Trainings- und fünf Testmuster mit den Prozentrichtigwahlen durch die Tauben als Beispiele (Ausschnitt). Bild: Juan D. Delius und Julia A. M. Delius
Trainings- und fünf Testmuster mit den Prozentrichtigwahlen durch die Tauben als Beispiele (Ausschnitt). Bild: Juan D. Delius und Julia A. M. Delius

Wie unterscheiden Tauben Pixelmuster?

Wissenschaftler der Universität Konstanz liefert neue Erkenntnisse zur Mustererkennungsstrategie von Tauben. Die Forschungsergebnisse lassen unter anderem Rückschlüsse auf die Funktionsweise und Anwendung von künstlichen neuronalen Netzen zu.

Wie sehen Tiere die Welt? Ähnelt ihre Wahrnehmung der unseren oder nehmen sie ihre Umwelt in komplett anderen Strukturen wahr? Diese Fragen sind nicht nur faszinierend, sondern haben auch konkrete Anwendungen: So nutzen zum Beispiel Forschende des Konstanzer Exzellenzclusters „Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour“ die Eigenheiten der artenspezifischen Wahrnehmung, um Tiere in virtuelle Realitäten zu versetzen. In diesen künstlichen Umgebungen können dann spezifische Verhaltensmuster der Tiere und ganzer Tiergruppen analysiert werden.

Der Konstanzer Wissenschaftler Prof. Dr. Juan D. Delius, Professor für Allgemeine und Biologische Psychologie im Ruhestand, erforscht die Wahrnehmung von Tauben. Forschungsergebnisse, die im Laufe seiner über Jahrzehnte durchgeführten Studien zustandegekommen sind, wurden jüngst in der Fachzeitschrift Scientific Reports veröffentlicht. Gemeinsam mit seiner Tochter Julia A. M. Delius vom Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung untersucht er darin, wie Tauben mit degradierten Mustern umgehen.

Individuelle Erkennungsstrategien
Dazu wurden mit Miniatur-LED-Leuchten gepixelte Muster gebildet, die einem H oder einem Z ähnelten. Die Tauben wurden durch Futterbelohnung trainiert, ein H- und Z-Musterpaar zu unterscheiden. Dann wurden einzelne LEDs ausgeschaltet, so dass Pixel des jeweiligen Musters fehlten oder etwas anders platziert waren. Dennoch gelang es den Tauben, das jeweils korrektere Muster zu erkennen. Pixel für Pixel wurden die Muster degradiert und dabei festgestellt, wie gut den Tauben die Unterscheidung noch gelang. „Wie zu erwarten, spielte die Anzahl der mit dem Trainingsurmuster übereinstimmenden beleuchteten Pixel dabei eine große Rolle“, so Juan Delius: „Je mehr Pixel mit denen der Vorlage übereinstimmten, desto größer war die korrekte Auswahlsicherheit aus der Musterpaarung.“

Eine systematische Analyse der Entscheidungen der Tauben ließ zunächst vermuten, dass einige Pixelgruppierungen besonders unterscheidungsrelevant wären. „Bei genauerer Betrachtung ergab sich jedoch, dass jede Taube eine eigene individuelle Erkennungsstrategie nutzte und bei ihrer Entscheidung auf eine ureigene favorisierte Pixelauswahl achtete“, so Delius weiter.

Ähnlichkeiten zum Deep Learning
Warum sollte uns das interessieren? Das visuelle System der Taube ist wie das menschliche hochkomplex und kulminiert in einem neuronalen Netzwerk aus Abermillionen von untereinander verknüpften Nervenzellen. „Entgegen den Erwartungen ergaben die Analysen aber nicht eine geordnete Reihenfolge von Entscheidungskriterien, wie man sie in Worte fassen könnte. Stattdessen ähnelten die Ergebnisse den Vorgängen in künstlichen Gehirnen wie denen der selbständigen Rasenmähroboter, die unterschiedliche Gärten erlernen“, erklärt Delius. Diese Herangehensweise ist in der Künstlichen Intelligenz unter dem Stichwort Deep Learning bekannt. Die Tauben(hirne) scheinen ebenfalls natürliche „tiefgehende Lernprozesse“ beim individuellen Erlernen von komplexeren Mustern zu nutzen. Im Umkehrschluss könnte die Anwendung von Pixelmustern hilfreich sein, wenn die Mustererkennung mit künstlichen neuronalen Netzwerken untersucht werden soll. Eine künftig zu bearbeitende Fragestellung lautet beispielsweise, ob sich die Leistungen der visuell äußert kompetenten Taubengehirne mit einem künstlichen neuronalen Netz nachahmen lassen.

Faktenübersicht:

  • Konstanzer Wissenschaftler Prof. Dr. Juan Delius legt neue Forschungsergebnisse zur Mustererkennung bei Tauben vor
  • Tests mit degradierten Pixelmustern zeigen, dass Tauben jeweils eigene individuelle Erkennungsstrategien nutzen und spezielle Pixelmuster bei der Auswahl favorisieren
  • Ähnlichkeiten zur Künstlichen Intelligenz: Mustererkennung bei Tauben ähnelt Vorgängen in künstlichen neuronalen Netzen, die beim Machine Learning bzw. Deep Learning genutzt werden
  • Originalveröffentlichung: Delius, J. D., & Delius, J. A. M. (2019). Systematic analysis of pigeons’ discrimination of pixelated stimuli: A hierarchical pattern recognition system is not identifiable, Scientific Reports, DOI: https://doi.org/10.1038/s41598-019-50212-1
  • Die detaillierten, der Studie zugrunde liegenden Daten, stehen online beim Open Science Framework zur Verfügung, DOI: https://doi.org/10.17605/OSF.IO/MKFA5