicklung haben können" (Regierungsentwurf
eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes [BT-Drs.
11/5829], 1).
Der
Gesetzgeber blieb damit einer Tradition des Fortschritts verpflichtet, wie sie
der damalige Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, G. Heinemann,
formuliert hatte: "Wenn es eine Tradition des Fortschritts im Strafrecht
gibt, dann ist sie vor allem im Jugendstrafrecht zu Hause. Beim straffälligen
und verwahrlosten Jugendlichen hat sich immer schon die Unvernunft eines
Strafrechtssystems, das sinnlose Härten metaphysischen Spekulationen zuliebe
in Kauf nimmt, besonders augenfällig erwiesen" (G. Heinemann,
Vorbemerkung, in: Simonsohn [Hrsg.]: Jugendkriminalität, Strafjustiz und
Sozialpädagogik, Frankfurt a.M. 1969, 5).
Dass das 1. JGGÄndG nur ein erster Schritt sein sollte und dass
weiterer Reformbedarf bestand, war 1990 allseits anerkannt. Der Deutsche Bundestag
hat deshalb die Bundesregierung aufgefordert, bis zum 1. Oktober 1992 den
Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes
vorzulegen, der den weiteren Reformbedarf aufgreifen sollte. Dieser zweite
Reformschritt unterblieb bislang. Während Wissenschaft, Fachverbände und
Praxis ganz überwiegend „einen weiteren Abbau verzichtbarer strafender Elemente
des Jugendgerichtsgesetzes anmahnen“ (Kreuzer, Ist das deutsche
Jugendstrafrecht noch zeitgemäss?, NJW 2002, S. 2345), wird von Teilen der
Politik eine Verschärfung der jugendstrafrechtlichen Sanktionen (vgl.
Werwigk-Hertneck, Corinna; Rebmann, Frank: Reformbedarf im Bereich des
Jugendstrafrechts?, ZRP 2003, S. 225 ff.; hierzu Erwiderung von Viehmann,
Horst: Reform des Jugendstrafrechts, ZRP 2003, S. 377 f.) gefordert (zu den
gegensätzlichen Positionen vgl. nur die Verhandlungen der strafrechtlichen
Abteilung des 64. Deutschen Juristentages zum Thema „Ist das deutsche
Jugendstrafrecht noch zeitgemäss?“, München 2002, sowie die Vorschläge der
beiden Reformkommissionen der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und
Jugendgerichtshilfen (veröffentlicht in DVJJ-Journal 1992, S. 9 ff.,
DVJJ-Journal 2002, S. 227 ff., einerseits und andererseits die im Bundesrat
eingebrachten Gesetzesanträge einiger Bundesländer, zusammengestellt in
DVJJ-Journal 2000, S. 328 ff., zuletzt noch Goerdeler, Die Union und das
Jugendstrafrecht – zum Entwurf eines „Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung
der Jugendkriminalität“, ZJJ 2002, S. 183 ff.).
Strafrechtliche
Folgen (nach StGB) Absehen von Strafe § 60 Verwarnung mit Strafvorbehalt
§§ 59-59c Strafen Hauptstrafen Freiheitsstrafe
§ 38 Strafaussetzung
zur Bewährung §§ 56-56g Unbedingt
verhängte Freiheitsstrafe Geldstrafe
§ 40 Nebenstrafen*) Fahrverbot
§ 44 Nebenfolgen Verlust der
Amtsfähigkeit, der Wählbarkeit und des Stimmrechts §§ 45ff Bekanntgabe
der Verurteilung §§ 165; 200 Massnahmen (§ 11 I Nr. 8) Massregeln
der Besserung und Sicherung Freiheitsentziehende
Massregeln Unterbringung
in einem psychiatrischen Krankenhaus § 63 Unterbringung
in einer Entziehungsanstalt § 64 Unterbringung
in Sicherungsverwahrung § 66 Massregeln ohne
Freiheitsentzug Führungsaufsicht
§§ 68-68g Entziehung
der Fahrerlaubnis §§ 69-69b Berufsverbot
§§ 70-70b Verfall
§§ 73-73e Einziehung
§§ 74, 75 Unbrauchbarmachung
§ 74d *) § 43a StGB
(Vermögensstrafe) wurde durch Urteil des BVerfG vom 20.03.2002 - 2BvR 794/95
(BVerfGE 105, 135ff.) - wegen Unvereinbarkeit mit Art. 103 II GG für nichtig
erklärt |
Schaubild 1: Strafrechtliche Folgen (nach StGB)
Nach
§ 60 StGB
sieht das Gericht von Strafe ab, wenn die Tat, z.B. eine Trunkenheitsfahrt mit
schweren Unfallfolgen für den Täter oder einen nahen Angehörigen, für den Täter
so schwerwiegende Folgen hatte, dass die Verhängung einer Strafe "offensichtlich
verfehlt" wäre. In diesen Fällen ist die Schuld durch die schweren Folgen
bereits zu einem Teil ausgeglichen, so dass kein Präventionsbedürfnis mehr
besteht.
Von
Strafe kann ferner entweder ganz abgesehen oder diese kann gemildert werden,
wenn der Täter "in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu
erreichen (Täter-Opfer-Ausgleich), seine Tat ganz oder überwiegend
wiedergutgemacht oder deren Wiedergutmachung ernsthaft erstrebt" hat (§ 46a
Nr. 1 StGB).
Ebenso kann von Strafe abgesehen werden, wenn der Täter durch "erhebliche
persönliche Leistungen" oder einen "persönlichen Verzicht" das
Opfer "ganz oder zum überwiegenden Teil entschädigt" hat
(§ 46a Nr. 2 StGB).
Im
Unterschied zu diesen beiden Fallgruppen, in denen das Strafbedürfnis gemindert
ist, sieht das StGB in einer Reihe weiterer Vorschriften die
Möglichkeit eines Schuldspruchs unter Absehen von Strafe in Fallgruppen vor,
in denen die Strafwürdigkeit sehr gering ist, weil entweder das Unrecht der
Straftat und/oder die Schuld des Täters stark gemindert ist (z.B. §§ 139
Abs. 1, 174 Abs. 4 StGB; §§ 113 Abs. 4, 157 Abs. 1, 2 StGB; § 129 Abs. 5 StGB).
Nach
§§ 59-59c StGB kann das Gericht unter bestimmten
Voraussetzungen den Schuldspruch des Täters mit einer Verwarnung verbinden und
eine Geldstrafe bestimmen, deren Verhängung jedoch vorbehalten bleibt. Es erfolgt
also ein aufschiebend bedingter Strafausspruch (§ 59 StGB).
Das Gericht setzt eine Bewährungszeit fest, es kann Auflagen und Weisungen erteilen,
z.B. eine Wiedergutmachungsauflage, die Auflage, einen Geldbetrag zugunsten
einer gemeinnützigen Einrichtung oder der Staatskasse zu zahlen oder die
Weisung, sich einer ambulanten Heilbehandlung zu unterziehen (§ 59a StGB). Sanktionierenden Charakter haben insoweit lediglich
Schuldspruch, Verwarnung und die Auflagen oder Weisungen; um eine Bestrafung
im Rechtssinne handelt es sich bei "Verwarnung mit Strafvorbehalt"
nicht, denn die Geldstrafe bleibt ja gerade vorbehalten. Bewährt sich der
Täter, so bleibt es bei der Verwarnung; der Täter bleibt also nicht nur von der
Strafvollstreckung, sondern auch von einer Verurteilung zu Strafe verschont
(§ 59b Abs. 2 StGB).
Bei Nichtbewährung kann ihn das Gericht zu der vorbehaltenen Geldstrafe
verurteilen (§ 59b Abs. 1 StGB).
Im
Bereich der Strafen differenziert das StGB zwischen Haupt-
und Nebenstrafen. Hauptstrafen sind die Freiheitsstrafe (§§ 38, 39 StGB) und die Geldstrafe (§§ 40-43 StGB).
Als Nebenstrafe ist das Fahrverbot (§ 44 StGB) ausgestaltet.
Die
(einheitliche) Freiheitsstrafe kann entweder eine zeitige oder eine lebenslange
sein.
Die
lebenslange Freiheitsstrafe ist teils als absolute (Mord [§ 211 StGB]), teils als wahlweise Sanktion angedroht (z.B. bei
Vorbereitung eines Angriffskrieges [§ 80 StGB],
Hochverrat [§ 81 StGB], besonders schwerem Totschlag
[§ 212 Abs. 2 StGB], sexuellem Missbrauch von Kindern
mit Todesfolge [§ 176b StGB], sexueller Nötigung und
Vergewaltigung mit Todesfolge [§ 178 StGB], Raub mit
Todesfolge [§ 251 StGB],
Brandstiftung mit Todesfolge [§ 306c StGB],
räuberischem Angriff auf Kraftfahrer mit Todesfolge [§ 316a Abs. 3 StGB]). Nach Abschaffung der Todesstrafe
ist die lebenslange Freiheitsstrafe die schwerste Strafe des deutschen
Strafrechts. Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsmässigkeit der
absoluten Strafandrohung für Mord bejaht, jedoch eine restriktive Auslegung
des Mordtatbestandes und eine rechtliche Regelung der Strafrestaussetzung
gefordert (BVerfGE
45, 187; www.oefre.unibe.ch/law/dfr/bv045187.html). 1981
wurde in Erfüllung verfassungsgerichtlicher Vorgaben durch § 57a StGB die
Strafrestaussetzung auch bei lebenslanger Freiheitsstrafe nach einer Strafverbüssung
von 15 Jahren zugelassen (zur verfassungskonformen Auslegung des § 57a StGB vgl. BVerfGE 86, 288, aus der
Literatur statt vieler Müller-Dietz: Lebenslange Freiheitsstrafe und bedingte
Entlassung. Jura 1994, 72 ff.).
Die
zeitige Freiheitsstrafe beträgt im Mindestmass einen Monat, im Höchstmass 15
Jahre (§ 38 Abs. 2 StGB).
Innerhalb dieses allgemeinen Rahmens werden durch die Strafrahmen der
Straftatbestände Höchst- und Mindeststrafen festgelegt und damit dem Rang der
strafrechtlich geschützten Rechtsgüter Rechnung getragen. Die kurze
Freiheitsstrafe (unter sechs Monaten) ist gegenüber der Geldstrafe ultima
ratio (§ 47 StGB).
Sie darf nur verhängt werden, "wenn besondere Umstände, die in der Tat
oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung einer
Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der
Rechtsordnung unerlässlich machen." Ansonsten ist auf Geldstrafe zu
erkennen.
Die
Vollstreckung einer Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, kann zur
Bewährung ausgesetzt werden; eine teilbedingte Freiheitsstrafe kennt das
deutsche Recht nicht. Bei Strafen unter sechs Monaten entscheidet gem.
§ 56 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 StGB
allein die günstige Sozialprognose, d.h. die Erwartung, dass die Rückfallwahrscheinlichkeit
bei Aussetzung der Vollstreckung (gegebenenfalls unter Anordnung von
Bewährungsmassnahmen, namentlich unter der Einwirkung eines Bewährungshelfers)
geringer sein werde als bei Vollstreckung der Freiheitsstrafe (vergleichende
Interventionsprognose). Bei Strafen zwischen sechs Monaten und einem Jahr wird
die Vollstreckung auch bei günstiger Prognose nicht ausgesetzt, wenn generalpräventive
Notwendigkeiten ("Verteidigung der Rechtsordnung") entgegenstehen
(§ 56 Abs. 3 StGB).
Strafen zwischen einem Jahr und zwei Jahren können ausgesetzt werden,
"wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen"
(§ 56 Abs. 2 StGB).
Bei Strafaussetzung zur Bewährung wird eine
Bewährungszeit zwischen zwei und fünf Jahren festgesetzt (§ 56a StGB), wobei diese Dauer nachträglich verlängert oder
verkürzt werden kann. Dem Verurteilten können
Auflagen und Weisungen erteilt werden. Auflagen, wie z.B. Schadenswiedergutmachung,
Zahlung eines Geldbetrages an eine gemeinnützige Einrichtung oder zugunsten
der Staatskasse, dienen "der Genugtuung für das begangene Unrecht"
(§ 56b StGB). Weisungen dienen ausschliesslich dem
Zweck, Straftaten des Verurteilten in Zukunft zu
verhüten. Als solche kommen in Betracht die Unterstellung unter die Aufsicht
und Leitung eines Bewährungshelfers (§ 56d StGB);
weitere Beispiele für Weisungen sind "Anordnungen zu befolgen, die sich
auf Aufenthalt, Ausbildung, Arbeit oder Freizeit oder auf die Ordnung seiner
wirtschaftlichen Verhältnisse" beziehen, bestimmte Gegenstände nicht zu
besitzen, die "Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten
können", oder Unterhaltspflichten zu erfüllen (§ 56c StGB).
Wenn der Verurteilte die Erwartungen nicht erfüllt,
die mit der Strafaussetzung zur Bewährung
verbunden sind, z.B. durch eine erneute einschlägige Straftat, kommt entweder
eine Modifikation der Bedingungen der Aussetzung (§ 56f Abs. 2 StGB), also z.B. die Erteilung weiterer Auflagen oder
Weisungen bzw. die Verlängerung der Bewährungszeit , oder, wenn dies nicht
erfolgversprechend erscheint, der Widerruf der Aussetzung (§ 56f Abs. 1 StGB) in Betracht mit der Folge, dass nunmehr die verhängte
Freiheitsstrafe zu vollstrecken ist. Ansonsten wird die Strafe, d.h. die verhängte
Freiheitsstrafe, erlassen (§ 56g StGB).
Sowohl
bei zeitiger als auch bei lebenslanger Freiheitsstrafe besteht die Möglichkeit,
die Vollstreckung eines Strafrestes zur Bewährung auszusetzen (§§ 57, 57a StGB). Hat der zu zeitiger Freiheitsstrafe Verurteilte zwei Drittel der verhängten Strafe,
mindestens aber zwei Monate verbüsst, ist seine bedingte Entlassung bei
günstiger Prognose (wenn, so die jetzige Fassung durch das Gesetz zur
Bekämpfung von Sexualdelikten von 1999, "dies unter Berücksichtigung des
Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann", durch
das die bisherige Fassung "wenn ... verantwortet werden kann zu erproben,
ob der Verurteilte ausserhalb des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen
wird" ersetzt wurde) obligatorisch (§ 57 Abs. 1 StGB);
hat er die Hälfte der Strafe, mindestens aber sechs Monate verbüsst, ist eine
bedingte Entlassung fakultativ möglich, wenn darüber hinaus noch
"besondere Umstände" vorliegen (§ 57 Abs. 2 StGB). Gemäss der Forderung des
Bundesverfassungsgerichts, auch der zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilte
müsse eine Chance haben, wieder ein Leben in Freiheit führen zu können (BVerfGE 45, 187; http://www.oefre.unibe.ch/law/dfr/bv045187.html),
wurde in § 57a StGB die
Aussetzung des Strafrestes bei lebenslanger Freiheitsstrafe normiert.
Voraussetzungen sind die Verbüssung von mindestens 15 Jahren der Strafe,
des weiteren, dass nicht die - vom erkennenden Gericht festzustellende (BVerfGE 86, 288) - "besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet"
und dass schliesslich eine günstige Prognose i.S. von § 57 Abs. 1 StGB vorliegt. In die Aussetzung des Strafrestes sowohl einer
zeitigen als auch einer lebenslangen Freiheitsstrafe muss der Verurteilte einwilligen.
Die
Geldstrafe wird in Tagessätzen (§ 40 StGB) verhängt,
d.h. festgelegt wird zunächst, und zwar nach den allgemeinen
Strafzumessungskriterien des § 46 StGB, die Zahl der
Tagessätze (§ 40 Abs. 1 StGB). Sodann wird die Höhe
eines Tagessatzes bestimmt, die sich nach den persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnissen des Täters richtet; in der Regel ist hierfür "von dem
Nettoeinkommen (auszugehen), das der Täter an einem Tag hat oder haben
könnte" (§ 40 Abs. 2 StGB). Die Mindestzahl der
Tagessätze beträgt fünf (§ 40 Abs 1 StGB), die
Höchstzahl im Regelfall 360 Tagessätze, bei einer Gesamtstrafe 720 Tagessätze
(§ 54 Abs. 2 Satz 2 StGB). Die Höhe eines Tagessatzes
beläuft sich auf mindestens einen und höchstens 5.000 €; (§ 40 Abs. 2 StGB). Die zu zahlende Geldstrafe ergibt sich als Produkt aus
Zahl und Höhe der Tagessätze, also maximal 1.800.000 € bzw. - bei Gesamtstrafen
(§ 54 Abs. 2 S. 2 StGB) - 3.600.000 €. Durch die getrennte und nach
unterschiedlichen Kriterien erfolgende Bemessung von Zahl und Höhe der
Tagessätze soll der Strafzumessungsvorgang transparenter werden, zugleich
soll die Geldstrafe gerechter werden, weil Opfergleichheit für wirtschaftlich
unterschiedlich situierte Täter geschaffen wird. Ist dem Verurteilten
nicht zuzumuten, die Geldstrafe sofort zu zahlen, sind ihm Zahlungserleichterungen
(Stundung, Ratenzahlung) zu gewähren (§ 42 StGB), u.U.
auch nachträglich (§ 459a StPO).
Eine
Aussetzung der Vollstreckung der Geldstrafe zur Bewährung sieht das StGB nicht vor. Eine ähnliche Wirkung ist jedoch im
Anwendungsbereich der Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen durch die Verwarnung
mit Strafvorbehalt (§§ 59 ff. StGB) zu erreichen.
Wenn
die Geldstrafe weder freiwillig bezahlt wird noch im Wege der Zwangsvollstreckung
beigetrieben werden kann bzw. wenn die Beitreibung wegen Aussichtslosigkeit
unterblieben ist, dann tritt an ihre Stelle eine Ersatzfreiheitsstrafe
(§ 43 StGB). Hierbei entspricht ein Tagessatz einem
Tag Freiheitsstrafe. Die Vollstreckung dieser Ersatzfreiheitsstrafe kann
jedoch dann unterbleiben, wenn das Gericht dies wegen einer "unbilligen
Härte" für den Verurteilten anordnet
(§ 459f StPO). Ist der Verurteilte
einverstanden, dann kann er anstelle der Ersatzfreiheitsstrafe gemeinnützige
Arbeit leisten und auf diese Weise die Geldstrafe tilgen (Art. 293 EGStGB).
Das
Fahrverbot (§ 44 StGB) ist als Nebenstrafe
ausgestaltet, die neben einer Freiheits- oder einer Geldstrafe verhängt werden
kann. Das Fahrverbot kann nur verhängt werden für Taten, die bei oder im
Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der
Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen werden. Erwogen wird derzeit,
das Fahrverbot als Neben- oder gar als Hauptstrafe auf alle Straftaten
auszudehnen.
Das
Fahrverbot dient dazu, nachlässige oder leichtsinnige Kraftfahrer, die noch als
geeignet für die Teilnahme am Verkehr erscheinen, nachdrücklich zu warnen. Im
Unterschied zur Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB), einer Massregel
der Besserung und Sicherung, die dem Ziel dient, ungeeignete Fahrzeugführer
vorübergehend oder auf Dauer von der Verkehrsteilnahme als Kraftfahrer auszuschliessen,
behält beim Fahrverbot der Verurteilte die Fahrerlaubnis. Die Nebenstrafe
besteht in dem Verbot, für die Dauer von einem Monat bis zu drei Monaten,
"im Strassenverkehr Kraftfahrzeuge jeder oder einer bestimmten Art zu führen".
Die Verletzung dieses Verbots ist strafbewehrt (§ 21 StVG).
Diese
als Nebenstrafe eigener Art ausgestaltete Vermögensstrafe sollte vor allem als
Waffe im Kampf gegen "organisierte Kriminalität" dienen. Das Gericht
sollte "neben einer lebenslangen oder einer zeitigen Freiheitsstrafe von
mehr als zwei Jahren auf Zahlung eines Geldbetrages erkennen (können), dessen
Höhe durch den Wert des Vermögens des Täters begrenzt ist (Vermögensstrafe)"
(§ 43a Abs. 1 S. 1 StGB). Die Vermögensstrafe war für solche Delikte
vorgesehen, die typischerweise (auch) durch organisierte Gruppen begangen
werden, wie z.B. Betäubungsmittelkriminalität, Geld- und Wertzeichenfälschung,
Menschenhandel und Zuhälterei, Diebstahl, Erpressung, Hehlerei, Geldwäsche und
Glücksspiel, sofern der Täter das Delikt als Mitglied einer Bande begangen
hat. Das BverfG hat mit Urteil vom 20.03.2002 - 2 BvR 794/95 - § 43a StGB
wegen Unvereinbarkeit mit dem Gebot der Gesetzesbestimmtheit (Art. 103 Abs. 2
GG) insgesamt für nichtig erklärt (BVerfGE
105, 135-185; http://www.bverfg.de/entscheidungen/frames/rs20020320_2bvr079495)
Neben
den eigentlichen Strafen kennt das StGB als Nebenfolgen den
Verlust der Amtsfähigkeit, der Wählbarkeit und des Stimmrechts (§§ 45 ff. StGB), ferner die Bekanntgabe der Verurteilung (§§ 165,
200 StGB).
Unter
dem Begriff der Massnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB)
werden zusammengefasst die Massregeln der Besserung und Sicherung (§§ 61
ff. StGB), der Verfall, die Einziehung und die
Unbrauchbarmachung (§§ 73 ff. StGB).
Auf
eine Massregel der Besserung und Sicherung kann entweder neben einer Strafe
oder selbständig – bei schuldunfähigen Tätern – erkannt werden. Die Massregeln
der Besserung und Sicherung knüpfen an die Gefährlichkeit des Täters an und
dienen, wenngleich aus Anlass einer begangenen Straftat verhängt,
ausschliesslich dem Schutz der Allgemeinheit vor zukünftigen Taten. Durch
therapeutische oder pädagogische Einwirkung soll die Tätergefährlichkeit
beseitigt, durch Isolierung des Täters oder durch Ausschluss von bestimmten
Tätigkeiten soll die Gesellschaft vor dem Täter gesichert werden. Das geltende
Strafrecht kennt als Massregeln mit dem vorwiegenden Ziel der Besserung die
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB)
oder in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB).
Vorwiegend der Sicherung dienen die Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB), die Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) und das Berufsverbot (§ 70 StGB).
Sowohl Sicherungs- als auch Besserungsfunktion hat die Führungsaufsicht
(§ 68 StGB).
Die
bei der Strafrechtsreform 1969 als „Kernstück“ des Massregelrechts vorgesehene
„Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt„ (§ 65 StGB a.F.) ist nach längerer Erprobungszeit nicht als
Massregel verankert worden. Vielmehr hat der Gesetzgeber die „Vollzugslösung“
(§ 9 Strafvollzugsgesetz) gewählt, wonach ein Gefangener mit seiner Zustimmung
in eine therapeutische Anstalt verlegt werden kann, wenn eine entsprechende Behandlung
angezeigt erscheint.
Im
Massregelbereich kommt dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit (§ 62 StGB) dieselbe begrenzende Wirkung zu, wie sie bei Strafen
durch das Schuldprinzip erzielt wird. Sämtliche Massregeln erfordern ferner
eine Prognose hinsichtlich der zukünftigen Gefährlichkeit des Täters.
Ihren Ziel entsprechend sind einige dieser Massregeln mit
Freiheitsentzug verbunden, nämlich
·
die Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus (§ 63 StGB),
·
die Unterbringung in einer
Entziehungsanstalt (§ 64 StGB),
·
die Unterbringung in der
Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB).
Vor
allem die Sicherungsverwahrung als "eine der letzten Notmassnahmen der
Kriminalpolitik" (Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die
Strafrechtsreform – BT-Drs. V/4094, S. 19) war und ist
eine der kriminalpolitisch umstrittensten Massnahmen (zusammenfassend
Kinzig, J., Die Sicherungsverwahrung auf dem Prüfstand, 1996). Durch das 1. StrRG 1969 wurden die Anforderungen an die Anordnung von
Sicherungsverwahrung verschärft, um deren ultima ratio-Charakter deutlicher zu
betonen. Durch das unter dem Eindruck von zwei Sexualmorden an Kindern entstandene
"Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten"
wurden 1998 die Anordnungsvoraussetzungen für Sicherungsverwahrung wieder
abgesenkt, freilich ohne Beschränkung auf schwere Sexualdelikte. Vor allem
wegen der prognostischen Unsicherheiten hat diese Regelung in der Wissenschaft
überwiegend Ablehnung erfahren (statt vieler Schöch, H., Das Gesetz zur
Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. 1.
1998, NJW 1998, 1261).
Umstritten blieb die Reaktion auf eine kleine Gruppe von
Straftätern, deren Gefährlichkeit zwar zum Zeitpunkt des Urteils nicht mit der
erforderlichen Sicherheit prognostiziert werden konnte oder worden war, deren
Gefährlichkeit aber zum Zeitpunkt der Entlassung aus dem Vollzug der Freiheitsstrafe
prognostisch gesichert schien. Zunächst führten ab 2001 einige Bundesländer,
gestützt auf Polizeirecht, durch sog. Straftäterunterbringungsgesetze eine
"nachträgliche Sicherungsverwahrung" ein. Durch das „Gesetz zur
Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung„ vom 7.6.2002 (BGBl. I,
3344) schuf der Bundesgesetzgeber durch § 66a StGB die
Möglichkeit für das erkennende Gericht, in bestimmten Fällen die Unterbringung
in der Sicherungsverwahrung vorzubehalten und deren endgültige Anordnung der
Strafvollstreckungskammer zu überlassen, wenn nach Teilverbüssung der
Freiheitsstrafe die Gefährlichkeit des Täters feststeht. Zwei der
Straftäterunterbringungsgesetze der Bundesländer hat das Bundesverfassungsgericht
mit Urteil vom 10. Februar 2004 (2 BvR 834/02; 2 BvR 1588/02; NJW 2004, 750
ff.) nunmehr für unvereinbar mit der Kompetenzordnung des Grundgesetzes
erklärt. Innerhalb der vom BverfG eingeräumten Übergangsfrist wurde durch das
„Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung“ vom 23. Juli
2004 (BGBl. I S. 1838) § 66b StGB in das StGB eingefügt. Danach ist künftig in bestimmten
Fallkonstellationen auch eine nachträgliche Sicherungsverwahrung –ohne
vorherigen Urteilsvorbehalt – zulässig, sofern sich entweder der Täter noch im
Vollzug der Freiheitsstrafe oder seine Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus für erledigt erklärt wird, weil nach Beginn der Vollstreckung
festgestellt wurde, dass der krankheitsbedingte Zustand, auf dem die
Unterbringung beruht, nicht oder nicht mehr vorliegt.
Sonstige
Massnahmen sind insbesondere Verfall und Einziehung.
·
Durch den Verfall (§ 73 StGB)
- einschliesslich des Erweiterten Verfalls (§ 73d StGB)
- soll ein unrechtmässig erlangter Vermögenszuwachs abgeschöpft werden.
Voraussetzung ist die Begehung einer rechtswidrigen, nicht notwendig
schuldhaften Tat, durch die der Täter oder Teilnehmer "für die Tat oder
aus ihr etwas erlangt" hat (§ 73 Abs. 1 Satz 1 StGB).
·
Gegenstände, die durch eine vorsätzliche
Tat "hervorgebracht oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht
worden oder bestimmt gewesen sind" (§ 74 Abs. 1 StGB),
können eingezogen werden (§§ 74 ff. StGB).
Strafrechtliche
Folgen (nach JGG) Absehen von Strafe § 60 Hauptfolgen Erziehungsmassregeln § 9 JGG Weisung
§ 10 JGG Erziehungsbeistandschaft
§ 12 JGG Heimerziehung
§ 12 JGG Zuchtmittel
§ 13 JGG Verwarnung
§ 14 JGG Auflagen
§ 15 JGG Jugendarrest
§ 16 JGG Jugendstrafe
§ 17 JGG Aussetzung
der Verhängung § 27 JGG Verhängung
der Jugendstrafe § 17 JGG wg: Strafaussetzung
zur Bewährung Unbedingt
verhängte Jugendstrafe Nebenfolgen Fahrverbot
§ 44 StGB Massnahmen (§ 11 I Nr. 8) Massregeln
der Besserung und Sicherung §§ 7 JGG, 61 ff StGB Freiheitsentziehende
Massregeln Unterbringung
in einem psychiatrischen Krankenhaus § 63 Unterbringung
in einer Entziehungsanstalt § 64 Massregeln ohne
Freiheitsentzug Führungsaufsicht
§§ 68-68g Entziehung
der Fahrerlaubnis §§ 69-69b Andere
Massnahmen Verfall
§§ 6 JGG, 73-73e StGB Einziehung
§§ 6 JGG, 74, 75 StGB Unbrauchbarmachung
§§ 6 JGG, 74d StGB |
Schaubild 2: Strafrechtliche Folgen (nach JGG)
Mit dem 1923 geschaffenen Jugendgerichtsgesetz (JGG)
wurde erstmals in Deutschland ein Sonderstrafrecht für junge Täter geschaffen.
In das JGG in der seit 1953 geltenden Fassung sind -
bezogen auf das Alter zur Zeit der Tat - Jugendliche (14- bis unter 18jährige)
und Heranwachsende (18- bis unter 21jährige) einbezogen. Die jugendspezifischen
Rechtsfolgen des JGG, d.h. materielles
Jugendstrafrecht, sind auf einen Heranwachsenden aber nur anzuwenden, wenn
dieser entweder "zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen
Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand" oder wenn es sich um eine
"Jugendverfehlung" handelt (§ 105 Abs. 1 JGG).
Das
Rechtsfolgensystem des JGG besteht aus einem
abgegrenzten Kreis von Reaktionsmitteln, von denen keines mehr in
Abhängigkeit vom allgemeinen Strafrecht steht (§§ 5 ff. JGG).
Das JGG kennt drei Kategorien von formellen Rechtsfolgen,
nämlich Erziehungsmassregeln,
Zuchtmittel und Jugendstrafe. Ferner sind auch im Jugendstrafrecht einige der
Nebenfolgen des StGB, insbesondere
die Erteilung eines Fahrverbots, und einige der Massregeln der Besserung und
Sicherung (§§ 6, 7 JGG) zulässig.
Erziehungsmassregeln sind die nicht
"wegen", sondern die "aus Anlass der Straftat"
anzuordnenden Massnahmen, deren Zweck nicht in der Ahndung der Tat, sondern
ausschliesslich in der Erziehung des Täters bestehen soll. Als Erziehungsmassregeln kennt das JGG
Weisungen (§ 10 JGG) und Hilfe zur Erziehung
(§ 12 JGG).
·
Weisungen sind "Gebote und Verbote,
welche die Lebensführung des Jugendlichen regeln und dadurch seine Erziehung
fördern und sichern sollen". Beispielhaft aufgeführt sind Weisungen, die
sich auf den Aufenthaltsort des Jugendlichen beziehen, ferner die Weisung,
sich der Betreuung und Aufsicht einer bestimmten Person zu unterstellen, an
einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen oder sich um einen
Täter-Opfer-Ausgleich zu bemühen. Besonders hervorgehoben ist die Weisung, sich
einer heilerzieherischen Behandlung oder einer Entziehungskur zu unterziehen
(§ 10 Abs. 2 JGG).
·
Als Hilfe zur Erziehung kommen
Erziehungsbeistandschaft oder Heimerziehung bzw. Erziehung in einer sonstigen
betreuten Wohnform (§ 12 JGG i.V.m. §§ 30, 34
Kinder- und Jugendhilfegesetz) in Betracht.
Als
Reaktionen ahndenden Charakters kennt das JGG
Zuchtmittel, und zwar die Verwarnung, die Auflagen und den Jugendarrest.
·
Verwarnung ist das förmliche Vorhalten des
Unrechts der Tat (§ 14 JGG).
·
Auflagen sind nicht nur eine gesteigerte
Form der Verwarnung insofern, als dem Täter das Einstehen für das Unrecht der
Tat durch eine von ihm zu erbringende Leistung deutlich werden soll, sondern
sie dienen auch der Genugtuung des Verletzten. Auflagen können nämlich sein,
"nach Kräften den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen,
sich persönlich bei dem Verletzten zu entschuldigen, Arbeitsleistungen zu
erbringen oder einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung zu
zahlen" (§ 15 JGG).
·
Der Jugendarrest als stationärer
Freiheitsentzug dient als "Denkzettelstrafe". Er kann in Form des
Freizeitarrests, des Kurzarrests (höchstens 4 Tage) sowie des Dauerarrests
(mindestens 1 Woche und höchstens 4 Wochen) verhängt werden (§ 16 JGG).
Die
Jugendstrafe ist die einzige echte Kriminalstrafe des Jugendstrafrechts. Dieser
"Freiheitsentzug in einer Jugendstrafanstalt" (§ 17 Abs. 1 JGG)
kann zum einen verhängt werden, "wenn wegen der schädlichen Neigungen des
Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmassregeln oder
Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen", zum anderen, "wenn wegen
der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist" (§ 17 Abs. 2 JGG).
Obwohl es sich um eine Kriminalstrafe handelt, soll der Erziehungsgedanke bei
der Verhängung eine wesentliche (§ 18 Abs. 2 JGG)
und beim Vollzug gar eine dominierende Rolle spielen (§ 91 JGG).
Die
Dauer der Jugendstrafe beträgt mindestens 6 Monate und (bei Jugendlichen)
höchstens 5 Jahre; das Höchstmass beträgt jedoch 10 Jahre, wenn nach
allgemeinem Strafrecht eine Höchststrafe von mehr als 10 Jahren Freiheitsstrafe
angedroht ist (§ 18 Abs. 1 JGG).
Bei Heranwachsenden beträgt das Höchstmass in jedem Fall 10 Jahre (§ 105
Abs. 3 JGG).
Das
JGG kennt mehrere Bewährungsstrafen: die
Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe, die Aussetzung der Jugendstrafe zur
Bewährung sowie die Strafrestaussetzung zur Bewährung. Auf richterlicher
Rechtsfortbildung beruht die sog. Vorbewährung. In den gesetzlich geregelten
Fällen ist die Unterstellung unter die Aufsicht und die Leitung eines
Bewährungshelfers (§ 24 JGG) während einer vom
Richter zu bestimmenden Bewährungszeit von maximal 3 (§ 22 JGG)
bzw. 2 Jahren (§ 28 JGG) obligatorisch.
Weisungen sollen und Auflagen können erteilt werden (§ 23 JGG).
·
Die Aussetzung der Verhängung der
Jugendstrafe kommt in Betracht, wenn "nach Erschöpfung der
Ermittlungsmöglichkeiten nicht mit Sicherheit beurteilt werden (kann), ob in
der Straftat eines Jugendlichen schädliche Neigungen von einem Umfang
hervorgetreten sind, dass eine Jugendstrafe erforderlich ist" (§ 27 JGG);
der Richter kann dann die Schuld des Jugendlichen feststellen, die Entscheidung
über die Verhängung der Jugendstrafe aber für eine von ihm zu bestimmende Zeit
zur Bewährung aussetzen.
·
Die Vollstreckung einer Jugendstrafe von
nicht mehr als zwei Jahren kann bei günstiger Sozialprognose ("wenn zu
erwarten ist, dass der Jugendliche sich schon die Verurteilung zur Warnung
dienen lassen und auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs unter der
erzieherischen Einwirkung in der Bewährungszeit künftig einen rechtschaffenen
Lebenswandel führen wird") zur Bewährung ausgesetzt werden (§ 21 JGG).
·
Ferner kann die Vollstreckung des Restes
der Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden (§ 88 JGG).
·
Die durch richterliche Rechtsfortbildung
entwickelte sogenannte Vorbewährung im Sinne von § 57 JGG
ist schliesslich eine weitere Form einer Bewährungssanktion. Danach zögert das
Gericht die endgültige Aussetzungsentscheidung für einige Monate hinaus und
unterstellt den Jugendlichen vorläufig der Bewährungshilfe, um im Falle der
Bewährung die endgültige Aussetzung nach § 21 JGG
zu beschliessen.
Das in den 60er Jahren in die
kriminalpolitische Diskussion eingeführte Konzept der "Diversion"
meint "Ablenkung", "Umleitung" oder "Wegführung"
des Straftäters vom System formeller Sozialkontrolle. Verbunden werden damit
verschiedene - personenbezogene und systembezogene - Ziele: Vermeidung von
Stigmatisierung der Betroffenen durch Abbau formeller Verfahren, schnellere
Reaktion, damit der Bezug zwischen Tat und Reaktion erhalten bleibt,
flexiblere Problemlösungshilfen für die Betroffenen, Abbau überschiessender
formeller Sozialkontrolle, Entlastung der Justiz (vgl. Heinz, Diversion im Jugendstrafverfahren, Zeitschrift für die
gesamte Strafrechtswissenschaft, 1992, S. 591 ff.; Heinz, Diversion im
Jugendstrafrecht und im allgemeinen Strafrecht - Teil 1, DVJJ-Journal 1999,
245 ff., Teil 2, DVJJ-Journal 1999, 11 ff., Teil 3, DVJJ-Journal 1999, 131 ff.,
Teil 4, DVJJ-Journal 1999, 261 ff.).
Innerhalb der durch das Prinzip der
Unschuldsvermutung, durch den Schuldgrundsatz und durch das Legalitätsprinzip
bestimmten deutschen Rechtsordnung hielt der Gesetzgeber bislang nur solche
Diversionsstrategien für zulässig, die entweder auf eine möglichst geringe
staatliche Sanktion (z.B. Ersetzung stationärer durch ambulante
Sanktionen) oder auf Alternativen zur Anklage oder zur Verurteilung
(Ersetzung formeller durch informelle Sanktionen)
hinauslaufen. Hierzu wurden die prozessualen Möglichkeiten der Verfahrenseinstellung
im staatsanwaltschaftlichen Vorverfahren, im gerichtlichen Zwischen- oder im
Hauptverfahren genutzt. Die deutsche Variante von Diversion
besteht demnach in Verfahrenseinstellungen, die - bei hinreichendem Tatverdacht
und bei Vorliegen der Prozessvoraussetzungen - an die Stelle einer Anklage
(staatsanwaltliche Diversion) oder einer Verurteilung
(richterliche Diversion) treten.
Bei der ohne Auflagen/Weisungen
erfolgenden Einstellung (§§ 153, 153b StPO, §§ 45
Abs. 1, 47 Abs. 1 Nr.1 JGG) handelt es sich - strafrechtlich
gesehen - um einen spezialpräventiv orientierten Sanktionsverzicht. Im
sozialwissenschaftlichen Sinne handelt es sich indes um eine informelle
Sanktionierung, und zwar schon wegen des durchgeführten Ermittlungsverfahrens,
des damit regelmässig verbundenen Bekanntwerdens der Tat in der Familie und im
sozialen Umfeld, vor allem wegen der faktisch bestehenden Belastung für den
Beschuldigten, weiterhin als hinreichend tatverdächtig zu gelten. Einstellungen
unter Auflagen/Weisungen (§ 153a StPO, §§ 45 Abs.
2, 3, 47 Abs.1 Nr. 2, 3 JGG) sind im strafrechtlichen Sinne
ebenfalls keine Strafen, es handelt sich vielmehr um eine einverständliche
Sanktionierung, weil der Tatverdächtige die Auflagen oder Weisungen
freiwillig erfüllt, so dass deren Verhängung durch Urteil überflüssig wird.
Insofern kann nicht nur im sozialwissenschaftlichen, sondern auch im
strafrechtlichen Sinne von einer Sanktionierung gesprochen werden.
Erst bei dieser Betrachtung der
Funktionen der §§ 153, 153a, 153b StPO, §§ 45, 47
JGG wird deutlich, dass es sich nicht bloss um Verfahrensvorschriften
handelt. Sie gehören vielmehr (auch) zur Rechtsfolgenseite. Dementsprechend
reicht das (jugend)strafrechtliche Reaktionsspektrum von der - aus justitieller
Sicht - folgenlosen Reaktion (§§ 153, 153b StPO,
§§ 45 Abs. 1, 47 Abs. 1 Nr. 1 JGG) bis zur nicht ausgesetzten
Freiheits- bzw. Jugendstrafe.
Als Diversionsmöglichkeiten sieht die
deutsche Rechtsordnung derzeit vor:
·
Diversion
durch Staatsanwaltschaft (StA) oder Gericht in
Verfahren wegen leichterer und mittlerer Kriminalität (§§ 153 ff. StPO).
Praktisch bedeutsam sind vor allem zwei Einstellungsgründe:
·
Bagatellsachen: Bei Vergehen, d.h. bei
Straftaten, die nicht im Mindestmass mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder
darüber bedroht sind, kann das Verfahren eingestellt werden, "wenn die
Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an
der Verfolgung besteht" (§ 153 Abs. 1 StPO).
Die StA kann das Verfahren ferner in Fällen
einstellen, bei denen das Gericht von Strafe absehen kann (§ 153b StPO).
In beiden Fallgruppen bedarf die StA
der Zustimmung des Gerichts, es sei denn, es handelt sich bei § 153 StPO
um ein Vergehen, das nicht mit einer im Mindestmass erhöhten Strafe bedroht ist,
(wie z.B. einfacher Diebstahl oder Betrug), und „bei dem die durch die Tat
verursachten Folgen gering sind„. Entsprechende Befugnisse hat das Gericht in
jeder Lage des Verfahrens (§ 153 Abs. 2 StPO).
·
Einstellung bei Erfüllung von Auflagen und
Weisungen: Handelt es sich um keine Bagatellsache, so dass grundsätzlich ein
öffentliches Verfolgungsinteresse besteht, so kann bei Vergehen die StA
mit Zustimmung des Gerichts dennoch vorläufig von der Erhebung der öffentlichen
Klage unter Auflagen oder Weisungen absehen, wenn deren Anordnung geeignet ist,
"das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen, und die
Schwere der Schuld nicht entgegensteht" (§ 153a Abs. 1 S. 1 StPO).
Als Auflage kommen z.B. die Schadenswiedergutmachung, ein
Täter-Opfer-Ausgleich, die Zahlung eines Geldbetrages zugunsten einer
gemeinnützigen Einrichtung oder der Staatskasse in Betracht, als Weisung die
Erfüllung von Unterhaltspflichten. Auch hier bedarf es bei geringfügigen
Vergehen, die nicht mit einer im Mindestmass erhöhten Strafe bedroht sind,
nicht der Zustimmung des Gerichts. Erfüllt der Beschuldigte die Auflagen und
Weisungen, kann die Tat nicht mehr als Vergehen verfolgt werden (§ 153a
Abs. 1 StPO). Entsprechende Befugnisse hat das Gericht
in jeder Lage des Verfahrens (§ 153a Abs. 2 StPO).
·
Diversion zu
Therapiezwecken in Verfahren gegen Drogenabhängige (§§ 29 Abs. 5, 31a, 37,
38 Abs. 2 BtMG).
·
Diversion in
Privatklageverfahren (§§ 374 ff. StPO,
§ 80 JGG).
·
Diversion durch StA oder Gericht in Verfahren gegen
Jugendliche oder Heranwachsende (§§ 45, 47, 109 Abs. 2 JGG), wenn die informelle Erledigung zur Erreichung des
spezialpräventiven Ziels des Jugendstrafrechts ausreichend und geeignet ist,
und zwar - im Unterschied zum allgemeinen Strafrecht - unabhängig von
Deliktsart oder -schwere, also auch bei Verbrechen (ausgenommen § 45
Abs. 1, JGG).
·
Das Verfahren kann gem. § 45 Abs. 1 JGG bei
Vergehen (in jedem Fall) ohne Zustimmung des Gerichts ohne weiteres eingestellt
werden, wenn die Voraussetzungen des § 153 StPO vorliegen, wenn also "die Schuld
des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der
Verfolgung besteht".
·
Ist eine erzieherische Massnahme bereits
eingeleitet oder durchgeführt und hält der Staatsanwalt weder eine Beteiligung
des Richters noch die Erhebung einer Anklage für erforderlich, so sieht er
ebenfalls von der Verfolgung ab (§ 45 Abs. 2 JGG). Eine private bzw. ausserstrafrechtliche
Regelung erzieherischer Belange hat demnach Vorrang vor einer justitiellen
Reaktion, und zwar nicht nur bei Vergehen, sondern auch bei Verbrechen. Die
Subsidiarität jugendkriminalrechtlicher Rechtsfolgen gilt insbesondere auch
im Verhältnis zu "erzieherischen Massnahmen" sämtlicher Träger
informeller Sozialkontrolle, wie Eltern, Nachbarn, Lehrer, Ausbilder, Freunde
usw., deren Reaktionen funktionale Äquivalente zu justitiellen Reaktionen sein
können. Hierzu zählen aber auch Massnahmen "justiznaher" Personen,
wie Jugendgerichtshelfer; in Betracht kommt auch eine polizeiliche
"Ermahnung". Der Gesetzgeber hat mit § 45 Abs. 2 JGG der Vorstellung,
"irgendetwas" müsse - jedenfalls ausserhalb des Bereichs von
§ 153 StPO -
seitens der StA im
Sinne einer Einwirkung auf den Beschuldigten geschehen, eine Absage erteilt.
·
Ein Absehen von der Verfolgung durch den
Staatsanwalt hat - ebenfalls unabhängig von der Deliktsschwere, also auch bei
Verbrechen - Vorrang vor einer Einstellung durch den Richter. Sind -
ausserjustitiell - keine "erzieherischen Massnahmen" durchgeführt
oder eingeleitet, so kann nämlich der Staatsanwalt selbst die Voraussetzungen
für ein Absehen von der Verfolgung schaffen, z.B. durch ein
"Ermahnungsgespräch" oder durch die Anregung zu Leistungen, wie sie
auch der Richter nach § 45 Abs. 3 JGG
auferlegen kann.
Erfolgte entweder keine erzieherische Massnahme oder wird diese vom
Staatsanwalt spezialpräventiv für nicht ausreichend erachtet, hält er
andererseits aber die Erhebung der Anklage für nicht geboten, dann regt er beim
Jugendrichter die Erteilung einer Ermahnung, von enumerativ aufgeführten
Weisungen (Arbeitsleistung, Täter-Opfer-Ausgleich, Teilnahme an Verkehrsunterricht)
oder von Auflagen (Schadenswiedergutmachung, persönliche Entschuldigung,
Erbringung von Arbeitsleistungen, Bezahlung eines Geldbetrags) an, wenn der
Beschuldigte geständig ist. Entspricht der Jugendrichter der Anregung, so sieht
der Staatsanwalt von der Verfolgung ab, vorausgesetzt, die Auflagen oder
Weisungen sind erfüllt.
Entsprechende Befugnisse hat gem. § 47 Abs. 1 Nr. 1-3 JGG
auch der Jugendrichter nach Anklageerhebung (einschliesslich Antrag auf Entscheidung
im vereinfachten Jugendverfahren gem. § 76 JGG).
Der Jugendrichter kann schliesslich ein Verfahren auch dann gem. § 47
Abs. 1 Nr. 4 JGG einstellen, wenn der Angeklagte mangels
Reife strafrechtlich nicht verantwortlich ist.
Den jugendstrafverfahrensrechtlichen
Einstellungsvorschriften lag und liegt primär das Ziel zugrunde, aus
präventiven Gründen stigmatisierende Effekte und soziale Diskriminierungen
sowie eine zur Erreichung des jugendstrafrechtlichen Erziehungsziels -
Rückfallvermeidung - nicht erforderliche Belastung der betroffenen jungen
Menschen zu vermeiden. Die in den letzten Jahren - nicht nur, aber doch auch -
betonten verfahrensökonomischen Aspekte - Entlastung der Strafjustiz und
Verfahrensbeschleunigung durch Abbau unnötiger Sozialkontrolle sowie Verzicht
auf die Verfolgung von Bagatellfällen - hatten demgegenüber Nachrang. Hierin
besteht auch der wesentliche Unterschied zu den Begrenzungen des
Legalitätsprinzips im allgemeinen Strafrecht durch §§ 153 ff. StPO, bei denen anfänglich Entlastungs-, Beschleunigungs-,
Vereinfachungs- und Verbilligungseffekte im Vordergrund standen und es sich
hinsichtlich der Vermeidung von Stigmatisierungen eher um einen (erwünschten)
Nebeneffekt handelte. Heute ist freilich auch im allgemeinen Strafrecht die
Verfahrenseinstellung in den Dienst der präventiven Aufgaben des Strafrechts
gestellt. Dem liegt die Einsicht zugrunde, dass spezialpräventiv häufig bereits
der Umstand genügt, dass gegen den Täter wegen einer Straftat ermittelt wird.
Grundlage
für die folgende Darstellung der Sanktionierungspraxis von Staatsanwaltschaft
und Gericht sind die amtlichen Rechtspflegestatistiken.
Für
die Zeit vor Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1949 kommt als
Datenquelle lediglich die 'Kriminalstatistik für das Deutsche Reich' in
Betracht, deren Ergebnisse für die Berichtsjahre 1882 bis 1939 veröffentlicht
worden sind.
Für
die Bundesrepublik Deutschland stehen in Form koordinierter Länderstatistiken
zur Verfügung:
·
Die Staatsanwaltschaftsstatistik
(StA-Statistik): In ihr wird die
Geschäftserledigung der Staats- und Amtsanwaltschaften beim LG und OLG gegen
bekannte Täter nachgewiesen. Bei der StA-Statistik
handelt es sich um eine Verfahrensstatistik, d.h. nachgewiesen wird die
jeweils schwerste Erledigungsart, mit der das Verfahren abgeschlossen wurde.
Die Zahl der von Ermittlungsverfahren betroffenen Personen wurde bis vor kurzem
lediglich für einige Erledigungsgruppen mitgeteilt. Erst seit der Neuordnung
der StA-Statistik zum 1.1.1998 wird die
Zahl der Personen für die einzelnen Erledigungsentscheidungen nachgewiesen.
Angaben zu den Delikten, die den Ermittlungsverfahren zugrunde lagen, wurden
zunächst nicht erhoben. Als Sondersachgebiete wurden 1986 "Strassenverkehrsstrafsachen"
(die Ergebnisse wurden aber nur für einige Erledigungsarten ausgewiesen), 1987
"Besondere Wirtschaftsstrafsachen", seit 1998 auch
"Betäubungsmittelstrafsachen", "Umweltstrafsachen" und
"Strafsachen gegen die sexuelle Selbstbestimmung" aufgenommen:
zusätzlich wird danach unterschieden, ob es sich um eine Straftat der
"Organisierten Kriminalität" handelt. Diese Zusatzinformationen
werden nicht über die Zählkarten erhoben, sondern aus den DV-Geschäftsstellenautomationssystemen
der Berichtsstellen herausgefiltert. Länderergebnisse zur Verfahrenserledigung
in den Sondersachgebieten (einschliesslich der besonderen Wirtschaftsstrafsachen)
liegen deshalb erst dann vor, wenn die Geschäftsstellenautomation bei den
Staatsanwaltschaften im jeweiligen Land flächendeckend eingeführt ist. Dies
war 2003 in 13 (Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen,
Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und
Thüringen) der 16 Länder der Fall, weshalb noch keine bundesweiten Ergebnisse,
sondern nur die Ergebnisse dieser Länder veröffentlicht werden konnten.
Die StA-Statistik wurde seit 1976 nach
und nach in den Bundesländern eingeführt: (1976 in Bayern, Nordrhein-Westfalen,
Rheinland-Pfalz und im Saarland; 1977 in Bremen und Hamburg; 1979 in
Baden-Württemberg; 1980 in Niedersachsen). Erstmals mit dem Berichtsjahr 1981
wurden ihre Ergebnisse vom Statistischen Bundesamt veröffentlicht, jedoch ohne
die Ergebnisse von Berlin-West, Hessen und Schleswig-Holstein, wo diese
Statistik erst später (1985, 1988 bzw. 1989) eingeführt wurde. Erst seit 1989
liegen deshalb die Ergebnisse für sämtliche alten Bundesländer vor, seit 1993
einschliesslich Berlin-Ost. In den neuen Bundesländern wurde die Führung der StA-Statistik ab 1993 in Sachsen
und Sachsen-Anhalt aufgenommen; ab 1994 in Brandenburg und in Thüringen und
ab 1995 in Mecklenburg-Vorpommern. Seit 1995 liegen demnach auch Daten für
sämtliche neuen Bundesländer vor.
·
Die Justizgeschäftsstatistik
der Strafgerichte (StP/OWi-Statistik):
In ihr werden der Geschäftsanfall und die Erledigung von Strafsachen bei den
Amts-, Land- und Oberlandesgerichten sowie dem Bundesgerichtshof nachgewiesen.
Die Justizgeschäftsstatistik wird mit dem jetzigen Inhalt seit 1970 bzw. - nach
inhaltlicher Erweiterung - seit 1989 für die alten Bundesländer, seit 1991
einschliesslich Berlin-Ost, seit 1994 auch einschliesslich der neuen
Bundesländer veröffentlicht.
Die Art der Erledigung wird sowohl für Verfahren als auch (seit 1989) für Personen
nachgewiesen; eine Differenzierung nach Delikten erfolgt nicht.
·
Die Strafverfolgungsstatistik
(StVStat): In ihr werden alle
Angeklagten nachgewiesen, gegen die rechtskräftig Strafbefehle erlassen
wurden bzw. Strafverfahren nach Eröffnung des Hauptverfahrens durch Urteil oder
Einstellungsbeschluss rechtskräftig abgeschlossen worden sind. Nicht erfasst
werden Ordnungswidrigkeiten sowie Entscheidungen vor Eröffnung des
Hauptverfahrens. Deshalb enthält diese Statistik z.B. keine Informationen über
Verfahrenseinstellungen gem. §§ 153, 153a, 153b StPO
durch die StA. Ausnahmsweise werden jedoch
Entscheidungen gemäss § 59 StGB,
§§ 27, 45 Abs. 3 JGG erfasst.
Die StVStat wird seit 1950 für die alten Bundesländer
(seit 1961 mit Saarland und mit West-Berlin), seit 1995 einschliesslich
Berlin-Ost veröffentlicht. Sie wurde in den neuen Bundesländern bislang in
Brandenburg (1994), in Sachsen (1992), in Thüringen (1997) und in
Mecklenburg-Vorpommern (2001) eingeführt. Da sie in Sachsen-Anhalt noch nicht
geführt wird, veröffentlicht das Statistische Bundesamt derzeit, von einigen
Eckwerten (seit 1997) abgesehen, die StVStat
lediglich für die alten Bundesländer einschliesslich Gesamtberlin.
·
Die Bewährungshilfestatistik
(BewH-Statistik): In ihr werden - neben
den hauptamtlichen Bewährungshelfern - vor allem die diesen zur Betreuung unterstellten
Probanden der Bewährungshilfe nachgewiesen. Die BewH-Statistik
wird seit 1963 bundeseinheitlich geführt. In den neuen Bundesländern wird sie
lediglich von Brandenburg (seit 1993) und in Mecklenburg-Vorpommern (seit
1994) geführt. In Hamburg ist sie seit 1992 eingestellt.
·
Die Strafvollzugsstatistik
(StVollz-Statistik): In ihr wird zum
einen zum Stichtag - jeweils zum 31.3. eines Berichtsjahres - die Struktur der
Strafgefangenen sowie der Sicherungsverwahrten nachgewiesen (Reihe 4.1), zum
anderen der sog. Bestand an Gefangenen und Verwahrten sowie die sog.
Gefangenenbewegung (Reihe 4.2). Diese Bestandsstatistik der Gefangenen und
Verwahrten wird seit 2003 nicht mehr – wie bisher – zum Ende eines
Kalenderjahres erstellt, sondern dreimal jährlich (zum 31.3., 31.8. und 30.11.
eines jeden Jahres). Die StVollz-Statistik
wird seit 1961 geführt, seit 1992 ist auch Berlin-Ost einbezogen. Ergebnisse
für die neuen Bundesländer werden seit 1992 nachgewiesen.
Bei Abschluss
des Manuskripts standen folgende Rechtspflegestatistiken für die Auswertung zur
Verfügung:
·
Die Ergebnisse der StA-Statistik für 2003.
1998 war in Hamburg und Schleswig-Holstein die Aufbereitung der StA-Statistik
ausgesetzt, weshalb für diese beiden Länder die Ergebnisse für 1997 als
Näherungswerte zugrunde gelegt wurden. Wegen Aufbereitungsproblemen liegen in
Schleswig-Holstein auch für die Folgejahre keine aktuelleren Ergebnisse vor
als jene aus 1997; seit 1997 werden deswegen jeweils erneut die Ergebnisse für
dieses Berichtsjahr als Näherungswert für die Ermittlung des Bundesergebnisses
verwendet. In Sachsen-Anhalt konnten für das vollständige Kalenderjahr 1999
keine Geschäftsergebnisse erstellt werden, die Ergebnisse für 1999 beziehen
sich auf den Zeitraum vom 1.7.1999 bis zum 30.6.2000.
·
Die Ergebnisse der StVStat liegen für
das Berichtsjahr 2003 vor.
In den Jahren zuvor kam es in einigen Ländern aufgrund arbeitsorganisatorischer
Massnahmen in Gerichten und Staatsanwaltschaften teilweise zu verspätet
abgegebenen Meldungen zur Strafverfolgungsstatistik mit der Folge, dass Fälle
aus dem aktuellen Berichtsjahr (Kriterium: Rechtskraft der Entscheidung) erst
im Folgejahr nachgewiesen werden konnten. Dieser zeitliche Zuordnungsfehler
verteilt sich nach Kenntnis des Statistischen Bundesamtes auf die Berichtsjahre
2000, 2001 und 2002. Für 2003 wurden dem Statistischen Bundesamt von den
Ländern keine Erfassungsfehler angezeigt.
Auf Bundesebene dürften nach Einschätzung des Statistischen Bundesamtes die
absoluten Zahlen über Abgeurteilte und Verurteilte sowie die Veränderungsraten
im Wesentlichen zutreffend sein. Aufbereitungsfehler in Hessen in den Jahren
1999 – 2002 führten zu fehlerhaften Zuordnungen, durch die das – im Folgenden
dargestellte - Gesamtergebnis indes nicht beeinträchtigt worden sein dürfte.
·
Die Ergebnisse der BewH-Statistik wurden
zuletzt für das Berichtsjahr 2002 (seit 1992 ohne Hamburg) veröffentlicht.
·
Die StVollz-Statistik lag zum Stichtag
31.3.2003 (demographische und kriminologische Merkmale der Strafgefangenen)
sowie hinsichtlich der Bestandszahlen der Gefangenen und Verwahrten für 2004
vor.
In regionaler
Hinsicht lagen Ergebnisse aus folgenden Statistikbereichen vor:
·
Die StA-Statistik bezieht sich auf die alten und (seit 1995)
auf sämtliche neuen Bundesländer; die Ergebnisse werden nach Ländern gegliedert
ausgewiesen.
·
Die veröffentlichten Ergebnisse der StVStat 2003 beziehen
sich auf die alten Bundesländer (einschliesslich Gesamtberlin); die Ausweise
über Art und Höhe der verhängten Sanktionen werden lediglich für das frühere
Bundesgebiet (einschliesslich Gesamtberlin) mitgeteilt. Die Länderergebnisse
werden von den Statistischen Landesämtern veröffentlicht, das Statistische
Bundesamt teilt insoweit nur Eckdaten mit.
·
Für das Berichtsjahr 2002 beziehen sich die Ergebnisse der
BewH-Statistik auf das frühere Bundesgebiet einschliesslich Gesamtberlin (seit
1992 ohne Hamburg); flächendeckende Angaben für die neuen Länder liegen noch
nicht vor; lediglich aus Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern werden
Ergebnisse mitgeteilt. Die für die vorliegende Auswertung relevanten
Ergebnisse werden nicht nach Ländern aufgeschlüsselt.
·
Die Ergebnisse der StVollz-Statistik beziehen sich auf die
alten und (seit 1992) auch auf sämtliche neuen Bundesländer; die Angaben werden
nach Ländern aufgeschlüsselt.
Den
Möglichkeiten der Deskription der Sanktionierungspraxis werden durch diese
Informationsinstrumente - die Rechtspflegestatistiken - Grenzen gesetzt. Zum
einen sind die statistischen Daten aus den verschiedenen Statistikbereichen nur
begrenzt aufeinander beziehbar und untereinander vergleichbar. Zum anderen werden
Aussagemöglichkeiten und -grenzen vor allem dadurch bestimmt, welche Daten
erhoben und wie diese Daten für Zwecke der Veröffentlichung aufbereitet werden.
Speziell für Zeitreihenanalysen ergeben sich weitere Grenzen der Aussagemöglichkeiten
aus dem Wechsel von Erhebungs- bzw. Aufbereitungskategorien sowie aus dem - in
regionaler und/oder zeitlicher Hinsicht - Fehlen statistischer Daten. Bezogen
auf die beiden, der folgenden Darstellung vor allem zugrunde liegenden
Statistiken - StA-Statistik, StVStat - heisst dies:
·
Die Erhebungseinheiten beider Statistiken
stimmen nicht überein. In der StA-Statistik sind Erhebungseinheiten
Ermittlungsverfahren, in der StVStat dagegen Personen.
Die hieraus resultierenden Unterschiede - von einem staatsanwaltschaftlichen
Ermittlungsverfahren sind im Schnitt 1,2 Personen (Beschuldigte) betroffen
(2003 kamen auf 5.624.822 Beschuldigte 4.766.070 Ermittlungsverfahren ) - können durch entsprechende
Umrechnungen nur ungefähr ausgeglichen werden. Wie die erstmals für das
Berichtsjahr 1999 auch für die StA-Statistik erhobenen personenbezogenen
Daten zeigen (vgl. Anhang, Tabelle A1 und A2), wurde durch das
bisher vom Verf. verwendete Umrechnungsverfahren die Zahl der Personen, deren
Ermittlungsverfahren gem. § 45 JGG eingestellt worden
war, im Schnitt der alten Bundesländer um gut 10% (bezogen auf die
Einstellungen gem. § 45 JGG) unterschätzt, die Zahl
der nach JGG (informell oder formell) Sanktionierten um rd.
6%. Die Zahl der nach allgemeinen Vorschriften - §§ 153, 153a, 153b StPO -
informell Sanktionierten ist in geringerem Masse unterschätzt (rd. 3%). Der in
den Schaubildern sichtbare Anstieg der Diversionsraten von 1997 auf 1998 ist deshalb, und zwar
sowohl im allgemeinen Strafrecht als auch im Jugendstrafrecht, ein nur scheinbarer;
er beruht auf der Umstellung von den bisherigen "umgerechneten" Ergebnissen
auf die nunmehr vorliegenden "echten" personenbezogenen Daten (vgl. Anhang, Tabellen A3 und A4).
Bei Verwendung des bisherigen Umrechnungsverfahrens wären die Diversionsraten 1998 gegenüber 1997 praktisch
unverändert. Entsprechendes gilt dann, wenn die Zahl der zu
freiheitsentziehenden Sanktionen Verurteilten bezogen wird auf die Zahl der
(informell oder formell) Sanktionierten. Ab 1998
werden der Auswertung die personenbezogenen Daten der StA-Statistik zugrunde gelegt, lediglich für
Schleswig-Holstein liegen nur die verfahrensbezogenen Ergebnisse aus 1997 vor,
die, wie bisher, "umgerechnet" werden.
·
Die Daten dieser beiden Statistiken werden
zu verschiedenen Zeitpunkten erhoben, nämlich mit der jeweiligen
Verfahrenserledigung. Bei Bezugnahmen - z.B. Anteil der Verurteilten an allen
(informell und formell) Sanktionierten - kann sich
deshalb eine - nicht vermeidbare - Verzerrung ergeben, weil die beiden Gruppen
aus z.T. unterschiedlichen Grundgesamtheiten stammen.
·
Für die StA-Statistik
wurden in der Vergangenheit so gut wie keine Angaben zu den dem Verfahren
zugrunde liegenden Straftaten und zu den von den Verfahren betroffenen
Beschuldigten erhoben. Es ist infolgedessen nicht erkennbar, in Abhängigkeit
von welchen Täter- und von welchen Deliktsgruppen bestimmte Erledigungsarten
gewählt werden. Konkret heisst dies, dass z.B. weder festgestellt werden kann,
in welchem Umfang bei Diebstahl, bei Körperverletzung oder bei Raub Verfahrenseinstellungen
erfolgen, noch dass aufgrund der StA-Statistik geprüft werden kann, ob die regional extrem
unterschiedlichen Diversionsraten auf Unterschieden im Entscheidungsverhalten
beruhen oder lediglich unterschiedliche, von der Praxis vorfindbare Tat- und
Täterstrukturen widerspiegeln.
·
Bei den nachgewiesenen Erledigungsarten,
also auch bei Einstellungen aus Opportunitäts- oder Subsidiaritätsgründen,
wird nicht danach differenziert, ob sie unter Anwendung von Jugendstrafrecht
oder unter Anwendung von allgemeinem Strafrecht erfolgten. Eine Zuordnung der
Einstellungen kann deshalb nur über die jeweilige Einstellungsnorm erfolgen,
also z.B. so, dass Einstellungen gem. § 45 JGG dem
Jugendstrafrecht, Einstellungen gem. §§ 153 ff. StPO
dem allgemeinen Strafrecht zugeordnet werden. Gar nicht zuordenbar sind die
Einstellungsentscheidung gem. §§ 31, 37a, 38 BtMG. Dies hat unvermeidbar
zur Konsequenz, dass im Jugendstrafverfahren erfolgende Einstellungen gem.
§§ 153 ff. StPO fälschlicherweise den Erwachsenen statt den nach
Jugendstrafrecht verurteilten Jugendlichen/Heranwachsenden zugeordnet werden
müssen (Unterschätzung der Diversionsrate im
Jugendstrafrecht bei gleichzeitiger Überschätzung im allgemeinen Strafrecht).
·
Hinsichtlich der erzieherischen Massnahmen,
die im Rahmen von § 45 JGG durchgeführt, angeregt oder
angeordnet werden, enthält die StA-Statistik keinerlei
Angaben. Bei § 45 Abs. 2 JGG sind dementsprechend weder
Art noch Häufigkeit der "Weisungen" oder "Auflagen"
erkennbar. Die nach § 153a Abs. 1 StPO zulässigen
Auflagen und Weisen werden dagegen zahlenmässig erfasst; nicht erfasst werden
die Inhalte, also z.B. die Höhe des auferlegten Geldbetrages.
Im Vergleich
zur StA-Statistik sind die für die StVStat
erhobenen Angaben für Zwecke der Beschreibung der Sanktionierungspraxis
informativer und differenzierter. Erhoben und nachgewiesen werden Angaben zu
Alter, Geschlecht und Staatsangehörigkeit der Abgeurteilten bzw. Verurteilten,
zu Art und (teilweise auch zu) Höhe der Sanktion sowie zu dem der Verurteilung
zugrunde liegenden schwersten Straftatbestand. Allerdings bestehen auch hier
einige bedeutsame Einschränkungen:
·
In der StVStat
wird jeder Verurteilte nur einmal ausgewiesen, und zwar bei dem nach Art und
Mass mit der abstrakt schwersten Strafe bedrohten Delikt. Daraus folgt, dass
die der Verurteilung zugrunde liegenden Delikte um so ungenauer erfasst sind,
je geringer die Strafdrohung eines Deliktes ist.
·
Den Strafrahmen beeinflussende
Entscheidungen, wie z.B. Versuch/Vollendung, Täterschaft/Teilnahme,
Gesamtstrafenbildung, werden nicht im Tabellenprogramm über die Art und Höhe
der Strafen ausgewiesen.
·
Insbesondere durch Gesamtstrafenbildung
bzw. - im Jugendstrafrecht - durch die Einbeziehung noch nicht vollständig
verbüsster Sanktionen (§ 31 Abs. 2 JGG) wird das Bild der
Sanktionierungspraxis in Richtung auf schwerere Strafen hin verschoben.
·
Schliesslich gibt die Orientierung an
Straftatbeständen nicht wieder, ob insbesondere wegen unbenannter
Strafänderungsgründe Sonderstrafrahmen angewendet wurden.
·
Die Höhe bzw. Inhalte der nach allgemeinem
Strafrecht verhängten Sanktionen werden nur bei freiheitsentziehenden Strafen
relativ differenziert erfasst; die Vollständigkeit und Differenziertheit der
Erfassung nimmt jedoch deutlich ab, je eingriffsschwächer die Sanktion ist.
Dies heisst im einzelnen:
Im Unterschied zum allgemeinen
Strafrecht wird bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht nicht nur die
schwerste Strafe ausgewiesen, sondern bei Erziehungsmassregeln und
Zuchtmitteln die insgesamt verhängten, also auch die nebeneinander angeordneten
Sanktionen. Ansonsten gilt auch hier, dass die Differenziertheit des Ausweises
abnimmt, je eingriffsschwächer die Sanktion ist.
·
Bei Einstellungen gem. § 47 JGG wird nur das Ob erfasst, nicht nachgewiesen werden die
angeordneten erzieherischen Massnahmen.
·
Entsprechendes gilt für den Nachweis der
durch Urteil angeordneten Erziehungsmassregeln. Diese werden lediglich der Art
nach (Weisung, Erziehungsbeistandschaft, Heimerziehung) erhoben. Weder wird
erfasst, ob mehrere Weisungen nebeneinander angeordnet wurden, noch wird die
Art der Weisung (z.B. Arbeitsweisung, Betreuungsweisung, sozialer Trainingskurs,
Täter-Opfer-Ausgleich usw.), geschweige denn deren Mass (z.B. Stundenzahl der
Arbeitsweisung) erfasst.
·
Auch die Zuchtmittel werden lediglich der
Art und der Häufigkeit ihrer Anordnung nach (Verwarnung, Auflagen,
Jugendarrest) erhoben, wobei hier - weitergehend als bei den
Erziehungsmassregeln - zwischen den drei Formen des Jugendarrestes (Freizeit-,
Kurz- und Dauerarrest) unterschieden und innerhalb der Auflagen jeweils die
Auflagenarten, den Schaden wiedergutzumachen, einen Geldbetrag zu zahlen oder
sich bei dem Verletzten zu entschuldigen getrennt ausgewiesen werden, sowie -
seit 1991 - die Arbeitsleistung und die Kombination von Arbeitsleistung und
Entschuldigung. Nicht ausgewiesen wird aber das verhängte Mass, also die Dauer
des Arrestes, die Höhe des zu zahlenden Geldbetrages oder die Zahl der zu
leistenden Stunden gemeinnütziger Arbeit.
·
Hinsichtlich der Jugendstrafe schliesslich
wird - relativ differenziert - die Dauer der verhängten Jugendstrafe in derzeit
sieben Kategorien ausgewiesen. Wegen mehrfacher Änderung der Kategorien - seit
1954 blieben lediglich die Kategorien "6 Monate bis einschliesslich 1
Jahr" und "mehr als 1 Jahr" unverändert - sind freilich auch
einer zeitlichen Längsschnittanalyse, die bis zum Inkrafttreten des gegenwärtigen
JGG im Jahr 1953 zurückgehen will, deutliche Grenzen gesetzt.
·
Hinsichtlich der Bewährungsstrafen gilt:
Erfasst wird, ob die Verhängung der Jugendstrafe bzw. ob die Vollstreckung der
Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Ob Auflagen oder Weisungen
verhängt wurden, wird – im Unterschied zu Verurteilungen nach allgemeinen
Strafrecht - dagegen ebenso wenig erhoben wie die Art der Auflagen/Weisungen.
Die mit den informellen
Erledigungsmöglichkeiten verbundenen Auflagen/Weisungen werden, soweit es
sich um Einstellungsentscheidungen des Gerichts handelt, in der
Justizgeschäftsstatistik in Strafsachen erfasst, ausgenommen bei den
(allerdings zahlenmässig geringen) Entscheidungen der Oberlandesgerichte in
der Rechtsmittelinstanz. Grenzen der Aussagemöglichkeiten bestehen, auch
insoweit weitgehend mit jenen der StA-Statistik
vergleichbar, aufgrund der fehlenden Differenzierung nach Delikt, nach Alter
und Geschlecht der Beschuldigten.
Aus dem grossen Bereich der
Strafvollstreckung wird lediglich die bedingte Freiheitsstrafe erfasst, und
auch hiervon nur ein Ausschnitt, nämlich jener der Unterstellung unter einen
hauptamtlichen Bewährungshelfer. Hinsichtlich der Vollstreckung der weit
überwiegenden Zahl der Sanktionen, nämlich der ambulanten Sanktionen
(Geldstrafe im allgemeinen Strafrecht; Erziehungsmassregeln, Verwarnung,
Auflagen im Jugendstrafrecht), fehlen dagegen statistische Angaben.
Entsprechendes gilt für die Vollstreckung von Massregeln der Besserung und
Sicherung. Infolge des Fehlens von strafvollstreckungsstatistischen
Informationen ist z.B. die Rate der eine Geldstrafe in Form einer
Ersatzfreiheitsstrafe verbüssenden Personen nicht genau ermittelbar.
Näherungsweise lässt sich diese Rate allerdings durch Gegenüberstellung der
Zahl der zu Geldstrafe Verurteilten mit den zur Verbüssung einer
Ersatzfreiheitsstrafe in die Strafvollzugsanstalt aufgenommenen Personen
bestimmen. Wegen der unterschiedlichen Erfassungszeiträume von Strafverfolgungs-
und Strafvollzugsstatistik ist eine exakte Bestimmung nicht möglich.
Über die Zahl
der Untersuchungshaftanordnungen, der Untersuchungsgefangenen und über die
Dauer der Untersuchungshaft fehlen vollständige statistische Nachweise.
Für die StVStat werden zwar seit 1975 die Abgeurteilten mit
Untersuchungshaft erfasst, wobei zugrunde liegender Straftat, Geschlecht,
Haftgründe, Dauer der Untersuchungshaft, auch im Vergleich zur erkannten
Strafe, sowie die erkannte schwerste Entscheidung ausgewiesen werden. Nicht
erfasst ist in der Zahl der Abgeurteilten mit Untersuchungshaft die – mutmasslich
kleine - Zahl von Untersuchungsgefangenen, die überhaupt nicht angeklagt
wurden, d.h., es fehlen Nachweise über Untersuchungsgefangene, bei denen
das Verfahren gem. §§ 170 Abs. 2, 153 ff. StPO, § 45 JGG vor
Eröffnung des Hauptverfahrens eingestellt wurde. Nicht erfasst sind ferner
Haftanordnungen, die nach Rechtskraft der das Verfahren abschliessenden
Entscheidung ergehen, also insbesondere Fälle des Sicherungsbefehls nach
§ 453c StPO.
Die StVollz-Statistik
informiert lediglich über die Zahl der am jeweiligen Stichtag inhaftierten
Untersuchungsgefangenen. Stichtagszahlen sind aber kein Mass für die Zahl
inhaftierter Personen, sondern ein Mass für (auf Personen bezogene)
Inhaftierungszeiten, d.h., sie sind eine Funktion der Zahl der Inhaftierten
und der Haftdauer. Je kürzer die Inhaftierungszeit ist, desto geringer ist
der Ausschnitt der am Stichtag erfassten Zahl der Inhaftierten. Deshalb ist
die zum Stichtag erfasste Zahl der inhaftierten Untersuchungsgefangenen
wesentlich niedriger als die Zahl der insgesamt in einem Jahr inhaftierten
Untersuchungsgefangenen, was wiederum erklärt, weshalb die entsprechenden
Zahlen von StVollz-Statistik und StVStat
erheblich voneinander abweichen. In den ebenfalls in der StVollz-Statistik
ausgewiesenen Zahlen über Zugänge sind nicht nur Erstaufnahmen in den Vollzug
erfasst, sondern jede Aufnahme. Es kann deshalb, insbesondere bei Verlegungen
in andere Anstalten, zu Mehrfachzählungen kommen. In den StVollz-Statistiken
fehlen Angaben zu Haftdauer, Haftgrund, zugrunde liegender Straftat.
Über
die Gesamtzahl der in einem Jahr Strafhaft verbüssenden Gefangenen informiert
die Strafvollzugsstatistik nur unvollständig. Nachgewiesen werden zum einen
demographische Daten der zum Stichtag – 31.3. – erfassten Gefangenen, zum
anderen Bestands- und Bewegungsdaten, die, wie zuvor bereits erwähnt, kein
brauchbares Mass für die Zahl inhaftierter Personen sind. Die Bewegungsdaten –
Zugangs- bzw. Abgangszahlen – sind nicht aussagekräftig für eine Zählung von
Personen, weil jede Verlegung von Anstalt zu Anstalt sowie Verlegungen
innerhalb einer Anstalt gezählt werden. Aber auch die jeweils zum Ende eines
jeden Monats ermittelten Bestandszahlen geben die Zahl der insgesamt
Inhaftierten nicht korrekt wider, weil zum einen Gefangene mit einer
Vollzugsdauer von unter 12 Monaten unterrepräsentiert sind, zum anderen weil
Bestandszahlen „empfindlich„ sind für anstaltsorganisatorische und vollzugliche
Massnahmen, wie sie etwa die sog. „Weihnachtsamnestien“, aber auch Lockerungen
darstellen.
Die
StA-Statistik wird erst seit 1981 auf Bundesebene veröffentlicht, erst seit dem
Berichtsjahr 1989 liegt sie für sämtliche (alten) Bundesländer und erst seit
1995 auch für alle neuen Bundesländer vor. Diese zeitlichen und regionalen
Beschränkungen begrenzen die Auswertungsmöglichkeiten, insbesondere
hinsichtlich der informellen Sanktionierung. "Bundesergebnisse" der
StA-Statistik für die Zeit zwischen 1981 und 1989 sind mit den Unsicherheiten
von "Hochrechnungen" behaftet. Da Angaben fehlten für Berlin (1981 - 1984), Hessen
(1981 -
1987)
und Schleswig-Holstein (1981 - 1988), wurden für die folgende Auswertung die Daten über Einstellungen
aus Opportunitäts- bzw. Subsidiaritätsgründen vom Verf. auf der Grundlage der
Bevölkerungszahlen und entsprechend dem Durchschnittswert der anderen Länder
geschätzt und so Zahlen für das Bundesgebiet "hochgerechnet".
Grenzen der
Aussagemöglichkeiten ergeben sich des Weiteren daraus, dass sich die
veröffentlichten Daten der StVStat auf die alten Bundesländer einschliesslich
Berlin-West (seit 1995 einschliesslich Gesamtberlin) beschränken. Deshalb ist
eine auf diese veröffentlichten Daten gestützte Beschreibung der
Sanktionspraxis nur hinsichtlich der alten Bundesländer möglich.
Wegen der zu
unterschiedlichen Zeitpunkten erfolgenden Einbeziehung von Ost-Berlin in die
StA-Statistik (1993) und in die StVStat (1995) ist für diese Jahre eine
geringfügige Überschätzung der informellen Sanktionen unvermeidbar.
Trotz dieser
nicht unerheblichen Einschränkung der Aussagemöglichkeiten im Detail besitzen
die Rechtspflegestatistiken gegenüber Primärdatenerhebungen oder Aktenanalysen
den unbestreitbaren Vorteil, dass sie es erlauben, die langfristige Entwicklung
der Sanktionspraxis seit 1882 hinsichtlich aller Sanktionsarten (wenngleich
nicht immer nach deren Inhalt bzw. Mass) und in regionaler Differenzierung
zumindest in groben Zügen beschreiben zu können. Seit 1981 ist es ferner
möglich, auch die sog. "informellen Sanktionen" von
Staatsanwaltschaft und Gericht in ihren Grössenordnungen im zeitlichen Längsschnitt
und im regionalen Querschnitt zu beschreiben und zu analysieren.
Primärdatenerhebungen oder Aktenanalysen leiden demgegenüber unter dem regelmässig
nicht ausräumbaren Nachteil der zeitlichen oder lokalen Beschränkung, die
einer Verallgemeinerung der Befunde entgegenstehen.
Wegen
der regional begrenzten Verfügbarkeit der Ergebnisse insbesondere der StVStat beziehen sich die im Folgenden mitgeteilten
Ergebnisse bis 1960 auf die alten Bundesländer (ohne Saarland und
Berlin-West), ab 1961 auf die alten Bundesländer einschliesslich Berlin-West,
ab 1995 auf die alten Bundesländer einschliesslich Gesamtberlin. Länderspezifische
Auswertungen werden nur ausnahmsweise vorgenommen und dargestellt.
Kennzeichnend für die Strafzumessungspraxis der letzten 122 Jahre, die in
Deutschland (hinsichtlich der Bundesrepublik
Deutschland: alte Bundesländer, weil die Daten der StVStat
für einen Teil der neuen Länder noch fehlen) statistisch überblickt werden
können, ist - bezogen auf Verurteilte wegen Verbrechen
und Vergehen - die nachhaltige Zurückdrängung der unbedingt
verhängten freiheitsentziehenden Sanktionen (stationäre
Sanktionen) zugunsten ambulanter Sanktionen,
namentlich der Geldstrafe (Schaubild 3).
Schaubild 3: Entwicklung der Sanktionierungspraxis insgesamt (Zeitreihe)
1882, zu Beginn des statistisch überblickbaren Zeitraumes,
betrug der Anteil der unbedingt verhängten
freiheitsentziehenden Sanktionen 76,8%. Lediglich bei 22,2% der Verurteilten war auf Geldstrafe erkannt worden. Der
Anteil der auf Todesstrafe lautenden Urteile betrug
0,03%; in der Folgezeit schwankte dieser Anteil zwischen 0,01% und 0,05%
(1939) . Die sonstigen Sanktionen spiegeln die Sanktionierungspraxis
gegenüber jungen Menschen (bis 1923) bzw. im Jugendstrafrecht wider.
"Das mächtige Überwiegen der Freiheitsstrafe stand", wie Exner
(Studien über die Strafzumessungspraxis der deutschen Gerichte, Leipzig 1931,
S. 18) zutreffend bemerkte, "nicht nur auf dem Papier, es war lebendes
Recht. Sicher ist aber auch, dass sich von da ab das Verhältnis allmählich und
in erstaunlicher Gleichförmigkeit verschoben hat ...".
1950, dem ersten Jahr mit statistischen Ergebnissen für die
Bundesrepublik Deutschland, betrug der Anteil unbedingt
verhängter freiheitsentziehender Sanktionen noch 39,1%; 2003 entfielen
hierauf lediglich noch 8,9% aller Verurteilungen. Von sämtlichen
nach allgemeinem und nach Jugendstrafrecht Verurteilten
wurden 2003 68,9% zu einer Geldstrafe verurteilt. Weitere 13,4% wurden zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheits- oder
Jugendstrafe verurteilt, 8,9% nach Jugendstrafrecht zu ambulanten
Erziehungsmassregeln oder Zuchtmitteln. Das volle
Ausmass der Zurückdrängung stationärer zugunsten ambulanter
Sanktionen zeigt sich indes erst, wenn auch die Einstellungen gem.
§§ 153, 153a, 153b StPO, §§ 45, 47 JGG
berücksichtigt werden, die ja 1882 (jedenfalls in der Theorie) alle zur
Verurteilung führten. Denn dann dürften gegenwärtig (Stand: 2002) lediglich
noch 3,9% aller sanktionierbaren Personen zu einer unmittelbar mit Freiheitsentziehung
verbundenen Sanktion verurteilt worden sein.
Dem ultima ratio-Prinzip zur Vermeidung einer zu
vollstreckenden Freiheitsstrafe ist damit die Praxis in beachtlichem Masse
näher gekommen, beachtlich auch deshalb, weil in sämtlichen Straftatbeständen
des Besonderen Teils des StGB weiterhin Freiheitsstrafe -
zumindest neben Geldstrafe - angedroht ist. Die Praxis folgt also "der
Erkenntnis, dass unter generalpräventiven Gesichtspunkten weitgehend auf
vollstreckte Freiheitsstrafen verzichtet werden kann und dass diese unter
Resozialisierungsaspekten ungünstiger sind als alle anderen
Sanktionsalternativen" (Schöch, Empfehlen sich Änderungen und Ergänzungen
bei den strafrechtlichen Sanktionen ohne Freiheitsentzug? Gutachten C zum 59.
Deutschen Juristentag, München 1992, C 21 f.).
Die Entwicklung des Hauptstrafensystems des StGB
ist aber nicht nur gekennzeichnet durch die Zurückdrängung stationärer zugunsten ambulanter
Sanktionen, sondern auch durch den zunehmenden Gebrauch der Einstellungsmöglichkeiten
aufgrund von Opportunitätsvorschriften, also der deutschen Variante von Diversion in Form verfahrensrechtlicher Entkriminalisierung.
Was das Ausmass angeht, in dem von den
Diversionsvorschriften Gebrauch gemacht wird, fehlen im zeitlichen Längsschnitt
exakte Angaben. Verfügbar sind lediglich begründete, in den letzten Jahren
wegen Vervollständigung der Datenbasis indes zunehmend genauer werdende
Näherungswerte. Dass es sich um Näherungswerte handelt, beruht vor allem
darauf, dass zum einen sowohl die verfahrensbezogenen Daten der StA-Statstik (personenbezogene Daten liegen erst ab 1998
vor, ausgenommen Schleswig-Holstein, für das derzeit nur die
verfahrensbezogenen Daten aus 1997 vorliegen) als auch die der Justizstatistik
(bis 1988 einschliesslich) auf Personen "umzurechnen" waren (zum
Vergleich "umgerechneter" zu "echter" Personenzählung in
der StA-Statistik vgl. die Tabellen im Anhang), dass zum
zweiten die bis 1989 für einzelne Bundesländer fehlenden Angaben der StAStat wegen teilweise fehlender Länderergebnisse auf
die (alten) Bundesländer "hochgerechnet" werden mussten. Hinzu
kommt schliesslich, dass sich die Zahlen über staatsanwaltschaftliche
Erledigungen und gerichtliche Verurteilungen nicht auf dieselbe
Grundgesamtheit beziehen; die Erfassungszeiträume sind zeitlich versetzt.
Unter dieser Einschränkung lässt sich sagen, dass die Praxis
von StA und Gericht die Möglichkeiten, das Verfahren gegen
hinreichend tatverdächtige Beschuldigte unter den Voraussetzungen der
§§ 153, 153a, 153b StPO, §§ 45, 47 JGG
einzustellen, voll angenommen hat, freilich zu Lasten materiellrechtlicher
Instrumente, wie Absehen von Strafe (§ 60 StGB) oder
Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59 StGB), die
praktisch bedeutungslos geblieben sind. Den Anstieg der Zahl der sanktionierbaren Personen hat die Praxis durch den
vermehrten Gebrauch der Einstellungsmöglichkeiten aufgefangen; auf diese
Weise konnte die absolute Zahl der Verurteilten in etwa konstant gehalten
werden (Schaubild 4). Weniger als die
Hälfte aller sanktionierbaren Personen werden derzeit
auch verurteilt; der Anteil der nach allgemeinem oder nach Jugendstrafrecht Verurteilten an den sanktionierbaren
Personen ging von 63,7% (1981) auf 44,6% (2003; mit
Einstellungen gem. §§ 31a, 37, 38 BtMG 43,0%) zurück (Schaubild 5).
Träger dieser Diversionsentscheidungen ist vor allem die
Staatsanwaltschaft. Anfang der 80er Jahre wurden zwei Drittel (67,4%) aller
Diversionsentscheidungen durch die StA ausgesprochen;
dieser Anteil ist inzwischen auf 84,5% (unter
Einschluss auch der BtMG-Entscheidungen: 85,4%) gestiegen. Die
quantitative Bedeutung zeigt die Gegenüberstellung der absoluten Zahlen für
2003: Rd. 783.000 Personen , deren Verfahren durch die StA gem.
§§ 153, 153a, 153b StPO, § 45 JGG
stellt worden waren, standen rd. 887.000 Personen gegenüber, die entweder formell sanktioniert wurden (N=744.106) oder deren Verfahren durch das Gericht
gem. §§ 153, 153a, 153b StPO, § 47 JGG
(N=143.000) eingestellt
worden waren. In relativen Zahlen heisst dies, dass 2003 46,9% aller formell oder informell
Sanktionierten durch die StA sanktioniert worden waren.
Schaubild 4: Informell und formell Sanktionierte, abs. Zahlen (Zeitreihe)
Schaubild 5: Informell und formell Sanktionierte, in % der Sanktionierten (Zeitreihe)
Gegen diese Verschiebung von Sanktionskompetenz auf die StA werden in der Strafrechtswissenschaft rechtliche und kriminalpolitische
Bedenken erhoben. So sehen manche das Gewaltenteilungsprinzip und den
Grundsatz der Unschuldsvermutung als verletzt an. Kritik wird ferner an der Unbestimmtheit
der Einstellungsvoraussetzungen laut: Aufgabe des Gesetzgebers, nicht aber der
Exekutive, sei es, diese Voraussetzungen zu präzisieren. Durch die
Opportunitätsvorschriften werde ein "exekutivisches Recht"
geschaffen, ein durch Weisungen beeinflusstes Sonderstrafrecht, das flexibel
den Bedürfnissen der Strafrechtspflege, kriminalpolitischen Strömungen und
politischen Programmen angepasst werden könne. Befürchtet wird ferner, mittels
§§ 153 ff. StPO werde auch in Fällen sanktioniert, in
denen früher mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt worden sei
("Ausweitung des Netzes sozialer Kontrolle"). Zu den Bedenken gehört
schliesslich, durch § 153a StPO würden intellektuell
und finanziell höherstehende Beschuldigte bevorzugt
("Freikaufverfahren", "Reichenprivileg"), der "deal"
sei nicht mehr aufzuhalten. Die in empirischer Hinsicht vorgetragenen
Bedenken, insbesondere das einer Ausweitung des Netzes sozialer Kontrolle,
konnten durch die bisherigen Forschungen für den Rechtszustand und für die Sanktionierungspraxis
der Bundesrepublik Deutschland nicht bestätigt werden.
Im Jahr 2003 wurden in den alten Ländern (einschliesslich
Berlin-Ost) insgesamt 911.848 Personen abgeurteilt, d. h. ein Hauptverfahren
wurde rechtskräftig abgeschlossen, sei es durch Verurteilung, Einstellung,
Freispruch oder durch die selbständige Anordnung von Massregeln der Besserung
und Sicherung. Von den Abgeurteilten wurden 736.297 Personen (=80,7%) verurteilt
(vgl. Tabelle
1).
Die weit überwiegende Zahl der Aburteilungen (2003: 83,2%) erfolgte nach
allgemeinem Strafrecht. Wird differenziert zwischen den nach allgemeinem und
den nach Jugendstrafrecht Abgeurteilten, dann zeigen sich allerdings
erhebliche Unterschiede in den Verurteilungsraten. Im Unterschied zur im
Wesentlichen konstant gebliebenen Verurteiltenrate des allgemeinen Strafrechts
(1976: 84,8%; 2003: 83,7%) ist die entsprechende Rate im Jugendstrafrecht in den
letzten beiden Jahrzehnten von 76% auf 66% zurückgegangen.
Wie Tabelle 3
(Spalte 9) zeigt, beruhen diese Unterschiede ausschliesslich auf der Zunahme
der Einstellungen gem. § 47 JGG. Dies entspricht der Konzeption des Gesetzgebers,
der in § 47 JGG Möglichkeiten der erzieherisch motivierten, mit Auflagen
oder Weisungen verbundenen Verfahrenseinstellung geschaffen hat, die über
die Einstellungsmöglichkeiten des allgemeinen Strafverfahrensrechts weit
hinausreichen.
Die Freispruchsquote liegt sowohl bei Aburteilungen im allgemeinen als auch im
Jugendstrafrecht deutlich unter 5% (Tabelle 2, Sp. 10; Tabelle 3, Sp. 11).
Die Höhe der Nichtverurteilungsrate beruht dementsprechend vor allem auf der
Einstellung des Verfahrens, die vor allem im Jugendstrafrecht deutlich
zugenommen hat und dort das 2fache der Einstellungsrate im allgemeinen
Strafrecht beträgt. Die weiteren Gründe für eine Nicht-Verurteilung sind quantitativ
und bezogen auf alle Straftaten bedeutungslos.
Tabelle 1:
Abgeurteilte und Verurteilte nach allgemeinem und nach Jugendstrafrecht, 1976
bis 2003; alle Straftaten.
Früheres Bundesgebiet mit Berlin-West, seit 1994 einschl. Berlin-Ost.
Jahr |
Abgeurteilte insg. |
% nach allg. Strafrecht
Abgeurteilte an Abgeurteilten insg. |
% nach Jugendstrafrecht
Abgeurteilte an Abgeurteilten insg. |
Verurteilte insgesamt |
% Verurteilte an Abgeurteilten
insg. |
% nach allg. Strafrecht
Verurteilte an Abgeurteilten nach allg. Strafrecht insg. |
% nach Jugendstrafrecht
Verurteilte an Abgeurteilten nach Jugendstrafrecht insg. |
|
(1) |
(2) |
(3) |
(4) |
(5) |
(6) |
(7) |
1976 |
839.679 |
83,2 |
16,8 |
699.339 |
83,3 |
84,8 |
76,0 |
1977 |
882.855 |
82,3 |
17,7 |
722.966 |
81,9 |
83,6 |
73,9 |
1978 |
917.532 |
81,0 |
19,0 |
739.044 |
80,5 |
82,6 |
71,7 |
1979 |
906.232 |
79,8 |
20,2 |
718.779 |
79,3 |
81,8 |
69,5 |
1980 |
928.906 |
79,1 |
20,9 |
732.481 |
78,9 |
81,6 |
68,5 |
1981 |
952.091 |
78,1 |
21,9 |
747.463 |
78,5 |
81,5 |
67,9 |
1982 |
981.083 |
77,6 |
22,4 |
772.194 |
78,7 |
81,8 |
68,1 |
1983 |
998.208 |
77,8 |
22,2 |
784.657 |
78,6 |
81,9 |
67,1 |
1984 |
966.339 |
78,9 |
21,1 |
753.397 |
78,0 |
81,3 |
65,4 |
1985 |
924.912 |
80,2 |
19,8 |
719.924 |
77,8 |
81,0 |
65,1 |
1986 |
908.652 |
81,7 |
18,3 |
705.348 |
77,6 |
80,4 |
65,1 |
1987 |
890.666 |
82,9 |
17,1 |
691.394 |
77,6 |
80,1 |
65,5 |
1988 |
903.211 |
83,5 |
16,5 |
702.794 |
77,8 |
80,3 |
65,0 |
1989 |
888.089 |
85,1 |
14,9 |
693.499 |
78,1 |
80,6 |
64,0 |
1990 |
878.305 |
86,1 |
13,9 |
692.363 |
78,8 |
81,3 |
63,3 |
1991 |
869.195 |
86,8 |
13,2 |
695.118 |
80,0 |
82,5 |
63,4 |
1992 |
883.056 |
87,3 |
12,7 |
712.613 |
80,7 |
83,1 |
64,2 |
1993 |
931.051 |
87,8 |
12,2 |
760.792 |
81,7 |
84,2 |
63,7 |
1994 |
936.459 |
87,7 |
12,3 |
765.397 |
81,7 |
84,5 |
62,2 |
1995 |
937.385 |
86,7 |
13,3 |
759.989 |
81,1 |
84,0 |
61,7 |
1996 |
944.324 |
86,2 |
13,8 |
763.690 |
80,9 |
83,9 |
62,2 |
1997 |
960.334 |
85,6 |
14,4 |
780.530 |
81,3 |
84,3 |
63,3 |
1998 |
974.187 |
85,1 |
14,9 |
791.549 |
81,3 |
84,4 |
63,3 |
1999 |
940.683 |
84,6 |
15,4 |
759.661 |
80,8 |
83,7 |
64,5 |
2000 |
908.261 |
84,0 |
16,0 |
732.733 |
80,7 |
83,7 |
64,7 |
2001 |
890.099 |
83,6 |
16,4 |
718.702 |
80,7 |
83,6 |
66,2 |
2002 |
893.005 |
82,8 |
17,2 |
719.751 |
80,6 |
83,6 |
66,1 |
2003 |
911.848 |
83,2 |
16,8 |
736.297 |
80,7 |
83,7 |
66,3 |
Datenquelle: Statistisches
Bundesamt (Hrsg.): Rechtspflege. Fachserie 10. Reihe 3:
Strafverfolgungsstatistik 1976-2003.
Tabellen auch in der
PDF-Version: <http://www.uni-konstanz.de/rtf/kis/sanks03.pdf>
Tabelle 2: Nach allgemeinem Strafrecht Abgeurteilte nach Art der Entscheidung, 1976 bis 2003; alle Straftaten.
Alte Bundesländer mit Westberlin, seit 1995 mit
Gesamtberlin.
Jahr |
Abgeurteilte insg. |
Verurteilte insg. |
Nicht-Verurteilte insg. |
Selbständig auf Massregeln |
Neben Freispruch auf Massregeln |
von Strafe abgesehen |
Einstellung des Verfahrens ohne
Massregeln |
Freispruch ohne Massregeln |
||
|
N |
N |
in % von (1) |
(4) |
in % |
in % |
in % |
in % von (1) |
in % von (4) |
in % |
|
(1) |
(2) |
(3) |
(4) |
(5) |
(6) |
(7) |
(8) |
(9) |
(10) |
1976 |
698.703 |
592.154 |
84,8 |
106.549 |
0,03 |
0,02 |
0,13 |
10,6 |
69,5 |
4,5 |
1977 |
726.375 |
607.307 |
83,6 |
119.068 |
0,03 |
0,01 |
0,08 |
11,8 |
71,9 |
4,5 |
1978 |
743.542 |
614.252 |
82,6 |
129.290 |
0,03 |
0,01 |
0,06 |
12,8 |
73,8 |
4,4 |
1979 |
723.247 |
591.543 |
81,8 |
131.704 |
0,03 |
0,02 |
0,06 |
13,7 |
75,0 |
4,4 |
1980 |
735.170 |
599.832 |
81,6 |
135.338 |
0,03 |
0,01 |
0,06 |
14,0 |
75,8 |
4,4 |
1981 |
743.788 |
605.946 |
81,5 |
137.842 |
0,03 |
0,01 |
0,05 |
14,3 |
77,3 |
4,1 |
1982 |
761.078 |
622.434 |
81,8 |
138.644 |
0,03 |
0,01 |
0,04 |
14,2 |
78,1 |
3,9 |
1983 |
776.655 |
636.105 |
81,9 |
140.550 |
0,03 |
0,01 |
0,05 |
14,3 |
78,8 |
3,7 |
1984 |
762.100 |
619.800 |
81,3 |
142.300 |
0,03 |
0,02 |
0,04 |
14,9 |
79,5 |
3,7 |
1985 |
741.861 |
600.798 |
81,0 |
141.063 |
0,03 |
0,01 |
0,05 |
15,1 |
79,6 |
3,8 |
1986 |
742.193 |
597.028 |
80,4 |
145.165 |
0,03 |
0,01 |
0,06 |
15,7 |
80,2 |
3,8 |
1987 |
737.932 |
591.321 |
80,1 |
146.611 |
0,03 |
0,01 |
0,04 |
16,0 |
80,4 |
3,8 |
1988 |
754.560 |
606.103 |
80,3 |
148.457 |
0,03 |
0,01 |
0,04 |
15,9 |
80,8 |
3,7 |
1989 |
755.367 |
608.548 |
80,6 |
146.819 |
0,04 |
0,01 |
0,07 |
15,8 |
81,1 |
3,6 |
1990 |
756.285 |
615.089 |
81,3 |
141.196 |
0,04 |
0,01 |
0,07 |
15,2 |
81,7 |
3,3 |
1991 |
754.420 |
622.390 |
82,5 |
132.030 |
0,05 |
0,01 |
0,09 |
14,3 |
81,6 |
3,1 |
1992 |
771.107 |
640.774 |
83,1 |
130.333 |
0,05 |
0,01 |
0,07 |
13,8 |
81,7 |
3,0 |
1993 |
817.044 |
688.128 |
84,2 |
128.916 |
0,04 |
0,01 |
0,05 |
12,9 |
82,0 |
2,7 |
1994 |
820.841 |
693.432 |
84,5 |
127.409 |
0,05 |
0,01 |
0,04 |
12,8 |
82,2 |
2,7 |
1995 |
813.055 |
683.258 |
84,0 |
129.797 |
0,04 |
0,01 |
0,06 |
13,1 |
81,9 |
2,8 |
1996 |
814.344 |
682.844 |
83,9 |
131.500 |
0,05 |
0,01 |
0,05 |
13,2 |
81,9 |
2,8 |
1997 |
821.706 |
692.723 |
84,3 |
128.983 |
0,06 |
0,00 |
0,07 |
12,9 |
82,0 |
2,7 |
1998 |
828.913 |
699.548 |
84,4 |
129.365 |
0,06 |
0,00 |
0,09 |
12,8 |
81,9 |
2,7 |
1999 |
795.483 |
666.059 |
83,7 |
129.424 |
0,06 |
0,00 |
0,08 |
13,4 |
82,4 |
2,7 |
2000 |
763.307 |
638.893 |
83,7 |
124.414 |
0,07 |
0,00 |
0,05 |
13,5 |
82,7 |
2,7 |
2001 |
744.122 |
622.027 |
83,6 |
122.095 |
0,08 |
0,00 |
0,06 |
13,6 |
82,8 |
2,7 |
2002 |
739.555 |
618.269 |
83,6 |
121.286 |
0,08 |
0,01 |
0,04 |
13,7 |
83,3 |
2,6 |
2003 |
758.667 |
634.735 |
83,7 |
123.932 |
0,07 |
0,00 |
0,04 |
13,6 |
83,0 |
2,7 |
Datenquelle:
Statistisches
Bundesamt (Hrsg.): Rechtspflege. Fachserie 10. Reihe 3:
Strafverfolgungsstatistik 1976-2003.
Tabelle 3: Nach
Jugendstrafrecht Abgeurteilte nach Art der Entscheidung 1976 bis 2003; alle
Straftaten. Alte Bundesländer mit Westberlin, seit 1995 mit Gesamtberlin.
|
Abgeurteilte insg. |
Verurteilte insg. |
Nicht-Verurteilte insg. |
Selbständig auf Massregeln |
Überweisung an den Vormundschaftsrichter |
Einstellung des Verfahrens insg. |
|
Freispruch |
|||
|
(1) |
(2) |
(3) |
(4) |
(5) |
(6) |
(7) |
(8) |
(9) |
(10) |
(11) |
|
N |
N |
in % von (1) |
N |
in % von (1) |
in % von (1) |
in % von (1) |
in % von (4) |
in % von (1) |
in % von (4) |
in % von (1) |
1976 |
140.976 |
107.185 |
76,0 |
33.791 |
0,03 |
0,04 |
20,8 |
86,8 |
15,8 |
66,0 |
3,1 |
1977 |
156.480 |
115.659 |
73,9 |
40.821 |
0,03 |
0,02 |
23,1 |
88,5 |
18,1 |
69,3 |
2,9 |
1978 |
173.990 |
124.792 |
71,7 |
49.198 |
0,02 |
0,02 |
25,4 |
89,7 |
20,3 |
71,9 |
2,9 |
1979 |
182.985 |
127.236 |
69,5 |
55.749 |
0,02 |
0,02 |
27,7 |
90,9 |
22,8 |
74,8 |
2,7 |
1980 |
193.736 |
132.649 |
68,5 |
61.087 |
0,02 |
0,01 |
29,0 |
91,8 |
24,4 |
77,4 |
2,5 |
1981 |
208.303 |
141.517 |
67,9 |
66.786 |
0,02 |
0,01 |
29,5 |
92,0 |
25,1 |
78,2 |
2,5 |
1982 |
220.005 |
149.760 |
68,1 |
70.245 |
0,01 |
0,02 |
29,7 |
92,9 |
25,4 |
79,6 |
2,2 |
1983 |
221.553 |
148.552 |
67,1 |
73.001 |
0,02 |
0,02 |
30,7 |
93,3 |
26,5 |
80,4 |
2,2 |
1984 |
204.239 |
133.597 |
65,4 |
70.642 |
0,01 |
0,01 |
32,3 |
93,5 |
26,3 |
76,0 |
2,2 |
1985 |
183.051 |
119.126 |
65,1 |
63.925 |
0,01 |
0,02 |
32,6 |
93,4 |
27,1 |
77,6 |
2,3 |
1986 |
166.459 |
108.320 |
65,1 |
58.139 |
0,02 |
0,02 |
32,6 |
93,2 |
28,2 |
80,7 |
2,3 |
1987 |
152.734 |
100.073 |
65,5 |
52.661 |
0,02 |
0,01 |
32,1 |
93,0 |
27,5 |
79,9 |
2,4 |
1988 |
148.651 |
96.691 |
65,0 |
51.960 |
0,01 |
0,01 |
32,6 |
93,2 |
27,6 |
78,9 |
2,4 |
1989 |
132.722 |
84.951 |
64,0 |
47.771 |
0,02 |
0,01 |
33,5 |
93,2 |
28,2 |
78,2 |
2,4 |
1990 |
122.020 |
77.274 |
63,3 |
44.746 |
0,02 |
0,02 |
34,3 |
93,5 |
28,7 |
78,4 |
2,4 |
1991 |
114.775 |
72.728 |
63,4 |
42.047 |
0,03 |
0,02 |
34,2 |
93,3 |
28,8 |
78,6 |
2,4 |
1992 |
111.949 |
71.839 |
64,2 |
40.110 |
0,02 |
0,01 |
33,4 |
93,3 |
28,3 |
78,9 |
2,3 |
1993 |
114.007 |
72.664 |
63,7 |
41.343 |
0,02 |
0,01 |
33,8 |
93,2 |
28,2 |
77,9 |
2,4 |
1994 |
115.618 |
71.965 |
62,2 |
43.653 |
0,03 |
0,01 |
35,3 |
93,5 |
29,6 |
78,3 |
2,4 |
1995 |
124.330 |
76.731 |
61,7 |
47.599 |
0,02 |
0,01 |
35,6 |
93,0 |
30,7 |
80,2 |
2,7 |
1996 |
129.980 |
80.846 |
62,2 |
49.134 |
0,02 |
0,03 |
35,3 |
93,5 |
30,5 |
80,6 |
2,4 |
1997 |
138.628 |
87.807 |
63,3 |
50.821 |
0,03 |
0,01 |
34,1 |
93,1 |
29,3 |
79,8 |
2,5 |
1998 |
145.274 |
92.001 |
63,3 |
53.273 |
0,02 |
0,02 |
34,3 |
93,5 |
29,7 |
81,1 |
2,4 |
1999 |
145.200 |
93.602 |
64,5 |
51.598 |
0,02 |
0,02 |
33,1 |
93,1 |
28,6 |
80,4 |
2,4 |
2000 |
144.954 |
93.840 |
64,7 |
51.114 |
0,02 |
0,02 |
32,7 |
92,8 |
28,6 |
81,0 |
2,5 |
2001 |
145.977 |
96.675 |
66,2 |
49.302 |
0,03 |
0,01 |
31,3 |
92,5 |
27,2 |
80,6 |
2,5 |
2002 |
153.450 |
101.482 |
66,1 |
51.968 |
0,02 |
0,01 |
31,1 |
91,7 |
26,9 |
79,3 |
2,8 |
2003 |
153.181 |
101.562 |
66,3 |
51.619 |
0,02 |
0,02 |
30,8 |
91,4 |
26,4 |
78,3 |
2,9 |
Datenquelle: Statistisches
Bundesamt (Hrsg.): Rechtspflege. Fachserie 10. Reihe 3:
Strafverfolgungsstatistik 1976-2003.
Tabellen auch in der
PDF-Version: <http://www.uni-konstanz.de/rtf/kis/sanks03.pdf>
§§ 153, 153a, 153b StPO sind im allgemeinen Strafverfahrensrecht
die Mittel der verfahrensrechtlichen Entkriminalisierung, die sich dadurch
auszeichnet, dass nicht die Strafbarkeit, sondern lediglich der
Verfolgungszwang eingeschränkt ist. Die Verfahrenseinstellung dient nicht
nur den justizökonomischen Zielen der Verfahrensbeschleunigung und der
Justizentlastung, sondern sie ist in den Dienst der präventiven Aufgaben des
Strafrechts gestellt worden. Dem liegt die Einsicht zugrunde, dass "als
persönliche Abschreckung des Täters ... häufig bereits der Umstand genügt,
dass gegen ihn wegen einer Straftat ermittelt wurde" (Schäfer, Gerhard:
Praxis der Strafzumessung, 3. Aufl., München 2001, S. 3. Rdnr. 5). Während
von der Warte der Justiz aus bei der Einstellung gem. § 153a StPO von
einer einverständlichen Sanktionierung und bei Einstellung gem. § 153 StPO von "Sanktionsverzicht" gesprochen werden
kann, weil auf die Auferlegung eines weiteren Übels verzichtet wird, stellt
sich aus der Sicht des Beschuldigten (in sozialwissenschaftlicher
Betrachtung) die Problematik von "Sanktion durch Verfahren", weshalb
hier - aus sozialwissenschaftlicher Perspektive - Personen, deren Verfahren
gem. §§ 153, 153a, 153b StPO eingestellt worden sind,
als "informell Sanktionierte" bezeichnet werden.
Informelle Sanktionen sind nicht nur im Jugendstrafrecht,
sondern auch im allgemeinem Strafrecht quantitativ bedeutsam. Durch den
vermehrten Gebrauch der Einstellungsmöglichkeiten der §§ 153, 153a,
153b StPO ist es der Praxis gelungen, trotz des Anstiegs
der Zahl der sanktionierbaren Personen die Zahl der Verurteilten in etwa konstant zu halten (Schaubild 6).
Relativ gesehen heisst dies, dass der Anteil der formell Sanktionierten an allen (informell und formell)
Sanktionierten deutlich rückläufig ist. 1981 dürften noch 66% formell sanktioniert worden sein, 2003
lediglich noch 47,9% (Schaubild
7).
Schaubild 6: Nach Allgemeinem Strafrecht informell und formell Sanktionierte
Schaubild 7: Entwicklung der Sanktionspraxis im Allgemeinen Strafrecht
Die Zunahme der Opportunitätsentscheidungen beruht
weitestgehend auf den Einstellungen ohne Auflage gem. §§ 153, 153b StPO (Schaubild 6). Innerhalb der
Opportunitätsentscheidungen ging der Anteil der unter Auflagen eingestellten
Verfahren von 57% (1981) auf 39,4% (2003) zurück. Die
Einstellung unter Auflagen/Weisungen ist faktisch eine pekuniäre Denkzettelsanktion,
denn auf die Geldbussenauflage entfielen 2003 rund 85% aller Auflagen / Weisungen.
Träger der Opportunitätsentscheidung ist vor allem und in
wachsendem Masse die Staatsanwaltschaft. Von allen Einstellungsentscheidungen
wurden 2003 lediglich 14,7% durch das
Gericht getroffen.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner
Cannabis-Entscheidung von 1994 die Entscheidung des Gesetzgebers, den
Verfolgungszwang prozessual einzuschränken, verfassungsrechtlich nicht
beanstandet, vorausgesetzt, das "Prinzip der Gesetzlichkeit der
Strafbarkeit" und der "Grundsatz der Bestimmtheit der
Strafvorschrift" würden gewahrt (BVerfGE 90, 145
[191]). Deshalb wurden die Länder für verpflichtet erklärt, "für eine im
wesentlichen einheitliche Einstellungspraxis der Staatsanwaltschaften zu
sorgen" (BVerfGE 90, 145 [190]). Wie der
Zeitreihenvergleich zeigt, werden die zwischen den alten Ländern (der
Zeitreihenvergleich ist für die neuen Länder erst ab den 90er Jahren und auch
dann nur teilweise möglich) bestehenden Unterschiede im Gebrauch der
Einstellungsmöglichkeiten jedoch nicht geringer, sondern sogar deutlich grösser
(Schaubild 8). Die Spannweite der Diversionsraten betrug 1981 11%, 2003 hingegen
16,9%. Die Bandbreite der Diversionsrate reichte
2003 (ohne Schleswig-Holstein) von 42,4% (Bayern) bis 59,3% (Nordrhein-Westfalen),
d.h. von 100 nach allgemeinem Strafrecht sanktionierbaren
Personen wurde in Bayern bei 42 das Verfahren eingestellt, 58 wurden
verurteilt, in Nordrhein-Westfalen erfolgte hingegen bei 59 Personen eine
Einstellung, lediglich 41 wurden verurteilt.
Schaubild 8: Diversionsraten (StA und Gerichte) im Allg. Strafrecht (Zeitreihe)
Zwischen den Ländern bestehen Unterschiede nicht nur
hinsichtlich des "Ob", sondern auch hinsichtlich des "Wie"
der Einstellung (Schaubild 9). In Bayern wird relativ selten
eingestellt (2003: 42,4%) und, wenn eingestellt wird, dann überwiegend unter
Auflagen/Weisungen (2003: 25,2% mit, 17,2% ohne Auflagen). Den Gegensatz bilden
das Saarland, Hamburg und Nordrhein-Westfalen, wo sehr viel mehr als in Bayern
eingestellt wird, und dies zumeist ohne Auflagen/Weisungen (Saarland: 2003:
14,1% mit, 43,0% ohne Auflagen; Hamburg: 14,1%; 41,9%; Nordrhein-Westfalen:
20,4%; 40,7%). Die Wahrscheinlichkeit, dass das Strafverfahren folgenlos eingestellt
wird, war deshalb im Saarland oder in Hamburg 2,5mal so hoch wie in Bayern.
Schaubild 9: Diversionsraten (StA und Gerichte) in Verf. nach Allg. Strafrecht, nach Ländern, 2003
Ob deshalb die Einstellungspraxis der StA
als "im wesentlichen uneinheitlich" anzusehen ist, kann aufgrund der
für die StA-Statistik erhobenen Daten nur ungefähr und
nicht hinreichend differenziert festgestellt werden. Die Unterschiede können
durch eine unterschiedliche Tat- oder Täterstruktur beeinflusst sein; hierüber
enthält die StA-Statistik keine Angaben.
Ihren Bedeutungsgewinn verdankt die Geldstrafe vor allem den
Geldstrafengesetzen von 1924 sowie dem 1. StRG von 1969, durch das die kurze
Freiheitsstrafe zugunsten der Geldstrafe weiter zurückgedrängt wurde (§ 47
StGB).
Geldstrafe ist inzwischen die Hauptstrafe der Gegenwart.
Seit der Strafrechtsreform von 1969 wurden bis 2001 jährlich mehr als 80% der
Verurteilten
lediglich noch zu Geldstrafe verurteilt; von den 2003 nach allgemeinem
Strafrecht Verurteilten (=634.735) waren es 507.086 (79,9%) (Schaubild 10). Beachtlich ist, dass die Geldstrafe
seit 1970 diesen hohen Anteil von (zumeist) über 80% halten konnte, und zwar
trotz der in den letzten Jahrzehnten erfolgten deutlichen Zunahme der Diversionsentscheidungen.
Vor allem bei den Strassenverkehrsdelikten, bei leichteren und
mittelschweren Delikten der klassischen Kriminalität, bei Umweltstraftaten und
bei Verstössen gegen das Ausländergesetz wird Geldstrafe verhängt.
Schaubild 10: Entwicklung der Sanktionspraxis im Allg. Strafrecht (Zeitreihe)
Die volle quantitative Bedeutung pekuniärer Sanktionen im
allgemeinen Strafrecht wird freilich erst dann deutlich, wenn berücksichtigt
wird, dass 2003 zu den über 507.000 Verurteilungen zu Geldstrafen noch die rd.
226.000 unter
der Auflage der Zahlung eines Geldbetrages gem. § 153a Abs. 1 Nr. 2 StPO erfolgenden Einstellungen von Strafverfahren durch
Staatsanwaltschaft und Gericht hinzukommen, ferner die bei Strafaussetzung nach allgemeinem Strafrecht
verhängten 58.144 Bewährungsauflagen, die
regelmässig ebenfalls die Zahlung eines Geldbetrages beinhalten. Noch
deutlicher würde die dominierende Rolle pekuniärer Sanktionen werden, würden
auch die in Ordnungswidrigkeitenverfahren verhängten Geldbussen berücksichtigt.
Die Gesamtzahl der Geldbussen wird als rd. fünfmal so hoch geschätzt wie die
Zahl der Geldstrafen (vgl. Jescheck, Die Geldstrafe als Mittel moderner
Kriminalpolitik in rechtsvergleichender Sicht, in: Festschrift für
Würtenberger, Berlin 1977, S. 259).
Trotz dieser Dominanz der Geldstrafe werden die mit ihr
gegebenen Möglichkeiten zur Zurückdrängung der kurzen Freiheitsstrafe
(§ 47 StGB) nicht vollständig ausgeschöpft. Zwar hat
die Praxis ihre anfängliche äusserste Zurückhaltung gegenüber 30 Tage
übersteigenden Tagessätzen etwas aufgegeben (Schaubild 11), aber immer noch verzichtet sie
weitestgehend darauf, die Geldstrafe im oberen Bereich der kurzen (!)
Freiheitsstrafe einzusetzen, also zwischen 3 und 6 Monaten. Obwohl als
Regelstrafrahmen bei Geldstrafe 5 bis 360 Tagessätze (§ 40 Abs. 1 StGB) zur Verfügung stehen, überstieg die Mehrzahl aller
Geldstrafen (1976: 78,2%, 2003: 50,6%) noch nicht
einmal 30 Tagessätze, war also überhaupt keine Konkurrenz zur Freiheitsstrafe
(Mindeststrafe: 1 Monat - § 38 Abs. 2 StGB). 2003
lagen lediglich 44,0% der Geldstrafen im Bereich zwischen 31 und 90
Tagessätzen. 94,5% aller Geldstrafen blieben 2003 folglich im unteren Viertel
des Strafrahmens; auf mehr als 180 Tagessätze entfielen lediglich 0,5% aller
Geldstrafen. Geldstrafen von mehr als 90 Tagessätzen konzentrieren sich auf
schwere Formen von Eigentums- und Körperverletzungsdelikten.
Schaubild 11: Geldstrafe nach der Zahl der Tagessätze (Zeitreihe)
Unzureichend ausgeschöpft werden aber nicht nur die
Möglichkeiten hinsichtlich der Zahl der Tagessätze, sondern auch hinsichtlich
der oberen wie der unteren Höhe der Tagessätze. Zwar wurde auch hier die
anfängliche Zurückhaltung gegenüber Tagessätzen von mehr als 25 € (1976: 4,9%)
etwas aufgegeben (2003: 26,2%) (Schaubild
12). Die Zunahme beschränkt sich indes weitestgehend auf die Kategorie
der Geldstrafen von 25 bis unter 50 € (1976: 4,6%; 2003: 24,3%). Immer noch werden lediglich 1,9% der zu Geldstrafe Verurteilten
zu Tagessätzen von mehr als 51 € verurteilt. Ein monatliches Nettoeinkommen
(§ 40 Abs. 2 StGB) von mehr als 1500 € dürfte aber bei
mehr als 1,9% der Verurteilten anzunehmen sein,
insbesondere bei solchen der Verkehrs- oder Wirtschaftskriminalität. Das
eigentliche Kernproblem der Geldstrafe ist indes die Bemessung der
Tagessatzhöhe bei wirtschaftlich schwachen Personen, bei denen regelmässig nur
der Mindestsatz von 2 DM (1 €) in Betracht kommen kann. Der Anteil der
Entscheidungen mit einer Tagessatzhöhe bis 5 € schwankte seit 1976 zwischen
6,8% (1980) und 14,5% (1993), 2003 betrug er 7,4%. Dieser Anteil
müsste höher sein, weil anzunehmen ist, dass etwa ein Drittel der zu Geldstrafe
Verurteilten nur über ein Einkommen im
Sozialhilfebereich verfügt (vgl. Villmow, Kurze Freiheitsstrafe,
Ersatzfreiheitsstrafe und gemeinnützige Arbeit, in: Festschrift für Kaiser,
Berlin 1998, S. 1301 m.w.N.).
Schaubild 12: Geldstrafe nach der Höhe der Tagessätze (Zeitreihe)
Druckmittel für die Zahlung der Geldstrafe war und ist die
ersatzweise zu verbüssende Ersatzfreiheitsstrafe (§ 43 StGB).
Der Anteil der Ersatzfreiheitsstrafe verbüssenden Geldstrafenschuldner ist,
auch wenn die Daten der Strafvollzugsstatistik wegen der Stichtagszählung
insgesamt nur beschränkt aussagekräftig sind, gegenüber den 70er Jahren
gestiegen, obwohl die Gerichte "ratenzahlungsfreundlich" sind und,
empirischen Untersuchungen zufolge, fast ein Drittel der Geldstrafen in Raten
bezahlt wird. Gemessen an den Zugangszahlen der westdeutschen Vollzugsanstalten
dürften in den 70er und 80er Jahren zwischen 5% und 6% der jährlich zu
Geldstrafe Verurteilten zumindest einen Teil der
Geldstrafe in Form der Ersatzfreiheitsstrafe verbüsst haben, seit 1994 sind es
mehr als 7%, seit 1996 sogar mehr als 8%, 1998 wurde erstmals die 9%-Marke
erreicht; 1999 belief sich der Anteil - alte Länder - auf 9,5% (2002: 9,3%).
Neuere Ergebnisse sind nicht mehr ermittelbar, weil infolge der Umstellung der
StVollzStat die Zugänge wegen Ersatzfreiheitsstrafe ab 2003 nicht mehr erfasst
werden. Die Gründe für diesen Anstieg dürften vornehmlich in einer
sich verschlechternden wirtschaftlichen Lage als Folge von Arbeitslosigkeit
zu suchen sein. Im Ergebnis gelangen deshalb wohl immer mehr sozial Schwache
und/oder Randständige in den Vollzug.
Um
bei verstärkter Anwendung der Ersatzfreiheitsstrafe das Reformziel der
Zurückdrängung der kurzen Freiheitsstrafe nicht zu gefährden, wurde den Verurteilten ermöglicht, die Vollstreckung der
Ersatzfreiheitsstrafe durch "freie Arbeit" abzuwenden (Art. 293 EGStGB); diese Einrichtung ist inzwischen auch in den neuen
Bundesländern eingeführt worden. Die Reichweite dieses Instituts der
"freien" bzw. "gemeinnützigen Arbeit" ist jedoch, entgegen
den Erwartungen des Gesetzgebers, sehr begrenzt. Eine 1987/88 durchgeführte
Untersuchung einer Stichprobe von fast 8.000 Verfahren mit "uneinbringlichen"
Geldstrafen, d.h. solchen, bei denen Vollstreckungsmassnahmen eingeleitet
worden waren, kam zum Ergebnis, dass nur in 5,8% der sog. Uneinbringlichkeitsfälle
eine Erledigung durch gemeinnützige Arbeit stattfand; die Ersatzfreiheitsstrafe
kam mit 11,5% deutlich häufiger vor als die gemeinnützige Arbeit (Feuerhelm,
Gemeinnützige Arbeit als Alternative in der Geldstrafenvollstreckung, Wiesbaden
1991, S. 70). Freilich dürfte dieses Ergebnis auch darauf beruhen, dass die
Möglichkeiten der gemeinnützigen Arbeit noch nicht voll ausgereizt sind. Dort
wo Sozialarbeiter als Gerichtshelfer oder Straffälligenhilfevereine mit der
Vermittlung und Betreuung der Betroffenen betraut waren, zeigten sich deutlich
bessere Ergebnisse (Feuerhelm aaO., S. 259). Dass mit der Optimierung der
Organisation der Vermittlung gemeinnütziger Arbeit und der Intensivierung ihrer
Betreuung in erheblichem Ausmass die Vollstreckung von (Ersatz-)Freiheitsstrafen
vermieden werden kann, zeigen insbesondere die Ergebnisse des Projekts „Ausweg“
in Mecklenburg-Vorpommern (vgl. Dünkel, Frieder; Scheel, Jens; Grosser, Rudolf:
Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen durch gemeinnützige Arbeit. Bewährungshilfe
2002, S. 56–72). Die Untersuchung belegt auch, dass selbst besonders
problembelastete Geldstrafenschuldner bei geeigneter Auswahl ihrer
Einsatzstellen und besonderer Betreuung zur Tilgung ihrer Strafe durch
gemeinnützige Arbeit in der Lage sind.
Der hohe Anteil von Zahlungen (immerhin 82,7%), der in
dieser Untersuchung festgestellt wurde, deutet im Übrigen darauf hin, welch
hohes Mass an Druck von der Androhung der Vollstreckung der
Ersatzfreiheitsstrafe ausgeht. Seit dem EGStGB 1974 ist es
dem Gericht möglich, den Aufschub der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe
anzuordnen, wenn die Vollstreckung ein "unbillige Härte" wäre
(§ 459f StPO). Diese Härteklausel erwies sich indes in
den Uneinbringlichkeitsfällen als "ohne Bedeutung" (Feuerhelm aaO.,
S. 70). In der rechtspolitischen Diskussion wird deshalb teilweise empfohlen,
de lege ferenda die Möglichkeit der Aussetzung der Ersatzfreiheitsstrafe zur
Bewährung vorzusehen (vgl. Dölling, Dieter: Die Weiterentwicklung der
Sanktionen ohne Freiheitsentzug im deutschen Strafrecht, Zeitschrift für die
gesamte Strafrechtswissenschaft 104, 1992, S. 276).
Wie
der Anstieg der absoluten und relativen Zahlen der Ersatzfreiheitsstrafe
Verbüssenden zeigt, greifen die Alternativen zum Ersatzfreiheitsstrafenvollzug
nicht in dem erwarteten und erwünschten Masse. Deshalb wird seit geraumer Zeit
über Modifikationen der Ersatzfreiheitsstrafe nachgedacht. Angesichts der
Überbelegung von Justizvollzugsanstalten sind verschiedene Länder bereits dazu
übergegangen, den üblichen Umrechnungsmassstab von sechs Arbeitsstunden für
einen Tag Ersatzfreiheitsstrafe, der wiederum einem Tagessatz Geldstrafe
entspricht (§ 43 Satz 2 StGB), durch einen grosszügigeren Umrechnungsmassstab
zu ersetzen. Andere Länder haben eine vollzugliche Lösung gewählt und sind dazu
übergegangen, auf der Basis des § 455a StPO nach
Verbüssung der Hälfte der Ersatzfreiheitsstrafe den Vollzug zu unterbrechen und
bei Bewährung des Verurteilten den Strafrest im Wege von Gnadenregelungen zu
erlassen. In Baden-Württemberg wurde z.B. durch AV d. JuM vom 3.3.1998 (Die
Justiz, S. 144) der bisherige Umrechnungsschlüssel von 6 Stunden gemeinnütziger
Arbeit pro Tagessatz auf vier Stunden geändert, ferner wird die Vollstreckung
nach Verbüssung der Hälfte der Ersatzfreiheitsstrafe gem. § 455a StPO für ein Jahr unterbrochen, bei Bewährung wird die
Reststrafe gnadenweise erlassen. Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf
eines Gesetzes zur Reform des Sanktionenrechts (BT-Drs.
15/2725) sieht in § 43 StGB (neu) u.a. eine Neuregelung der bei
Uneinbringlichkeit der Geldstrafe zu vollstreckenden Ersatzstrafen vor. Die
primäre Ersatzsanktion soll nunmehr die Leistung gemeinnütziger Arbeit sein.
Einem Tagessatz sollen künftig drei Stunden gemeinnütziger Arbeit entsprechen.
Wird die gemeinnützige Arbeit nicht erbracht, so tritt Freiheitsstrafe an die
Stelle der uneinbringlichen Geldstrafe. Im Unterschied zum geltenden Recht
sollen künftig zwei Tagessätze einem Tag Ersatzfreiheitsstrafe entsprechen.
Hierdurch soll die Attraktivität der Leistung gemeinnütziger Arbeit erhöht und
auf die begrenzten Kapazitäten an Einsatzstellen Rücksicht genommen werden.
Die Sanktionierungspraxis hinsichtlich der verhängten kurzen
Freiheitsstrafen zu beobachten ist wegen des Wechsels der Kategorien, in denen
die Dauer ausgewiesen wird, erst für die Zeit ab 1970 möglich; erst seitdem
wird die Kategorie "bis unter 6 Monate" ausgewiesen. Zwischen 1967
und 1969 standen nur Angaben über Strafen "bis einschliesslich 6
Monate" zur Verfügung. Für die Zeit davor waren Zuchthaus- bzw.
Gefängnisstrafen nur entweder mit einer Dauer bis 3 Monate oder bis 9 Monate
einschliesslich ausgewiesen, die 6-Monats-Grenze war statistisch nicht erfasst
worden.
Die Umsetzung der Strafrechtsreform hinsichtlich der
Zurückdrängung der kurzen Freiheitsstrafe (bis unter 6 Monate) lässt sich
deshalb nur annähernd anhand des Vergleichs der Anteile der Freiheitsstrafen
mit einer Dauer bis 6 Monate einschliesslich (bis unter 6 Monate, 6 Monate
genau) bestimmen. 1967, vor der Strafrechtsreform, lautete noch jedes dritte
Urteil auf eine freiheitsentziehende Sanktion
bis sechs Monate einschliesslich, 2003 dagegen nur noch jedes zehnte (10,2%) . Dieser erhebliche Rückgang zugunsten der Geldstrafe ist
der bleibende Erfolg der Strafrechtsreform 1969.
Dennoch: Zur erstrebten "Ausnahme" ist die kurze
Freiheitsstrafe nicht geworden. Denn 2003 waren 36,5% aller
verhängten Freiheitsstrafen kürzer als 6 Monate (Schaubild 13). Es ist eine Frage der
Bewertung, ob damit bereits das Ziel des Reformgesetzgebers von 1969 erreicht
ist, kurze Freiheitsstrafen zur "ultima ratio" werden zu lassen. Die
Geldstrafe bildet aus Sicht der Praxis, wie ihre weitgehende Nicht-Anwendung im
Bereich zwischen 91 und 180 Tagessätzen zeigt (2003: 5,0% aller Geldstrafen) , lediglich im
unteren Bereich eine Alternative zur kurzen Freiheitsstrafe.
Ebenfalls nicht zur Ausnahme geworden sind die unbedingt verhängten, d.h. nicht zur Bewährung
ausgesetzten, kurzen Freiheitsstrafen (Schaubild 14). Zwar wurden sie auf ein Zehntel ihres
Umfanges von 1968 zurückgedrängt, aber immer noch sind (2003) 28,4% aller nicht
ausgesetzten Freiheitsstrafen kürzer als 6 Monate. Nicht zur Bewährung
ausgesetzte kurze Freiheitsstrafen zählen demnach auch weiterhin zu den von
den Gerichten nicht nur ausnahmsweise verhängten freiheitsentziehenden
Sanktionen.
Schon gar nicht sind vollstreckte kurze Freiheitsstrafen zur
Ausnahme geworden. Ziel der Strafrechtsreform war es ja, aufgrund der Einsicht
in die Resozialisierungsfeindlichkeit kurzer Freiheitsstrafen nicht nur deren
Verhängung, sondern vor allem deren Vollstreckung einzuschränken. Dies ist nur
zum Teil gelungen, weil sich infolge unbeabsichtigter Nebenfolgen bei der
Vollstreckung anderer Sanktionen die Zahl von zu vollstreckenden kurzen
Freiheitsstrafen deutlich erhöht hat. Derartige Nebenfolgen sind eingetreten
durch
·
Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen (§ 43 StGB),
·
Widerruf einer zur Bewährung ausgesetzten kurzen
Freiheitsstrafe (§ 56f StGB),
·
bedingte Entlassung (§ 57 StGB) und
·
Anrechnung von Untersuchungshaft auf die zu vollstreckende
Freiheitsstrafe (§ 51 StGB).
Nach einer begründeten Schätzung
dürften 1967/1968 rd. 137.700 Strafgefangene mit einer realen Vollzugsdauer
von unter sechs Monaten inhaftiert gewesen sein, 1981/1982 dagegen immerhin
noch 66.400 (Heinz, Strafrechtliche Sozialkontrolle - Beständigkeit im Wandel?
Bewährungshilfe 31, 1984, S. 32), d.h. ein Mehrfaches der gut 10.000 Personen,
die derzeit (2003: 11.206) $(Quelle: SankA75.xls, vA121) jährlich zu einer
unbedingten kurzen Freiheitsstrafe verurteilt werden.
Die Zurückdrängung der kurzen Freiheitsstrafe beruhte auf
der Einsicht in die Resozialisierungsfeindlichkeit dieser Strafart. Daraus
konnte und sollte aber nicht abgeleitet werden, der Gesetzgeber messe den
mittel- und langfristigen Freiheitsstrafen besondere, die Resozialisierung
begünstigende Wirkungen bei. Erwartbar war vielmehr, dass die "Krise
präventiven Strafdenkens" (Jescheck, Die Krise der Kriminalpolitik,
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 91, 1979, S. 1037 ff.)
hinsichtlich stationärer Sanktionen auch die
Sanktionierungspraxis bei den anderen Freiheitsstrafen beeinflussen würde.
Diese Erwartungen wurden enttäuscht. Bezogen auf die nach allgemeinem
Strafrecht Verurteilten werden heute sogar mehr
mittel- und langfristige Freiheitsstrafen verhängt als noch zu Beginn der 70er
Jahre. Der Ausbau der Strafaussetzung zur Bewährung
im Bereich bis zu 2 Jahren Freiheitsstrafe hat im Ergebnis lediglich dazu
geführt, dass insgesamt nicht mehr unbedingte Freiheitsstrafen verhängt werden.
Der Anteil der bereits im Urteil zur Vollstreckung angeordneten Freiheitsstrafen
ist heute - nach dem 1990 erreichten niedrigsten Stand von 1,8% - wieder
grösser als vor der Strafrechtsreform: 1960 wurden 2,1% der Verurteilten zu einer nicht ausgesetzten
Freiheitsstrafe von mehr als 1 Jahr verurteilt, 2003 waren es 2,5%.
Allerdings bleibt bei einer solchen Betrachtungsweise
unberücksichtigt, dass wegen des hohen und zunehmenden Anteils der aus
Opportunitätsgründen eingestellten Verfahren, empirisch gesehen, die
"leichteren" Fälle nicht mehr zur Verurteilung gelangen, weshalb
sich unter den Verurteilungen der relative Anteil der "schweren",
eher mit Freiheitsstrafe zu sanktionierenden Fälle deutlich erhöht. Die deshalb
an sich erforderliche Bezugnahme auf die "sanktionierbaren
Personen", d.h. die Personen, die entweder verurteilt worden sind
oder bei denen das Verfahren gem. §§ 153, 153a, 153b StPO
eingestellt worden ist, ist jedoch erst seit Führung der StA-Statistik
möglich. Hierbei zeigt sich, dass der Anteil der insgesamt verhängten
Freiheitsstrafen bis 1993 leicht zurückgegangen ist (1981: 11,7%, 1993: 8,6%),
seitdem steigen die Raten wieder leicht an (2003: 9,5%) . Der Rückgang bis 1993 beruht auf einer deutlichen Abnahme
des Anteils der Freiheitsstrafen bis 12 Monate. Der Anteil der Freiheitsstrafen
von mehr als 12 Monaten ist bis Ende der 80er Jahre konstant geblieben, seitdem
erfolgt ein leichter Anstieg (Schaubild 15). Die Umstellung von der
"umgerechneten" auf die "echte" Personenzählung in der
StA-Statistik hat insoweit keine nennenswerten Auswirkungen (vgl. Tabelle A4 im Anhang).
Noch vor Jahren wäre dieser Befund
positiv aufgenommen worden. Inzwischen ist die Freiheitsstrafe jedoch aus
mehreren Richtungen unter verstärkten Legitimationsdruck geraten. Hierzu zählt
vor allem der Stand der Forschung zur spezial- und generalpräventiven Effizienz
von Sanktionen, der zugespitzt in der These von der "Austauschbarkeit und
Alternativität" (vgl. hierzu zuletzt und eingehend Kerner, Erfolgsbeurteilung
nach Strafvollzug, in: Kerner/Dolde/Mey [Hrsg.]: Jugendstrafvollzug und
Bewährung, Bonn 1996, 3 ff.) der Sanktionen zum Ausdruck kommt. Danach ist im
Grundsatz davon auszugehen, dass unterschiedliche Sanktionen keine
differenzierende Wirkung auf die Legalbewährung haben, dass die Sanktionen
vielmehr weitestgehend austauschbar sind. Als Ergebnis seiner Auswertung der
europäischen Rückfalluntersuchungen hat Kerner jüngst zusammengefasst:
"Immerhin reicht die Mehrheit der internationalen Befunde für die Schlussfolgerung,
dass im Bereich der grossen Zahl verschiedene Sanktionen ähnliche Effekte nach
sich ziehen, wenn man sie gegen zumindest angenähert vergleichbare Gruppen von
Personen einsetzt, die wegen Straftaten verfolgt werden. Dieses Phänomen der
spezialpräventiven Austauschbarkeit von Sanktionen ... wird unterstützt von
der Einsicht, dass auch generalpräventiv nicht schon von der Rücknahme schwerer
Sanktionen als solcher ein Verlust an Innerer Sicherheit befürchtet werden muss
... Die Devise 'im Zweifel weniger' hat also immerhin viel empirische Evidenz
für sich. Daraus folgt schon heute für eine Kriminalpolitik und generalisierte
Sanktionspraxis, die dem Anspruch auf Rationalität (jedenfalls mit) genügen
wollen, die Pflicht zur offenen Begründung (etwa Schuld, Sühne, Gerechtigkeit),
wenn man auf bestimmte Delikte oder Tätergruppen stärker als mit der spezialpräventiv
geeigneten Mindestreaktion reagieren will. In der Einzelfallbehandlung käme es
auf die genaue Abwägung der Kriterien und eine Begründung dahingehend an,
warum ein intensiverer Zugriff entweder unvermeidlich ist oder sogar gerade
doch präventiv aussichtsreich erscheint" (Kerner aaO., S. 89). Deshalb
wird gegenwärtig die Freiheitsstrafe kriminalpolitisch toleriert "nur noch
faute de mieux für die Fälle, in denen (noch) keine anderen geeigneten Sanktionen
zur Verfügung stehen. Die Eingriffsschwere der Freiheitsstrafe, verbunden mit
ihrer mangelnden rückfallprophylaktischen Effizienz, zwingt geradezu zur
kontinuierlichen Suche nach Möglichkeiten zu ihrer Ersetzung durch andere
Mittel, die den sozialen Zwecken der Strafe besser dienen können" (Weigend,
Sanktionen ohne Freiheitsentzug, Goltdammer's Archiv für Strafrecht 1992,
349). Dieser Legitimationsdruck schlägt auch auf die Praxis durch, von der die
Beachtung einer "Beweislastumkehr" angemahnt wird, die sich aus dem
Verhältnismässigkeitsgrundsatz ergibt. Das Verfassungsprinzip der
Verhältnismässigkeit besagt nämlich, "dass eine Massnahme unter Würdigung
aller persönlichen und tatsächlichen Umstände des Einzelfalles zur Erreichung
des angestrebten Zwecks geeignet und erforderlich sein muss, das heisst, dass
das Ziel nicht auf eine andere, den einzelnen weniger belastende Weise ebenso
gut erreicht werden kann, und dass der mit der Massnahme verbundene Eingriff
nicht ausser Verhältnis zur Bedeutung der Sache und zur Stärke des bestehenden
Tatverdachts stehen darf" (Hill, Verfassungsrechtliche Gewährleistungen
gegenüber der staatlichen Strafgewalt, in: Isensee/Kirchhof [Hrsg.]: Handbuch
des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VI: Freiheitsrechte,
Heidelberg 1989, Rdnr. 22). Unter der Geltung des
Verhältnismässigkeitsgrundsatzes ist danach im Urteil zu begründen, weshalb im
Einzelfall - in spezialpräventiver Betrachtung - Anhaltspunkte dafür bestehen,
dass durch eine in die Freiheit des Verurteilten
intensiver eingreifende Sanktion die Rückfallwahrscheinlichkeit günstiger
beeinflusst werden kann als durch eine eingriffsschwächere Sanktion. Ferner
werfen kriminologische Befunde, wonach ein erheblicher Teil der
Gefangenenpopulation eine Freiheitsstrafe verbüsst, obwohl das Gericht eine
Verbüssung nicht intendierte, die Frage nach geeigneteren Alternativen auf, die
den Urteilsspruch besser zu verwirklichen erlauben. Zu denken ist hierbei
insbesondere an Fälle der uneinbringlichen Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe)
oder wenn die aus sozialpädagogischen Gründen erwünschte Massnahme -
Unterstellung unter einen Bewährungshelfer - im gegenwärtigen
Sanktionensystem des allgemeinen Strafrechts nur bei Verhängung einer
Freiheitsstrafe erreichbar ist, die (im Nicht-Bewährungsfall) den
unerwünschten und kontraproduktiven Effekt der Freiheitsstrafenverbüssung
nach sich zieht.
Strafaussetzung zur Bewährung
ist in dem spezialpräventiven Konzept des Gesetzgebers der Strafrechtsreform
von 1969 nicht mehr die ausnahmsweise zu gewährende, besonders zu
rechtfertigende Vollstreckungsmodifikation, sondern hat sich - als
Regelfall bei verhängter Freiheitsstrafe - zu einer "besonderen
'ambulanten' Behandlungsart" (BGHSt 24, 40 [43]) fortentwickelt.
Dieses Konzept hat die Praxis voll umgesetzt. Der Anteil der Strafaussetzungen gem. § 56 StGB
an den Freiheitsstrafen hat sich in den letzten 40 Jahren mehr als verdoppelt (Aussetzungsrate - bezogen auf insgesamt verhängte
Freiheitsstrafen - 1954: 30,2%; 2003: 69,0%)
.
Derzeit werden drei Viertel (2003: 78,8%) der
aussetzungsfähigen Strafen, also der Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren, zur
Bewährung ausgesetzt.
Schaubild 16: Aussetzungsraten bei den nach Allg. Strafrecht verhängten Freiheitsstrafen (Zeitreihe)
Die Aussetzungsrate (bezogen auf die jeweils
aussetzungsfähigen Freiheitsstrafen) ist zwar umso höher, je kürzer die
Freiheitsstrafe ist, aber auch bei Freiheitsstrafen zwischen einem Jahr und
zwei Jahren ist - jedenfalls seit der zweiten Hälfte der 80er Jahre - die
Aussetzung die Regel (2003: 68,8%) und nicht mehr die
Ausnahme (Schaubild 16). Von daher stellt sich
die Frage nach der Erweiterung des Anwendungsbereichs der Strafaussetzung zur
Bewährung auf Strafen von mehr als zwei Jahren.
Flankierend zur Strafaussetzung
werden in immer stärkerem Masse auch Auflagen und Weisungen angeordnet. 2003
wurden 65,9% der Strafaussetzungen (bei
Freiheitsstrafe und Strafarrest)
mit einer Auflage und 55,6% mit einer Weisung verbunden.
Insbesondere wird von der fakultativen Möglichkeit, den Verurteilten
einem Bewährungshelfer zu unterstellen, vermehrt Gebrauch gemacht. Wegen der
nicht in gleichem Masse steigenden Zahl der Bewährungshelfer dürfte in den
letzten Jahren die Fallbelastungszahl gestiegen sein. Da letztmals in der
Bewährungshilfestatistik für 1961 die Zahl der hauptamtlichen Bewährungshelfer
nachgewiesen wurde, ist die Veränderung der Fallbelastungszahl anhand amtlicher
Statistiken derzeit nicht bestimmbar. Die Fallbelastungszahl dürfte aber bei
über 70 Probanden pro Bewährungshelfer liegen, wobei die Situation sich weiter
dadurch verschärft, dass die Unterstellung von mehr problembelasteten
Probanden einen höheren Betreuungsaufwand erfordert.
Durch die stetige Verlagerung auf informelle Sanktionen und
auf Geldstrafen verbleiben für die Freiheitsstrafe und damit für die Strafaussetzung zur Bewährung zunehmend mehr
"problematische Fälle", was insbesondere am Anstieg des Anteils der
erheblich vorbelasteten Probanden ablesbar ist (Schaubild 17). Unter den einem hauptamtlichen
Bewährungshelfer unterstellten Probanden sind deutlich angestiegen sowohl die
Zahlen der Probanden, die bereits zuvor schon mindestens einmal verurteilt
worden waren, als auch derjenigen, die bereits zuvor unter Bewährungsaufsicht
standen.
Beachtlich ist deshalb das Mass der "Bewährung der Strafaussetzung zur Bewährung". Die Daten der
Bewährungshilfestatistik zeigen, dass das gesetzgeberische Experiment der
Anhebung der Obergrenze und das Experiment der Praxis, vermehrt vom Institut
der Straf- und der Strafrestaussetzung Gebrauch zu machen, erfolgreich ist,
jedenfalls gemessen an der abschliessenden richterlichen Entscheidung über
Widerruf oder Straferlass. Die Öffnung der Strafaussetzung
für die bisherigen traditionellen Zielgruppen des Strafvollzugs führte nämlich
nicht, wie aufgrund der damit verbundenen Zunahme einer nach
"klassischen" prognostischen Kriterien "schwierigen"
Klientel zu vermuten war, zu einem Anstieg der Widerrufsraten. Die Ausdehnung
der Strafaussetzung ging vielmehr einher mit
einer deutlichen Erhöhung des Anteils der besonders risikobelasteten
Probandengruppe (Schaubild
17) und mit einem deutlichen Anstieg der Straferlassquote, namentlich
bei den als besonders risikobelastet geltenden Gruppen (Schaubild 18). Seit einigen Jahren gehen
freilich die Straferlassquoten zurück, statistisch kann nicht entschieden
werden, ob dies auf einer veränderten Widerrufspraxis oder auf Zunahme der
Rückfallraten beruht. Die Strafaussetzung (einschliesslich
Strafrestaussetzung) bei gleichzeitiger Unterstellung unter einen Bewährungshelfer
wird in weniger als einem Drittel (früheres Bundesgebiet 2002: 31,9%) der nach
allgemeinem Strafrecht erfolgten Unterstellungen widerrufen; in den sonstigen,
den prognostisch eher günstigeren Fällen - Strafaussetzung
ohne Unterstellung unter einen Bewährungshelfer - dürfte die Widerrufsrate
sogar noch geringer sein.
Ein Widerruf erfolgt nicht bereits dann, wenn der
Verurteilte irgendeine neue Straftat begeht, sondern - von groben Auflagen-
bzw. Weisungsverstössen abgesehen - dann, wenn er eine "Straftat begeht
und dadurch zeigt, dass die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag,
sich nicht erfüllt hat" (§ 56f StGB). Die Rückfallrate, gemessen über
erneute Verurteilung innerhalb eines Zeitraums von vier Jahren, ist deshalb
erwartungsgemäss höher als die Widerrufsrate. Wie die Rückfallstatistik
(Bezugsjahr 1994) zeigt, wurden insgesamt 44,7% der Verurteilten mit einer zur
Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe wieder rückfällig (vgl. Jehle,
Jörg-Martin; Heinz, Wolfgang; Sutterer, Peter (unter Mitarbeit von Sabine
Hohmann, Martin Kirchner und Gerhard Spiess): Legalbewährung nach
strafrechtlichen Sanktionen - Eine kommentierte Rückfallstatistik.
Mönchengladbach 2003, S. 64 f. <http://www.bmj.de/media/archive/443.pdf>).
Die unter Bewährungsaufsicht Stehenden wurden deutlich häufiger erneut
straffällig (60,9%) als diejenigen ohne Bewährungshelfer (39,0%). Dies
überrascht nicht, denn nach den gesetzlichen Vorgaben erfolgt die im
allgemeinen Strafrecht fakultative Unterstellung unter einen Bewährungshelfer bei
den Rückfallgefährdeteren.
Schaubild 17: Beendete Bewährungsaufsichten nach früherer Verurteilung der Probanden. Unterstellungen nach Allg. Strafrecht (Zeitreihe)
Schaubild 18: Durch Bewährung beendete Bewährungsaufsichten nach früherer Verurteilung der Probanden. Unterstellungen nach Allg. Strafrecht (Zeitreihe)
Die beiden durch die Strafrechtsreform von 1969 eingeführten
Rechtsinstitute des Absehens von Strafe und der Verwarnung mit Strafvorbehalt
sind quantitativ bedeutungslos geblieben:
Untersuchungshaft ist ein Grundrechtseingriff, der
legitimiert wird durch Zwecke der Verfahrens- und Vollstreckungssicherung und
der durch den Grundsatz der Unschuldsvermutung begrenzt wird. Wegen des Grundrechtseingriffs
ist im Einzelfall immer abzuwägen zwischen dem Bedürfnis nach wirksamer Strafverfolgung
und dem Freiheitsrecht und -anspruch des einzelnen. "Den vom Standpunkt
der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmässig erscheinenden
Freiheitsbeschränkungen (ist) ständig der Freiheitsanspruch des noch nicht
verurteilten Beschuldigten als Korrektiv (entgegenzuhalten). Dies bedeutet: Die
Untersuchungshaft muss in Anordnung und Vollzug von dem Grundsatz der
Verhältnismässigkeit beherrscht werden" (BVerfGE 19,
342 [347]). Durch das Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung und des
Gerichtsverfassungsgesetzes von 1964 wurde der Verhältnismässigkeitsgrundsatz,
der als allgemeiner, aus dem Rechtsstaatsprinzip sich ergebender
Rechtsgrundsatz für alle Massnahmen des Staates gegenüber dem Bürger gilt,
ausdrücklich für die Untersuchungshaft kodifiziert. Untersuchungshaft darf
gem. § 112 Abs. 1 S. 2 StPO "nicht angeordnet
werden, wenn sie ... zu der zu erwartenden Strafe ... ausser Verhältnis
steht". Sonst würde die angeordnete - und regelmässig auch vollzogene -
Untersuchungshaft stärker in das Freiheitsrecht des als unschuldig Geltenden
eingreifen als die Reaktion, die aus der Verurteilung des als schuldig
Erkannten folgt. Daraus folgt:
·
Weniger einschneidende Massnahmen haben Vorrang. Selbst
dort, wo Untersuchungshaft sich als geeignet und erforderlich ausweist, ist die
Eingriffsintensität der Untersuchungshaft abzuwägen gegenüber dem angestrebten
Ziel, den staatlichen Strafanspruch zu verwirklichen.
·
Anordnung und Vollzug der Untersuchungshaft müssen im
rechten Verhältnis zur Bedeutung der Sache und zu der voraussichtlich zu erwartenden
Strafe stehen. Untersuchungshaft ist deshalb bereits dann unverhältnismässig,
wenn die zu erwartende Strafe nicht ebenfalls in Freiheitsentzug besteht.
Wegen der Problematik einer solchen Prognoseentscheidung in dem
Verfahrensstadium der Untersuchungshaftanordnung sollte der Erlass eines
Haftbefehls jedenfalls dann ausgeschlossen sein, wenn eine Freiheitsstrafe bis
zu einem Jahr zu erwarten ist, weil Strafen bis zu dieser Höhe in der Regel
auszusetzen sind und auch ausgesetzt werden.
·
Die Dauer von Untersuchungshaft darf erstens "nicht
ausser Verhältnis zu der zu erwartenden Strafe stehen" (BVerfGE
20, 45 [49]). Zweitens kann sich "mit zunehmender Dauer der
Untersuchungshaft das Gewicht des Freiheitsanspruchs gegenüber dem Interesse an
einer wirksamen Strafverfolgung vergrössern" (BVerfGE
36, 264 [270]).
Wegen dieser Abhängigkeit der
Untersuchungshaftanordnung von der Sanktionsprognose war deshalb an sich zu
erwarten, dass im Gefolge der Strafrechtsreform von 1969 sowohl die Untersuchungshaftraten als auch der Anteil
der Untersuchungsgefangenen, der lediglich zu ambulanten
Sanktionen verurteilt wird, deutlich zurückgehen würden. Eine derartige
Erwartung war deshalb begründet, weil sonst durch die Untersuchungshaftpraxis
die Wertentscheidung des im materiellen Strafrecht verwirklichten
Reformprogramms vereitelt werden würde. Die Überzeugung, dass die kurze
Freiheitsstrafe in aller Regel spezialpräventiv mehr schadet als nützt, hat den
Gesetzgeber bewogen, die Verhängung und den Vollzug dieser Strafe soweit als
möglich auszuschliessen. Diese Entscheidung würde durchkreuzt, würde gleichwohl
gegen den Beschuldigten Untersuchungshaft angeordnet werden. Zwar haben
Untersuchungshaft und Freiheitsstrafe verschiedene Aufgaben, die
Eingriffsintensität und die Folgen sind bei Untersuchungshaft aber nicht selten
stärker als bei der Freiheitsstrafe. Diese kennt vielfältige Möglichkeiten der
Lockerung, die bei der Untersuchungshaft wegen ihrer Sicherungsfunktion in der
Regel gerade nicht bestehen. Untersuchungshaft wirkt infolgedessen nicht selten
persönlich destabilisierender und sozial wie beruflich desintegrierender als
Freiheitsstrafe.
Die Erwartung, dass die Untersuchungshaftraten,
d.h. die Anteile der Untersuchungsgefangenen an den jeweiligen Verurteilten eines Berichtsjahres, parallel zum
Rückgang stationärer Sanktionen zurückgehen würden,
hat sich nicht erfüllt. Die Untersuchungshaftraten
der nach allgemeinem Strafrecht Verurteilten
blieben weitgehend konstant; erst Mitte der 80er Jahre erfolgte, nicht zuletzt
unter dem Einfluss von Wissenschaft und Öffentlichkeit, ein deutlicher Rückgang
auf zuletzt 3,7%; seit 1990 sind, nicht zuletzt im Zusammenhang mit der
Reaktion auf Ausländerkriminalität, die Untersuchungshaftraten
wieder deutlich angestiegen (1999: 5,0%), erst in den letzten beiden Jahren
erfolgte ein leichter Rückgang (2003: 4,6%) (Schaubild 19a).
Da Untersuchungshaft indes bei schweren Delikten häufiger
angeordnet wird als bei leichten Delikten, werden bei zunehmendem Gebrauch von
Diversion die auf Verurteilte bezogenen Untersuchungshaftraten im zeitlichen
Längsschnitt zunehmend überhöht; im Vergleich von allgemeinem und Jugendstrafrecht
sind die Untersuchungshaftraten bei jungen Menschen stärker als die der
Erwachsenen verfälscht (Schaubild 19b).
Erwartungswidrig wird ferner nur jeder zweite (2003: 52,1%)
nach
allgemeinem Strafrecht verurteilte Untersuchungsgefangene zu einer nicht zur
Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe verurteilt (Schaubild 20). Ein ganz erheblicher Teil der
Verurteilten erlebt deshalb den Freiheitsentzug nur
in seiner resozialisierungsfeindlichsten Form, nämlich in Form der Untersuchungshaft.
Schaubild 20: Untersuchungsgefangene nach Art der Sanktion (Allg. Strafrecht) (Zeitreihe)
Die absolute Zahl der verurteilten Jugendlichen und (der
nach allgemeinem oder nach Jugendstrafrecht verurteilten) Heranwachsenden hatte
1982 den bisherigen Höhepunkt mit 194.296 Verurteilten erreicht. Bis 1992 ging
die Zahl der Verurteilten auf die Hälfte zurück (1992: 96.451), seitdem steigen
die Verurteiltenzahlen wieder an (2003: 128.373) (Schaubild 21). Eine vergleichbare Entwicklung zeigt
sich auch, wenn die nach allgemeinem Strafrecht verurteilten Heranwachsenden
ausgeklammert werden. 1982 wurden 149.760 Jugendliche und Heranwachsende nach
Jugendstrafrecht verurteilt, 1992 lediglich noch 71.839, 2003 waren es 101.562 . Dieser
Anstieg wurde durch den zunehmenden Gebrauch der Einstellungsmöglichkeiten in
hohem Masse gedämpft. Denn die absoluten Zahlen der nach Jugendstrafrecht
(sowohl gem. §§ 45, 47 JGG informell als auch der formell) Sanktionierten haben
seit 1991 deutlich zugenommen (1991: 193.000; 2003: 332.000) (Schaubild 22).
Schaubild 21: Durch die Jugendgerichte Verurteilte (Zeitreihe)
Schaubild 22: Nach Jugendstrafrecht informell und formell Sanktionierte (Zeitreihe)
Die durch das Jugendgerichtsgesetz von 1953 erfolgte
partielle Einbeziehung der Heranwachsenden wurde seinerzeit als Ausnahme und
als Experiment verstanden: Die Praxis sollte mit der neuen Lösung Erfahrungen
sammeln, um beurteilen zu können, ob die gefundene Lösung durch Erweiterung
oder Einengung korrigiert werden müsse. Die als Ausnahme gedachte Einbeziehung
der Heranwachsenden in das Jugendstrafrecht ist inzwischen die Regel: 1955
wurden lediglich 22,2% aller Heranwachsenden nach Jugendstrafrecht verurteilt (Schaubild 23). Der
vorläufige Höhepunkt war 1988 mit 65,0% erreicht, danach gingen die Raten
zurück bis auf 57,7% (1994), in der zweiten Hälfte der 90er Jahre lagen die
Raten zwischen 59 und 60%. In den letzten Jahren sind sie wieder deutlich
angestiegen und haben 2003 mit 64,5% fast wieder den Spitzenwert von 1988
erreicht. Dieser Rückgang in der ersten Hälfte der 90er Jahre ist nur bei
vordergründiger Betrachtung Ausdruck einer zurückhaltenderen Anwendung des
Jugendstrafrechts auf Heranwachsende. Die genauere Analyse zeigt nämlich, dass
Grund hierfür eine seit Ende der 80er Jahre zu beobachtende zunehmende
Anwendung von allgemeinem Strafrecht
auf nichtdeutsche Heranwachsende ist. Die Rate der nach Jugendstrafrecht verurteilten deutschen
Heranwachsenden stieg dagegen bis 1983 auf etwas mehr als 60%; dieses hohe
Niveau blieb seitdem - bei nur minimalen Schwankungen (1988: 64,7%; 1994 61,7%;
2003 66,0%) - erhalten.
Schaubild 23: Die strafrechtliche Behandlung der Heranwachsenden (Zeitreihe)
Die deliktsspezifische Analyse zeigt, dass die Einbeziehung
der Heranwachsenden in das Jugendstrafrecht tatsächlich nach anderen
Kriterien als denen des § 105 JGG erfolgt. Die Anwendung
von Jugendstrafrecht nimmt, jedenfalls in der Tendenz, mit der Schwere der
Straftat zu. Deliktsspezifische Ausfilterungseffekte durch unterschiedlichen
Gebrauch der Diversionsmöglichkeiten sind eher bei leichterer und
mittelschwerer Kriminalität zu erwarten; sie erklären jedenfalls nicht das
Ausmass der Unterschiede in der Anwendung von Jugendstrafrecht. Auf Delikte,
die keine schweren Rechtsfolgen nach sich ziehen und in einem summarischen
Verfahren behandelt werden können, findet eher allgemeines Strafrecht
Anwendung. Dies gilt insbesondere für Verkehrsdelikte (Schaubild 24).
Schaubild 24: Die strafrechtliche Behandlung der Heranwachsenden, nach Hauptdeliktsgruppen
Entsprechend der Zielsetzung des JGG
macht die Praxis von den Einstellungsmöglichkeiten der §§ 45, 47 JGG in noch stärkerem Masse als im allgemeinen Strafrecht
Gebrauch. Allein zwischen 1981 und 2003 dürfte sich die Diversionsrate von 44% auf 69% erhöht haben (Schaubild 25). Der aus Schaubild 25
ersichtliche Anstieg 1997/1998 ist, wie in Tabelle A3 (im Anhang) gezeigt, ein nur scheinbarer, weil die Werte für die
Vorjahre unterschätzt waren. Wie die seitherigen Ergebnisse zeigen, ist der
Wert von 69% Einstellung stabil geblieben. Demnach ist die Einstellung des
Verfahrens die Regel, die Verurteilung ist die Ausnahme. Im Unterschied zum
allgemeinen Strafrecht, wo der vermehrte Gebrauch der Einstellungsmöglichkeiten
dazu geführt hat, dass die Verurteiltenzahlen trotz des Anstiegs der Zahl der sanktionierbaren Personen in etwa konstant geblieben ist,
wurde im Jugendstrafrecht trotz (bis 1991) sinkender Fallzahlen vermehrt
eingestellt (Schaubild 22). Diversion
dient hier nicht nur, wie vornehmlich im allgemeinen Strafrecht, der Verfahrensentlastung,
vielmehr wird das spezialpräventive Konzept des Gesetzgebers, der eine
Verfahrenseinstellung kriminalpolitisch für aussichtsreich und verantwortbar
hält (vgl. Begründung zum Regierungsentwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung
des Jugendgerichtsgesetzes vom 27.11.1989, BT-Drs. 11/5829,
S. 1, 13), von der Praxis umzusetzen versucht.
Schaubild 25: Diversionsraten (StA und Gerichte) im Jugendstrafrecht
Erwartungsgemäss ist die Diversionsrate
im Jugendstrafrecht bei "Ersttätern", definiert über den ersten
Eintrag im Bundeszentralregister (BZR), noch höher und dürfte deutlich
zugenommen haben: Wie eine Auswertung der Eintragungen im BZR für die beiden
Geburtsjahrgänge 1961 und 1967 gezeigt hat, wurden von sämtlichen erstmals im
Jugendalter im BZR registrierten männlichen Jugendlichen des Geburtsjahrgangs
1961 53,5% informell sanktioniert; beim Geburtsjahrgang 1967 waren es schon
65,0% (Heinz, Wolfgang/ Spiess, Gerhard/Storz, Renate: Prävalenz und Inzidenz
strafrechtlicher Sanktionierung im Jugendalter, in: Kaiser/Kury/Albrecht [Hrsg.]:
Kriminologische Forschung in den 80er Jahren, Freiburg i.Br. 1988, S. 655,
Tab. 9). Der erste Kontakt mit der Justiz endete also schon in der zweiten
Hälfte der 70er und in der ersten Hälfte der 80er Jahre für den männlichen
jugendlichen "Ersttäter" im Regelfall ohne Verurteilung. Inzwischen
dürfte die Einstellungsrate für "Ersttäter" noch höher liegen. Wie
eine Auswertung der für die Rückfallstatistik (Bezugsjahr 1994) erhobenen
BZR-Daten ergeben hat, war die Diversionsrate bei jugendlichen Ersttätern 1994
erwartungsgemäss höher als Anfang der 80er Jahre. Bei erstmals registrierten
deutschen Jugendlichen betrug die Diversionsrate insgesamt 88%, bei deutschen Ersttätern
leichter Eigentumskriminalität (§§ 242, 247, 248a StGB) sogar 94% (vgl. Schaubild
27).
Zu diesem Anstieg hat entscheidend die
Jugendstaatsanwaltschaft beigetragen (Schaubild 25). Denn es hat, gemessen an relativen, auf
alle Sanktionierten bezogenen Zahlen, vor allem das Absehen von der Verfolgung
nach § 45 JGG zugenommen, insbesondere die Einstellung
ohne Einschaltung des Richters (§ 45 Abs. 1 und Abs. 2 JGG,
d.h. § 45 Abs. 2 JGG a.F.; 1981: 13,1%, 2003: 52,4%). Die Staatsanwälte haben hierbei ihre
"Sanktionskompetenz" nicht nur zu Lasten von Anklagen ausgebaut,
sondern auch zu Lasten der Beteiligung des Jugendrichters nach § 45 Abs.
3 (§ 45 Abs. 1 a.F.) JGG und § 47 JGG.
Der Anteil der Verurteilten an
allen (informell und formell)
Sanktionierten ging dementsprechend zwischen 1981 und 2003 um 25 Prozentpunkte
zurück, was überwiegend auf einem Rückgang der Verhängung von
Erziehungsmassregeln und ambulanten Zuchtmitteln (1981 ..
2003: -16,6%) beruhte, aber
auch, wenngleich in deutlich geringerem Masse, von Jugendarrest (1981-2003:
-5,7%) und Jugendstrafe (1981-2003: -2,6%) (Schaubild 26).
Schaubild 26: Entwicklung der Sanktionspraxis im Jugendstrafrecht
Zu den rechtsstaatlichen Defiziten zählt, dass die
Einstellungsmöglichkeiten des JGG in regional extrem
unterschiedlichem Masse genutzt werden. Die Unterschiede im Gebrauch der
§§ 45, 47 JGG übersteigen jene beim Gebrauch der
Einstellungsmöglichkeiten der §§ 153, 153a, 153b StPO
bei weitem (vgl. Schaubilder
8 und 27;
9 und 28). So betrug
die Diversionsrate 2003 im Saarland 50,3%, in
Hamburg dagegen 85,5% (Schaubild
28).
Unterschiede bestehen nicht nur hinsichtlich des Ausmasses,
in dem von §§ 45, 47 JGG Gebrauch gemacht wird. Höchst unterschiedlich ist
vor allem das Mass, in dem der Jugendstaatsanwalt entscheidet bzw. der
Jugendrichter eingeschaltet wird. 2003 wurde in Rheinland-Pfalz bei 68,2%, in Hamburg
bei 62,0% aller (informell oder formell) Sanktionierten das Verfahren gem. § 45
Abs. 1 oder 2 JGG eingestellt, in Bayern dagegen lediglich bei 35,5%. Unter
Beteiligung des Jugendrichters gem. §§ 45 Abs. 3, 47 JGG erfolgte in Bayern,
das mit 60,8% mit die niedrigste Diversionsrate hatte, bei 25,3% aller
Sanktionierten die Verfahrenserledigung, in Baden-Württemberg mit einer etwas
höheren Diversionsrate (67,3%) wurde der Jugendrichter nur in 9,7% der Fälle
eingeschaltet, in Rheinland-Pfalz sogar – trotz einer nochmals höheren
Diversionsrate (71,5%) - nur in 3,4% aller Fälle. Hierdurch ergibt sich eine
ungleiche Belastung, wird doch im Falle des § 47 JGG Anklage erhoben, wo
in vergleichbaren Fällen in anderen Ländern das Verfahren ohne Anklage
eingestellt wird. Der Kilometerstein des Tatortes entscheidet somit in nicht
unerheblichem Masse nicht nur darüber, ob das Verfahren eingestellt oder mit
einer Verurteilung abgeschlossen wird, sondern auch darüber, ob in
unterschiedlicher Weise belastend (intervenierend) eingestellt wird.
Diese Diskrepanzen beruhen in diesem Ausmass nicht auf einer
unterschiedlichen Kriminalitätsstruktur oder auf Abweichungen in den
Merkmalen der Täter in den einzelnen Ländern. Wie Analysen aus der ersten
Hälfte der 80er Jahre zeigten, bestanden die Unterschiede vor allem bei
Ersttätern, bei Mehrfachauffälligen wurde in der Mehrzahl der Länder nur
ausnahmsweise eingestellt. So konnte z.B. Storz bei ihrer Auswertung der
Eintragungen im Bundeszentralregister für die Jugendlichen des Geburtsjahrganges
1961 zeigen, dass bei einer ersten Auffälligkeit wegen "einfachen
Diebstahls" (§§ 242, 247, 248a StGB) in den
Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg über 80% aller Verfahren nach
§§ 45, 47 JGG eingestellt worden waren; in
Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz war dies lediglich bei rd. 43% der Fall.
Vergleichbare Unterschiede wurden festgestellt bei einer ersten Auffälligkeit
wegen "Fahren ohne Fahrerlaubnis" (§ 21 StVG), einem sog. Taxendelikt,
bei dem typischerweise nach objektiven Kriterien routinemässig entschieden wird
(vgl. Storz, Renate: Jugendstrafrechtliche Reaktionen und Legalbewährung,
in: Heinz/Storz: Diversion im Jugendstrafverfahren der
Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1992, S. 155 Tab. 11).
Die
Erfahrungen der Praxis mit den Diversionsmöglichkeiten des Jugendstrafrechts
haben inzwischen - und zwar in allen Bundesländern - zu einer beträchtlichen
Ausweitung ihrer Anwendung geführt: Wie die Auswertung der für die
Rückfallstatistik (Bezugsjahr 1994) erhobenen Daten ergabt, wurde bei den im
Bundeszentralregister/Erziehungsregister erstmals wegen eines leichten
Eigentumsdelikts (§§ 242, 247, 248a StGB) als einziges Delikt registrierten
deutschen Jugendlichen (zum Zeitpunkt der Entscheidung) im Schnitt aller
Länder in 94% der Fälle von den Diversionsmöglichkeiten des JGG Gebrauch
gemacht. Die Spannweite reichte von über 99% (Hamburg, Bremen, Berlin) bis 85%
(Bayern) (vgl. Schaubild
27). Während bei den erstmals Registrierten sich die Praxis in Richtung
der Nutzung der Diversion im Regelfall bereits weitgehend vereinheitlicht hat,
finden sich nunmehr ganz erhebliche Unterschiede in der Verfahrenspraxis
gegenüber den wiederholt in Erscheinung getretenen Jugendlichen. Bei der
Reaktion auf die dritte oder weitere erfasste Straffälligkeit eines
Jugendlichen lag die Spannweite der Diversionsentscheidungen bei 67 Prozentpunkten
(Hamburg: 96%; Bayern: 29%). Insbesondere bei wiederholt Auffälligen sind
danach die Risiken einer förmlichen Verurteilung in den Ländern - selbst
innerhalb der selben Deliktsgruppe - höchst unterschiedlich.
Datenquelle: Daten aus dem Bundeszentral- und Erziehungsregister, Entscheidungsjahr 1994. Deutsche Jugendliche (zum Zeitpunkt der Entscheidung); entscheidungsbezogen (auch mehrere Entscheidungen zu derselben Person)
Schaubild 29: Diversionsraten im Jugendstrafrecht, nach Ländern.
Innerhalb der formellen, d.h. der
durch Urteil verhängten Sanktionen kam es zu einer Zurückdrängung stationärer Sanktionen zugunsten solcher ambulanter, also den Freiheitsentzug vermeidender
Massnahmen. 1955 entfielen lediglich 50,4% auf ambulante
Sanktionen als schwerste Massnahme, 2003 waren es dagegen 74,7% (Schaubild 30).
Schaubild 30: Entwicklung der Sanktionspraxis im Jugendstrafrecht
Unter den ambulanten Sanktionen -
als schwerster Massnahme - haben insbesondere die ambulanten
Erziehungsmassregeln und die Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung
zunehmend an Bedeutung gewonnen (Schaubild 31). Der in der zweiten Hälfte der 70er Jahre
erfolgte Bedeutungsgewinn der ambulanten Erziehungsmassregeln,
genauer: der Weisungen, ging im Gefolge des 1. JGGÄndG
allerdings wieder verloren zugunsten der ambulanten
Zuchtmittel, namentlich zugunsten der 1990 eingeführten Arbeitsauflage,
wobei es sich hierbei um einen Austausch zwischen Arbeitsweisung und
Arbeitsauflage gehandelt haben dürfte. Dementsprechend ist der Anteil der ambulanten Zuchtmittel, und zwar insbesondere in Form von
Verwarnung und Auflage, wieder deutlich gestiegen auf zuletzt (2003) 76,8%.
aller
ambulanten Sanktionen.
Schaubild 31: Ambulante Sanktionen nach Jugendstrafrecht
Unter den Erziehungsmassregeln dominieren die Weisungen (Schaubild 32).
Wie die Fürsorgeerziehung und Erziehungsbeistandschaft nach altem Recht, so
sind auch die an deren Stelle getretenen Hilfen zur Erziehung (§ 12 JGG i.V.m. KJGH) quantitativ bedeutungslos.
Schaubild 32: Nach Jugendstrafrecht zu Erziehungsmassregeln Verurteilte (Zeitreihe)
In der StVStat werden die verhängten formellen Sanktionen im wesentlichen nur der Art nach
ausgewiesen. Die Inhalte der Massnahmen, also z.B. die Art der erteilten
Weisung, die Höhe der Geldauflage, die Stunden der angeordneten
Arbeitsauflage, werden, abgesehen von dem Nachweis der Dauer der bedingten und unbedingten Jugendstrafe, nicht
erhoben. Aussagen über die Art der Weisungen sind deshalb anhand der StVStat nicht möglich.
Erprobt und institutionalisiert wurden in den letzten
Jahrzehnten insbesondere die sog. "neuen ambulanten
Massnahmen nach dem JGG", d.h. Betreuungsweisungen,
sozialer Trainingskurs, Täter-Opfer-Ausgleich und Arbeitsweisungen. Dem
Jugendlichen und Heranwachsenden sollen hierdurch stützende, helfende,
chancenverbessernde und integrierende Massnahmen angeboten werden. Dem
Jugendstaatsanwalt und dem Jugendrichter werden zusätzliche ambulante
sozialpädagogische Alternativen zu stationären
Sanktionen eröffnet. In jüngster Zeit werden zunehmend die Schadenswiedergutmachung
und der Täter-Opfer-Ausgleich favorisiert. Beim jugendlichen Straftäter soll
hierdurch die Wahrnehmung von Opferschäden gefördert, soziale Verantwortung
aktiviert und die Chance einer privatautonomen Lösung genutzt werden. Über
den Umfang, in dem von diesen "neuen ambulanten
Massnahmen" Gebrauch gemacht wird, liegen keine statistischen
Angaben für die Bundesrepublik vor. Aus Umfrageergebnissen lässt sich jedoch
auf einen deutlich zunehmenden Gebrauch schliessen; wenngleich insgesamt
gesehen die absoluten Zahlen noch relativ niedrig sind.
Innerhalb der Zuchtmittel fand eine Verschiebung statt, und
zwar von Jugendarrest zugunsten vor allem von Auflagen (Schaubild 33). Unter den Auflagen dominiert
die Auflage, einen Geldbetrag zu zahlen; erst im Gefolge des 1.
JGGÄndG hat die Arbeitsauflage - zu Lasten der Erziehungsmassregeln und zu
Lasten der Zahlung eines Geldbetrages - deutlich an Bedeutung gewonnen (Schaubild 34).
Die weiteren Auflagen sind quantitativ bedeutungslos.
Schaubild 33: Nach Jugendstrafrecht zu Zuchtmitteln Verurteilte (Zeitreihe)
Schaubild 34: Nach Jugendstrafrecht zu Auflagen Verurteilte (Zeitreihe)
73,9% aller stationären Sanktionen
entfallen derzeit (2003) auf durch Urteil verhängten Jugendarrest, und zwar zu
etwa gleichen Teilen auf Dauer- und auf Freizeitarrest (Schaubild 35). Kurzarrest war und ist
weitgehend bedeutungslos.
Schaubild 35: Nach Jugendstrafrecht zu Jugendarrest Verurteilte (Zeitreihe)
Die - durch das 1. JGGÄndG aufgehobene
- Jugendstrafe von (relativ) unbestimmter Dauer hatte schon Ende der 50er
Jahre zugunsten der Jugendstrafen von mehr als einem Jahr kontinuierlich und
drastisch an Bedeutung verloren (Schaubild 36).
Schaubild 36: Dauer der Jugendstrafen (Zeitreihe)
Der Anteil der insgesamt zu Jugendstrafe Verurteilten an allen Verurteilten war seit Beginn der
60er Jahre und bis 1990 (1990: 15,7%) im wesentlichen konstant (Schaubild 30). In
den letzten Jahren stieg diese Rate jedoch deutlich an auf ihren bisherigen
Höchststand von 19,5% (1994); 2003 beträgt diese Rate 17,0%. Dies geht vor allem zurück auf Anstiege bei mittel- (1
Jahr bis 2 Jahre) und bei langfristigen (über 2 Jahre) Jugendstrafen (Schaubild 36).
Wegen des hohen und zunehmenden Anteils der gem. §§ 45,
47 JGG eingestellten, also nicht zur Verurteilung führenden
Verfahren ist jedoch eine derartige, lediglich auf die Anteile an den Verurteilten abstellende Betrachtungsweise
irreführend. Denn durch Einstellungen gelangen - empirisch gesehen - die
leichteren Fälle nicht mehr zur Verurteilung, weshalb sich unter den
Verurteilungen der relative Anteil der "schweren" Fälle, für die -
ebenfalls empirisch betrachtet - eher freiheitsentziehende
Sanktionen als "erforderlich" erachtet werden, deutlich erhöht.
Notwendig ist deshalb eine Bezugnahme auf die "Sanktionierten", d.h.
die Gesamtzahl der Personen, die entweder verurteilt worden sind oder bei denen
das Verfahren eingestellt worden ist (Schaubild 37, der Rückgang 1998 vs. 1997 ist ein nur
scheinbarer, weil, wie gezeigt [vgl. Tabelle A3 im Anhang], die Bezugsgrösse
[Sanktionierte insg.] in den Vorjahren unterschätzt war). Dabei zeigt sich,
jedenfalls für den Zeitraum ab 1981, für den statistische Daten vorliegen, ein
leichter Rückgang der insgesamt verhängten Jugendstrafen. Dieser Rückgang
beruht auf der Entwicklung bei Jugendstrafen bis 12 Monate. Der Anteil der
Jugendstrafen zwischen 12 Monaten und 2 Jahren ist indes leicht gestiegen.
Schaubild 37: Dauer der Jugendstrafen (Zeitreihe)
Zwischen ausgesetzter und unbedingt verhängter Jugendstrafe
fand ein Austausch statt. 2003 wurden 61,6% aller
Jugendstrafen zur Bewährung ausgesetzt (69,5% der
aussetzungsfähigen Jugendstrafen), 1955 waren es lediglich 32,4%. Die
Aussetzungsquoten sind umso höher, je kürzer die verhängten Jugendstrafen sind,
aber selbst bei Jugendstrafen zwischen einem Jahr und zwei Jahren wurden 2003
57,0% der Jugendstrafen zur Bewährung ausgesetzt (Schaubild 37).
Schaubild 38: Aussetzungsraten bei Jugendstrafen (Zeitreihe)
Wie im allgemeinen Strafrecht, so wurde auch im
Jugendstrafrecht vermehrt eine nach "klassischen" prognostischen
Kriterien "schwierige" Klientel in die Strafaussetzung
zur Bewährung einbezogen. Wie dort, so ging auch hier die Ausdehnung der Strafaussetzung nicht nur einher mit einer
deutlichen Erhöhung des Anteils der besonders risikobelasteten Probandengruppe
(Schaubild 39),
sondern auch mit einem deutlichen Anstieg der Straferlassquote, namentlich
bei den als besonders risikobelastet geltenden Gruppen (Schaubild 40); in den letzten Jahren gehen,
wie im allgemeinen Strafrecht, die Erlassquoten indes wieder zurück. Wie der
Vergleich der Erlassquoten für unterschiedlich vorbelastete Gruppen zeigt,
liegen die Bewährungsquoten der vorbelasteten Probanden unter der prognostisch
günstigsten Gruppe der erstmals Verurteilten; in der
positiven Entwicklung bleiben sowohl die Gruppe der bereits zuvor verurteilten
als auch die Untergruppe der bereits zuvor unter Bewährungsaufsicht gestellten
Probanden nicht hinter derjenigen der erstmals verurteilten Probanden zurück.
Schaubild 39: Beendete Bewährungsaufsichten nach früherer Verurteilung der Probanden
Schaubild 40: Durch Bewährung beendete Bewährungsaufsichten
Mit der Untersuchungshaft werden sämtliche Nachteile der
kurzfristigen Jugendstrafe beibehalten, wenn nicht gar noch verschärft. Von
einer erzieherischen Gestaltung und Wirkung des Untersuchungshaftvollzugs kann
in der Regel nicht gesprochen werden. Der Gesetzgeber hat deshalb in § 72 JGG die Subsidiarität der Untersuchungshaft festgelegt; durch
das 1. JGGÄndG von 1990 wurde dieses Subsidiaritätsgebot
verstärkt. Erwartet wurde, dass die in § 72 Abs. 1 S. 2 JGG
ausdrücklich vorgesehene Pflicht zur Prüfung des
Verhältnismässigkeitsgrundsatzes ebenso wie der Begründungszwang nicht ohne
Einfluss auf die Fallzahlen bleiben dürfte. Eingeschränkt werden sollte die
Untersuchungshaft ferner durch die Erleichterung der Unterbringung in einem
Erziehungsheim, durch Einbeziehung einer Haftentscheidungshilfe sowie durch
die Einschränkung der Untersuchungshaft gegen 14- und 15jährige.
Dennoch sind, wie die seit 1975 verfügbaren Daten der StVStat zeigen, die (auf Verurteilte bezogenen) Untersuchungshaftraten im Jugendstrafrecht
nicht, wie angesichts des jugendstrafrechtlichen Subsidiaritätsgebots zu
erwarten war, wesentlich niedriger als im allgemeinen Strafrecht; seit 1988
sind sie sogar deutlich höher und stärker angestiegen (Schaubild 19a). In der ersten Hälfte der
90er Jahre war die U-Haftrate im statistisch überblickbaren Zeitraum höher als
je zuvor; erst seit 1994 gehen die Raten deutlich zurück. Dies dürfte mit eine
Folge der Entwicklung im Bereich der Ausländerkriminalität sein.
Die altersspezifische Differenzierung ergibt, dass die Untersuchungshaftraten bei den
Heranwachsenden deutlich über, die entsprechenden Raten der Jugendlichen
dagegen deutlich unter jenen der Erwachsenen liegen. Wie Jehle bei seiner
Analyse der Individualdatensätze der StVStat (Jehle,
Jörg-Martin: Entwicklung der Untersuchungshaft bei Jugendlichen und Heranwachsenden
vor und nach der Wiedervereinigung, Bonn 1995, S. 50 ff) zeigen konnte, sind
die Haftraten vor allem bei der Gruppe der Nichtdeutschen angestiegen, die
weder aus "Gastarbeiterländern" noch aus EU-Ländern stammt. Die
Reaktion auf Zuwandererkriminalität führt auch zu Unterschieden in der
Haftanordnung: Diese Gruppe wird "überwiegend wegen weniger schwerer
Delikte sowie für kürzere Zeit verhaftet und erhält geringere Strafen"
(Jehle aaO., S. 66). Aber auch bei Berücksichtigung der Probleme der
Zuwandererkriminalität bleibt die Haftpraxis hinter den gesetzlichen
Intentionen zurück: "So erscheinen unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit
die immer noch hohen Anteile von Vermögensdelikten im weiteren Sinne, von
kurzer Haftdauer und von ambulanten Sanktionen bei jugendlichen
Abgeurteilten mit Untersuchungshaft problematisch. Dass bei der Anordnungspraxis
durchaus Spielräume bestehen, darauf weisen die erheblichen regionalen Unterschiede
hin. ... Der Befund, dass Jugendliche wegen weniger schwerer Delikte und kürzer
inhaftiert sowie seltener mit vollstreckbaren Freiheitsentziehungen sanktioniert
werden als Erwachsene, kann auch so gedeutet werden, dass hier neben strafrechtlichen
Kriterien die soziale und persönliche Situation der Verhafteten eine verstärkte
Rolle spielt. Insoweit werden offenbar die vom Gesetzgeber vorgesehenen Instrumente,
insbesondere Einschaltung der Jugendgerichtshilfe und die Bereitstellung alternativer
Heimplätze, in der Praxis nicht im intendierten Mass wirksam." (Jehle
aaO., S. 9).
Untersuchungshaft darf gem. § 112 Abs. 1 S. 2 StPO "nicht angeordnet werden, wenn sie ... zu der zu
erwartenden Strafe ... ausser Verhältnis steht". Sonst würde die angeordnete
- und regelmässig auch vollzogene - Untersuchungshaft stärker in das Freiheitsrecht
des als unschuldig Geltenden eingreifen als die Reaktion, die aus der
Verurteilung des als schuldig Erkannten folgt. Wegen dieser Abhängigkeit der
Untersuchungshaftanordnung von der Sanktionsprognose ist deshalb zu erwarten,
dass weitaus mehr Untersuchungsgefangene zu stationären
als zu ambulanten Sanktionen verurteilt werden.
Erwartungswidrig wird aber nur jeder zweite (2003: 50,0%) nach
Jugendstrafrecht verurteilte Untersuchungsgefangene zu einer nicht zur
Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe verurteilt. Wie im allgemeinen
Strafrecht, so erlebt auch im Jugendstrafrecht ein ganz erheblicher Teil der Verurteilten deshalb den Freiheitsentzug nur in seiner
resozialisierungsfeindlichsten Form, nämlich in Form der Untersuchungshaft
(Schaubild 41).
Schaubild 41: Untersuchungsgefangene nach Art der Sanktion (Jugendstrafrecht)
Wie der Vergleich der freiheitsentziehenden
Sanktionen nach allgemeinem und nach Jugendstrafrecht zeigt, werden, und
zwar auch bei Berücksichtigung der unterschiedlichen Diversionsraten, im Jugendstrafrecht mehr freiheitsentziehende Sanktionen angeordnet als im
allgemeinen Strafrecht (Schaubild
42; Schaubild
43). Der Unterschied wird, bei Kontrolle des Umrechnungsverfahrens für
die informell Sanktionierten (vgl. Tabellen A3 und A4 im Anhang),
für 1998 eher noch grösser.
Schaubild 42: Dauer der nach Allg./nach Jugendstrafrecht verhängten Freiheitsstrafen
Schaubild 43: Freiheitsentziehende Strafen nach Jugend- und nach Allgem. Strafrecht (Zeitreihe)
Im Jugendstrafrecht werden im statistisch überblickbaren
Zeitraum ab 1981, bezogen auf alle Sanktionierten, deutlich mehr freiheitsentziehende Sanktionen mit einer Dauer
zwischen 12 und 24 Monaten verhängt. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, trifft
dies auch zu bei Sanktionen mit einer Dauer von mehr als 24 Monaten (Schaubild 44). Im
allgemeinen Strafrecht werden dementsprechend etwas häufiger Strafen zwischen 6
und 12 Monaten verhängt. Die Freiheitsstrafen unter 6 Monaten des allgemeinen
Strafrechts haben im Jugendstrafrecht wegen der Mindestdauer der Jugendstrafe
von 6 Monaten keine Entsprechung. Auffallend ist indes, dass Jugendarrest
weitaus häufiger verhängt wird als die kurze Freiheitsstrafe nach allgemeinem
Strafrecht.
Schaubild 44: Dauer der nach Allg./nach Jugendstrafrecht verhängten Freiheitsstrafen (Zeitreihe)
Offenbar vertrauen Jugendrichter in höherem Masse auf die -
empirisch allerdings nicht gestützte - Annahme einer rückfallmindernden
Wirkung freiheitsentziehender Sanktionen. Durch Art
und Schwere der Kriminalität dürfte dieser Unterschied jedenfalls kaum
erklärbar sein, ist doch Jugendkriminalität im Schnitt weniger schwer als die
Kriminalität von Erwachsenen.
Trotz des an der StVStat ablesbaren
Befunds der nachhaltigen Zurückdrängung der verhängten, vollstreckbaren
Freiheitsstrafe nimmt die Bundesrepublik im europäischen pönologischen
Vergleich keinen der vorderen Plätze ein. Dem am häufigsten verwendeten
Indikator zufolge, der Gefangenenrate, d.h. der Zahl der Vollzugsinsassen pro
100.000 der jeweiligen Wohnbevölkerung, weist die Bundesrepublik Deutschland
eine relativ hohe Gefangenenrate auf (Schaubild 45). Dies ist vor allem eine Folge des
Gebrauchs von mittel- und langfristigen Freiheitsstrafen. Im europäischen
Vergleich zählt Deutschland zu jenen Ländern, die eher von Strafen mit
vergleichsweise langer Dauer Gebrauch machen (hierzu, auch mit Daten zur Entwicklung der Gefangenenraten in Europa
seit 1984, s. Dünkel. Frieder: Der deutsche Strafvollzug im internationalen Vergleich
<www.uni-greifswald.de/~ls3/Strafvollzug%20BRD.pdf>).
Schaubild 45: Gefangene in westeuropäischen Staaten
Der Anteil der
Abgeurteilten, gegen die freiheitsentziehende Massregeln der Besserung und
Sicherung (Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, in einer
Entziehungsanstalt, in Sicherungsverwahrung) angeordnet wurden, ist insgesamt
sehr gering, in den letzten zwei Jahrzehnten jedoch deutlich gestiegen (vgl. Tabelle 4). 1976
kamen auf 100 Abgeurteilte 0,10 mit freiheitsentziehenden Massregeln, 2003 0,28.
Dieser Anstieg geht vor allem zurück auf die zunehmend häufiger angeordnete
Unterbringung in einer Entziehungsanstalt. Sicherungsverwahrung wird immer noch
relativ zurückhaltend angeordnet, wenngleich mit insgesamt leicht steigender
Tendenz.
Die Anordnung
von freiheitsentziehenden Massregeln der Besserung und Sicherung, insbesondere
die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, ist – insgesamt
gesehen – eine seltene Ausnahme. Wie die deliktsspezifische Analyse zeigt, sind
die Anteile deutlich höher bei Straftaten gegen das Leben (ohne Straftaten im
Strassenverkehr) (vgl. Tabelle
5a/5b). 2003 wurden bei 9,9% der wegen
Tötungsdelikten Angeklagten eine Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus
angeordnet, darunter überwiegend – 74,6% - bei Schuldunfähigen. Die
Unterbringungsquoten bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung sind
demgegenüber geringer, liegen aber immer noch deutlich über dem Durchschnitt.
Die Schuldunfähigkeit steht bei dieser Deliktskategorie nicht im Vordergrund.
Entsprechend der gesetzlichen Regelung
wird bei abgeurteilten Schuldunfähigen überwiegend eine Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt angeordnet. 2003
war dies bei drei von vier Abgeurteilten (77,4%) der Fall (vgl. Tabelle 6a). In
Fällen der Schwerkriminalität ist der Anteil der abgeurteilten
Schuldunfähigen, bei denen eine Unterbringung angeordnet wurde, mit 90% oder
mehr deutlich höher. Die Unterbringungsraten beliefen sich 2003 bei Delikten
gegen das Leben oder ein Delikt gegen die sexuelle Selbstbestimmung auf rd.
98%, bei Raub, räuberische Erpressung auf 97% und bei Delikten gegen die körperliche
Unversehrtheit auf 91%.
Im Unterschied zur Schuldunfähigkeit
führt die Feststellung verminderter Schuldfähigkeit zwar regelmässig zu einer
Strafmilderung, nicht aber zu einer Unterbringung, und zwar selbst bei schweren
Straftaten (vgl. Tabelle
6b). So erfolgte 2003 z.B. keine Unterbringung bei rd. 74% der im Zusammenhang
mit Delikten gegen das Leben Abgeurteilten, bei denen eine verminderte
Schuldfähigkeit festgestellt wurde.
Tabelle 4: Abgeurteilte mit
freiheitsentziehenden Massregeln der Besserung und Sicherung 1976 bis 2003.
Früheres Bundesgebiet mit Berlin-West, seit
1995 einschl. Berlin-Ost
|
Abgeurteilte |
||||||||||
|
darunter mit freiheits- entziehenden Massregeln |
Unterbringung in |
|||||||||
Psychiatrischem Krankenhaus |
Entziehungsanstalt |
Sicherungsverwahrung |
|||||||||
|
dar.: schuldunfähig |
|
dar.: schuldunfähig |
||||||||
N |
N |
% von (1) |
N |
% von (2) |
N |
N |
% von (2) |
N |
N |
% von (2) |
|
|
(1) |
(2) |
(3) |
(4) |
(5) |
(6) |
(7) |
(8) |
(9) |
(10) |
(11) |
1976 |
839.679 |
874 |
0,10 |
410 |
46,9 |
258 |
404 |
46,2 |
62 |
60 |
6,9 |
1977 |
882.855 |
869 |
0,10 |
389 |
44,8 |
201 |
429 |
49,4 |
49 |
51 |
5,9 |
1978 |
917.532 |
895 |
0,10 |
377 |
42,1 |
251 |
483 |
54,0 |
64 |
35 |
3,9 |
1979 |
906.232 |
984 |
0,11 |
370 |
37,6 |
229 |
570 |
57,9 |
50 |
44 |
4,5 |
1980 |
928.906 |
992 |
0,11 |
366 |
36,9 |
233 |
585 |
59,0 |
48 |
41 |
4,1 |
1981 |
952.091 |
956 |
0,10 |
395 |
41,3 |
232 |
504 |
52,7 |
33 |
57 |
6,0 |
1982 |
981.083 |
965 |
0,10 |
408 |
42,3 |
240 |
519 |
53,8 |
49 |
38 |
3,9 |
1983 |
998.208 |
968 |
0,10 |
420 |
43,4 |
268 |
521 |
53,8 |
49 |
27 |
2,8 |
1984 |
966.339 |
974 |
0,10 |
427 |
43,8 |
256 |
511 |
52,5 |
44 |
36 |
3,7 |
1985 |
924.912 |
990 |
0,11 |
425 |
42,9 |
267 |
526 |
53,1 |
43 |
39 |
3,9 |
1986 |
908.652 |
994 |
0,11 |
410 |
41,2 |
248 |
544 |
54,7 |
41 |
40 |
4,0 |
1987 |
890.666 |
1.040 |
0,12 |
391 |
37,6 |
235 |
610 |
58,7 |
47 |
39 |
3,8 |
1988 |
903.211 |
1.095 |
0,12 |
447 |
40,8 |
249 |
616 |
56,3 |
28 |
32 |
2,9 |
1989 |
888.089 |
1.086 |
0,12 |
428 |
39,4 |
252 |
631 |
58,1 |
56 |
27 |
2,5 |
1990 |
878.305 |
1.089 |
0,12 |
432 |
39,7 |
276 |
626 |
57,5 |
48 |
31 |
2,8 |
1991 |
869.195 |
1.236 |
0,14 |
474 |
38,3 |
324 |
724 |
58,6 |
72 |
38 |
3,1 |
1992 |
883.056 |
1.397 |
0,16 |
553 |
39,6 |
337 |
810 |
58,0 |
60 |
34 |
2,4 |
1993 |
931.051 |
1.304 |
0,14 |
467 |
35,8 |
307 |
810 |
62,1 |
79 |
27 |
2,1 |
1994 |
936.459 |
1.505 |
0,16 |
551 |
36,6 |
358 |
914 |
60,7 |
49 |
40 |
2,7 |
1995 |
937.385 |
1.361 |
0,15 |
559 |
41,1 |
345 |
757 |
55,6 |
28 |
45 |
3,3 |
1996 |
944.324 |
1.548 |
0,16 |
628 |
40,6 |
410 |
874 |
56,5 |
38 |
46 |
3,0 |
1997 |
960.334 |
1.901 |
0,20 |
739 |
38,9 |
464 |
1.116 |
58,7 |
46 |
46 |
2,4 |
1998 |
974.187 |
1.892 |
0,19 |
770 |
40,7 |
454 |
1.061 |
56,1 |
40 |
61 |
3,2 |
1999 |
940.683 |
1.955 |
0,21 |
709 |
36,3 |
466 |
1.191 |
60,9 |
43 |
55 |
2,8 |
2000 |
908.261 |
2.085 |
0,23 |
758 |
36,4 |
497 |
1.267 |
60,8 |
48 |
60 |
2,9 |
2001 |
890.099 |
2.234 |
0,25 |
790 |
35,4 |
512 |
1.370 |
61,3 |
52 |
74 |
3,3 |
2002 |
893.005 |
2.452 |
0,27 |
864 |
35,2 |
557 |
1.532 |
62,5 |
45 |
56 |
2,3 |
2003 |
911.848 |
2.585 |
0,28 |
876 |
33,9 |
536 |
1.643 |
63,6 |
34 |
66 |
2,6 |
Änderung |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
in % |
8,6 |
195,8 |
|
113,7 |
|
107,8 |
306,7 |
|
-45,2 |
10,0 |
|
absolut |
72.169 |
1.711 |
|
466 |
|
278 |
1.239 |
|
-28 |
6 |
|
Datenquelle: Statistisches Bundesamt (Hrsg.):
Rechtspflege. Fachserie 10. Reihe 3: Strafverfolgung 1976-2003.
Tabellen auch in der
PDF-Version: <http://www.uni-konstanz.de/rtf/kis/sanks03.pdf>
Tabelle 5a: Wegen Verbrechen
oder Vergehen Abgeurteilte mit freiheitsentziehenden Massregeln der Besserung
und Sicherung, nach Deliktsart.
Früheres Bundesgebiet mit Berlin 2003. Absolute
Zahlen
|
Abgeurteilte |
Abgeurteilte mit freiheitsentziehenden Massregeln |
||||
Insge- |
Unterbringung in Psychiatrie insg. |
darunter:
schuldunfähig |
|
|
||
Straftaten insgesamt |
911.848 |
2.585 |
876 |
536 |
1.643 |
66 |
Straftaten gg. die sexuelle Selbstbestimmung
(§§ 174-184b) |
9.156 |
251 |
147 |
40 |
74 |
30 |
Straftaten gegen das Leben (ohne Verkehr)
(§§ 211-222) |
1.194 |
175 |
118 |
88 |
52 |
5 |
- vollendeter Mord (§ 211) |
143 |
15 |
9 |
3 |
5 |
1 |
- versuchter Mord (§§ 211, 22) |
113 |
25 |
21 |
15 |
3 |
1 |
- Totschlag (§§ 212, 213) |
538 |
134 |
87 |
70 |
44 |
3 |
gg. die körperliche Unversehrtheit (ohne Verkehr) (§§ 223-231) |
90.031 |
549 |
275 |
206 |
271 |
3 |
- gefährliche Körperverletzung (§ 224) |
36.661 |
340 |
167 |
129 |
170 |
3 |
- Körperverl. mit Todesfolge
(§ 227) |
71 |
14 |
3 |
1 |
11 |
0
|
Diebstahl und Unterschlagung (§§ 242-248c) |
184.190 |
269 |
43 |
22 |
222 |
4 |
- Einbruchsdiebstahl
einschl. Wohnungseinbruch (§§ 243 I, 244 I Nr. 3) |
18.714 |
123 |
21 |
9 |
100 |
2 |
- Diebst. in
anderen besonders schweren Fällen (§ 243 I Nr. 2-7) |
6.619 |
28 |
6 |
2 |
21 |
1 |
- Diebstahl
mit Waffen (§ 244 I 1) |
1.812 |
25 |
4 |
3 |
21 |
0
|
- Bandendiebstahl
(§ 244 I 2) |
776 |
5 |
0 |
0
|
4 |
1 |
Raub, Erpressung, räub. Angriff auf Kraftfahrer
(§§ 249-255, 316a) |
12.146 |
437 |
87 |
53 |
334 |
16 |
- einfacher
Raub (§ 249) |
3.262 |
59 |
13 |
8 |
46 |
0
|
- schwerer
Raub (§ 250) |
2.413 |
144 |
19 |
11 |
118 |
7 |
- Raub mit
Todesfolge (§ 251) |
36 |
1 |
0 |
0
|
1 |
0
|
Betrug und Untreue (§§ 263-266b) |
140.132 |
47 |
17 |
8 |
27 |
3 |
Gemeingefährl. Straftaten (ohne Verkehr) |
5.541 |
196 |
90 |
58 |
104 |
2 |
Straftaten im Strassenverkehr |
222.894 |
99 |
10 |
8 |
89 |
0
|
Datenquelle: Statistisches Bundesamt (Hrsg.):
Rechtspflege. Fachserie 10. Reihe 3: Strafverfolgungsstatistik 2003. -
§§ ohne weitere Angabe: StGB.
Tabelle 5b: Wegen Verbrechen
oder Vergehen Abgeurteilte mit freiheitsentziehenden Massregeln der Besserung
und Sicherung, nach Deliktsart.
Früheres Bundesgebiet mit Berlin 2003. (in
% der Abgeurteilten)
|
Abgeurteilte |
Abgeurteilte mit freiheitsentziehenden Massregeln |
||||
Insge- |
Unterbringung in Psychiatrie insg. |
darunter:
schuldunfähig |
Entziehungsanstalt |
Sicherungsverwahrung |
||
Straftaten insgesamt |
911.848 |
0,28 |
0,10 |
61,2 |
0,18 |
0,01 |
Straftaten gg. die sexuelle Selbstbestimmung
(§§ 174-184b) |
9.156 |
2,74 |
1,61 |
27,21 |
0,81 |
0,33 |
Straftaten gegen das Leben (ohne Verkehr) (§§ 211-222) |
1.194 |
14,66 |
9,88 |
74,58 |
4,36 |
0,42 |
- vollendeter Mord (§ 211) |
143 |
10,49 |
6,29 |
33,33 |
3,50 |
0,70 |
- versuchter Mord (§§ 211, 22) |
113 |
22,12 |
18,58 |
71,43 |
2,65 |
0,88 |
- Totschlag (§§ 212, 213) |
538 |
24,91 |
16,17 |
80,46 |
8,18 |
0,56 |
gg. die körperliche Unversehrtheit (ohne Verkehr)
(§§ 223-231) |
90.031 |
0,61 |
0,31 |
74,91 |
0,30 |
0,00 |
- gefährliche Körperverletzung (§ 224) |
36.661 |
0,93 |
0,46 |
77,25 |
0,46 |
0,01 |
- Körperverl. mit Todesfolge
(§ 227) |
71 |
19,72 |
4,23 |
33,33 |
15,49 |
0.00 |
Diebstahl und Unterschlagung (§§ 242-248c) |
184.190 |
0,15 |
0,02 |
51,16 |
0,12 |
0,00 |
-
Einbruchsdiebstahl einschl. Wohnungseinbruch (§§ 243 I, 244 I
Nr. 3) |
18.714 |
0,66 |
0,11 |
42,86 |
0,53 |
0,01 |
- Diebst.in
anderen besonders schweren Fällen (§ 243 I Nr. 2-7) |
6.619 |
0,42 |
0,09 |
33,33 |
0,32 |
0,02 |
- Diebstahl
mit Waffen (§ 244 I 1) |
1.812 |
1,38 |
0,22 |
75,00 |
1,16 |
0.00 |
-
Bandendiebstahl (§ 244 I 2) |
776 |
0,64 |
0,00 |
0,00 |
0,52 |
0,13 |
Raub, Erpressung, räub. Angriff auf Kraftfahrer
(§§ 249-255, 316a) |
12.146 |
3,60 |
0,72 |
60,92 |
2,75 |
0,13 |
- einfacher
Raub (§ 249) |
3.262 |
1,81 |
0,40 |
61,54 |
1,41 |
0,00 |
- schwerer
Raub (§ 250) |
2.413 |
5,97 |
0,79 |
57,89 |
4,89 |
0,29 |
- Raub mit
Todesfolge (§ 251) |
36 |
2,78 |
0,00 |
0,00 |
2,78 |
0,00 |
Betrug und Untreue (§§ 263-266b) |
140.132 |
0,03 |
0,01 |
47,06 |
0,02 |
<
0,01 |
Gemeingefährl. Straftaten (ohne Verkehr) |
5.541 |
3,54 |
1,62 |
64,44 |
1,88 |
0,04 |
Straftaten im Strassenverkehr |
222.894 |
0,04 |
0,00 |
80,00 |
0,04 |
0,00 |
Datenquelle: Statistisches Bundesamt (Hrsg.):
Rechtspflege. Fachserie 10. Reihe 3: Strafverfolgungsstatistik 2003. -
§§ ohne weitere Angabe: StGB.
Tabelle 6a: Schuldunfähige
Abgeurteilte mit freiheitsentziehenden Massregeln der Besserung und
Sicherung, nach Deliktsart. Früheres
Bundesgebiet mit Berlin 2003.
|
Abgeurteilte |
Schuldunfähig Abgeurteilte |
||||||||||
|
Insge-samt |
davon
schuld-unfähig |
insgesamt |
ohne Unterbringg. |
mit Unterbringung |
Unterbringung
in |
||||||
N |
in % der schuldunf.
Abg. |
|
in % der schuldunf.
Abg. |
Psychiatrie |
in % der schuldunf.
Abg. |
Entziehungsanstalt |
in % der schuldunf.
Abg. |
|||||
|
(1) |
(2) |
(3) |
(4) |
(5) |
(7) |
(8) |
(9) |
(10) |
(11) |
(12) |
|
Straftaten
insgesamt |
911.848 |
0,08 |
736 |
166 |
22,6 |
570 |
77,4 |
536 |
72,8 |
34 |
4,6 |
|
Straftaten
gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174-184b) |
9.156 |
0,48 |
44 |
1 |
2,3 |
43 |
97,7 |
40 |
90,9 |
3 |
6,8 |
|
Straftaten
gegen das Leben (ohne Verkehr) (§§ 211-222) |
1.194 |
7,54 |
90 |
2 |
2,2 |
88 |
97,8 |
88 |
97,8 |
0 |
0,0 |
|
- vollendeter Mord (§ 211) |
143 |
2,10 |
3 |
0 |
0,0 |
3 |
100,0 |
3 |
100,0 |
0 |
0,0 |
|
- versuchter Mord (§§ 211, 22) |
113 |
13,27 |
15 |
0 |
0,0 |
15 |
100,0 |
15 |
100,0 |
0 |
0,0 |
|
- Totschlag (§§ 212, 213) |
538 |
13,38 |
72 |
2 |
2,8 |
70 |
97,2 |
70 |
97,2 |
0 |
0,0 |
|
gg. die
körperliche Unversehrtheit (ohne Verkehr) (§§ 223-231) |
90.031 |
0,26 |
233 |
21 |
9,0 |
212 |
91,0 |
206 |
88,4 |
6 |
2,6 |
|
- gefährliche Körperverletzung (§ 224) |
36.661 |
0,38 |
141 |
8 |
5,7 |
133 |
94,3 |
129 |
91,5 |
4 |
2,8 |
|
-
Körperverl. mit Todesfolge (§ 227) |
71 |
1,41 |
1 |
0 |
0,0 |
1 |
100,0 |
1 |
100,0 |
0 |
0,0 |
|
Diebstahl u.
Unterschlagung (§§ 242-248c) |
184.190 |
0,02 |
28 |
2 |
7,1 |
26 |
92,9 |
22 |
78,6 |
4 |
14,3 |
|
- Einbruchsdiebstahl einschl. Wohnungseinbruch
(§§ 243 I, 244 I Nr. 3) |
18.714 |
0,06 |
11 |
0 |
0,0 |
11 |
100,0 |
9 |
81,8 |
2 |
18,2 |
|
- Diebst.in anderen bes. schweren Fällen |
6.619 |
0,03 |
2 |
0 |
0,0 |
2 |
100,0 |
2 |
100,0 |
0 |
0,0 |
|
- Diebstahl mit Waffen (§ 244 I 1) |
1.812 |
0,17 |
3 |
0 |
0,0 |
3 |
100,0 |
3 |
100,0 |
0 |
0,0 |
|
- Bandendiebstahl (§ 244 I 2) |
776 |
0,00 |
0 |
0 |
0,0 |
0 |
0,0 |
0 |
0,0 |
0 |
0,0 |
|
Raub,
Erpressung, räub. Angriff auf Kraftfahrer (§§ 249-255, 316a) |
12.146 |
0,49 |
59 |
2 |
3,4 |
57 |
96,6 |
53 |
89,8 |
4 |
6,8 |
|
- einfacher Raub (§ 249) |
3.262 |
0,25 |
8 |
0 |
0,0 |
8 |
100,0 |
8 |
100,0 |
0 |
0,0 |
|
- schwerer Raub (§ 250) |
2.413 |
0,50 |
12 |
1 |
8,3 |
11 |
91,7 |
11 |
91,7 |
0 |
0,0 |
|
- Raub mit Todesfolge (§ 251) |
36 |
0,00 |
0 |
0 |
- |
0 |
- |
0 |
- |
0 |
- |
|
Betrug und
Untreue (§§ 263-266b) |
140.132 |
0,01 |
11 |
3 |
27,3 |
8 |
72,7 |
8 |
72,7 |
0 |
0,0 |
|
Gemeingefährl.
Straftaten (ohne Verkehr) (§§ 306-323c [ohne 316a]) |
5.541 |
2,33 |
129 |
63 |
48,8 |
66 |
51,2 |
58 |
45,0 |
8 |
6,2 |
|
Straftaten im
Strassenverkehr |
222.894 |
0,03 |
67 |
57 |
85,1 |
10 |
14,9 |
8 |
11,9 |
2 |
3,0 |
Datenquelle: Statistisches Bundesamt (Hrsg.):
Rechtspflege. Fachserie 10. Reihe 3: Strafverfolgungsstatistik 2003 (eigene
Berechnungen). - §§ ohne weitere Angabe: StGB.
Tabelle 6b: Vermindert
schuldfähige Verurteilte mit freiheitsentziehenden Massregeln der Besserung
und Sicherung, nach Deliktsart. Früheres Bundesgebiet mit Berlin 2003.
|
Abgeurteilte |
Vermindert schuldfähige Verurteilte |
|||||||||||
insgesamt |
Davon |
insgesamt |
ohne Unterbringung |
mit Unterbringung |
Unterbringung in |
||||||||
N |
% |
N |
in % d. verm.
schuldfäh. Verurt. |
Psychiatrie |
in % d. verm.
schuldfäh. Verurt. |
Entziehungsanstalt |
in % d. verm.
schuldfäh. Verurt. |
Sicherungsverw. |
in % d. verm.
schuldfäh. Verurt. |
||||
(1) |
(2) |
(3) |
(4) |
(5) |
(6) |
(7) |
(8) |
(9) |
(10) |
(11) |
(12) |
(13) |
|
Straftaten
insgesamt |
911.848 |
2,19 |
20.009 |
18.874 |
94,3 |
1.135 |
5,7 |
340 |
1,7 |
780 |
3,9 |
15 |
0,1 |
Straftaten gg
die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174-184b) |
9.156 |
6,82 |
624 |
467 |
74,8 |
157 |
25,2 |
107 |
17,1 |
44 |
7,1 |
6 |
1,0 |
Straftaten
gegen das Leben (ohne Verkehr) |
1.194 |
21,94 |
262 |
194 |
74,0 |
68 |
26,0 |
30 |
11,5 |
36 |
13,7 |
2 |
0,8 |
- vollendeter Mord (§ 211) |
143 |
20,28 |
29 |
19 |
65,5 |
10 |
34,5 |
6 |
20,7 |
4 |
13,8 |
0 |
0,0 |
- versuchter Mord |
113 |
24,78 |
28 |
21 |
75,0 |
7 |
25,0 |
6 |
21,4 |
1 |
3,6 |
0 |
0,0 |
- Totschlag (§§ 212, 213) |
538 |
37,36 |
201 |
151 |
75,1 |
50 |
24,9 |
17 |
8,5 |
31 |
15,4 |
2 |
1,0 |
gg. die
körperliche Unversehrtheit (ohne Verkehr) (§§ 223-231) |
90.031 |
5,93 |
5.342 |
5.113 |
95,7 |
229 |
4,3 |
69 |
1,3 |
159 |
3,0 |
1 |
0,0 |
- gefährl. Körperverletzung (§ 224) |
36.661 |
6,33 |
2.322 |
2.185 |
94,1 |
137 |
5,9 |
38 |
1,6 |
98 |
4,2 |
1 |
0,0 |
- KV mit
Todesfolge (§ 227) |
71 |
39,44 |
28 |
16 |
57,1 |
12 |
42,9 |
2 |
7,1 |
10 |
35,7 |
0 |
0,0 |
Diebstahl u.
Unterschlagung (§§ 242-248c) |
184.190 |
2,85 |
5.241 |
5.103 |
97,4 |
138 |
2,6 |
21 |
0,4 |
117 |
2,2 |
0 |
0,0 |
- Einbruchsdiebstahl einschl. Wohngseinbr.
(§§ 243 I, 244 I Nr. 3) |
18.714 |
6,90 |
1.291 |
1.227 |
95,0 |
64 |
5,0 |
12 |
0,9 |
52 |
4,0 |
0 |
0,0 |
- Diebst.in anderen bes. schweren Fällen
(§ 243 I Nr. 2-7) |
6.619 |
7,90 |
523 |
507 |
96,9 |
16 |
3,1 |
4 |
0,8 |
12 |
2,3 |
0 |
0,0 |
- Diebst. m. Waffen (§ 244 I 1) |
1.812 |
15,45 |
280 |
263 |
93,9 |
17 |
6,1 |
1 |
0,4 |
16 |
5,7 |
0 |
0,0 |
- Bandendiebstahl |
776 |
2,06 |
16 |
14 |
87,5 |
2 |
12,5 |
0 |
0,0 |
2 |
12,5 |
0 |
0,0 |
Raub,
Erpressung, räub. Angriff auf Kraftfahrer (§§ 249-255, 316a) |
12.146 |
8,84 |
1.074 |
858 |
79,9 |
216 |
20,1 |
34 |
3,2 |
178 |
16,6 |
4 |
0,4 |
- einfacher Raub (§ 249) |
3.262 |
8,31 |
271 |
238 |
87,8 |
33 |
12,2 |
5 |
1,8 |
28 |
10,3 |
0 |
0,0 |
- schwerer Raub (§ 250) |
2.413 |
10,36 |
250 |
182 |
72,8 |
68 |
27,2 |
8 |
3,2 |
60 |
24,0 |
0 |
0,0 |
- Raub mit Todesfolge (§ 251) |
36 |
16,67 |
6 |
6 |
100,0 |
0 |
0,0 |
0 |
0,0 |
0 |
0,0 |
0 |
0,0 |
Betrug und
Untreue |
140.132 |
0,37 |
515 |
492 |
95,5 |
23 |
4,5 |
9 |
1,7 |
14 |
2,7 |
0 |
0,0 |
Gemeingef.
Straftaten (ohne Verkehr) (§§ 306-323c [ohne 316a]) |
5.541 |
5,72 |
317 |
244 |
77,0 |
73 |
23,0 |
32 |
10,1 |
40 |
12,6 |
1 |
0,3 |
Straftaten im
Strassenverkehr |
222.894 |
1,26 |
2.806 |
2.779 |
99,0 |
27 |
1,0 |
2 |
0,1 |
25 |
0,9 |
0 |
0,0 |
Datenquelle: Statistisches Bundesamt (Hrsg.):
Rechtspflege. Fachserie 10. Reihe 3: Strafverfolgungsstatistik 2003 (eigene
Berechnungen). §§ ohne weitere Angabe: StGB.
Tabellen auch in der
PDF-Version: <http://www.uni-konstanz.de/rtf/kis/sanks03.pdf>
Unter den
nicht-freiheitsentziehenden Massregeln der Besserung und Sicherung
(Führungsaufsicht, Berufsverbot, Entziehung der Fahrerlaubnis) dominiert die
Fahrerlaubnisentziehung (Tabelle
7). Sie wird dann angeordnet, wenn jemand bei oder im Zusammenhang
mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten
eines Kraftfahrzeugführers eine rechtswidrige Tat begangen hat, z.B. eine
fahrlässige Körperverletzung im Strassenverkehr oder eine Trunkenheitsfahrt.
Mit der Fahrerlaubnisentziehung wird eine Sperre für die Erteilung einer
neuen Fahrerlaubnis verbunden. Alternativ kann als Denkzettelstrafe gegen
Kraftfahrzeugfahrer neben einer Freiheits- oder Geldstrafe eine Fahrverbot
verhängt werden (§ 44 StGB). Im Unterschied zur Fahrerlaubnisentziehung
bleibt der Verurteilte bei dieser Nebenstrafe Inhaber der Fahrerlaubnis, er
darf von ihr nur für die im Urteil bestimmte Dauer (ein bis drei Monate) keinen
Gebrauch machen.
2003 wurden im früheren Bundesgebiet
(einschliesslich Berlin) insgesamt 53% der wegen Straftaten im Strassenverkehr
Abgeurteilten die Fahrerlaubnis entzogen und 14% der wegen dieser Straftaten
Verurteilten ein Fahrverbot erteilt (Tabelle 7). In den letzten zwei Jahrzehnten wurde von
diesen Reaktionsmöglichkeiten zunehmend Gebrauch gemacht. Seit Mitte der
70er Jahre stieg der Anteil der mit einer Fahrerlaubnisentziehung oder einem
Fahrverbot belegten Abgeurteilten von 52% (1976) auf 65% (2003) an. Mit einem
Anteil zwischen 80% und 89% an allen Fahrerlaubnisentziehungen/Fahrverboten
dominiert die Fahrerlaubnisentziehung, wenngleich der Anteil des Fahrverbots
relativ zunimmt.
Tabelle 7: Entziehung der Fahrerlaubnis (Sperre)
und Fahrverbot wegen Straftaten im Strassenverkehr. Früheres Bundesgebiet mit Berlin-West, seit 1994 einschl. Berlin-Ost.
|
Wegen Straftaten im Strassenverkehr Abgeur |
Entziehung der Fahrerlaubnis / Fahrverbot (zusammen) |
|
Entziehung der Fahrerlaubnis (Sperre) |
Fahrverbot |
|||||
% / (2) (Entzug und Fahrverbot zus.) |
% / (1) (wg Str.V. Abgeurteilte) |
mehr als 6 Mon. |
% / (1) (wg Str.V. Verur-teilte) |
1 Monat % / Fahrverbot |
>1 bis 2 Mon. % / Fahrverbot |
>2 bis 3 Mon. % / Fahrverbot |
||||
Jahr |
(1) |
(2) |
(3) |
(4) |
(5) |
(6) |
(7) |
(8) |
(9) |
(10) |
1976 |
351.574 |
183 751 |
52,3 |
89,0 |
46,5 |
68,7 |
6,5 |
30,1 |
23,2 |
46,7 |
1977 |
374.538 |
198 214 |
52,9 |
88,6 |
46,9 |
69,2 |
7,0 |
30,7 |
22,9 |
46,5 |
1978 |
387.581 |
206 869 |
53,4 |
88,2 |
47,1 |
69,4 |
7,3 |
29,8 |
22,5 |
47,7 |
1979 |
381.314 |
203 272 |
53,3 |
87,4 |
46,6 |
70,2 |
8,0 |
29,2 |
21,9 |
48,9 |
1980 |
392.184 |
215 057 |
54,8 |
86,2 |
47,3 |
71,0 |
9,0 |
27,0 |
19,9 |
53,1 |
1981 |
385.595 |
213 307 |
55,3 |
85,2 |
47,1 |
71,3 |
9,8 |
26,1 |
19,4 |
54,5 |
1982 |
373.189 |
213 210 |
57,1 |
84,0 |
48,0 |
72,5 |
10,9 |
23,8 |
18,9 |
57,2 |
1983 |
365.742 |
214 832 |
58,7 |
83,7 |
49,1 |
74,1 |
11,4 |
23,2 |
18,3 |
58,4 |
1984 |
343.235 |
206 413 |
60,1 |
83,2 |
50,0 |
74,9 |
12,1 |
23,5 |
17,6 |
58,9 |
1985 |
318.797 |
196 082 |
61,5 |
83,0 |
51,1 |
74,7 |
12,4 |
23,3 |
17,8 |
59,0 |
1986 |
309.334 |
190 242 |
61,5 |
83,6 |
51,4 |
74,5 |
12,0 |
23,2 |
17,6 |
59,2 |
1987 |
301.403 |
185 909 |
61,7 |
83,5 |
51,5 |
74,9 |
12,1 |
24,5 |
17,7 |
57,8 |
1988 |
303.725 |
189 839 |
62,5 |
83,7 |
52,3 |
75,9 |
12,1 |
24,6 |
17,7 |
57,7 |
1989 |
302.033 |
190 696 |
63,1 |
84,2 |
53,2 |
76,3 |
11,7 |
24,4 |
17,4 |
58,2 |
1990 |
301.967 |
194 232 |
64,3 |
84,5 |
54,4 |
76,7 |
11,6 |
24,3 |
17,7 |
58,0 |
1991 |
302.242 |
200 015 |
66,2 |
85,4 |
56,5 |
75,3 |
11,1 |
24,3 |
17,9 |
57,8 |
1992 |
299.783 |
195 486 |
65,2 |
85,6 |
55,8 |
74,1 |
10,7 |
24,4 |
17,2 |
58,3 |
1993 |
299.253 |
193 035 |
64,5 |
85,5 |
55,2 |
75,4 |
10,7 |
24,7 |
16,8 |
58,5 |
1994 |
298.928 |
194 309 |
65,0 |
86,3 |
56,1 |
75,7 |
10,1 |
25,1 |
16,1 |
58,7 |
1995 |
298.010 |
192 542 |
64,6 |
86,1 |
55,6 |
76,7 |
10,2 |
25,8 |
16,0 |
58,3 |
1996 |
286.727 |
188.016 |
65,6 |
85,3 |
55,9 |
77,3 |
11,0 |
27,1 |
16,3 |
56,5 |
1997 |
282.490 |
188.723 |
66,8 |
85,2 |
56,9 |
77,9 |
11,2 |
27,8 |
16,6 |
55,6 |
1998 |
267.957 |
179.070 |
66,8 |
84,5 |
56,4 |
79,0 |
11,7 |
27,4 |
15,7 |
56,9 |
1999 |
243.426 |
161.814 |
66,5 |
83,6 |
55,6 |
79,1 |
12,4 |
28,2 |
16,5 |
55,3 |
2000 |
238.454 |
156.717 |
65,7 |
82,6 |
54,3 |
79,3 |
13,0 |
30,9 |
16,6 |
52,6 |
2001 |
229.610 |
150.891 |
65,7 |
82,1 |
53,9 |
78,2 |
13,4 |
31,3 |
16,9 |
51,8 |
2002 |
224.562 |
146.700 |
65,3 |
81,2 |
53,0 |
77,9 |
14,0 |
32,4 |
16,7 |
50,9 |
2003 |
222.894 |
144.234 |
64,7 |
81,1 |
52,5 |
78,0 |
14,0 |
34,1 |
16,9 |
49,0 |
Datenquelle: Statistisches Bundesamt (Hrsg.):
Rechtspflege. Fachserie 10. Reihe 3: Strafverfolgungsstatistik 1976-2003.
Tabellen auch in der
PDF-Version: <http://www.uni-konstanz.de/rtf/kis/sanks03.pdf>
Ambulante
Erziehungsmassregeln (Jugendstrafrecht):
Weisung, Erziehungsbeistandschaft bzw. (seit 1990) ambulante Hilfe zur Erziehung
i.S. von § 12 Nr. 1 JGG.
Ambulante
Massnahmen bzw. Sanktion (Jugendstrafrecht):
ambulante Erziehungsmassregeln (Weisung, Erziehungsbeistandschaft bzw. [seit
1990] ambulante Hilfe zur Erziehung i.S. von § 12 Nr. 1 JGG),
ambulante Zuchtmittel (Verwarnung, Auflage), zur Bewährung ausgesetzte
Jugendstrafe.
Ambulante
Zuchtmittel (Jugendstrafrecht):
Verwarnung und Auflagen.
Ambulante Sanktionen (insgesamt): 1923 bis 1936: Aussetzung der Vollstreckung der
Freiheitsstrafe gegenüber Jugendlichen gem. § 10 JGG
1923. 1937 bis 1939 wurde in der amtlichen Statistik die Aussetzung der
Freiheitsstrafe bei Jugendlichen (§ 10 JGG 1923) nicht
mehr ausgewiesen. Der Anteil der unbedingten Freiheitsstrafen ist deshalb um
bis zu 2 Prozentpunkte überschätzt.
Ab 1954: Bei Verurteilungen nach allgemeinem Strafrecht: Geldstrafe sowie Aussetzungen
zur Bewährung bei Gefängnis und Haft.
Die gem. § 23 Abs. 1 StGB a.F. mögliche Strafaussetzung bei Einschliessungsstrafe von nicht
mehr als 9 Monaten wurde in der amtlichen Statistik überhaupt nicht, die
Aussetzung von Strafarrest zur Bewährung (§ 14 Wehrstrafgesetz - WStG) bis 1974
nicht nachgewiesen. Quantitativ sind die nicht nachgewiesenen Aussetzungen bei
Einschliessung und Strafarrest bedeutungslos. Seit 1970 Strafaussetzung
zur Bewährung bei Freiheitsstrafe sowie - seit 1975 - bei Strafarrest.
Bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht ab 1954: ambulante
Erziehungsmassregeln (Weisung, Erziehungsbeistandschaft bzw. [seit 1990]
ambulante Hilfe zur Erziehung i.S. von § 12 Nr. 1JGG), ambulante Zuchtmittel (Verwarnung, Auflage),
zur Bewährung ausgesetzte Jugendstrafe. Durch Art. 11 Nr. 6 des 1. StrRG 1969 wurde zum 1.4.1970 die Strafaussetzung zur Bewährung auch bei
Jugendstrafen von mehr als einem bis einschliesslich zwei Jahren eingeführt. In
der amtlichen Statistik wurden diese "unter besonderen Umständen"
möglichen Aussetzungen erst seit 1975 ausgewiesen.
Aussetzungsrate: Anteil der zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafen
(nach allgemeinem Strafrecht) bzw. Jugendstrafen (nach Jugendstrafrecht) an den
jeweils aussetzungsfährigen Freiheits- bzw. Jugendstrafen.
Beendete Bewährungsaufsichten nach früherer Verurteilung: Im jeweiligen Berichtsjahr beendete Unterstellungen nach
allgemeinem Strafrecht bzw. nach Jugendstrafrecht (Aussetzung der
Freiheitsstrafe bzw. der Jugendstrafe, des Strafrestes bei Freiheitsstrafe
bzw. der Jugendstrafe, und zwar auch, soweit im Wege der Gnade) unter einen
hauptamtlichen Bewährungshelfer.
Hinsichtlich der Probanden wird nachgewiesen, ob sie im Zeitpunkt der zur
Unterstellung führenden Straftat
- bereits früher verurteilt waren,
- bereits früher unter Bewährungs- oder Führungsaufsicht
standen.
Bei den Probanden "ohne frühere Verurteilung" handelt es sich um die
rechnerisch ermittelte Differenz zwischen der Zahl der Probanden, deren
Unterstellung beendet worden ist, und der Zahl der Probanden, die bereits
früher verurteilt worden ist.
Bedingte Jugendstrafe:
Zur Bewährung ausgesetzte Jugendstrafe.
Durch
Bewährung beendete Bewährungsaufsichten:
Nicht durch Widerruf, sondern durch Straferlass beendete Unterstellungen unter
einen hauptamtlichen Bewährungshelfer, einschliesslich Aufhebungen der
Unterstellungen und Erledigung des Berufsverbots.
Deutschland: 1882 bis 1939: Die Angaben beziehen sich auf das
jeweiliges Reichsgebiet;
ab 1950 bis 1960: Die Angaben beziehen sich auf das Bundesgebiet ohne Saarland
und Berlin (West);
ab 1961: Die Angaben beziehen sich auf die Bundesrepublik Deutschland nach dem
Gebietsstand vor dem 3.10.1990, sie schliessen Berlin (West) ein. Die
Ergebnisse schliessen Berlin-Ost mit ein ab 1991 in der
Justizgeschäftsstatistik, 1992 in der StVollz-Statistik,
ab 1993 in der StA-Statistik und ab 1995 in der StVStat.
Diversion: Als kriminalpolitisches Konzept wird mit Diversion
"Ablenkung", "Umleitung" oder "Wegführung" vom
System formeller Sozialkontrolle bezeichnet. In Deutschland wird hierunter die
Einstellung des Strafverfahrens - bei Vorliegen der Prozessvoraussetzungen und
bei hinreichendem Tatverdacht (sonst: Einstellung gem. § 170 Abs. 2 StPO) - durch die Staatsanwaltschaft (staatsanwaltschaftliche
Diversion) zur Vermeidung der Anklage oder durch das Gericht (gerichtliche
Diversion) zur Vermeidung der Verurteilung verstanden. Die rechtlichen
Grundlagen hierfür bilden die §§ 153, 153a, 153b StPO,
§§ 45, 47 JGG, §§ 31a, 37, 38 Abs. 2 BtMG.
Diversionsrate (allgemeines Strafrecht): Anteil der Personen, bei denen das Verfahren nach
§§ 153, 153a, 153b StPO eingestellt worden ist (nach
allgemeinem Strafrecht informell Sanktionierte) an allen nach allgemeinem Strafrecht (formell und informell)
sanktionierten Personen (nach allgemeinem Strafrecht Verurteilte
sowie Personen mit Entscheidungen gem. §§ 59, 60 StGB
[= formell Sanktionierte] und nach
allgemeinem Strafrecht informell Sanktionierte).
Diversionsrate (insgesamt):
Anteil der Personen, bei denen das Verfahren nach §§ 153, 153a, 153b StPO, §§ 45, 47 JGG eingestellt worden
ist (informell Sanktionierte insges.) an allen
sanktionierten Personen (nach allgemeinem Strafrecht oder nach
Jugendstrafrecht Verurteilte sowie Personen mit
Entscheidungen gem. §§ 59, 60 StGB, § 27 JGG [= formell
Sanktionierte] und informell Sanktionierte
insges.).
Diversionsrate (Jugendstrafrecht): Anteil der Personen, bei denen das Verfahren nach
§§ 45, 47 JGG eingestellt worden ist (nach
Jugendstrafrecht informell Sanktionierte) an allen
nach Jugendstrafrecht sanktionierten Personen (nach Jugendstrafrecht Verurteilte sowie Personen mit Entscheidungen gem.
§ 27 JGG [= formell
Sanktionierte] und nach Jugendstrafrecht informell
Sanktionierte).
§§ 45, 47 JGG hatten bis zum Inkrafttreten des 1. JGGÄndG von 1990 folgenden Wortlaut:
§ 45. Absehen von der Verfolgung.
(1) Ist der Beschuldigte geständig und hält der Staatsanwalt eine Ahndung durch
Urteil für entbehrlich, so kann er bei dem Jugendrichter anregen, dem
Jugendlichen Auflagen zu machen, ihm aufzugeben, Arbeitsleistungen zu
erbringen, seine Teilnahme an einem Verkehrsunterricht anzuordnen oder ihm eine
Ermahnung auszusprechen ... Entspricht der Jugendrichter der Anregung, so hat
der Staatsanwalt von der Verfolgung abzusehen.
(2) Der Staatsanwalt kann ohne Zustimmung des Richters von der Verfolgung
absehen, wenn 1. eine erzieherische Massnahme, die eine Ahndung durch den
Richter entbehrlich macht, bereits angeordnet ist oder 2. die Voraussetzungen
des § 153 der Strafprozessordnung vorliegen.
§ 47.
Einstellung des Verfahrens durch den Richter.
(1) Ist die Anklage eingereicht, so kann der Richter das Verfahren einstellen,
wenn
1. er eine Ahndung für entbehrlich hält und gegen den geständigen Angeklagten
eine in § 45 Abs. 1 bezeichnete Massnahme anordnet,
2. die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 vorliegen oder
3. der Angeklagte mangels Reife strafrechtlich nicht verantwortlich ist.
(2) Die Einstellung bedarf der Zustimmung des Staatsanwalts ...
(3) Wegen derselben Tat kann nur auf Grund neuer Tatsachen oder Beweismittel
von neuem Anklage erhoben werden.
Einschliessung: Einschliessung trat 1953 an die Stelle von Festungshaft. Aufgehoben
durch das 1. StrRG vom 25.6.1969.
Einstellungen
durch die Staatsanwaltschaft ohne Auflagen:
Einstellungen gem. §§ 153 Abs. 1, 153b Abs. 1 StPO,
§ 45 Abs. 1 JGG (bzw. § 45 Abs. 2 JGG
a.F.) durch die Staatsanwaltschaft.
Einstellungen
durch die Staatsanwaltschaft mit Auflagen:
Einstellungen gem. § 153a Abs. 1 StPO, §§ 45
Abs. 2, 3 JGG (bzw. § 45 Abs. 1 JGG a.F.) durch die
Staatsanwaltschaft.
Einstellungen
durch das Gericht:
Einstellungen gem. §§ 153 Abs. 2, 153b Abs 2 StPO
durch das Gericht; seit 1989 auch Einstellungen gem. §§ 153c Abs. 3, 153d
Abs. 2, 153e Abs. 2, 154e Abs. 2, 383 Abs. 2 sowie 390 Abs. 5 i.V. m. 383 Abs.
2 StPO, ferner Einstellungen gem. § 47 JGG.
Festungshaft: Im RStGB 1871 eine nicht entehrende
Strafe ("custodia honesta") ohne Arbeitszwang. Festungshaft ersetzte
sowohl Zuchthaus als auch Gefängnis
und wurde wahlweise mit diesen beiden Strafen bei einer Reihe politischer Straftaten
sowie bei Zweikampf angedroht. Seit dem 3. StrÄG vom
4.8.1953 durch Einschliessung ersetzt.
Formell Sanktionierte (allgemeines Strafrecht): Alle nach allgemeinen Strafrecht Verurteilte
(einschliesslich der Personen mit Entscheidungen gem. §§ 59, 60 StGB).
Formell
Sanktionierte (insgesamt): Alle nach
allgemeinen Strafrecht und nach Jugendstrafrecht Verurteilte
(einschliesslich der Personen mit Entscheidungen gem. §§ 59, 60 StGB, 27 JGG).
Formell
Sanktionierte (Jugendstrafrecht):
Alle nach Jugendstrafrecht Verurteilte
(einschliesslich der Personen mit Entscheidungen gem. § 27 JGG).
Freiheitsentziehende
Sanktionen zur Bewährung (Schaubild 3): 1923 bis 1936: Aussetzung der Vollstreckung der
Freiheitsstrafe gegenüber Jugendlichen gem. § 10 JGG
1923. 1937 bis 1939 wurde in der amtlichen Statistik die Aussetzung der
Freiheitsstrafe bei Jugendlichen (§ 10 JGG 1923) nicht
mehr ausgewiesen. Der Anteil der unbedingten Freiheitsstrafen ist deshalb um
bis zu 2 Prozentpunkte überschätzt.
Ab 1954: Bei Verurteilungen nach allgemeinem Strafrecht: Aussetzungen zur
Bewährung bei Gefängnis und Haft.
Die gem. § 23 Abs. 1 StGB a.F. mögliche Strafaussetzung bei Einschliessungsstrafe von nicht
mehr als 9 Monaten wurde in der amtlichen Statistik überhaupt nicht, die
Aussetzung von Strafarrest zur Bewährung (§ 14 Wehrstrafgesetz - WStG) bis 1974
nicht nachgewiesen. Quantitativ sind die nicht nachgewiesenen Aussetzungen bei
Einschliessung und Strafarrest bedeutungslos. Seit 1970 Strafaussetzung
zur Bewährung bei Freiheitsstrafe sowie - seit 1975 - bei Strafarrest.
Bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht: Strafaussetzung
zur Bewährung bei Jugendstrafe bis einschliesslich 1 Jahr. Durch Art. 11
Nr. 6 des 1. StrRG 1969 wurde zum 1.4.1970 die Strafaussetzung zur Bewährung auch bei
Jugendstrafen von mehr als einem bis einschliesslich zwei Jahren eingeführt. In
der amtlichen Statistik wurden diese "unter besonderen Umständen"
möglichen Aussetzungen erst seit 1975 ausgewiesen.
Freiheitsentziehende Sanktionen unbedingt (Schaubild
3, 10):
1882 bis 1939 Zuchthaus, Gefängnis
(soweit nicht zur Bewährung ausgesetzt), Festungshaft
und Haft. 1921 bis 1933 einschliesslich Arrest. 1937 bis
1939 sind die Quoten um bis zu 2 Prozentpunkte überschätzt, weil die Strafaussetzung zur Bewährung bei Jugendlichen
(§ 10 JGG 1923) in der amtlichen Statistik nicht mehr
ausgewiesen wurde.
Ab 1950: Bei Verurteilungen nach allgemeinem Strafrecht: Zuchthaus,
nicht zur Bewährung ausgesetzte Gefängnisstrafe und Haft.
Seit dem 3. StrÄG vom 4.8.1953 auch Einschliessung. Seit
1957 auch der durch das Wehrstrafgesetz vom 30.3.1957 eingeführte Strafarrest (insgesamt). Seit dem 1. Strafrechtsreformgesetz vom
25.6.1969 nicht zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe und (seit 1975) unbedingter
Strafarrest.
Bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht: Bis 1953 Jugendgefängnis,
Jugendarrest und Fürsorgeerziehung, ab 1954 nicht zur Bewährung ausgesetzte
Jugendstrafe, Jugendarrest und Fürsorgeerziehung (ab 1991: Heimerziehung).
Gefängnis: Im RStGB 1871 die zweitschwerste, an
sich nicht ehrmindernde Strafe mit Arbeitszwang. Gefängnis war vorgesehen für
Vergehen. Aufgehoben durch das 1. StrRG vom 25.6.1969.
Haft: Im RStGB 1871 eine leichte, nicht
entehrende Strafe, bei der regelmässig Arbeitszwang nicht bestand. Haft war
vorgesehen bei Übertretungen. Aufgehoben durch das 1. StrRG
vom 25.6.1969.
Hauptdeliktsgruppen (Schaubild 24):
I: Straftaten gegen den Staat, die öffentliche Ordnung (ohne
Straftaten im Strassenverkehr) und im Amt (§§ 80-168, 331-357, ohne 142 StGB).
II: Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung
(§§ 174-184b StGB).
III: Andere Straftaten gegen die Person (o.V.)
(§§ 169-173, 185-189, 201-204, 211-222, 223-231, 234-241a StGB).
16: Straftaten gegen das Leben (§§ 211-222 StGB).
17: Körperverletzung (§§ 223-231 StGB).
IV: Diebstahl und Unterschlagung (§§ 242-248c StGB).
V: Raub und Erpressung, räuberischer Angriff auf Kraftfahrer
(§§ 249-255, 316a StGB).
VI: Andere Vermögensdelikte (§§ 257-261, 263-266b,
267-281, 283-305a StGB).
VII: Gemeingefährliche einschl. Umweltstraftaten
(§§ 306-323c, ohne 316a StGB).
VIII: Straftaten im Strassenverkehr nach dem StGB
und dem StVG.
IX: Straftaten nach anderen Bundes- und Landesgesetzen
(ausser StGB und StVG).
- Straftaten insgesamt
- Straftaten ohne
Straftaten im Strassenverkehr
Informell Sanktionierte
(allgemeines Strafrecht): Personen,
bei denen das Strafverfahren gem. §§ 153, 153a, 153b StPO eingestellt worden ist. Bei den
Einstellungen durch das Gericht zählen zu den (informell) sanktionierten Personen
seit 1989 auch die - quantitativ bedeutungslosen - Fälle der Einstellungen nach
§§ 153c Abs. 3, 153d Abs. 2, 153e Abs. 2, 154e Abs. 2, 383 Abs. 2 sowie
390 Abs. 5 i.V. m. 383 Abs. 2 StPO.
Informell Sanktionierte (Berechnung): Hinsichtlich der Zahlen der informell sanktionierten
Personen handelt es sich um Näherungswerte.
1. Durch die StA informell Sanktionierte: Informationen
hierüber enthält lediglich die StA-Statistik. Um
Näherungswerte handelt es sich deshalb, weil die verfahrensbezogenen Zahlen
der StA-Statistik hinsichtlich der Einstellungen durch die Staatsanwaltschaften
von Verfahren auf Personen umgerechnet und zweitens - bis 1988 einschliesslich
- die Zahlen der StA-Statistik auf das Bundesgebiet
hochgerechnet werden mussten.
Die Zahlen der StA-Statistik wurden umgerechnet (von
Verfahren auf Personen), und zwar entsprechend dem jeweiligen Verhältnis der
mit Auflagen gem. § 153a StPO und § 45 Abs. 1 JGG (a.F.) - bzw. ab 1991 einschliesslich gem. § 37 Abs. 1
BtMG - eingestellten Verfahren zur Zahl der Personen, bei denen die
Verfahrenseinstellung mit Auflagen die schwerste Erledigungsart war. Die
erstmals für 1998 vorliegenden personenbezogenen Daten der StA-Statistik
erlauben es, für 1998 die Grössenordnung der Abweichung von umgerechneten zu
"echten" Personenzahlen zu bestimmen (vgl. Anhang).
Zahlen über Einstellungen nach
§ 45 JGG durch die Staatsanwaltschaft liegen für das
gesamte Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nach
dem Gebietsstand vor dem 3.10.1990 erst seit 1989 vor. Es fehlten 1981-1984
Berlin, Hessen und Schleswig-Holstein; 1985-1987 Hessen und Schleswig-Holstein;
1988 Schleswig-Holstein. Die für diese Länder fehlenden Werte wurden auf der
Grundlage der Bevölkerungszahlen und entsprechend dem Durchschnittswert der
anderen Länder geschätzt und zu Zahlen für das Bundesgebiet hochgerechnet.
Für 1990 konnte in Hamburg die StA-Statistik nicht
aufbereitet werden. Vom Statistischen Bundesamt wurde zur Schätzung der
Verfahrensergebnisse der einfache Durchschnitt aus den Hamburger Ergebnissen
für 1989 und für 1991 gebildet. 1997 lagen für Hamburg noch keine aktuellen
Zahlen vor, weshalb die Ergebnisse für 1996 eingesetzt wurden. Für
Schleswig-Holstein liegen seit 1997 keine aktuellen Daten vor.
Die Daten der StA-Statistik (hinsichtlich der Einstellungen gem. § 45 JGG durch die Staatsanwaltschaft) beziehen sich in den Jahren
1981-1992 auf Berlin-West, seit 1993 auf Berlin insgesamt. Die StVStat bezieht sich nur auf Berlin-West; erst ab 1995 ist
auch Berlin-Ost mit eingeschlossen. Infolgedessen sind die Diversionsraten
1993-1994 durch die partielle Einbeziehung von Berlin-Ost geringfügig
überschätzt. Werden zur Bestimmung der Fehlergrösse die Werte von 1992 für
Berlin-West zugrundegelegt, ergibt sich eine Überschätzung von 0,5
Prozentpunkten.
2. Durch das Gericht informell Sanktionierte: Zahlen über Einstellungen gem. § 47 JGG
werden sowohl in der Justizstatistik in Strafsachen (verfahrens- und [seit
1989] personenbezogen) als auch in der StVStat
(personenbezogen) ausgewiesen. Die Angaben der Justizgeschäftsstatistik in
Strafsachen zu § 47 JGG sind zwischen 10 und 20
Prozentpunkte höher als die entsprechenden Zahlen der StVStat.
Im Sinne einer konservativen Berechnung werden die niedrigeren Angaben der StVStat zugrundegelegt.
Bis 1988 einschliesslich wurden die verfahrensbezogenen Zahlen der
Justizgeschäftsstatistik über Einstellungen
auf Personen umgerechnet, und zwar nach demselben Schlüssel wie für die StA-Statistik. Ab 1989 sind die personenbezogenen Daten der
Justizgeschäftsstatistik zugrunde gelegt.
Informell Sanktionierte (insgesamt): Personen, bei denen das Strafverfahren gem. §§ 153,
153a, 153b StPO, §§ 45, 47 JGG
eingestellt worden ist. Bei den Einstellungen durch das Gericht zählen zu den
(informell) sanktionierten Personen seit 1989 auch die - quantitativ
bedeutungslosen - Fälle der Einstellungen nach §§ 153c Abs. 3, 153d Abs.
2, 153e Abs. 2, 154e Abs. 2, 383 Abs. 2 sowie 390 Abs. 5 i.V. m. 383 Abs. 2 StPO.
Informell Sanktionierte (Jugendstrafrecht): Personen, bei denen das Strafverfahren gem. §§ 45,
47 JGG eingestellt worden ist.
Internierungsrate (Schaubild 30): Anteil der nach Jugendstrafrecht zu freiheitsentziehenden
Sanktionen Verurteilten (unbedingte Jugendstrafe,
Jugendarrest, Fürsorgeerziehung bzw. Hilfe zur Erziehung gem. § 12 Nr. 2 JGG) an allen Verurteilten
Sanktionierbare Personen: Nach allgemeinem oder nach Jugendstrafrecht Verurteilte (einschliesslich der Personen mit
Entscheidungen gem. §§ 59, 60 StGB, 27 JGG)
und alle Personen, deren Strafverfahren gem. §§ 153, 153a, 153b StPO, 45, 47 JGG eingestellt worden ist.
Eine Verfahrenseinstellung nach diesen Vorschriften setzt voraus, dass die
Staatsanwaltschaft hinreichenden Tatverdacht bejaht hat; bei einer Einstellung
durch das Gericht wurde zuvor von der Staatsanwaltschaft Anklage erhoben.
Sanktionierte (formell
oder informell Sanktionierte): Alle (nach allgemeinen oder nach Jugendstrafrecht) Verurteilten (einschliesslich der Personen mit Entscheidungen
gem. §§ 59, 60 StGB, 27 JGG) und
alle Personen, deren Verfahren gem. §§ 153, 153a, 153b StPO,
§§ 45, 47 JGG eingestellt worden ist.
Sonstige Sanktionen (Schaubild 3):
1882 bis 1924; Verweis (gegenüber Jugendlichen); 1923
bis 1939: Absehen von Strafe gem. § 6 JGG 1923
zugunsten von Erziehungsmassregeln und gem. § 9 Abs. 4 JGG
1923 in besonders leichten Fällen.
Ab 1950: Ambulante Erziehungsmassregeln und ambulante
Zuchtmittel (jeweils als schwerste Sanktion) nach Jugendstrafrecht (Erziehungsmassregeln,
jedoch ohne Fürsorgeerziehung bzw. Heimerziehung; Zuchtmittel [bis 1953:
Auferlegung besonderer Pflichten gem. § 9 JGG a.F.],
jedoch ohne Jugendarrest).
Stationäre Sanktionen (allgemeines Strafrecht): Nicht zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe, nicht
zur Bewährung ausgesetzter Strafarrest.
Stationäre Sanktionen (Jugendstrafrecht): unbedingte Jugendstrafe, Jugendarrest, Fürsorgeerziehung
bzw. Heimerziehung gem. § 12 JGG.
Strafarrest: Militärische Freiheitsstrafe eigener Art nach
Wehrstrafgesetz vom 30.3.1957, die ausschliesslich gegen Soldaten und
militärische Vorgesetzte, die nicht Soldaten sind, verhängt werden kann.
Strafaussetzung zur Bewährung
(allgemeines Strafrecht): Als Fortentwicklung
der bisher nur gnadenweise gewährten Strafaussetzung durch das 3.
StrÄG vom 4.8.1953 bei Gefängnis- und
Einschliessungsstrafe von nicht mehr als 9 Monaten sowie bei Haftstrafe
eingeführt. Die Aussetzung wurde hierbei an die Erwartung geknüpft, der Verurteilte werde "in Zukunft ein gesetzmässiges
und geordnetes Leben führen". Fakultativ konnte der Verurteilte einem Bewährungshelfer unterstellt werden.
Durch das 1. StrRG vom 25.6.1969 wurde der
Anwendungsbereich der Strafaussetzung zur Bewährung erweitert auf
Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr bei gleichzeitiger Erweiterung
der Aussetzungsvoraussetzungen. Ausnahmsweise ("besondere Umstände in der
Tat und in der Persönlichkeit des Verurteilten")
konnte auch eine Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, ausgesetzt
werden.
Durch das 23. StrÄndG vom 13.4.1986 wurden die Aussetzungsvoraussetzungen bei
Freiheitsstrafen zwischen 1 Jahr und 2 Jahren erweitert ("wenn nach der
Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten
besondere Umstände vorliegen").
Strafaussetzung zur Bewährung (Jugendstrafrecht): Gem. § 20 JGG 1953 konnte eine
bestimmte Jugendstrafe "von nicht mehr als einem Jahr" zur Bewährung
ausgesetzt werden. Die Aussetzungsvoraussetzungen wurden durch das 1. StrRG vom 25.6.1969 neu gefasst (§ 21 Abs. 1 JGG) und der Anwendungsbereich der Strafaussetzung zur
Bewährung erweitert auf Jugendstrafe, die 2 Jahre nicht übersteigt.
Durch das EGStGB vom 2.3.1974 wurde aus der
"Kann"-Bestimmung hinsichtlich der Aussetzung bei Jugendstrafen, die
ein Jahr nicht übersteigen, eine "Ist"-Bestimmung.
Durch das 1. JGGÄndG vom 30.8.1990 erhielten die
Aussetzungsvoraussetzungen für Jugendstrafen zwischen einem Jahr und zwei
Jahren ihre gegenwärtige Fassung.
Todesstrafe: Todesstrafe war im RStGB 1871 nur bei
vollendetem Mord sowie bei Mordversuch am Kaiser und eigenem Landesherrn
angedroht. In der Folgezeit wurde die Todesstrafe auch bei zahlreichen anderen
Delikten angedroht. Aufgehoben wurde sie durch Art. 102 des GG vom 23.5.1949.
Unbedingt
verhängte freiheitsentziehende Sanktionen (stationäre Sanktionen): 1882 bis 1939 Zuchthaus, Gefängnis (soweit nicht - bei Jugendlichen - zur
Bewährung ausgesetzt), Festungshaft und Haft. 1921 bis 1933 einschliesslich Arrest. 1937 bis 1939
sind die Quoten um bis zu 2 Prozentpunkte überschätzt, weil die Strafaussetzung zur Bewährung bei Jugendlichen
(§ 10 JGG 1923) in der amtlichen Statistik nicht mehr
ausgewiesen wurde.
Ab 1950: Bei Verurteilungen nach allgemeinem Strafrecht: Zuchthaus,
nicht zur Bewährung ausgesetzte Gefängnisstrafe und Haft.
Seit dem 3. StrÄG vom 4.8.1953 auch Einschliessung. Seit
1957 auch der durch das Wehrstrafgesetz vom 30.3.1957 eingeführte Strafarrest (insgesamt). Seit dem 1. Strafrechtsreformgesetz vom
25.6.1969 nicht zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe und (seit 1975) unbedingter
Strafarrest.
Bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht: Bis 1953 Jugendgefängnis,
Jugendarrest und Fürsorgeerziehung, ab 1954 nicht zur Bewährung ausgesetzte
Jugendstrafe, Jugendarrest und Fürsorgeerziehung (ab 1991: Heimerziehung).
Untersuchungshaftraten: Anteil der Verurteilten, die
zuvor in Untersuchungshaft waren, an allen Verurteilten
eines Berichtsjahres.
Verhängungsrate:
Anteil der zu Freiheitsstrafe (nach allgemeinem Strafrecht) bzw. zu
Jugendstrafe (nach Jugendstrafrecht) Verurteilten an
allen nach allgemeinem Strafrecht (bzw. Jugendstrafrecht) informell
und formell Sanktionierten.
Verurteilte
(nach allgemeinem Strafrecht und nach Jugendstrafrecht): Formell verurteilte
Personen (ohne Entscheidungen gem. §§ 59, 60 StGB, 27 JGG).
Die Verurteilungen wegen Verbrechen und Vergehen nach allgemeinem Strafrecht
und nach Jugendstrafrecht bezogen sich bis 26.2.1923 auf Personen, die zur Zeit
der Tat 12 Jahre und älter waren, ab 27.3.1924 auf Personen von 14 Jahren und
älter.
Gegenstand der Verurteilung:
1882 bis 1936: Hauptstrafen (bei Doppelstrafen nur die jeweils schwerste
Strafe) wegen Verbrechen und Vergehen (1937 bis 1939 insgesamt verhängte Hauptstrafen
einschliesslich Doppelstrafen). Von 1882 bis 1918 ohne die wegen Wehrpflichtverletzung
Verurteilten, von 1914 bis 1936 ohne die Verurteilten wegen Verbrechen und
Vergehen gegen die aus Anlass des Krieges oder der Übergangszeit erlassenen
Strafvorschriften, von 1921 ab ohne die wegen Verstössen gegen das Militärstrafgesetzbuch
Verurteilten. Von 1934 ab auch ohne die Verurteilungen wegen Verbrechen und
Vergehen gegen Reichsgesetze, die zur Zuständigkeit des Volksgerichtshofs
gehörten. Von 1937 bis 1939 Verbrechen und Vergehen überhaupt, aber ohne
Verstösse gegen das Militärstrafgesetzbuch.
Ab 1950: Verbrechen und Vergehen gegen Bundes- und Landesgesetze.
Verweis: Ein Verweis konnte Jugendlichen vor Inkrafttreten des JGG 1923 erteilt werden in besonders leichten Fällen eines
Vergehens oder einer Übertretung (§ 57 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 RStGB).
Zuchthaus: Im RStGB 1871 die schwerste,
ehrmindernde Freiheitsstrafe mit Arbeitszwang. Zuchthaus war vorgesehen für
Verbrechen, ferner bei Vergehen, wenn wegen Rückfalls die Schuld erhöht war
oder der Täter als besonders gefährlich angesehen wurde (sog. gefährlicher
Gewohnheitsverbrecher). Aufgehoben durch das 1. StrRG
vom 25.6.1969.
Zur Bewährung ausgesetzte freiheitsentziehende Sanktionen: 1923 bis 1936: Aussetzung der Vollstreckung der
Freiheitsstrafe gegenüber Jugendlichen gem. § 10 JGG
1923. 1937 bis 1939 wurde in der amtlichen Statistik die Aussetzung der
Freiheitsstrafe bei Jugendlichen (§ 10 JGG 1923) nicht
mehr ausgewiesen. Der Anteil der unbedingten Freiheitsstrafen ist deshalb um
bis zu 2 Prozentpunkte überschätzt.
Ab 1954: Bei Verurteilungen nach allgemeinem Strafrecht: Aussetzungen zur
Bewährung bei Gefängnis und Haft.
Die gem. § 23 Abs. 1 StGB a.F. mögliche Strafaussetzung bei Einschliessungsstrafe von nicht
mehr als 9 Monaten wurde in der amtlichen Statistik überhaupt nicht, die
Aussetzung von Strafarrest
zur Bewährung (§ 14 Wehrstrafgesetz - WStG) bis 1974 nicht nachgewiesen.
Quantitativ sind die nicht nachgewiesenen Aussetzungen bei Einschliessung und Strafarrest
bedeutungslos. Seit 1970 Strafaussetzung zur
Bewährung bei Freiheitsstrafe sowie - seit 1975 - bei Strafarrest.
Bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht: Strafaussetzung
zur Bewährung bei Jugendstrafe bis einschliesslich 1 Jahr. Durch Art. 11
Nr. 6 des 1. StrRG 1969 wurde zum 1.4.1970 die Strafaussetzung zur Bewährung auch bei
Jugendstrafen von mehr als einem bis einschliesslich zwei Jahren eingeführt. In
der amtlichen Statistik wurden diese "unter besonderen Umständen"
möglichen Aussetzungen erst seit 1975 ausgewiesen.
*
* *
Erstes Gesetz zur Änderung des
Jugendgerichtsgesetzes vom 30.8.1990 |
|
Erstes Gesetz zur Reform des
Strafrechts vom 25.6.1969 |
|
Zweites Gesetz zur Reform des
Strafrechts vom 4.7.1969 |
|
3.
StrÄG |
Drittes Strafrechtsänderungsgesetz
vom 4.8.1953 |
Zwanzigstes
Strafrechtsänderungsgesetz vom 8.12.1981 |
|
Dreiundzwanzigstes
Strafrechtsänderungsgesetz - Strafaussetzung zur Bewährung - vom
13.4.1986 |
|
Bewährungshilfestatistik |
|
Entscheidungen des Bundesgerichtshofs
in Strafsachen (zitiert nach Band und Seite) |
|
BMJ |
Bundesministerium der Justiz |
Drucksache des Deutschen
Bundesrates |
|
Drucksache des Deutschen Bundestages
(zitiert nach Wahlperiode und Nummer) |
|
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
(zitiert nach Band und Seite) |
|
Einführungsgesetz zum
Strafgesetzbuch |
|
Gesetz zur Änderung des
Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch |
|
Jugendgerichtsgesetz |
|
Opferschutzgesetz |
Erstes Gesetz zur Verbesserung der
Stellung des Verletzten im Strafverfahren (Opferschutzgesetz) vom
18.12.1986 |
StP/OWi-Statistik |
Justizgeschäftsstatistik
Justizgeschäftsstatistik der Strafgerichte |
Gesetz über
Ordnungswidrigkeiten |
|
Strafgesetzbuch für das Deutsche
Reich |
|
Staatsanwaltschaft |
|
Staatsanwaltschaftsstatistik |
|
Strafgesetzbuch |
|
Strafprozessordnung |
|
Strafvollzugsstatistik |
|
Strafverfolgungsstatistik |
|
Verbrechens- |
Gesetz zur Änderung des
Strafgesetzbuches, der Strafpozessordnung und anderer Gesetze
(Verbrechensbekämpfungsgesetz) vom 28.10.1994 |
1. Die
Neubestimmung des Verhältnisses zwischen Bürger und Staat als Folge der
Betonung verfassungsrechtlicher und menschenrechtlicher Grenzen des Strafrechts
hat nicht nur zu einem Wandel der traditionellen Auffassungen von Strafrecht
und Kriminalität geführt, sondern auch zu einer tiefgreifenden Veränderung des
Sanktionensystems. Entkriminalisierung, insbesondere auf verfahrensrechtlichem
Weg, und der Umbau des klassischen Vergeltungsstrafrechts zu einem präventiv
orientierten Strafrecht sind hierfür kennzeichnend.
2. Die
Entwicklung der Sanktionierungspraxis in Deutschland ist gekennzeichnet durch
die nachhaltige Zurückdrängung der vollstreckbaren, freiheitsentziehenden
Sanktionen. 1882 betrug der Anteil der unbedingten freiheitsentziehenden
Sanktionen 76,8%, 2003 nur noch 8,8%
aller
nach Jugend- und Erwachsenenstrafrecht verhängten Sanktionen. Werden auch die
Einstellungen gem. §§ 153, 153a, 153b StPO,
§§ 45, 47 JGG berücksichtigt, dann dürften 2003
lediglich noch 3,9% aller sanktionierbaren Personen zu einer
unmittelbar mit Freiheitsentziehung verbundenen Sanktion verurteilt worden
sein.
3. Das
kriminalpolitische Konzept der Diversion hat sich
durchgesetzt, wie der zunehmende Gebrauch der Einstellungsmöglichkeiten der
§§ 153, 153a, 153b StPO, §§ 45, 47 JGG
zeigt. Nur noch 45% der Beschuldigten, bei dem Staatsanwaltschaft oder Gericht
hinreichenden Tatverdacht bejahen, wird auch tatsächlich verurteilt; bei mehr
als jedem zweiten - nach Auffassung von Staatsanwaltschaft oder Gericht
hinreichend tatverdächtigem - Beschuldigten wird das Verfahren eingestellt.
Im allgemeinen Strafrecht wird der Anstieg der Fallzahlen
vor allem durch vermehrten Gebrauch der folgenlosen Einstellung gem.
§§ 153, 153b StPO aufgefangen.
Defizite, wie insbesondere die regional extrem
unterschiedliche Handhabung der §§ 153, 153a, 153b StPO,
§§ 45, 47 JGG, die sowohl im allgemeinen Strafrecht als
auch - und vor allem - im Jugendstrafrecht bestehen, konnten bislang nicht
ausgeräumt werden. Es hängt weitgehend vom Wohnort ab, ob das Verfahren
eingestellt oder ob angeklagt und verurteilt wird.
4. Innerhalb der
formellen Sanktionen ist die Entwicklung
gekennzeichnet
·
durch den Bedeutungsverlust der stationären
Sanktionen,
·
durch die Zunahme fachlicher Betreuung durch Bewährungshilfe
sowie
·
durch die Erprobung und Institutionalisierung "neuer ambulanter Massnahmen" im Jugendstrafrecht.
Gegenüber den weitaus praktikableren
Opportunitätsvorschriften, namentlich des § 153a StPO,
konnten sich neue Rechtsinstitute, wie die Verwarnung unter Strafvorbehalt,
nicht durchsetzen.
Die praktische Bedeutung von Täter-Opfer-Ausgleich und
Schadenswiedergutmachung entspricht nicht der straftheoretischen Bedeutung
dieser Institute. Soweit die verfügbaren Informationen dies erkennen lassen,
ist die quantitative Bedeutung immer noch (zu) gering.
5. Die
Geldstrafe ist die Hauptstrafe der Gegenwart. Etwas mehr als 80% aller
Verurteilungen nach allgemeinem Strafrecht lauten auf Geldstrafe. Diesen hohen
Anteil konnte die Geldstrafe halten trotz des zunehmenden Gebrauchs der
§§ 153 ff. StPO.
Die gesetzlichen Möglichkeiten der Geldstrafe werden von der
Praxis nur unzulänglich ausgeschöpft; die Mehrzahl aller verhängten Geldstrafen
übersteigt 30 Tagessätze nicht. Entsprechendes gilt für die Höhe der
Tagessätze, und zwar sowohl für die obere wie die untere Höhe. Der hohe und in
den letzten Jahren steigende Anteil der Ersatzfreiheitsstrafe sowie die hinter
den Erwartungen zurückbleibende Entlastungswirkung der gemeinnützigen Arbeit
signalisieren, dass hier eines der ungelösten Probleme liegt.
6. Die kurze
Freiheitsstrafe wurde zwar deutlich zurückgedrängt, zur seltenen
"Ausnahme" ist sie indes immer noch nicht geworden. 36,5% aller verhängten Freiheitsstrafen waren 2003 kürzer als 6
Monate. Ebenfalls nicht zur Ausnahme geworden sind die unbedingt
verhängten kurzen Freiheitsstrafen; jede vierte (28,4%) nicht
ausgesetzte Freiheitsstrafe war 2003 kürzer als 6 Monate. Erst recht nicht zur
Ausnahme geworden sind vollstreckte kurze Freiheitsstrafen. Zu den unbedingt
verhängten kurzen Freiheitsstrafen kommen noch Ersatzfreiheitsstrafen hinzu,
widerrufene ausgesetzte kurze Freiheitsstrafen sowie Freiheitsstrafen, deren
Vollstreckungsdauer wegen bedingter Entlassung oder Anrechnung von Untersuchungshaft
verkürzt ist.
Die "Krise präventiven Strafdenkens" hat zu keiner
Reduzierung der mittel- und langfristigen Freiheitsstrafen geführt. Der Anteil
der Freiheitsstrafen von 12 Monaten und mehr ist, auch bei Bezugnahme auf alle
(informell oder formell)
Sanktionierten, in den letzten Jahren leicht gestiegen.
7. Neben der
Geldstrafe ist die Strafaussetzung zur Bewährung
zur bedeutsamen Alternative zur vollstreckten Freiheitsstrafe geworden. Der
Anteil der Strafaussetzungen gem. § 56 StGB an den Freiheitsstrafen hat sich in den letzten 40 Jahren
mehr als verdoppelt. Die Aussetzung ist bei Freiheitsstrafen bis zwei Jahre
die Regel; die Praxis macht nicht nur bei Freiheitsstrafen bis 12 Monate,
sondern zunehmend auch bei Strafen zwischen 12 und 24 Monaten von der Strafaussetzung zur Bewährung Gebrauch.
Das gesetzgeberische Experiment der Anhebung der Obergrenze
der aussetzungsfähigen Freiheitsstrafe und das Experiment der Praxis, vermehrt
vom Institut der Straf- und der Strafrestaussetzung Gebrauch zu machen, ist
erfolgreich. Die Ausdehnung der Strafaussetzung ging einher mit einer deutlichen Erhöhung
des Anteils der besonders risikobelasteten Probandengruppe und mit einem
deutlichen Anstieg der Straferlassquote, namentlich bei den als besonders
risikobelastet geltenden Gruppen.
8. Wie das
allgemeine Strafrecht, so ist auch das Jugendstrafrecht gekennzeichnet durch
einen Bedeutungsgewinn ambulanter Massnahmen, insbesondere
der Weisungen bzw. der Auflagen. Allerdings weist die Zahl der erzieherischen
Massnahmen seit Anfang der 90er Jahre eine deutlich rückläufige Entwicklung
auf zugunsten punitiver Reaktionen, insbesondere zugunsten der
Arbeitsauflagen. Auch wenn es sich hierbei um einen Austausch zwischen
Arbeitsweisungen und Arbeitsauflagen handeln dürfte, so bleibt die Tatsache,
dass sowohl Weisungen, namentlich Betreuungsweisungen, soziale Trainingskurse
und Täter-Opfer-Ausgleich, als auch die Auflage der Schadenswiedergutmachung
innerhalb der verhängten Sanktionen die seltene Ausnahme sind.
9. Der Rückgang stationärer Sanktionen
im Jugendstrafrecht beruht vor allem auf dem nachhaltigen Rückgang des durch
Urteil verhängten Jugendarrestes, ferner auf der vermehrten Strafaussetzung zur Bewährung. Der Anteil der zu
Jugendstrafe insgesamt Verurteilten ging, bezogen
auf die (informell oder formell)
Sanktionierten, leicht zurück, allerdings nur im Bereich der Jugendstrafe unter
12 Monaten. Der Anteil der Jugendstrafen zwischen 12 Monaten und 2 Jahren
ist indes leicht gestiegen.
Im Jugendstrafrecht werden - auch bei Berücksichtigung der
höheren Diversionsrate im Jugendstrafrecht als im
allgemeinen Strafrecht - häufiger freiheitsentziehende
Sanktionen verhängt als im allgemeinen Strafrecht. Offenbar vertrauen Jugendrichter in höherem Masse auf die -
empirisch allerdings nicht gestützte - Annahme einer rückfallmindernden Wirkung
freiheitsentziehender Sanktionen. Durch Art
und Schwere der Kriminalität dürfte dieser Unterschied jedenfalls kaum
erklärbar sein, ist doch Jugendkriminalität im Schnitt weniger schwer als die
Kriminalität von Erwachsenen.
10. Die
Untersuchungshaftpraxis ist dysfunktional zu den spezialpräventiven
Konzeptionen des Reformgesetzgebers. Dies betrifft sowohl die Häufigkeit der
Anordnung von Untersuchungshaft als auch die Anordnung in Verfahren, die mit
Verurteilung zu einer ambulanten
Sanktion
abgeschlossen werden. Jeder zweite nach allgemeinem Strafrecht verurteilte
Untersuchungsgefangene erlebt den Freiheitsentzug nur in seiner
resozialisierungsfeindlichsten Form, nämlich als Untersuchungshaft.
11. Im
europäischen Vergleich nimmt Deutschland bezüglich der Gefangenenraten nur
einen Mittelplatz ein. Das eigentliche Ziel der Strafrechtsreform, die
nachhaltige Entlastung des Strafvollzugs, ist demnach nicht erreicht worden.
Dies beruht auf einem Anstieg der registrierten Kriminalität. Dies beruht
ferner darauf, dass die Erwartung, auch die Verhängung mittel- und langfristiger
Freiheitsstrafen würde zurückgehen, sich nicht erfüllt hat: Deutschland zählt
im europäischen Vergleich zu den Ländern, die eher von Strafen mit langer Dauer
Gebrauch machen. Die hohe Gefangenenrate in Deutschland beruht schliesslich auf
einem "Vollzug durch die Hintertür": Ein erheblicher, allerdings
nicht exakt quantifizierbarer Teil des Freiheitsentzugs erfolgt nicht aufgrund
der Verurteilung zu unbedingter Freiheitsstrafe, sondern in Form der
Untersuchungshaft, von Ersatzfreiheitsstrafen wegen uneinbringlicher
Geldstrafen oder nach Widerruf von Straf- oder Strafrestaussetzung.
Dementsprechend steht im Mittelpunkt der wissenschaftlichen
und kriminalpolitischen– sowohl der- internationalen als auch der deutschen -
Diskussion die Fortentwicklung des strafrechtlichen Sanktionensystems,
insbesondere der weitere Ausbau von Alternativen zu stationären
Sanktionen. Grund dafür sind nicht zuletzt die hohen Rückfallraten, wie sie
zuletzt durch die Rückfallstatistik (Jehle, Jörg-Martin; Heinz, Wolfgang;
Sutterer, Peter (unter Mitarbeit von Sabine Hohmann, Martin Kirchner und
Gerhard Spiess): Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen - Eine
kommentierte Rückfallstatistik. Mönchengladbach 2003 <http://www.bmj.de/media/archive/443.pdf>
auch für Deutschland erneut belegt worden sind. "Das Nachdenken über die
Alternativen zur Freiheitsstrafe beherrscht auch deshalb in verstärktem
Masse die internationale Diskussion, weil der Strafvollzug die in ihn gesetzten
Erwartungen offenbar nicht erfüllt. Rückfallquoten von mehr als 60 Prozent
bescheinigen ihm Versagen; Haftschäden und Stigmatisierungswirkungen lassen
ihn im Hinblick auf das Ziel der Resozialisierung geradezu als kontraindiziert
erscheinen. Kosten-Nutzen-Analysen belegen das krasse Missverhältnis von
Aufwand und Erfolg. Selbst der Behandlungsvollzug lässt sich mit dem Anspruch,
derartige Mängel zu vermeiden, nur selten verwirklichen und schon gar nicht
breitenwirksam anwenden. Es bestehen deshalb Zweifel, ob der Strafvollzug den
an ihn gerichteten Anspruch überhaupt erfüllen kann. Ansätze, welche die
Institution des Gefängnisses in Frage stellen, haben dort ihren
Ausgangspunkt" (Kaiser, Günther: Kriminologie - ein Lehrbuch, 3. Aufl.,
Heidelberg 1996, S. 1032.)
12. Eine
rationale Kriminalpolitik muss die tatsächlichen Grundlagen, die Wirkungen und
die (etwaigen) Zielabweichungen rechtlicher Regelungen beobachten. Sie ist
deshalb auf statistische Daten als Grundlage folgenorientierten Handelns
angewiesen. Dem genügen, wie der Beitrag gezeigt hat, die gegenwärtigen
Rechtspflegestatistiken nur begrenzt. Sie erlauben lediglich, die ungefähren
Grössenordnungen und die Grobstrukturen der Sanktionierungspraxis von
Staatsanwaltschaft und Gericht zu beschreiben. Über die Umsetzung moderner
kriminalpolitischer Strömungen, wie Täter-Opfer-Ausgleich (TOA) oder Diversion, lassen sich den Rechtspflegestatistiken
entweder nur die Grössenordnungen (Diversion) oder,
wie hinsichtlich des TOA, noch nicht einmal diese entnehmen. Die Täter- bzw.
Tatengruppen, auf die diese Sanktionen angewendet werden, bleiben zur Gänze in
einem statistischen Dunkelfeld.
Differenzierte Aussagen zur Sanktionsschwere sind im
zeitlichen Längsschnitt nur hinsichtlich der Freiheitsstrafe und der
Geldstrafe (seit 1975) möglich. In der StA-Statistik
wird bei § 153a StPO nur die Art der Auflage, nicht aber deren
Inhalt ausgewiesen, bei § 45 JGG fehlt jeglicher
inhaltliche Nachweis. In der StVStat wird nur das Ob der Bewährungsauflage oder
-weisung nachgewiesen. Derzeit verbleibt - vorsichtig formuliert - der grösste
Teil der Sanktionierungspraxis in einem statistischen Graufeld.
Dringend geboten ist deshalb der Ausbau und die Verfeinerung
des Systems der Rechtspflegestatistiken als Planungs- und Kontrollinstrument.
Dazu gehört vorrangig der Ausbau solcher Statistiken, in denen die tatsächliche
Entscheidungstätigkeit der Staatsanwaltschaft sowie die zahlenmässig
dominierenden "informellen" Sanktionen nachgewiesen werden sowie der
Auf- und Ausbau von Vollstreckungs- und Vollzugsstatistiken .
Erhebungseinheit der
StA-Statistik sind Ermittlungsverfahren, in der Strafverfolgungsstatistik sind
es dagegen Personen. Die jeweiligen Ergebnisse beider Statistiken sind für eine
ganze Reihe von Berechnungen - z.B. Ermittlung des Anteils der Personen, bei
denen das Ermittlungsverfahren gem. §§ 45, 47 JGG, §§ 153, 153a, 153b
StPO eingestellt worden ist, oder des Anteils der zu freiheitsentziehenden
Sanktionen Verurteilten an der Gesamtzahl aller (informell oder formell)
Sanktionierten - aufeinander zu beziehen. Dies setzt einen vergleichbaren
Massstab voraus. Da von einem Ermittlungsverfahren im Schnitt 1,2 Personen
betroffen sind (1998 kamen lt. StA-Statistik auf 5.437.241 Beschuldigte
4.583.228 Ermittlungsverfahren), würde die unkorrigierte Gegenüberstellung
von Ermittlungsverfahren und Verurteilten zu einer Unterschätzung des
Ergebnisses führen. Zur genaueren Bestimmung der Grössenordnung der von den
jeweiligen Einstellungen betroffenen Personen konnte der StA-Statistik bis 1997
als Anhaltspunkt lediglich entnommen werden: die Zahl der Personen, bei denen
die Verfahrenseinstellung mit Auflagen die schwerste Erledigungsart war. Die
Relation der Zahl der mit Auflagen gem. § 153a StPO und § 45 Abs. 1
JGG (a.F.) - bzw. ab 1991 einschliesslich gem. § 37 Abs. 1 BtMG - eingestellten
Ermittlungsverfahren zur hiervon betroffenen Zahl der Personen ergab einen
ungefähren Umrechnungsfaktor zur Bestimmung der Grössenordnungen des
Verhältnisses Ermittlungsverfahren : Person bei Verfahrenseinstellungen. Die
unter Verwendung dieses Faktors errechnete Zahl war die beste Schätzmöglichkeit
für die (in der StA-Statistik bis 1997 nicht erhobene) Zahl der Personen, deren
Ermittlungsverfahren gem. § 45 JGG bzw. §§ 153, 153b, 153a StPO
eingestellt worden war.
Erstmals für
das Berichtsjahr 1999 wird für die StA-Statistik die Zahl der Personen für die
jeweilige Abschlussentscheidung der StA erhoben. Die in den vorläufigen
Ergebnissen der StA-Statistik 1998 mitgeteilten Ergebnisse für die alten Länder
Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bremen, Nordrhein-Westfalen und
Rheinland-Pfalz - für Hamburg und für Hessen, Niedersachsen, das Saarland und
Schleswig-Holstein lagen bei Abschluss des Manuskriptes noch keine Ergebnisse
für 1998 vor , das Statistische Bundesamt hat deshalb die Ergebnisse aus 1997
verwendet - erlauben es, etwaige, bei dem bisher verwendeten
Umrechnungsverfahren aufgetretene, Über-/Unterschätzungen zu bestimmen. Die Ergebnisse
sind in Tabelle A1 für die Einstellungen gem. § 45 JGG und in Tabelle A2
für Einstellungen gem. §§ 153, 153a, 153b StPO dargestellt.
Tabelle A1: Informell oder formell
Sanktionierte im
JGG.
Gegenüberstellung der Ergebnisse von "umgerechneter" auf
"echte" Personenzählung in der StA-Statistik.
Bundesrepublik Deutschland (alte Länder mit Berlin), 1998
Informell Sanktionierte § 45 JGG |
Angaben StA-Statistik zu
Verfahren, |
Angaben StA-Statistik 1998 zu
Personen |
Relative Über-/Unterschätzung
(Schätzfehler) |
Baden-Württemberg |
20398 |
22285 |
-8,5% |
Bayern |
19877 |
22271 |
-10,7% |
Berlin |
9469 |
11206 |
-15,5% |
Bremen |
2324 |
2641 |
-12,0% |
Hessen |
11
414 |
12
684 |
-10,0% |
Niedersachsen |
16
160 |
18
713 |
-13,6% |
Nordrhein-Westfalen |
39204 |
45010 |
-12,9% |
Rheinland-Pfalz |
8940 |
9695 |
-7,8% |
Saarland |
2
159 |
2
438 |
-11,4% |
Summe (umgerechnet) |
129
943 |
146
943 |
-11,6% |
|
|||
Umrechnung und Anpassung bei |
Umrechnung |
Anpassung wg. Schätzfehler |
|
Hamburg |
9814 |
11
110 |
|
Schleswig-Holstein |
7172 |
8
079 |
|
Summe (umgerechnet) |
16
986 |
19
188 |
|
Summe Sanktionierte § 45 JGG |
146 929 |
166 131 |
-11,6% |
|
|||
|
Personen |
Personen |
|
Sanktionierte § 47 JGG |
43211 |
43211 |
|
Formell Sanktionierte (Verurt. + § 27 JGG) |
93791 |
93791 |
|
Informell und formell Sanktionierte 1998 |
283
931 |
303
133 |
-6,3% |
Wie Tabelle A1 zeigt, wurde durch das
bisher vom Verf. verwendete Umrechnungsverfahren die Zahl der Personen, deren
Ermittlungsverfahren gem. § 45 JGG eingestellt worden war, im Schnitt von 9
der 11 alten Bundesländer, für die inzwischen Ergebnisse vorliegen, um gut 11%
(bezogen auf die Einstellungen gem. § 45 JGG) unterschätzt.
Um zu
(vorläufigen) flächendeckenden Angaben für das Bundesgebiet zu kommen, wurden die
verfahrensbezogenen Ergebnisse für die zwei (alten) Länder, für die noch keine
Ergebnisse aus 1998 vorliegen, wie bisher „umgerechnet“ und sodann aufgrund des
durchschnittlichen Schätzfehlers (für die anderen Länder) korrigiert.
Die Zahl der
insgesamt (informell oder formell) Sanktionierten dürfte aufgrund des
bisherigen Umrechnungsverfahrens damit um rd. 6% unterschätzt sein.
Tabelle A2: Informell oder formell
Sanktionierte im allgemeinen Strafrecht.
Gegenüberstellung der Ergebnisse von "umgerechneter" auf
"echte" Personenzählung in der StA-Statistik. Bundesrepublik
Deutschland (alte Länder mit Berlin), 1998
Informell Sanktionierte |
Angaben StA-Statistik zu Verfahren,
auf Personen umgerechnet |
Angaben StA-Statistik 1998 zu
Personen |
Relative Über-/ |
Baden-Württemberg |
63427 |
64660 |
-1,9% |
Bayern |
74030 |
75717 |
-2,2% |
Berlin |
38449 |
41025 |
-6,3% |
Bremen |
8193 |
8433 |
-2,8% |
Hessen |
52
215 |
53
203 |
-1,9% |
Niedersachsen |
63
833 |
67
138 |
-4,9% |
Nordrhein-Westfalen |
148256 |
154744 |
-4,2% |
Rheinland-Pfalz |
31938 |
32836 |
-2,7% |
Saarland |
9
110 |
9
355 |
-2,6% |
Summe (umgerechnet) |
489
450 |
507
111 |
-3,5% |
|
|||
Umrechnung und Anpassung bei |
Umrechnung |
Anpassung wg. Schätzfehler |
|
Hamburg |
19316 |
20
296 |
|
Schleswig-Holstein |
28106 |
29
352 |
|
Summe (umgerechnet) |
47
422 |
49
648 |
|
Summe Sanktionierte (StA) §§ 153, 153a, 153b StPO |
536
872 |
556
759 |
-3,6% |
|
|||
|
Personen |
Personen |
|
Sanktionierte (Gericht) |
95784 |
95784 |
|
Formell
Sanktionierte |
705006 |
705006 |
|
Informell und formell Sanktionierte 1998 |
1
337 662 |
1
357 549 |
-1,5% |
Wie Tabelle A2 zeigt, wurde durch das
bisher vom Verf. verwendete Umrechnungsverfahren die Zahl der Personen, deren
Ermittlungsverfahren gem. §§ 153, 153a, 153b StPO durch die StA
eingestellt worden war, im Schnitt von 9 der 11 alten Bundesländer, für die
inzwischen Ergebnisse vorliegen, um 3,5% (bezogen auf die Einstellungen gem.
§§ 153, 153a, 153b StPO) unterschätzt. Die Abweichungen liegen ausschliesslich
im Bereich von §§ 153, 153b StPO, wo die Unterschätzung 5,8% beträgt. Bei
§ 153a StPO sind die Ergebnisse durch das Umrechnungsverfahren dagegen
geringfügig überschätzt (0,5%).
Um zu
(vorläufigen) flächendeckenden Angaben für das Bundesgebiet zu kommen, wurden
die verfahrensbezogenen Ergebnisse für die zwei (alten) Länder, für die noch
keine Ergebnisse aus 1998 vorliegen, wie bisher „umgerechnet“ und – bezüglich
§§ 153, 153b StPO - sodann aufgrund des durchschnittlichen Schätzfehlers
(für die anderen Länder) korrigiert.
Die Gesamtzahl
der insgesamt (informell oder formell) Sanktionierten dürfte aufgrund des
bisherigen Umrechnungsverfahrens damit um rd. 1,5% unterschätzt sein.
Wenn, wie aus
Tabellen A1 und A2 ersichtlich ist, in der Vergangenheit die Zahl der informell
Sanktionierten unterschätzt wurde, dann führt die Verwendung der aufgrund der
„echten“ Personenzählung errechneten Zahl der informell Sanktionierten zu einer
Veränderung im Vergleich von 1997 versus 1998, die allein statistisch bedingt
ist. Um das Ausmass dieser Veränderung abzuschätzen, werden in Tabellen A3 und
A4 Vergleichsberechnungen für einige Bezugsgrössen durchgeführt, die es
erlauben, das Mass der rein statistisch bedingten Veränderung zu beurteilen.
Tabelle A3: Berechnungen zur Auswirkung der Umstellung von "umgerechneter" auf "echte" Personenzählung hinsichtlich der Ergebnisse zur Sanktionierungspraxis im Jugendstrafrecht. Bundesrepublik Deutschland (alte Länder mit Berlin), 1998
|
Angaben der |
Angaben
StA-Statistik zu Verfahren,
|
Angaben in
StA-Statistik 1998 zu Personen |
Relation: |
(1) |
(2) |
(3) |
(4) |
|
Einstellungen gem. §45 I, II
JGG |
|
135 263 |
153 144 |
88,32% |
Einstellungen gem. §45 III JGG |
|
11 597 |
12 988 |
89,29% |
Informell Sanktionierte gem.
§45 JGG |
|
146 860 |
166 131 |
88,40% |
Einstellungen gem. §47
JGG |
43211 |
|
||
Informell Sanktionierte gesamt |
|
190 071 |
209 342 |
90,79% |
Formell Sanktionierte |
93791 |
|
||
Informell + Formell
Sanktionierte insges. |
|
283 862 |
303 133 |
93,64% |
Auswirkung auf Berechnung der
Diversionsrate: |
||||
Diversionsrate 1998 |
|
66,96% |
69,06% |
|
Unterschied (%punkte)
wg. Änderung der Berechnungsart |
|
Scheinbarer
Anstieg: |
||
zum Vergleich: Diversionsrate
1997 |
|
67,10% |
|
|
Unterschied (%punkte)
1998 vs. 1997 |
|
-0,14 |
|
|
|
||||
Auswirkung auf Berechnung der Anteile
der zu freiheitsentziehenden Sanktionen (einschliesslich Jugendstrafe zur
Bewährung) Verurteilten an Sanktionierten (formell + informell) insgesamt: |
||||
Jugendstrafe zur Bewährung
ausges. |
10977 |
3,9% |
3,6% |
|
Jugendstrafe unbedingt |
6243 |
2,2% |
2,1% |
|
Summe: Jugendstrafe insges. |
17220 |
6,1% |
5,7% |
|
Jugendarrest |
16985 |
6,0% |
5,6% |
Scheinbarer
Rückgang |
Summe: Jugendstrafe +
Jugendarrest 1998 |
34205 |
12,0% |
11,3% |
|
Unterschied (%punkte)
wg. Änderung der Berechnungsart |
|
Scheinbarer
Rückgang |
||
zum Vergleich: Rate 1997 |
|
11,9% |
|
|
Unterschied (%punkte)
1998 vs. 1997 |
|
+0,17 |
-0,6 |
|
Tabelle A3 zeigt,
dass der Anstieg der Diversionsrate im Jugendstrafverfahren 1998 vs. 1997 ein
nur scheinbarer ist, d.h. ein rein statistisch durch die Umstellung des Berechnungsverfahrens
bedingter Tatsächlich dürften die Diversionsraten weitgehend unverändert
geblieben sein; die Veränderung um -0,1%-Punkte ist angesichts der weiterhin
bestehenden Unsicherheiten hinsichtlich der zwei Länder, für die
personenbezogene Ergebnisse aus 1998 fehlen, nicht interpretierbar.
Hinsichtlich der freiheitsentziehenden Sanktion zeigt sich, dass der Rückgang
des Anteils freiheitsentziehender Sanktion an den insgesamt Sanktionierten
ebenfalls ein nur scheinbarer ist. Die Anteile liegen 1998 auf praktisch demselben
Niveau wie 1997; geringfügige Unterschiede sind wegen der Ungenauigkeiten, die
mit dem derzeit noch notwendigen Anpassungsverfahrens verbunden sind, nicht
interpretierbar.
Tabelle A4: Berechnungen zur Auswirkung der Umstellung von "umgerechneter" auf "echte" Personenzählung hinsichtlich der Ergebnisse zur Sanktionierungspraxis im allgemeinen Strafrecht. Bundesrepublik Deutschland (alte Länder mit Berlin), 1998
|
Angaben der |
Angaben
StA-Statistik zu Verfahren,
|
Angaben in
StA-Statistik 1998 zu Personen |
Relation: |
(1) |
(2) |
(3) |
(4) |
|
Einstellungen gem. §153,153b
StPO |
|
338 147 |
359 104 |
94,16% |
Einstellungen gem. |
|
198 725 |
197 655 |
100,54% |
Informell Sanktionierte gem.
§§ 153, 153a, 153b StPO |
|
536 872 |
556 759 |
96,43% |
Einstellungen gem. |
95784 |
|
||
Informell Sanktionierte gesamt |
|
632 656 |
652 543 |
96,95% |
Formell Sanktionierte (Verurteilte
zzgl. Personen mit Entscheidungen gem.
|
705006 |
|
||
Informell + Formell
Sanktionierte insgesamt |
|
1 337 662 |
1 357 549 |
98,54% |
|
||||
Auswirkung auf Berechnung der
Diversionsrate: |
||||
Diversionsrate 1998 |
|
47,30% |
48,07% |
|
Unterschied (%punkte)
wg. Änderung der Berechnungsart |
|
Scheinbarer
Anstieg |
||
zum Vergleich: Diversionsrate
1997 |
|
47,67% |
|
|
Unterschied (%punkte)
1998 vs. 1997 |
|
-0,37 |
|
|
|
||||
Auswirkung auf Berechnung der
Anteile der zu bedingter oder unbedingter Freiheitsstrafe Verurteilten an
Sanktionierten (formell + informell) insgesamt: |
||||
Freiheitsstrafe zur Bewährung
ausges. |
88271 |
6,6% |
6,5% |
|
Freiheitsstrafe unbedingt |
41751 |
3,1% |
3,1% |
|
Summe: |
130022 |
9,7% |
9,6% |
|
Unterschied (%punkte)
wg. Änderung der Berechnungsart |
|
Scheinbarer
Rückgang |
||
Zum Vergleich: Rate
Freiheitsstr. 1997 |
|
9,5% |
|
|
Unterschied (%punkte)
1998 vs. 1997 |
|
+0,2 |
+0,1 |
|
Tabelle A4 zeigt,
dass auch der Anstieg der Diversionsrate im allgemeinen Strafrecht 1998 vs.
1997 ein nur scheinbarer ist, d.h. ein rein statistisch durch die Umstellung des
Berechnungsverfahrens bedingter. Tatsächlich dürften die Diversionsraten
weitgehend unverändert geblieben sein; der Rückgang (bei Verwendung des
bisherigen Umrechnungsverfahrens) 1998 versus 1997 um -0,4%-Punkte ist
angesichts der weiterhin bestehenden Unsicherheiten hinsichtlich der zwei
Länder, für die personenbezogene Ergebnisse aus 1998 fehlen, nicht
interpretierbar. Hinsichtlich der freiheitsentziehenden Sanktion zeigt sich,
dass der Anstieg des Anteils freiheitsentziehender Sanktion an den insgesamt
Sanktionierten möglicherweise geringfügig unterschätzt ist. Aber auch hier sind
die minimalen Unterschiede nicht interpretierbar.
* * *
Heinz, Wolfgang: Entwicklung,
Stand und Struktur der Strafzumessungspraxis. Eine Übersicht über die nach
allgemeinem Strafrecht verhängten Hauptstrafen von 1882 - 1979. Monatsschrift
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Heinz,
Wolfgang: Strafrechtsreform und Sanktionsentwicklung. Auswirkungen der sanktionenrechtlichen
Regelungen des 1. und 2. StrRG 1969 sowie des EGStGB 1974 auf die
Sanktionspraxis. Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 94, 1982,
632-668.
Heinz, Wolfgang: Strafrechtliche
Sozialkontrolle. Beständigkeit im Wandel? Bewährungshilfe 31, 1984, 13-37.
Heinz, Wolfgang: Ambulante
Massnahmen. Kriminologische Überlegungen und Ausblick. In: Kury, Helmut
(Hrsg.): Ambulante Massnahmen zwischen Hilfe und Kontrolle. Interdisziplinäre
Beiträge zur kriminologischen Forschung. Bd. 7. Köln u.a. 1984, 439-594.
Heinz, Wolfgang: Strategien der
Diversion in der Jugendgerichtsbarkeit der Bundesrepublik Deutschland. Recht
der Jugend und des Bildungswesens 32, 1984, 291-308.
Heinz, Wolfgang: Neue Formen der
Bewährung in Freiheit in der Sanktionspraxis der Bundesrepublik Deutschland.
In: Festschrift für H.-H. Jescheck. Berlin 1985, 955-976.
Heinz, Wolfgang: Junge Menschen
in Untersuchungshaft. Kriminologische und kriminalpolitische Überlegungen zu
einem der "trübsten Kapitel des deutschen Jugendstrafrechts". In:
Landesgruppe Baden-Württemberg in der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte
und Jugendgerichtshilfen (Hrsg.): INFO 1/1986, 3-31.
Heinz, Wolfgang:
Jugendgerichtsbarkeit in der Bundesrepublik Deutschland. In: Kerner,
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Europa und Nordamerika - Aspekte und Tendenzen. Schriftenreihe der DVJJ. Heft
16. München 1986, 527-641.
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der Untersuchungshaft in der Bundesrepublik Deutschland. Zur Disfunktionalität
der Untersuchungshaft gegenüber dem Reformprogramm im materiellen Strafrecht.
Bewährungshilfe 34, 1987, 5-31.
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von Sanktionsentscheidungen der Strafjustiz. In: Blankenburg, Erhard; Voigt,
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Heinz, Wolfgang:
Jugendkriminalität und Jugendgerichtsbarkeit. Probleme und Entwicklung der
Jugendkriminalität sowie ihre Behandlung durch die Jugendgerichtsbarkeit in
der Bundesrepublik Deutschland. In: Eser, A.; Kaiser, G. (Hrsg.): Drittes
deutsch-sowjetisches Kolloquium über Strafrecht und Kriminologie. Baden-Baden
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Heinz, Wolfgang: Neue ambulante
Massnahmen nach dem Jugendgerichtsgesetz. Empirische Bestandsaufnahme und
kriminalpolitische Perspektiven. Monatsschrift für Kriminologie und
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Heinz, Wolfgang: Ursachen der Gefängnisüberfüllung
- oder: Ist die Reform des Sanktionenrechts gescheitert? In: Jung, Heike
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Heinz, Wolfgang:
Jugendgerichtshilfe in den 90er Jahren. Notwendigkeit einer neuen Konzeption
für die ermittelnden, berichtenden, beratenden und betreuenden Aufgaben?
Bewährungshilfe 35, 1988, 261-307.
Heinz, Wolfgang: Rechtsgleichheit
und Rechtsrichtigkeit in der jugendstrafrechtlichen Sanktionspraxis. In:
Mäding, Heinrich (Hrsg.): Grenzen der Sozialwissenschaften. Konstanz 1988,
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Heinz, Wolfgang: Sanktionspraxis
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Ausgewählte Informationen für den Zeitraum 1955-1993. DVJJ-Journal 7, 1996, H. 2, 105-119.
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Wolfgang: Die Wechselwirkungen zwischen Sanktionen und Rückfall bzw. Kriminalitätsentwicklung.
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Heinz, Wolfgang: Diversion im
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Variationen über ein Thema von Shakespeare: "Ich wollte, es gäbe gar kein
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Rückfallstatistik. Mönchengladbach 2003
[http://www.bmj.de/media/archive/443.pdf]
Zitierhinweis:
Heinz, Wolfgang: Das strafrechtliche Sanktionensystem und die
Sanktionierungspraxis in Deutschland 1882 - 2003
Internet-Publikation: <www.uni-konstanz.de/rtf/kis/sanks03.pdf>
Version 2/2005
PDF-Versionen:
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veröffentlichter und unveröffentlichter Daten zur Struktur und Entwicklung
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graphisch aufbereitet und veröffentlicht wurden.
Neben dem "Konstanzer
Inventar Sanktionsforschung (KIS)" <http://www.uni-konstanz.de/rtf/kis>
mit Befunden zur Entwicklung der Sanktionspraxis stellt das "Konstanzer Inventar
Kriminalitätsentwicklung (KIK)" <www.uni-konstanz.de/rtf/kik>
statistisch und graphisch aufbereitete Daten zur Entwicklung der amtlich
registrierten Kriminalität auf Basis der Daten der Polizeilichen
Kriminalstatistik und der gerichtlichen Verurteiltenstatistik
(Strafverfolgungsstatistik) bereit.
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finden sich ergänzende Materialen, Tabellen und Schaubilder sowie Nachweise
weiterer kriminologischer Informationsquellen im Internet.
* * *
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Zuletzt bearbeitet: 6.6.2005 GS
[C:\kidat\Bericht_2003\PUBL\sanks03.htm 06.06.2005]