Lukas Mairhofer
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KollegiatInnen
Koordinator
HochschullehrerInnen
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A-tom und In-dividuum.
Bertolt Brechts interference mit der Quantenmechanik
Projektskizze
Nach dem ersten Weltkrieg sind die grundlegenden Entitäten, mit denen Soziologie und Physik operieren in eine tiefe Krise geraten. In meiner Arbeit zeige ich, dass die Neubestimmung des Atoms in der frühen Quantenmechanik und des Individuums im Theater von Bertolt Brecht nicht nur synchron erfolgt ist, sondern auch in einem regen Austausch der beiden Wissensgebiete; der neuen Entität korrespondiert sowohl am Theater als auch im Denken der PhysikerInnen eine neue Ästhetik und Ethik. Die Weimarer Republik und die Flucht vor dem Nationalsozialismus bilden den historischen und kulturellen Raum der Entwicklung beider Wissensgebiete. Aber die intensive Auseinandersetzung Bertolt Brechts mit der Quantenmechanik baut auch auf dem ständigen Transfer von Konzepten wie Feld und Kollektiv und Methoden wie der der Statistik zwischen Physik und Soziologie auf.
Die newtonsche Physik hatte eigenständige Objekte postuliert, deren Existenz und Eigenschaften unabhängig von der Beobachtung sind. Diese Trennung abstrahiert von der Performativität der Erkenntnis und ermöglicht die Verselbständigung der symbolischen Sphäre, die Entwicklung zweier Kulturen der Erkenntnis (C.P. Snow) bis zu jenem Punkt, an dem sich der Bezug auf das Reale auflöst in die Selbstreferenz eines symbolischen Systems. In der Quantenphysik kollidiert diese Abstraktion mit der Erfahrung, dass das Objekt mit seinen Eigenschaften erst in der Beobachtung konstituiert wird und nicht von dieser unabhängig beschrieben werden kann. Die Grenze zwischen Subjekt und Objekt wird unscharf und das Geflecht der Symbole hat nur dann eine Bedeutung, wenn klar ist, durch welche experimentellen Verfahren es realisiert werden kann. Brecht kritisiert, dass auch die bürgerliche Gesellschaftstheorie das Individuum seinen sozialen Beziehungen voraussetzt. Er nutzt die Unschärfe, die in der Beobachtung entsteht, um in die objektive Notwendigkeit historischer Prozesse zu intervenieren. Auch bei Brecht ist das Wahrheitskriterium die Praktikabilität einer Aussage. Ein wichtiger Gesprächspartner Brechts war der Physiker und Philosoph Hans Reichenbach. Anhand eines Manuskripts aus dem Archiv mit dem Nachlass Reichenbachs stelle ich dar, wie sich die Quantenmechanik zu dieser Zeit auf die Realität bezieht. Die PhysikerInnen treten nun als "gambler" auf, deren Vorhersagen nur ein "best bet" (Reichenbach) auf das Ergebnis eines Versuchs sind. Ausgehend von der Denkfigur des Spielers lässt sich in Brechts letztem großen Drama, dem Kaukasischen Kreidekreis, die Kausalstruktur eines quantenmechanischen Experiments nachweisen.
Informationen zur Person:
- Seit April 2013 Stipendiat des Graduiertenkollegs „Das Reale in der Kultur der Moderne“, Dissertation zu "A-tom und In-dividuum. Bertolt Brechts interference mit der Quantenmechanik"
- März 2013 Diplom Physik mit ausgezeichnetem Erfolg am Institut für Quantenoptik, Quantennanophysik und Quanteninformation der Universität Wien. Diplomarbeit zu "Deflektometrie mit Materiewellen in einem Kapitza-Dirac-Talbot-Lau-Interferometer."
- Sommersemester 2011 Fellow abroad des IFK Wien an der UC Berkeley, USA
- Wintersemester 2010 Fellow abroad des IFK Wien an der Jawaharlal Nehru University in
Neu Delhi, Indien
- Studienjahr 2009/10 Junior Fellow am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften
(IFK) Wien
- Wintersemester 2007 Beginn des Doktoratsstudiums Philosophie.
- November 2007 Diplomprüfung Philosophie mit ausgezeichnetem Erfolg. Diplomarbeit zum
Thema "Inertia. Der Trägheitsbegriff in Newtons Philosophiae Naturalis Principia Mathematica“
- Sommersemester 2005 Auslandsstudium (Erasmus-Programm) an der Universität von Helsinki,
Finnland
- Sommersemester 2004 Beginn des Studiums der Physik an der Universität Wien
- Wintersemester 2002/03 Auslandsstudium an der Jawaharlal Nehru University, Neu Delhi
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