Solitäre Biene, die die Blüte einer Arabidopsis lyrata besucht. Bild: M. Stift

Vom Fremd- zum Selbstbestäuber

BiologInnen der Universität Konstanz belegen einen alternativen genetischen Mechanismus, durch den Pflanzen zu Selbstbestäubern werden können.

Es gibt Blütenpflanzen mit der Fähigkeit zur Selbstbestäubung. Sie können sich also selbst befruchten und brauchen dafür keinen Partner. Das hat den biologischen Vorteil, dass ein einzelnes Exemplar dieser Pflanzen im Alleingang ganze Gebiete besiedeln kann. Selbstbestäubung hat jedoch auch negative Folgen für diese Pflanzen – allen voran den Verlust der genetischen Variabilität und damit der biologischen Fitness der Art. Bei vielen Blütenpflanzen gibt es entsprechend Vorkehrungen, die eine Selbstbestäubung verhindern, beispielsweise indem der eigene Pollen erkannt und abgestoßen wird. BiologInnen sprechen dabei von Selbstinkompatibilität.

Hin und wieder kommt es in der Natur vor, dass diese Selbstinkompatibilität verloren geht und dass Pflanzen die Fähigkeit zur Selbstbestäubung erlangen. Fälle sind beispielsweise bei einigen Kreuzblütlern bekannt. Die Gene, die bei dieser Pflanzenfamilie ausschlaggebend für die Selbstinkompatibilität sind, sind wohl bekannt. Bisher ging die Wissenschaft davon aus, dass sogenannte Funktionsverlustmutationen dieser „S-Gene“ den Verlust der Selbstinkompatibilität erklären. In einer Kreuzungsstudie in der Fachzeitschrift Nature Communications präsentieren Konstanzer EvolutionsökologInnen am Beispiel der Felsenschaumkresse (Arabidopsis lyrata) Belege für einen alternativen Mechanismus unter Beteiligung eines sogenannten Modifier-Gens.

„Selbstbestäuber besitzen ein erhöhtes Potenzial, sich außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebiets als invasive Arten zu etablieren, und können ohne Bestäuberinsekten überleben. Ein besseres Verständnis der Mechanismen, die dazu führen können, dass Fremdbestäuber zu Selbstbestäubern werden, ist daher von hoher ökologischer Relevanz“, erklärt Marc Stift, Evolutionsökologe an der Universität Konstanz und einer der StudienautorInnen.

Etwas passte nicht so ganz
Dass bei der Felsenschaumkresse ein Modifier-Gen – also ein Gen, dessen Aktivität sich auf die Expression eines anderen, räumlich getrennten Gens auswirkt – eine Rolle spielen könnte, wurde bereits vermutet. Es gab jedoch bisher keinerlei Daten, die diese Idee untermauerten. Die Konstanzer Forschenden führten daher ein umfangreiches Experiment durch: Sie kreuzten Individuen aus selbstinkompatiblen und selbstkompatiblen Felsenschaumkresse-Populationen in sämtlichen möglichen Kombinationen. Anschließend bestimmten sie das Fortpflanzungssystem von über 1500 Nachkommen und brachten dies mit genetischen Daten über die von den Nachkommen vererbten Varianten des S-Gens (S-Allelen) in Zusammenhang.

Die Forschenden konnten unter anderem zeigen, dass Kreuzungen zwischen Fremd- und Selbstbestäubern bei den Nachkommen zu beiden Fortpflanzungssystemen führen können. Ausschlaggebend sind dabei die S-Allele des selbstinkompatiblen Partners. Das S-Gen spielt also auch bei dem Verlust der Selbstinkompatibilität der Felsenschaumkresse eine Rolle. Die Forschenden fanden jedoch keine Belege dafür, dass dieser durch eine Funktionsverlustmutation erklärt werden kann.

Anders ausgedrückt: Die Selbsterkennungsgene waren am Verlust der Selbstinkompatibilität selbstbestäubender Felsenschaumkressen beteiligt, allerdings nicht nach demselben Mechanismus, der bei anderen Arten eine Rolle gespielt hat. Im Gegenteil: „Tatsächlich haben wir in unseren Experimenten Nachkommen mit identischen Selbsterkennungsgenen gefunden, von denen einige selbstinkompatibel und andere vollständig selbstfruchtbar waren“, berichtet Yan Li, welche die Kreuzungsexperimente im Rahmen ihrer Doktorarbeit in Konstanz durchgeführt hat. Die Studie liefert damit deutliche Belege für den bisher unbewiesenen Alternativmechanismus unter Beteiligung eines Modifier-Gens. „Als nächstes gilt es herauszufinden, ob dieser Mechanismus einzigartig für die Felsenschaumkresse ist, oder ob er auch bei anderen Pflanzenarten zum Übergang vom Fremd- zum Selbstbestäuber geführt hat“, fügt Stift hinzu.

Faktenübersicht:

  • Originalpublikation: Y. Li, E. Mamonova, N. Köhler, M. van Kleunen and M. Stift (2023) Breakdown of self-incompatibility due to genetic interaction between a specific S-allele and an unlinked modifier. Nature Communications; DOI: 10.1038/s41467-023-38802-0
  • Kreuzungsstudie Konstanzer EvolutionsökologInnen zur genetischen Ursache des Verlusts der Selbstinkompatibilität bei Kreuzblütlern
  • Open Science: Die Originalpublikation ist in Nature Communications frei zugänglich. Die Replikationsdaten und das für die Analysen verwendete Skript können von Figshare heruntergeladen werden
  • Förderung: China Scholarship Council (CSC)