Chemische Sonden für Wirkstoffsuche gegen das Coronavirus
Arbeitsgruppe der Universität Konstanz hat eine Methode entwickelt, mit der mögliche Wirkstoffe gegen die Vervielfältigung von SARS-CoV-2 in der menschlichen Zelle gefunden werden können.
Weltweite Bemühungen zielen darauf ab, neben der Impfprophylaxe auch therapeutische Optionen zur Behandlung von Infektionen des SARS-CoV-2-Virus zu schaffen. Hierbei werden Enzyme ins Visier genommen, die für die Vervielfältigung des Virus in menschlichen Zellen essenziell sind. Unter Federführung der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Thomas Böttcher am Fachbereich Chemie an der Universität Konstanz und der Universität Wien ist es gelungen, ein chemisches Werkzeug zu entwickeln, mit dem neue Hemmstoffe für die beiden essenziellen Proteasen des neuen Coronavirus gefunden werden können. Neben dem Einsatz für viele Fragen der Grundlagenforschung und Detektion der Enzyme in komplexen Proben ist das Werkzeug auch anwendbar, um nach Medikamenten gegen das Coronavirus zu fahnden. Die Ergebnisse der Studie sind online in der internationalen Ausgabe des Journals Angewandte Chemie der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) veröffentlicht.
Proteasen sind Enzyme und vergleichbar mit molekularen Scheren, die andere Proteine zumeist an genau festgelegten Stellen zerschneiden. Sie werden vom Coronavirus benötigt, um sich in den menschlichen Zellen vervielfältigen zu können. Das aktive Zentrum dieser Enzyme entspricht dabei den Klingen einer Schere. Werden die Klingen blockiert, kann das Enzym nicht mehr schneiden und somit seine Aufgaben bei der Virusreplikation nicht mehr erfüllen. „Wir haben chemische Sonden entwickelt, die genau in das aktive Zentrum der beiden Proteasen Mpro und PLpro binden und somit selektiv das Schneiden der molekularen Schere verhindern“, erklärt Thomas Böttcher das Prinzip.
Sonde einsetzbar zum Auffinden von Wirkstoffen gegen das Virus
Die Bindung der Sonden in das aktive Zentrum eines Enzyms kann durch die Kopplung eines Fluoreszenzfarbstoffes mit der Sonde sichtbar gemacht werden. Das Fluoreszenzsignal zeigt dabei an, ob das Enzym vorhanden und vor allem ob das aktive Zentrum zugänglich ist. Ist das aktive Zentrum durch einen Hemmstoff blockiert, kann die Sonde nicht binden und ein Fluoreszenzsignal bleibt aus. Die Sonde kann somit als diagnostisches Werkzeug in der Forschung oder aber auch zum Auffinden von Wirkstoffen gegen das Virus eingesetzt werden.
Damit eine Sonde selektiv an das aktive Zentrum der Proteasen binden kann, ist eine Feinabstimmung ihrer chemischen Struktur notwendig. Dieser Optimierungsschritt konnte mithilfe einer neuen Strategie erreicht werden, die es erlaubt, maßgeschneiderte Sonden für ein ausgewähltes Enzym herzustellen. Diese Strategie wurde in den Arbeiten von der Doktorandin Lilian Peñalver in der Forschungsgruppe von Thomas Böttcher entwickelt und auf das Beispiel der Proteasen von SARS-CoV-2 angewandt. Unterstützt wurden sie dabei auch von Kollaborationspartnern innerhalb der Universität Konstanz.
Protease-Hemmung vor der Aktivierung könnte entscheidende Vorteile bringen
Bei einer Infektion schleust das Virus seine Erbinformation in die menschlichen Zellen ein und veranlasst diese dazu, die Erbinformation abzulesen und nach ihren Anweisungen Proteine herzustellen. Die Proteasen sind für die Reifung der hergestellten Proteine verantwortlich. Jedoch sind die Proteasen zu Beginn kaum aktiv und müssen sich zunächst einmal selbst aktivieren und sich aus einer langen Proteinkette „frei-schneiden“. „Alle bestehenden Methoden können nur die bereits aktivierte Form der Protease untersuchen. Unsere Methode ist dahingehend einzigartig, dass wir mit den Sonden zusätzlich auch die noch nicht aktivierte Form ansteuern können“, erklärt Thomas Böttcher. Die Sonden-Strategie soll dabei helfen, genau jene Wirkstoffe zu finden, die gleichzeitig beide Formen der Protease hemmen. Die Hemmung einer Protease vor ihrer vollständigen Aktivierung könnte entscheidende Vorteile für ein zukünftiges Medikament gegen das neue Coronavirus bringen und effektiv die Vermehrung des Virus verhindern.
In einer Machbarkeitsstudie hat das Team zu diesem Zweck eine Bibliothek von Wirkstoffen durchsucht, die geeignet sein könnten, die beiden Proteasen des Coronavirus zu inhibieren. Hierbei wurden bereits für den Einsatz am Menschen zugelassene Stoffe ausgewählt, was den Vorteil hat, dass diese bereits geprüft und direkt therapeutisch einsetzbar wären. Die Bibliothek umfasste hauptsächlich Pflanzeninhaltsstoffe, die als Nahrungsergänzungsmittel oder auf andere Weise bereits genutzt werden. Mithilfe der Sonden-Strategie konnten tatsächlich vielversprechende Moleküle gefunden werden, insbesondere Stoffe aus dem Rotwurzelsalbei.
Das Team um Thomas Böttcher konnte somit die Wirksamkeit ihres Verfahrens im Reagenzglas zeigen. Ob es auch in menschlichen Zellen und schließlich im Menschen zum Erfolg führt, müssen weitere Studien nachweisen. Doch auch wenn sich die Stoffe aus dem Rotwurzelsalbei nicht als erfolgreiche Kandidaten erweisen sollten, ist die neue Sonden-Strategie ein wertvolles Werkzeug, um weitere Wirkstoffkandidaten aufzuspüren. „Wir haben in unserer Studie gezeigt, dass es Naturstoffe mit hoher Aktivität gegen die Proteasen gibt und dass man sie mit unserer Methode sehr leicht finden kann“, so Thomas Böttcher.