Prof. Dr. Christiane Bertram | Bildrechte: Universität Konstanz

Virtuelle Zeitzeugen im Klassenzimmer

Prof. Dr. Christiane Bertram im Interview mit der Tagesschau und dem Deutschlandfunk zur neuen WDR-History-App, die Zeitzeugen der NS-Zeit mit Hilfe von Augmented Reality erlebbar macht

Das WDR hat eine App entwickelt, um die Erlebnisse von Zeitzeugen der NS-Zeit auch über ihre Lebenszeit hinaus möglichst real erlebbar zu machen. Für die bei der didacta 2019 erstmals präsentierte App wurden die Geschichten der Zeitzeugen eingefangen. Die Technologie der Augmented Reality nutzend (dies bezeichnet Szenarien, in denen die Grenzen zwischen der digitalen und realen Welt verschwimmen), werden die Zeitzeugen als 3D-Projektionen direkt in unsere Lebenswelt bzw. ins Klassenzimmer geholt. Die Applikation, die aktuell auf das Betriebsystem iOs ausgelegt ist und ab März auch für Android-Systeme zur Verfügung stehen soll, will das Interesse von Kindern und Jugendlichen an Geschichte wecken und bietet Zusatzmaterialien für den Einsatz im Geschichtsunterrichtet.

Prof. Dr. Christiane Bertram, Juniorprofessorin für Fachdidaktik in den Sozialwissenschaften an der BiSE, hat sich in einer groß angelegten empirischen Studie mit der Wirkung von realen Zeitzeugen im Vergleich zu geschriebenen und aufgenommenen Erlebnisberichten im Unterricht befasst. Sie hat sich die WDR-History-App angesehen und diese mit den Ergebnissen ihrer Zeitzeugenstudie in Verbindung gebracht. In einem Gespräch mit der Tagesschau und einem Interview mit dem Deutschlandfunk berichtet sie darüber, welche Wirkung die App auf Kinder im Geschichtsunterricht haben kann und welche Punkte beim Einsatz bedacht werden sollten.

Dabei betont sie die starken emotionalen Effekte der App, die durch die dramatische musikalische Gestaltung und die Zeitzeugen-Projektionen hervorgerufen werden. Dies böte auf der einen Seite eine große Chance, die Zielgruppe zu erreichen, berge aber auch das Risiko in sich, Kinder mit der Gewaltdarstellung zu überfordern. Im Unterricht müsse dies aufgefangen und thematisiert werden. Wichtig findet es Prof. Dr. Christiane Bertram, die Wirkung der App mit den Schülerinnen und Schülern zu besprechen. Dafür wünscht sie sich, in der App verschiedene Elemente an- und ausschalten zu können. Ähnlich wie bei dem Ton, der einfach weggeklickt werden kann, wäre es gut, nicht nur die 3D-Projektion des Zeitzeugen sehen zu können, sondern die Zeitzeugenaussage auch als („normalen“) Videoclip sowie in Schriftform zur Verfügung zu haben. Damit wäre die Möglichkeit gegeben, den Geschichtsunterricht flexibel zu gestalten sowie die Wirkung der verschiedenen Präsentationsformen zu erproben und mit den Lernenden zu diskutieren.

Wir laden Sie herzlich ein, sich den Originalbericht der Tagesschau und das Interview im Deutschlandfunk anzusehen/anzuhören. Die Links zu den entsprechenden Websites sowie die Möglichkeit zum Download des Interviews als .mp3 finden Sie in der Box "Downloads & Links". Viel Spaß dabei.

Faktenübersicht

Auszug aus den Ergebnissen der Zeitzeugenstudie:

  • Schülerinnen und Schüler, die mit Live-Zeitzeugen gearbeitet haben, hatten mehr Spaß und sie waren überzeugter, methodisch und inhaltlich viel gelernt zu haben, als die Vergleichsgruppe, die mit Zeitzeugenvideos und Transkripten gearbeitet hatte.
  • Gleichzeitig schnitten die Live-Schülerinnen und Schüler schlechter in den Tests ab, bei denen die Kritik- und Reflexionsfähigkeit abgeprüft wurde, d.h. sie stellten Geschichtsdarstellungen und Zeitzeugenaussage weniger in Frage.

 Fazit zum App-Einsatz im Geschichtsunterricht:

  • gut gemachte App mit vielen Zusatzmaterialien, die es ermöglichen, die Aussagen der Zeitzeugen in den Kontext der historischen Ereignisse zu setzen
  • sehr emotionalisierende Wirkung, die beim Einsatz berücksichtigt und im Unterricht thematisiert werden muss