‚Die Welt im Wandel‛

In den Veranstaltungsreihen fragen wir, welchen Beitrag die sozial- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen bezogen auf die drei Aktionsräume von Gemeinsinn (Gesellschaft – Stadt – Schule) leisten können, um die Krisen unserer Zeit zu erfassen, einzuordnen und Handlungsoptionen zu entwickeln.

Im Wintersemester 2021/2022 stand die „Welt im Wandel" im Zentrum der Veranstaltungsreihe. Die Welt befindet sich in einem dramatischen Wandel, der nicht mehr von menschlichen Innovationen gesteuert, sondern von Katastrophen getrieben ist. Renationalisierungs-Bewegungen erzeugen ein Klima der Angst und Gewalt und mobilisieren gegen den Rechtsstaat, die Extreme von Armut und Reichtum fallen auseinander, und der Planet selbst steht kurz vor der Zerstörung. Die Veranstaltungsreihe besteht diesmal aus themenbezogenen Gesprächsrunden, in denen konkrete Perspektiven für eine nachhaltige Zukunft entworfen und praktische Fragen des Reparierens diskutiert werden.

             Veranstaltungen:

11.11.2021Dr. Elena Sahin: Die Begriffe Gemeinsinn und Gemeinwohl in islamischen Staatstheorien.

Die Begriffe Gemeinsinn und Gemeinwohl in islamischen Staatstheorien - Ibn al-Azraqs allumfassender Begriff von maṣlaḥa (Gemeinwohl) als Kritik an Ibn Khaldūns 'Gruppensolidarität' (ʿaṣabiyya)

Kaum ein arabischer Gelehrter der Vormoderne ist so bekannt wie Ibn Khaldūn (st. 1406), der in seiner Einführung (Muqaddima) in seine Universalgeschichte (Kitāb al-ʿIbar) eine soziologisch-philosophische Theorie von Geschichtsabläufen und Gesellschaften vorstellt. Den Kernpunkt seiner Theorie bildet die Gruppensolidarität (ʿaṣabiyya), die eine soziale Kraft beschreibt, die Gesellschaftsstrukturen und den Ablauf der Geschichte bestimmt. Das wenig bekannte frühneuzeitliche Traktat Badāʾiʿ al-Silk fī Ṭabāʾiʿ al-Mulk (Unerhörte Zeilen über die Natur der politischen Herrschaft) des andalusischen Rechtsgelehrten Ibn al-Azraq (st. 1492) ist eine Herrschaftstheorie, die auf den Überlegungen von Ibn Khaldūn aufbaut. Jedoch stellt Ibn al-Azraq das Gemeinwohl (maṣlaḥa) in den Mittelpunkt seiner Herrschaftstheorie und formuliert somit eine Kritik an Ibn Khaldūns Kernbegriff, der ʿaṣabiyya.

Moderation: Prof. Dr. Aleida Assmann

25.11.2021, Dr. Gret Haller: Europäischer Republikanismus. 

Republikanismus steht für eine aufgeklärte Organisation des Gemeinwesens. Obschon das Modell "Nationalstaat" im Rahmen der Gründung von Republiken entwickelt worden ist, hat sich die "Nation" längst von der republikanischen Idee abgelöst. In Europa hat der Kalte Krieg zwei Entwicklungslinien des Umgangs mit nationaler Identität entstehen lassen: Ab den 50er Jahren die westeuropäische, ab den 90er Jahren eine mittelosteuropäische. Die erstere war und ist immer noch gekennzeichnet durch "nie wieder Krieg", die andere durch eine Art Nachholbedarf nach 70 Jahren kommunistisch aufgezwungenem Internationalismus. Gemeinsam sind beiden Linien EU-feindlichen Tendenzen. Europäische Identität muss auf andere Ressourcen zurückgreifen. Dazu sollen einige Gedanken entwickelt werden, die sich am Republikanismus europäischer Ausprägung orientieren.

Moderation: Dr. Andreas Kraft

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Hier finden Sie den Redetext des Vortrags zum Thema "Europäischer Republikanismus".

02.12.2021, Prof. Dr. Joachim Bauer im Gespräch mit Prof. Dr. Aleida Assmann und Prof. Dr. Jan Assmann: Was für ein neues Menschenbild brauchen wir?

Wer nicht hören will, muss fühlen - so hieß es einst in den finsteren Zeiten der Prügelpädagogik. Heute gilt: wer nicht fühlen will, sollte hören, und zwar auf Joachim Bauer, der uns wie kein anderer den Begriff der Empathie nahegebracht hat. Aufgrund ausgedehnter Forschungen kann er überzeugend zeigen, dass Empathie nicht nur eine zentrale Voraussetzung für ein gutes und gesundes Leben ist, sondern auch der Schlüssel für die Zukunft der Menschheit und des Planeten.

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16.12.2021, Prof. Dr. Kirsten Mahlke: Ausstellung: Konstanzer Kolonialgeschichten

Eine Patrizierfamilie aus dem Konstanzer Handelsbürgertum beteiligt sich bereits im frühen 16. Jahrhundert am spanischen Eroberungs- und Kolonisationsunternehmen in der Karibik. Vor allem mit Bezug auf die Venezuela-Conquista nimmt das Handelshaus Ehinger gemeinsam mit den Augsburger Welsern eine herausragende Rolle ein: Sie zeichnen die Eroberungsverträge, sind treibende Kräfte der transatlantischen Sklaverei und knüpfen zwischen den 1520er und den 1570er Jahren Kontakte zur geistlichen, politischen und ökonomischen Elite auf der iberischen Halbinsel. Im Vortrag sollen die jüngsten Forschungsergebnisse zur Rolle der Konstanzer vorgestellt und im Kontext der Lateinamerika-Forschung zur frühen Conquista beleuchtet werden.

Moderation: Prof. Dr. Aleida Assmann

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13.01.2022, Dr. (Oxon.) Jan Werner Müller, Dr. Eva von Redecker und Bini Adamczak im Gespräch mit Dr. Ulrike Capdepón und Dr. Tobias Arenz: Freiheit. Gleichheit. Gemeinsinn. Politische und soziale Zwischenräume der (Selbst-)Veränderung

Mit Fokus auf soziale und politische Praktiken in gesellschaftlichen Handlungsräumen suchen wie dort nach zwischenmenschlichen Lebensverbindungen, wo zunächst starke Narrative der Spaltung zu finden sind.  In diesem Panel werden wir über das Spannungsfeld von Freiheit und Gleichheit und seine Bedeutung für den Gemeinsinns diskutieren. Für das Panel haben wir Eva von Redecker (Philosophin), Jan-Werner Müller (Politikwissenschaftler) und Bini Adamczak (politische Autorin) eingeladen.

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20.01.2022, Prof. Dr. Michael Hampe und PD Dr. Rico Gutschmidt im Gespräch mit Prof. Dr. Jan Assmann und Prof. Dr. Aleida Assmann: Weisheit. Neue Zugänge zu einem uralten Begriff

In allen Kulturen der Welt steht der Begriff Weisheit für ein kostbares Wissen, das nachhaltige Einstellungen und gemeinsinnige Praktiken eines guten Lebens umfasst. Weisheitstexte transportieren keine Bekenntnisse und Glaubensinhalte, mit denen sich Gruppen voneinander abgrenzen. Beim Komplex Weisheit handelt es sich vielmehr um einen Fundus menschheitlicher Erfahrungen, die überall auf der Welt gemacht, verstanden und hoch geschätzt werden. Im Gespräch mit Michael Hampe, Philosoph, Psychologe und Biologe mit einem besonderen Interesse für die welterschaffende Kraft des Erzählens, und Rico Gutschmidt, Philosoph und Mathematiker, der zur transformierenden Wirkung philosophischer Erfahrungen arbeitet, sollen neue Zugänge zu diesem alten Begriff gesucht und versucht werden.

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27.01.2022, Prof. Franziska Hölscher (Violine), Martin Klett (Klavier), Dr. Aleida Assmann und Prof. Dr. Jan Assmann: Konzert und Lesung im Rundfunk: BR Klassik Radio aufgenommen in der Synagoge Fellheim

Anlässlich des Gedenktags für die Opfer des Holocaust am 21. Januar wird am 27. Januar 2022 um 20:05 im im BR-Klassik ein literarisches Gedenkkonzert gespielt. Das Konzert und die Lesung wurde am 22. Oktober 2021 in der ehemaligen Synagoge in Fellheim aufgenommen. Aleida und Jan Assmann traten dort gemeinsam mit der Geigerin Franziska Hölscher und dem Pianisten Martin Klett auf.  Musik verzahnt mit Text - so boten sie einen musikalisch-literarischen Abend, der ganz um das Thema "Erinnerungskultur" kreiste. Wie erinnern wir uns an Geschehenes? Wie können wir das Gedenken an die Vergangenheit wachhalten? Was können wir aus der Geschichte für die Zukunft lernen? - Ein nachdenklicher, bewegender Abend. 

Hier können Sie das Konzert und die Lesung nachhören.

03.02.2022, Dr. Gret Haller und Dr.  Andreas Kraft im Gespräch mit Dr. Eva Buddeberg und Dr. Felix Heidenreich: Normenkonflikte - Demokratie, Moral und Identität

Nicht nur in den USA, Kanada und Großbritannien sondern auch in der deutschen Öffentlichkeit haben Diskussionen zu Identitäts-Themen wie etwa Gender-Identität, Rassismus (Critical Race Theory / Black Lives Matter) und Sexismus (Me Too-Bewegung) zugenommen. In diesen Diskussionen spiegelt sich ein drängendes Bedürfnis nach neuer moralischer Bewertung problematischer gesellschaftlicher Zustände wider. Im Rahmen der Panel-Veranstaltung wird PD Dr. Felix Heidenreich auf den Zusammenhang zwischen Emotionen, Politik und Demokratie eingehen. Prof. Dr. Eva Buddeberg wird Formen und normative Voraussetzungen von Moralismusvorwürfen thematisieren, und insbesondere die Berechtigung von moralischer Kritik. Einen weiteren Moral-Bezug wird in einem kürzeren dritten Beitrag Dr. Gret Haller aufzeigen zur Frage »Können „Menschenpflichten“ als Katalog moralischer Normen und Rahmenbedingungen zum Entstehen von Gemeinsinn beitragen?«.

Hier gelangen Sie zum Mitschnitt des Vortrages auf Youtube.