Was Pflanzen erfolgreich macht
Pflanzenarten aus bestimmten geographischen Regionen sind erfolgreicher darin, sich außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebiets anzusiedeln, als andere – doch warum? Ein internationales Forschungsteam unter Leitung Konstanzer ÖkologInnen liefert Antworten. Es untersuchte, wie die ökologische und evolutionäre Geschichte von Pflanzen deren Beziehung zum Menschen und deren Erfolg als invasive Pflanzen beeinflussen kann.
Menschliche Aktivitäten – wie globaler Handel und Reisen – treiben die weltweite Ausbreitung von Pflanzen über ihre natürlichen Verbreitungsgebiete hinaus voran. Allerdings profitieren nicht alle Arten gleichermaßen von diesen Standortwechseln. Nur einige sind in der Lage, sich in neuen Gebieten dauerhaft zu etablieren. Gelingt dies, sprechen ÖkologInnen von „Naturalisierung“. Daten zu der weltweiten Verbreitung gebietsfremder Pflanzen zeigen, dass Pflanzen aus bestimmten geographischen Herkunftsregionen erfolgreicher bei der Naturalisierung sind als andere.
Die Hypothese des evolutionären Ungleichgewichts (engl.: evolutionary imbalance hypothesis, EIH) bietet mögliche Erklärungen für dieses Phänomen, wurde jedoch auf globaler Ebene noch nicht überprüft. Einem internationalen Forschungsteam um den Biologen Mark van Kleunen von der Universität Konstanz ist es nun gelungen, zentrale Vorhersagen dieser Hypothese anhand umfangreicher globaler Daten zu untermauern. In ihrer Studie in Nature Ecology & Evolution entdecken die Forschenden außerdem verblüffende Ähnlichkeiten zwischen Pflanzen, die erfolgreich Populationen außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebiets etablieren, und denen, die als Kulturpflanzen genutzt werden. Dies deutet darauf hin, dass biologische und kulturelle Systeme auf ähnliche Weise durch biogeografische Faktoren beeinflusst werden.
Charles Darwin als gedanklicher Vater der Hypothese
Im Kern gehen die Ideen der EIH auf Überlegungen Charles Darwins zurück. „Darwin schlug vor, dass die Ökosysteme der Erde durch natürliche geographische Grenzen in verschiedene evolutionäre Arenen aufgeteilt werden“, berichtet Trevor Fristoe, Erstautor der Studie und Ökologe am Fachbereich Biologie der Universität Konstanz. Innerhalb jeder dieser Arenen wären die dort lebenden Organismen einzigartigen geographischen und ökologischen Begebenheiten ausgesetzt, welche die Intensität der natürlichen Selektion beeinflussen. „Das Ergebnis sind Unterschiede in der absoluten Fitness von Arten, die aus verschiedenen Regionen stammen – evolutionäre Ungleichgewichte. Diese wiederum haben Auswirkungen darauf, welche Arten sich eher erfolgreich in neuen Gebieten etablieren, wenn Grenzen wegfallen", führt Fristoe weiter aus.
Aus diesen Überlegungen leitet die EIH Vorhersagen über die Merkmale globaler Regionen ab, die die Evolution besonders erfolgreicher gebietsfremder Arten fördern. Beispielsweise, dass größere Regionen umfangreichere Populationen und eine höhere genetische Vielfalt begünstigen, was eine wirkungsvollere natürliche Selektion ermöglicht. Oder, dass artenreiche Regionen ihre Bewohner auf eine harte Bewährungsprobe stellen, bei der sich Arten entwickeln und durchsetzen, die in der Gegenwart einer Vielzahl von Konkurrenten und Feinden überleben können.
Die aktuelle Studie testete diese Vorhersagen auf globaler Ebene. Die Forschenden bedienten sich hierfür eines beispiellosen Datensatzes, der die natürlichen und gebietsfremden Verteilungen von über 99 Prozent aller bekannten Samenpflanzen berücksichtigte – mehr als 330.000 Arten. Im Einklang mit der EIH konnten sie nachweisen, dass Pflanzen, die aus ausgedehnten, artenreichen Regionen stammten, zu den erfolgreichsten gebietsfremden Pflanzen zählen. „Damit konnten wir zwei zentrale Vorhersagen der EIH auf globaler Ebene untermauern“, betont Mark van Kleunen, Leiter des internationalen Forschungsteams.
Kulturpflanzen zeigen vergleichbares Muster
Darüber hinaus legten die Daten eine bisher unerkannte Verbindung zwischen dem evolutionären Ungleichgewicht und der wirtschaftlichen Nutzung von Pflanzen durch den Menschen offen: diejenigen Merkmale von Ursprungsgebieten, die zur Selektion besonders erfolgreicher invasiver Pflanzen führen, sind gleichermaßen mit den Arten verknüpft, die der Mensch für die wirtschaftliche Nutzung anbaut. „Bei sonst gleichen Voraussetzungen entscheiden sich Menschen für den Anbau solcher Pflanzen, die eine höhere Überlebens-, Wachstums- und Vermehrungsfähigkeit haben. Dadurch entstehen Rückkopplungen, bei denen Arten mit hohem Invasionspotenzial auch eher absichtlich rund um den Globus verbreitet werden. Unsere Studie verdeutlicht diese faszinierenden Zusammenhänge und zeigt, wie evolutionäre Ungleichgewichte in biologischen und kulturellen Systemen sogar zusammenwirken könnten", so van Kleunen.
Faktenübersicht:
- Originalpublikation: T. S. Fristoe et al. (2023) Evolutionary imbalance, climate and human history jointly shape the global biogeography of alien plants. Nature Ecology & Evolution; DOI: 10.1038/s41559-023-02172-z
- Internationales Forschungsteam unter Leitung Konstanzer BiologInnen bestätigt zentrale Vorhersagen der „Hypothese des evolutionären Ungleichgewichts“ zum Naturalisierungserfolg von Pflanzen aus bestimmten Herkunftsregionen.
- Die Studie berücksichtigt Verteilungsdaten von über 330.000 Pflanzen und damit nahezu aller (99,5%) bekannten Samenpflanzen.
- Förderung: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)