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27. und 28. Mai 2011
Referenz – Medien – Materialität.
Zur Produktivität der Science and Technology Studies für die Medien- wissenschaft
Workshop der AG Medienwissenschaft und Wissenschaftsforschung der Gesellschaft für
Medienwissenschaft in Kooperation mit den Graduiertenkollegs Konstanz ("Das Reale in der Kultur der Moderne"), Paderborn ("Automatismen"), Potsdam ("Sichtbarkeit und Sichtbarmachung") und der Graduiertenschule in Siegen ("Locating Media/Situierte Medien")
Ort: Universität Konstanz
In den letzten Jahren ist die Akteur-Netzwerk-Theorie verstärkt für die Medien-wissenschaft entdeckt worden. Der Workshop will diese Entwicklung aufgreifen, gleichzeitig aber zu einer deutlicheren Standortbestimmung beitragen, indem er das Verhältnis zwischen Medienwissenschaft und Wissenschaftsforschung noch einmal grundlegend befragt. Dazu soll der Fokus erweitert und auch verwandte Ansätze aus den Science and Technology Studies (STS) einbezogen werden. Wie beschreiben die STS die Produktion von Wissen?
Welche Rolle spielen Medien bei der Herstellung von Referenz? Und wie kann man an die Konzeptionen von Geoffrey Bowker, Bruno Latour, John Law, Annemarie Mol, Andrew Pickering, Susan Leigh Star und Hans-Jörg Rheinberger anschließend Medien, Apparate und Materialitäten unterscheiden? Der Workshop soll nicht letzte Antworten auf diese Fragen geben, sondern Diskussionen anstoßen und das Blickfeld erweitern. Die Produktivität der STS findet dabei nicht zuletzt im Format des Workshops Berücksichtigung. Neben Lektüren und Diskussionen von Texten aus dem Kontext der STS werden eigene Arbeiten vorgestellt, die versuchen, diese Ansätze für die Medienwissenschaften produktiv zu machen.
Es gibt einen Reader mit den Texten, die im Workshop besprochen werden, sowie ergänzender Literatur – Zugang bei Anmeldung.[Keynote: Andrew Pickering]
Anmeldungen bitte an: Alexander.Zons@uni-konstanz.de
Programm
Freitag, 27.5., Raum: D 522
10.15
Begrüßung und Einführung (Alexander Zons)
10.30
Lektüre I (Moderation: Theo Röhle):
John Law: Notizen zur Akteur-Netzwerk-Theorie: Ordnung, Strategie und
Heterogenität [1992], in: Bellinger, Andréa/David J. Krieger (Hg.): ANThology.
Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie, Bielefeld: transcript
2006, S. 429-446.
Andrew Pickering: Kybernetik und Neue Ontologien, Berlin: Merve 2007, Kap.:
Die Mangel der Praxis, S. 17-61.
11.30 Kaffeepause
11.45
Tobias Conradi/Florian Muhle (Paderborn): ANT und Kritik – Ein schwieriges
Verhältnis
12.45 Mittagspause
14.15
Lektüre II (Moderation: Christine Hanke):
Annemarie Mol: Ontological Politics. A Word and Some Questions, in: John
Law/John Hassard (Hg.): Actor Network Theory and After, Oxford: Blackwell
Publishers/The Sociological Review 1999, S. 74-89.
15.15 Kaffeepause
15.30
Sven Stollfuß (Marburg): Medizin in 3D. Sichtbarmachung und Sichtbarkeit in
der virtuellen Endoskopie
16.30
Lina Maria Stahl (Potsdam): Zur Referenzialität in der frühen Mikroskopie
18.15 Raum: A 704: Abendvortrag Andrew Pickering (Titel tba)
Samstag, 28.5., Raum: Y 310
10.00
Lektüre III (Moderation: Gabriele Schabacher):
Geoffrey Bowker: Der Aufschwung der Industrieforschung, in: Michel Serres
(Hg.): Elemente einer Geschichte der Wissenschaften, Frankfurt/M.:
Suhrkamp 1994, S. 829-867.
11.00 Kaffeepause
11.15
Nadine Taha (Siegen): Industrieforschungslabore als Emergenzraum neuer
Medien 1870-1914
12.15 Abschluss und Fazit
Weitere Literatur zur Empfehlung (zusätzlich im Reader):
Bruno Latour: Drawing Things Together. Die Macht der unveränderlich mobilen Elemente
[1986], in: Bellinger, Andréa/David J. Krieger (Hg.): ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie, Bielefeld: transcript 2006, S. 259-307.
Hans-Jörg Rheinberger: Objekt und Repräsentation, in: Bettina Heintz/Jörg Huber (Hg.): Mit dem Auge denken. Strategien der Sichtbarmachung in wissenschaftlichen und virtuellen Welten, Zürich: Voldemeer 2001, S. 55-61.
Susan Leigh Star: It's Not a Boundary Object: Reflections on the Origin of a Concept, in:
Science, Technology, & Human Values 35(5) (2010), S. 601-617.
Abstracts der Vorträge
Tobias Conradi/Florian Muhle
ANT und Kritik – Ein schwieriges Verhältnis
In unserem Vortrag werden wir ausgehend von dem ambivalenten Verhältnis, das die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) Latourscher Prägung zur Kritik einnimmt, die Frage aufwerfen, ob kritische Reflexion mit der ANT möglich ist – und wenn ja, welche.
In einem ersten Schritt werden wir hierzu Latours Auseinandersetzung mit den kritischen Sozialwissenschaften darstellen und aufzeigen, wie Latour – wohl nicht zuletzt aus aufmerksamkeitsökonomischen Erwägungen – eine weitgehend künstlich erzeugte Gegenposition zur ›kritischen Soziologie‹ einnimmt. Latour erscheint hier, entgegen seiner Selbstdarstellung, als sehr moderner Denker, dessen politische Epistemologie dem eigenen analytischen Anspruch sowie diversen Debatten in den kritischen Sozialwissenschaften nicht gerecht wird. Gleichzeitig – so unser zweiter Argumentationsschritt – wäre eine Lesart, die sich darauf beschränkt theoretische Inkonsistenzen aufzuzeigen verfehlt. Latours Betrachtung von Gegenständen, die seiner Ansicht nach kritischer Aufmerksamkeit bedürfen – das ›Ozonloch‹, der ›Klimawandel‹ oder die Ausrottung des roten Thunfischs – und der analytische Fokus der ANT können durchaus wichtige Impulse für eine kritische Sozial- und
Medienforschung liefern. Um dies zu verdeutlichen, wenden wir uns abschließend – mit und gegen Latour – weiteren AutorInnen zu, die ebenfalls unter dem Label ANT versammelt werden und in deren Arbeiten ein material-semiotischer Ansatz und Perspektiven kritischer Wissenschaftsforschung in produktiver Weise miteinander in Verbindung gebracht werden.
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Sven Stollfuß
Medizin in 3D. Sichtbarmachung und Sichtbarkeit in der virtuellen Endoskopie
Das Kulturgefüge westlicher Zivilisationen ist ein technologisch geprägtes, das Geflecht aus Wahrnehmung, Wissen und Erkenntnis ist ein technologisch determiniertes. Vor diesem Hintergrund befasse ich mich mit der ‚Visualitätʼ und ‚Logikʼ digitaler 3D-Darstellungen in der Medizin. Diese verstehe ich dabei grundsätzlich als offene, prozessuale Konstrukte, die sich nicht als abgeschlossene Phänomene begreifen lassen, welche sodann auch nicht aufgrund inhärenter Kommunikationsmechanismen eine ausschließlich aus sich heraus operationalisierende Logik konstituieren. Sie entstehen aus einer innermedialen wie innerwissenschaftlichen Referenzmatrix, funktionieren nach einer medien- und wissenschaftsimmanenten Logik und operieren mit einer spezifisch technisch-räumlichen Ordnungsstruktur. Wenn es also um die Fragen nach dem Wie digitale Visualisierungen epistemisch relevante Phänomene sichtbar machen gehen soll, dann erfolgt dies vor dem Hintergrund technischer Eingriffe, mithin einer technologisch verfassten Visualisierungspraxis und der mit dieser verbundenen logischen Operationen. Die hier zu beschreibenden Visualisierungen erfüllen im Wesentlichen drei grundsätzliche Anforderungen: Ihre Referentialität entwickelt sich in Bezug auf die wissenschaftliche Praxis, theoretische Diskurse, andere (wissenschaftliche wie populäre) Visualisierungsformen sowie verschiedene (medien-, wissenschafts- und kulturspezifische) Konventionen der Sichtbarmachung und Sichtbarkeit. Darüber hinaus sind sie ‚abstrakter Artʼ: sie unterliegen einem experimentellen, technischen Manipulationsprozess, indem sie als visuelle Konstrukte (resp. Modelle) komplexe Strukturen und Anordnungsverhältnisse hervorbringen können, um so Wissen und Erkenntnis vor dem Hintergrund zunächst konkret technischer Eingriffe überhaupt erst zu generieren. Sie folgen drittens einer ‚pragmatischen Gebrauchsästhetikʼ, die ihren Funktionswert und Instrumentcharakter abrundet. Dies wird anhand einiger Beispiele digitaler endoskopischer Visualisierungen (Formen virtueller Endoskopie) thematisiert und zur Diskussion gestellt.
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Lina M. Stahl
Zur Referenzialität in der frühen Mikroskopie
In meinem Promotionsprojekt Die Mikroskopie und die Künste befasse ich mich mit der Problematik der mikroskopischen Bildverfahren und ihrem Verhältnis zu den bildenden Künsten von ihren Anfängen um 1600 bis heute. Im Rahmen des Workshops Referenz –
Medien – Materialität möchte ich mich einigen Aspekten der frühen Mikrosko--piegeschichte widmen.
Da sich die Trennung von Kunst und Wissenschaft erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts vollzieht, lassen sich die frühen mikroskopischen Zeichnungen letztlich nicht eindeutig einem der Bereiche zuordnen, zumal Künstler und Wissenschaftler entweder in einer Person zusammenfallen oder eng zusammenarbeiten. Mikroskopische Zeichnungen unterliegen darüber hinaus immer schon ästhetischen Entscheidungen und werden wesentlich von Faktoren wie der jeweiligen instrumentellen Anordnung, den Präparationsmethoden sowie den theoretischen Vorannahmen mitbestimmt.
Allgemein stellt sich bezüglich der Transformationen eines Untersuchungsobjekts in eine
Zeichnung die Frage nach deren Medialität, deren Referenz und den daraus resultierenden epistemischen Konsequenzen. Die Materialität des Untersuchungsobjekts erweist sich v.a. in organisch-biologischen Experimenten als äußerst widerspenstig; sie gilt es z.B. in der Präparation zu bezwingen, um zu Erkenntnissen zu gelangen, deren Referenz zweifelsohne zu hinterfragen ist.
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Nadine Taha
Industrieforschungslabore als Emergenzraum neuer Medien 1870-1914
Die Science and Technology Studies – insbesondere ihre Forschungszweige Akteur- Netzwerk-Theorie und Laborstudien – haben sich als bahnbrechend für die kulturwissenschaftliche und technikhistorische Erforschung von Laboratorien erwiesen.
Jedoch handelt es sich bei den Fallstudien weniger um medienwissenschaftliche Untersuchungen im engeren Sinne. Der Beitrag möchte daher die Produktivität theoretischer Konzepte der STS für die Mediengeschichte prüfen, indem das Labor der USIndustrieforschung als Entstehungsort neuer technischer Medien in den Blick genommen wird.
In der Zeit zwischen 1870 und 1914 machen die nordamerikanischen science- and technology-based-industries gravierende technologische und wissenschaftliche Fortschritte durch die Etablierung von unternehmensinternen Industrie- forschungslaboren. Diese Labore sind in zweierlei Hinsicht als Emergenzraum neuer technischer Medien zu verstehen. Zum einen sind sie der Ursprungsort für Innovationen wie Telefon, Telegraph oder Fotokamera, zum anderen bringen sie meterologische Konstanten, Patente und Instrumente bzw. visual displays hervor. Genauer formuliert: Es kommt zur Ausbildung der immutable mobiles, die Bruno Latour in seinem Aufsatz "Drawing Things Together" auf die industriellen Moderne datiert. Aber inwiefern halten die immutable mobiles einer genaueren Historisierung mit Blick auf die Anfänge der industriellen Forschungslabore tatsächlich stand? Vor diesem Hintergrund soll der Frage nachgegangen werden, ob das Konzept dazu beitragen kann, das Labor als einen medienkonstituierenden Ort zu verstehen.
Im zweiten Schritt soll der Perspektivenwechsel von einer Ready Made Science zu einer
Science in Action behandelt werden. Die STS offenbaren, dass heute universell erscheinende Technologien einerseits in ihrem Entstehungskontext an lokale Improvisationen und kontingente Ereignisse gebunden sind, anderseits dass das traditionelle Bild eines linearen Innovationsprozesses (Erfindung – Entwicklung – Diffusion) nicht als Standardverlauf anzuerkennen ist. Unter Berücksichtigung verschiedener Fallstudien, sollen daher Impulse für eine Reinterpretation der Mediengeschichte gegeben werden.
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