Den Wald riechen – nicht einzelne Bäume
Studie der Universität Konstanz: Tiere können Gemische aus Duftstoffen besser riechen als Einzeldüfte
Eine Studie der Universität Konstanz untersucht im Rahmen eines internationalen Teams, wie Geruchsrezeptoren und Gehirnstrukturen auf Duftmischungen und einzelnen Duftstoffe antworten. Zuerst gingen die Forscher der Universität Konstanz, der University of Sussex in Großbritannien, der Universidad de Buenos Aires in Argentinien und der Arizona State University in den USA davon aus, dass Mischungen die Verarbeitung der Duftstoffe erschweren würden. Tatsächlich kommen sie jedoch zum Ergebnis, dass es nicht schwieriger, sondern einfacher ist, Duftmischungen wahrzunehmen. Die Geruchserkennung erfolgt hier sogar etwas schneller. „Das entsprach nicht unseren Erwartungen, war aber das Ergebnis unserer mathematischen Untersuchung“, so Dr. Paul Szyszka, Neurobiologe an der Universität Konstanz. Die Ergebnisse sind in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift PloS Computational Biology nachzulesen.
Der Forschungsverbund formulierte ein mathematisches Modell für die Geruchsverarbeitung. Belege für die Voraussagen des Modells fanden die Wissenschaftler in physiologischen Messungen der Geruchsverarbeitungssysteme von Fruchtfliegen und Honigbienen. Tatsächlich stellte sich heraus, dass Geruchsrezeptoren komplexe Geruchsmischungen schneller, zuverlässiger und über einen weiteren Konzentrationsbereich erkennen können, als dies für Einzelgerüche möglich ist.
Das weist darauf hin, dass das Geruchssystem nicht darauf ausgelegt ist, die Unterscheidung reiner Duftbestandteile durchzuführen. Natürlich vorkommende Düfte sind meistens Mischungen von Duftstoffen. Deshalb ist es aus evolutionärer Sicht sinnvoll, dass der Geruchssinn gemischte Gerüche besser wahrnehmen kann. Ähnlich ist es bei Tieren, die Geruchsmischungen als Kommunikationsmittel (Pheromone) aussenden. Für sie ist es wichtig, dass sie diese chemischen Signale schnell und korrekt identifizieren, um die dazugehörige Nachricht zu entschlüsseln.
Die Erkenntnisse werfen ein ganz neues Licht auf den Geruchssinn. Möglicherweise führen sie zur Entwicklung von noch fortschrittlicheren künstlichen Systemen, die zukünftig den Geruchssinn von Hunden nachahmen, um beispielsweise Drogen oder Sprengstoff zu erkennen oder den Reifegrad und die Qualität von Agrarprodukten zu beurteilen.
Prof. Thomas Nowotny, Director of Research and Knowledge Exchange an der University of Sussex, ist überzeugt, dass die neuen Erkenntnisse die Forschung zum Geruchssinn, die sich bislang auf einzelne Stoffe konzentrieren, grundlegend verändern könnten. Sie erweitern das Verständnis der Geruchsverarbeitung nicht nur, sondern können laut Thomas Nowotny auch auf Mechanismen der Informationsübertragung im Körper angewandt werden, zum Beispiel auf die Erkennung von Chemikalien durch Zellen.
Der Forschungsverbund wird als Nächstes untersuchen, wie die Verarbeitung von Geruchsinformationen durch die Rezeptoren in der Nase erfolgt, noch bevor das Gehirn diese Informationen verarbeitet und die Gerüche voneinander unterscheiden hilft.
Faktenübersicht:
- Originalveröffentlichung: Ho Ka Chan, Fabian Hersperger, Emiliano Marachlian, Brian H Smith, Fernando Locatelli, Paul Szyszka, Thomas Nowotny: Odorant mixtures elicit less variable and faster responses than pure odorants. Chan HK, Hersperger F, Marachlian E, Smith BH, Locatelli F, Szyszka P, et al. (2018) Odorant mixtures elicit less variable and faster responses than pure odorants. PLoS Comput Biol 14(12): e1006536. https://journals.plos.org/ploscompbiol/article?id=10.1371/journal.pcbi.1006536
- Gemeinschaftsstudie der Universität Konstanz und der University of Sussex zeigt, dass Tiere besser und schneller ein komplexes Gemisch aus Gerüchen als deren Einzelteile riechen können
- Zum Forschungsverbund gehören die Universität Konstanz, die University of Sussex (GB), die Universidad de Buenos Aires (Argentinien) und die Arizona State University (USA)
- Der Konstanzer Forschungsbeitrag wurde im Rahmen des Human Frontiers Science Program gefördert, das von 2015 bis 2019 knapp 340.000 Dollar zur Verfügung stellt.
Presseinformation: Nr. 123/2018