Wie Solidarität im Gesundheitssystem schaffen?
Meinungsbeitrag von Friedrich Breyer in der FAZ: Eine „Bürgerversicherung“ braucht es nicht, um die Finanzierung der Krankenkassen solidarischer zu gestalten. Weder könnte sie große Einsparungen bewirken, noch wäre sie überhaupt verfassungsgemäß. Eine vernünftig umgesetzte Kopfpauschale könnte mithilfe eines steuerbasierten Sozialausgleichs wirkungsvoller umverteilen und wäre im Einklang mit der Verfassung.
Im Gefolge der kürzlich erschienenen Studie „Geteilter Krankenversicherungsmarkt“ wurde die Diskussion um ein „Bürgerversicherung“-Modell in der Finanzierung von Krankenkassen wiederbelebt. Ein zentrales Ergebnis der Studie sei, so das Medienecho vielerorts, dass die Abschaffung privater und die Verpflichtung auf gesetzliche Krankenversicherung für die bisher gesetzlich Versicherten zu erheblichen Einsparungen führen würde. In einem Meinungsbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Donnerstag, 5. März 2020, Nr. 55, Wirtschaftsteil S. 17) geht Friedrich Breyer, Professor für Wirtschafts- und Sozialpolitik an der Universität Konstanz und Principal Investigator am Exzellenzcluster „The Politics of Inequality“, nun der Frage nach, inwieweit diese Vorstellung realistisch wäre – und welche Alternative sich finden ließe.
Friedrich Breyer stellt zunächst fest, dass das Medienecho nicht an allen Stellen auf ausreichend genauer Lektüre der Studie beruht und die Wirkung einer Umstellung auf eine nur noch gesetzliche Krankenversicherung massiv überschätzen. Die Einsparungen, die dadurch entstünden, weist die Studie nämlich selbst als hypothetische Größe aus und merkt an: Die Leidtragenden eines solchen Wandelns wäre die Ärzteschaft, die mit einem Teil der Einsparungen kompensiert werden müssten. Aus einer flächendeckenden Senkung des Krankenkassenbeitrags um 0,6 Prozent – für den durchschnittlichen Versicherten eine Ersparnis von immerhin rund 145 Euro jährlich – würden so in der Praxis nur 0,2 Prozent.
Womöglich noch wichtiger ist aber der Umstand, dass der Gesetzgeber sich schwertäte, die privaten Verträge und die Privatversicherer per Gesetz aufzulösen oder umzuwandeln, ohne mit dem Grundgesetz in Konflikt zu geraten.
Anstatt Ungleichheiten im Krankenversicherungssystem über ein anderes Kassenmodell anzugehen, schlägt Friedrich Breyer eine andere Vorgehensweise vor: Beibehaltung des Nebeneinander von gesetzlichen und privaten Kassen, aber Einführung eines Beitrags, der sich nicht am Einkommen bemisst, sondern als Kopfpauschale das Individuum betrifft. Diese Kopfpauschale müsse mit einem Sozialausgleich kombiniert werden, der Menschen mit geringerem Einkommen entlaste und aus Steuermitteln finanziert werden könnte. Zur Gegenfinanzierung könne dann eine moderate Erhöhung der Einkommenssteuersätze dienen.
So ergäbe sich nicht nur eine wirkungsvollere Steuermöglichkeit für die Einkommensumverteilung im Zeichen der Solidarität im Gesundheitssystem; deren Handhabung finde dann auch dort statt, wo sie hingehöre (und auch keinerlei Verfassungskonflikte verursachte): im Steuersystem.
Lesen Sie auch den Beitrag zu den Argumenten Friedrich Breyers auf procontra-online.de.