Christoph M. Paret
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Koordinator
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Laboratorien der Freiheit.
Psychotechniken zwischen Emanzipation und Manipulation
Projektskizze
Den Ausgangspunkt meiner Dissertation bildet die These, dass man ab den späten 50er Jahren in den USA beobachten kann, wie in psychotherapeutischen Beratungszimmern, sozialpsychologischen Laboren, in Erziehungsratgebern und Agitations-Handbüchern das Verhältnis von Freiheit und Täuschung neu verhandelt wird. Dabei wird je nach Position das Verhältnis zwischen Freiheit und Täuschung völlig anders konzipiert. Den einen erscheint es, wenn sie wirkmächtige soziale Einflussfaktoren in den Blick nehmen, als täuschende Illusion anzunehmen, dass Freiheit einen Unterschied machen könne. Den anderen ist Freiheit ein Mittel der Täuschung und gilt als subtilste Form der Einflussnahme. Schließlich findet sich die Position, dass man Leute in ihre reale Freiheit hineintäuschen kann oder hineintäuschen muss. In meiner Studie werde ich die Geschichte, die Gestalt, die Rechtfertigung und die Grenzen der einzelnen Standpunkte ausloten.
Zunächst beschäftige ich mich mit einem Zweifel, den Stanley Milgram berühmte Experimente zum Autoritätsgehorsam wachgerufen haben: Macht Wahlfreiheit - verstanden als der Zustand, der eintritt, wenn offensichtlichere Formen äußerer Einflussnahme (Zwang, Drohungen, Belohnungen) weggeräumt wurden - überhaupt einen Unterschied? Die Lehre dieser Experimente scheint darin zu bestehen, dass Freiheit in dem Sinne eine Täuschung ist, als die Abwesenheit von Zwang und Versuchung allein noch nicht verbürgt, dass Individuen innengesteuert handeln. Statt dass der Einzelne die freigeräumte Bahn zu nutzen verstünde, um das zu tun, wonach ihm der Sinn steht, sieht er sich eingespannt in ein Netz von Situationsanforderungen, von Normen, Loyalitäten und Institutionen, von dem er sich in seiner sozialen Reizbarkeit nicht loszureißen vermag.
Aus dem Umkreis der kognitiven Dissonanztheorie um Leon Festinger kann man dagegen erfahren, dass das Angebot der Wahlfreiheit auch ein Mittel zur Täuschung und einen sozialen Einflussfaktor ganz eigener Art darstellen kann. Dieser Verhältnisbestimmung von Freiheit und Täuschung wende ich mich im zweiten Kapitel zu. Im Hintergrund stehen hier sozialpsychologische Experimente, die folgendes zu Tage zu fördern scheinen: Versuchspersonen, die ausdrücklich die freie Wahl erhalten, eine unangenehme Aufgabe nicht zu erledigen, erfüllen sie zu einem hohen Prozentsatz trotz des Ausstiegsangebots und empfinden sie darüber hinaus auch noch als angenehm. Anstatt notwendige Bedingung selbstbestimmten Handelns zu sein, spielt Wahlfreiheit hier die gegenteilige Rolle eines Instruments zum Zwecke der Fremdbestimmung. Das Angebot der freien Wahl erscheint hier als manipulative Psychotechnik. Damit scheint sich eine zeitgenössische Diagnose Karl Mannheims zu bestätigen: „Die führenden Leute der amerikanischen Massenpropaganda entdeckten, daß eine psychologische Technik dann am erfolgreichsten ist, wenn sie weitgehend auf dem Gedanken beruht, das freiwillige Handeln der Individuen zu lenken oder diesen zumindest die Illusion einer eigenen Entscheidung zu geben“.
Es findet sich jedoch auch die Position, dass man Täuschung als ein Mittel zur Realisierung tatsächlicher Freiheit bedarf. Statt mittels von Wahlfreiheit zu täuschen, könne (oder müsse man) in die Freiheit hineintäuschen. Denn sowohl dem Einräumen von Wahlfreiheit („negative Freiheit“) wie auch dem Fördern von Selbstbestimmung („positive Freiheit“) stehen Hindernisse im Weg, die ihre Ursache nicht unbedingt in mangelnder Einsicht oder im fehlenden guten Willen der Beteiligten haben. Sie sind vielmehr kommunikativer oder, wenn man so will, technischer Natur. Diese Probleme sind überdies auch nicht begrifflicher Natur, sondern resultieren vielmehr aus bestimmten Freiheitsbegriffen.
Wer Freiheit als Abwesenheit von Einmischung versteht, kann von Kommunikationswissenschaftlern aus dem Umkreis von Paul Watzlawick lernen, dass man nicht nicht kommunizieren kann, sich also so oder so einmischen wird. Auf das Problem, dass man sich nicht nicht einmischen kann, sich jedoch Einmischungen zugleich verbitten möchte, finden sich in der damaligen Zeit mindestens zwei Reaktionsmöglichkeiten: Im dritten Kapitel behandele ich die von Erving Goffman beschriebene Institution des Taktes, deren Merkmal darin besteht, angesichts der Tatsache, dass man in Gegenwart eines Gegenübers nicht wirklich abwesend sein kann, wenigstens so zu tun, als ob man abwesend wäre. In Gestalt des Taktes handelt es sich um die paradoxe Form einer Täuschung, die niemanden täuscht. Im vierten Kapitel lote ich sodann eine weitere Antwort auf die gleichzeitige Unmöglichkeit und Erwünschtheit der Nichteinmischung aus: Da es anscheinend keine negative Form von Neutralität gibt, versuchen Psychotherapeuten wie Carl Rogers oder Pädagogen wie Thomas Gordon positive Formen von Neutralität zu entwickeln und zu trainieren, also Sprech- und Handlungsweisen, die das Gegenüber „wachsen“ lassen und keine einschränkende Wirkung auf es haben. Hierbei wird ein Gegenüber wirklich getäuscht, um sich in seine Angelegenheiten wirklich nicht einzumischen. Ähnliches geschieht hinsichtlich der positiven Freiheit, die auf das Problem stößt: Wie bringe ich jemanden von außen dazu, innengeleitet zu handeln? Auch hier werden von Psychotherapeuten wie Milton H. Erickson oder Gemeinwesenarbeitern wie Saul D. Alinsky bestimmte Kommunikationsstrategien entwickelt und erprobt, die davon zeugen, dass man einer paradoxen Zwecksetzung wie der positiven Freiheit auf eine lediglich indirekte und insofern täuschende Art und Weise nachkommen kann (5. Kapitel).
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