Thomas Traupmann
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Text als Prozess
Zu Karl Kraus’ Materialkomplex Die letzten Tage der Menschheit
Mein Promotionsvorhaben geht von dem grundlegenden Befund aus, dass es ‚die‘ Letzten Tage der Menschheit eigentlich gar nicht gibt, und es fasst folglich Karl Kraus’ Materialkomplex als Fortschreibung im doppelten Sinne auf: als sich perpetuierender Schreibprozess, aber auch als Verunmöglichung einer festen respektive einzig repräsentativen Gestalt dessen, was unter diesem Titel firmiert.
Den Bedingungen und Konsequenzen dieser prozessualen Ästhetik soll in verschiedener Hinsicht nachgespürt werden: Zunächst auf der Ebene der Materialität und Medialität, wobei besonderes Augenmerk auf den Nachlass, der nur unzureichend aufgearbeitet ist, auf die dezentrierten Erscheinungsformen der Letzten Tage der Menschheit sowie auf medienästhetische/-technische Anknüpfungspunkte gelegt werden soll. Eine Untersuchung der Kraus’schen ‚Schreibszene‘ ist vor allem den Konstellationen gewidmet, die aus der Überkreuzung der Kulturtechniken des Schreibens und des Schneidens resultieren.
Zudem erweist sich das Nachlassmaterial als jener Ort, an dem am deutlichsten sichtbar wird, wie die Grenzen von Text und Welt brüchig und durchlässig werden. Hierbei wird es auch darum gehen, die (Ein-)Fassungen der Versatzstücke und den Umgang mit dem „Realen des Materials“ (Profil des Graduiertenkollegs, Förderphase 1, Kap. 1.2.9) zu thematisieren. Stets mitzudenken ist auch die Frage nach der Qualität dessen, was eigentlich als ‚Text‘ auftritt. Daran anknüpfend müssen Kraus’ mimetische Verfahren und deren epistemischer Gehalt in den Blick genommen werden. Worauf es letztlich ankommt, ist jenen Schwellenraum auszuloten, der sich aus der „unentscheidbare[n] Duplizität von Gegebenem und Gemachtem“ (M. Wetzel) heraus im factum bei Kraus konstituiert.
Schließlich gilt es das proliferierende Prinzip, das den Letzten Tagen der Menschheit zugrundeliegt, auch unter Berücksichtigung der Struktur und der sich stets neu ergebenden Kombinationsgesetze zu analysieren. Trotz unterschiedlicher ‚Bändigungsmaßnahmen‘ lässt sich Kraus’ produktionsästhetisches Verfahren als eine fortwährende Auslotung und auch Verschiebung von Grenzen erachten. Die letzten Tage der Menschheit werden als System der vielen Eingänge lesbar – als ‚Bau‘, wie Deleuze und Guattari sagen würden, bei dem es zu eruieren gilt, welche Verzweigungen sich ausbilden und wie sich die „Karte des Rhizoms“ ändert, wenn man an einer anderen Stelle einsteigt.
Indem es an einem Schnittpunkt von Textualitätstheorie, Materialitätsforschung und Editionsphilologie angesiedelt ist, möchte mein Projekt auf umfassende Weise die Dynamik und die Modifizierbarkeit nachzeichnen, die Die letzten Tage der Menschheit – als Geflecht von textuellen, kontextuellen und extratextuellen Momenten und Praktiken – charakterisieren und brisant werden lassen.
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