Leere (Wahl-)Versprechen?
Am 9. Juni 2024 finden die Wahlen zum Europäischen Parlament sowie in einigen Bundesländern Kommunalwahlen statt. Für PolitikwissenschaftlerInnen wie Elisa Deiss-Helbig vom Zukunftskolleg der Universität Konstanz Anlass, auf Wahlforschung zu gehen.
„Welche sozialen Gruppen erhalten viele Wahlversprechen, welche eher weniger oder keine?“, „Für wen werden Wahlversprechen umgesetzt?“, „Wie können wir diese Diskrepanzen erklären?“ Ein vorläufiges Ergebnis der Bevölkerungsumfragen von Politikwissenschaftlerin Elisa Deiss-Helbig, die seit 2023 am Zukunftskolleg der Universität Konstanz forscht, zeigt: BürgerInnen reagieren immer negativ auf das Brechen von Versprechen. Allerdings lassen sich keine positiven Effekte für das Erfüllen von Versprechen feststellen – auch dann nicht, wenn die Befragten davon profitieren.
Wie erforscht man Wahlversprechen und die Reaktionen der WählerInnen auf deren (Nicht)Erfüllung? Lesen Sie mehr über das Vorgehen der WissenschaftlerIn in einem ergänzenden Science Backstage-Beitrag im Online-Magazin der Universität Konstanz.
Elisa Deiss-Helbig beschäftigt sich mit Fragen der politischen Ungleichheit im Kontext von Wahlversprechen und deren Umsetzung. Sie leitet zusammen mit Theres Matthieß von der Universität Trier und Isabelle Guinaudeau von Sciences Po Paris ein deutsch-französisches Kooperationsprojekt. Warum ist gerade der deutsch-französische Vergleich so interessant? „Deutschland und Frankreich sind zwei Länder, die sich zwar in vielerlei Hinsicht ähneln, z.B. bezüglich Demokratie- oder Wohlstandsniveau, institutionell aber große Unterschiede aufweisen – vor allem hinsichtlich des Parteien- und politischen Systems“, erklärt Elisa Deiss-Helbig. „Aktuell gibt es zudem Überlegungen, die Forschung auf weitere Länder auszuweiten, etwa über Kooperationen mit Forschungsprojekten, die ähnliche Fragestellungen untersuchen.“
Wahlversprechen und deren Einlösung erforschen
In einem ersten Schritt möchte die Politikwissenschaftlerin politische Ungleichheit in verschiedenen Phasen des politischen Entscheidungsprozesses analysieren. Elisa Deiss-Helbig interessiert sich dafür, wie Wahlversprechen gemacht und erfüllt werden, während sie sich gleichzeitig auf wählerbasierte (Nachfrage) und parteibasierte (Angebot) Erklärungen konzentriert. Zudem soll politische Ungleichheit so untersucht werden, dass sie der Vielfalt an gesellschaftlichen Gruppen entspricht, mit besonderem Augenmerk auf diejenigen, die politisch marginalisiert sind.
„Meine Arbeit bringt neue theoretische Erkenntnisse und empirische Ansätze in dieses gut etablierte Feld der Politikwissenschaft ein“, fasst Elisa Deiss-Helbig zusammen. „Erstens untersuche ich die Frage der politischen Ungleichheit nicht nur für Gruppen, die sich z.B. hinsichtlich des Einkommens oder des Geschlechts unterscheiden, sondern nehme die Komplexität verschiedener sozialer Gruppen in den Blick, die in einem zweiten Schritt nach ihrem Grad an politischer Macht und ihrem sozialen Image kategorisiert werden sollen. Dieser Ansatz ermöglicht es mir, verallgemeinerungsfähigere Schlussfolgerungen zu formulieren, als wenn nur eine einzige Gruppe analysiert würde. Zweitens kombiniere ich experimentelle Forschung und qualitative Fallstudien, um innovative Ideen zu entwickeln und zu testen.“
Wählen ist wichtig!
Für die anstehenden Kommunalwahlen wünscht sich Elisa Deiss-Helbig vor allem eine hohe und gesellschaftlich breite Wahlbeteiligung. „In der Vergangenheit gab es weder für Europa- noch für Kommunalwahlen eine hohe Wahlbeteiligung– mit Ausnahme der letzten Europawahlen vielleicht. Zudem ist es wichtig und wünschenswert, dass möglichst alle Bevölkerungsgruppen in gleichem Maße zur Wahl gehen, so dass es etwa hinsichtlich Einkommensgruppen keine zu großen Unterschiede gibt.“ In den letzten Jahren konnten laut Elisa Deiss-Helbig mehrere Studien zeigen, dass diese Unterschiede in der Wahlbeteiligung Einfluss darauf haben, wer politisch repräsentiert wird und wer nicht.
Faktenübersicht:
- Politikwissenschaftlerin Elisa Deiss-Helbig forscht seit 2023 am Zukunftskolleg der Universität Konstanz.
- Sie leitet zusammen mit Theres Matthieß von der Universität Trier und Isabelle Guinaudeau von Sciences Po Paris das deutsch-französische Kooperationsprojekt UNEQUALMAND: “Unequal mandate responsiveness? How electoral promises and their realizations target groups in France and Germany”, das sich mit Wahlversprechen und deren Umsetzung beschäftigt.
- Das Projekt wird durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Agence Nationale de la Recherche (ANR) finanziert.
Wie sieht der wissenschaftliche Alltag aus, jenseits bahnbrechender Erkenntnisse, viel zitierter Publikationen und renommierter Auszeichnungen? Wie funktionieren wissenschaftliche Methoden? Was geschieht an der Schwelle zwischen eigener Forschung und Fachwelt, zwischen wissenschaftlicher Debatte und öffentlicher Wahrnehmung?
Lesen Sie dies unter der Rubrik „Science Backstage“ im Digitalmagazin der Universität Konstanz. Neu veröffentlicht unter dieser Rubrik ist außerdem folgender Beitrag: Eine eine Wissenschaftlerin erzählt im Interview, wie das Leben einem Forschungsfragen stellt, die man dann wissenschaftlich zu beantworten sucht.