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20.-21. Oktober 2011
KÖRPERLICHKEIT DER ABSTRAKTION
Tagung des Graduiertenkollegs "Das Reale in der Kultur der Moderne"

Die Tagung richtet sich an Nachwuchswissenschaftler insbesondere der Fächer Kunstgeschichte, Philosophie, Medien-, Film-, Bild- und Theaterwissenschaften. Wir freuen uns über Vortragsvorschläge, die Abstraktion anders als Verab-schiedung des Figurativ-Körperlichen zu denken versuchen.

Die Tagung wird ausgerichtet vom DFG-Graduiertenkolleg "Das Reale in der Kultur der Moderne" an der Universität Konstanz. Eine Anmeldung für die Konferenz ist möglich per Email an: Koerperderabstraktion@googlemail.com

Kontakt:
Olga Moskatova, Kathrin Schönegg und Sandra Beate Reimann
Universität Konstanz
Fach D 153 78457 Konstanz
Email: koerperderabstraktion@googlemail.com




PROGRAMM:

Donnerstag, 20.10.2011
Tagungsraum K 7, Universität Konstanz

09:00–09:15  
Begrüßung und thematische Einführung
Olga Moskatova

Panel 1         Abstraktion zwischen Spur und Potenzialität
Moderation:   Prof. Dr. Bernd Stiegler

09.15-10:15   
Toni Hildebrandt (Basel)              
Leiblichkeit, Abstraktion, Privation. Zum Corpus der Zeichnung bei Laura Lio

10:15-10:45   
Kaffeepause

10:45-11:45   
Kathrin Schönegg (Konstanz)
Die Dinge verschwinden lassen, um ihnen näher zu kommen.
Autogenerative Photographien als Intensivierung des „Realen“

11:45-12:45   
Dietmar Kohler (Halle)
Konkretion und Reflexion.
Zur Phänomenalität der Silver-Serie von Wolfgang Tillmans

12:45-14:15   
Mittagessen

Panel 2         Körper als Medium eines abstrakten Ausdrucks
Moderation:   Olga Moskatova

14:15-15:15   
Alexander Schwan (Berlin)
Kryptische Diagramme –
Körperlich vermittelte Abstraktion im Postmodern Dance

15:15-16.15   
Kristina Köhler (Zürich)
„Rosa und hellgrüne Bänder wehten tänzerisch über die Fläche.“
Zum Abstraktionsbegriff im ‚absoluten’ Film und Tanz der 1920er Jahre

16:15-16:45   
Kaffeepause

16:45-17:45   
Kristin Wenzel (Paderborn)
Stille. Zur Interdependenz von Leiblichkeit, Stille und Kunst aus kulturhistorischer Perspektive

ab 18:15         
Hörsaal A 703, Universität Konstanz
ABENDVORTRAG:
Prof. Dr. Monika Wagner (Hamburg):
„Das Auge ward Hand, der Lichtstrahl Finger“.
Zur Aktivierung des Betrachterraums
Moderation: Dr. Marius Rimmele

Freitag, 21.10.2011
Tagungsraum K 7, Universität Konstanz

Panel 3         Physis des Artefakts
Moderation:   Prof. Dr. Juliane Vogel

09:00-10:00   
Berit Callsen (Berlin)
„L´Hourloupe“, „Réalisme radical“ und „Simulacres“: Überlegungen zur Dialektik von Körperlichkeit und Abstraktion bei Jean Dubuffet

10:00-10:30   
Kaffeepause

10:30-11:30   
Tomoko Mamine (Berlin)
„Als sich Geist und Material die Hand reichten“.
Die frühen Arbeiten von Gutai

Panel 4         Leib zwischen Ephemerem und Massivem
Moderation:   Dr. Ursula Ströbele

11:30-12:30   
Sandra Beate Reimann (Konstanz/Wien)
Als der Raum sich krümmte.
Topologische Konfigurationen im jüngeren Œuvre Richard Serras

12:30-14:00   
Mittagessen

14:00-15:00   
Viola Rühse (Hamburg)
Die phänomenologische und utopische Avantgarde-Ästhetik von Maria Nordman

ab 15:00          ABSCHLUSSDISKUSSION

 

Thema der Tagung:

Seit dem Eintritt in die Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts scheinen Körperlichkeit und Abstraktion einen Gegensatz zu bilden, der unterschiedliche künstlerische Positionen markiert. Auf der einen Seite stehen Ansätze, die sich der Abstraktion verschreiben und sich programmatisch vom Figurativen, Narrativen und Illusionistischen abwenden; auf der anderen Seite Ansätze, die dem Prinzip der Repräsentation verpflichtet bleiben. Die abstrakte Kunst sagt sich gemäß diesem dichotomischen Schema von körperhafter Darstellung los. Seit den Avantgarden besinnt sich der Modernismus auf die Autonomie des jeweiligen Mediums und vollzieht einen Prozess der Reinigung und Reduktion, der teilweise mit einer Wende nach Innen einhergeht (Clement Greenberg). Während figurative Kunst auf eine Welt außerhalb ihrer selbst bezogen bleibt, wird der abstrakten Kunst nur mehr Referenz auf sich selbst zugeschrieben. Die konsequente Reduktion aller außerweltlichen Bezüge führt die Kunst an die Grenze der Selbstauflösung, die sich in stets neuen ‚letzten Bildern' und in der fortwährenden Rede vom ‚Ende der Kunst' artikuliert. Dies lässt scheinbar nur die Wahl zwischen der positiven Bewertung der Abstraktion als einer Kritik des Illusionismus oder einer Ablehnung der Abstraktion als reinem Formalismus.
Ziel der Tagung ist es, diese strikte Opposition von Abstraktion und (figurativer) Körperlichkeit in Frage zu stellen und zu einem umfassenderen Verständnis des Körperhaften in der modernen Kunst zu gelangen. Das schließt einen anderen Begriff von Abstraktion ein, die nicht allein als Reduktion (Abziehung, Abwesenheit, Abwendung) bestimmt werden darf. Zwar wird in abstrakten Kunstwerken das Körperliche nicht mehr auf figurative Weise zur Darstellung gebracht, es findet aber – so die These – auf zwei anderen Ebenen wieder Eingang in die Kunst: zum einen als das Physisch-Körperhafte des Materials in seiner sinnlichen Konkretion, zum anderen in der leiblichen Erfahrung des Rezipienten, die zum integralen Bestandteil des Kunstwerks selbst gemacht wird.
1. Die Physis des Artefakts. Konzepte, die Abstraktion als Reduktion beschreiben, lassen das künstlerische Objekt als dinghaftes Residuum erscheinen, das nur noch auf sich selbst verweist. Damit nähern sich Kunstwerke vor allem in den 1960er Jahren zunehmend gewöhnlichen physischen Objekten an. Doch ist gerade in den Neuen Medien (Photographie, Film) das Körperhafte des Artefakts nicht nur als Kehrseite einer selbstreferenziellen Reinigung der Künste zu sehen. Von den technischen Medien, die in einem direkten physikalischen Zusammenhang mit der umgebenden Realität stehen, lässt sich vielmehr das Gegenteil behaupten: Hier ist Abstraktion als Affirmation des ‚Außen' zu verstehen, als Intensivierung des ‚Realen' statt als Abwendung von ihm. Kategorien wie Spur, Indexikalität, Berührung oder Abdruck zeigen eine Hinwendung zur Physis und Materialität an, die im scheinbar referenzlosen Bild den Realitätsbezug der technischen Medien gerade vor Augen führt. Mit Georges Didi-Huberman ließe sich deshalb fragen, an welchen Punkten ästhetische Abstraktionen in Photographie und Film "an das Reale rühren".
Auch in einer weiteren Hinsicht weist die Materialität abstrakter Kunst aus der Selbstreferenzialität heraus: Die Materialität eines Werks klagt jene Dimension der aisthetischen Erfahrung ein, die nicht bruchlos in das Register der Repräsentation eingeht, sich nur schwer semiotisieren lässt und gerade in dieser "Unfüglichkeit" (Dieter Mersch) die Zeugenschaft, Eigensinnigkeit und sogar Geschichtlichkeit des Materials offenbart. In Verfallserscheinungen, Deformationen, Defigurationen, Rauheiten, Störungen, Furchen, Falten, Verletzbarkeiten, im Übriggebliebenen wie im Monumentalen affiziert, verstört, überwältigt und ereignet sich die Materialität als solche und ermöglicht intensive sinnliche Erfahrungen der Präsenz. Während die Kunstgeschichte in den letzten Jahrzehnten die lange vernachlässigten Materialien und die physische Struktur der Kunstwerke rehabilitiert und neu entdeckt, entwickeln aisthetische Materialitätskonzepte die Perspektiven des linguistic turn weiter. In ihrer Relevanz füreinander sind sie noch nicht hinreichend fruchtbar gemacht worden.
2. Die Physis des Rezipienten. Auch auf der Ebene der Rezeption ist der Körper ein prominenter Gegenstand abstrakter Kunst. Denn sie bezieht die Leiblichkeit desjenigen ein, der das Kunstwerk wahrnimmt, hört, fühlt, betastet, betritt. In Abkehr vom Greenbergschen Modernismus entstanden seit den 1960er Jahren Kunstwerke, in denen Bedeutung nicht mehr als etwas dem Kunstwerk Vorgängiges (zum Beispiel über die Intention des Künstlers oder den historischen Kontext), sondern als etwas rein gegenwärtig Existierendes gedacht wird (Rosalind E. Krauss). Vor allem im weiteren Bereich der Skulptur (Minimal Art, Postminimal Art, Art of Light and Space, Land Art, installative Medienkunst, Performance) richten sich die künstlerischen Strategien auf die Körperlichkeit des Rezipienten als einem konstitutiven Element des Kunstwerkes selbst. Es werden begehbare Skulpturen geschaffen und Skulpturen, die in den Betrachterraum eingreifen, indem sie beispielsweise Räume verstellen oder öffnen. Lichtinstallationen sind darauf angelegt, die Wahrnehmung des Betrachters zu irritieren und Wahrnehmung selbst bewusst werden zu lassen. Arbeiten, auf deren Formgebungsprozess die Schwerkraft Einfluss ausübt, oder Arbeiten, die sich auf die räumliche Organisation des menschlichen Körpers (aufrechter Gang, Rechts-Links-Symmetrie, Diskrepanz zwischen Vorder- und Rückseite) beziehen, sind in einem tatsächlichen, physisch erfahrbaren
Raum angesiedelt und suspendieren die Idee einer idealen und abstrakten Raumordnung. In Entsprechung zur Phänomenologie von Maurice Merleau-Ponty findet hier der Leib als Medium der Wirklichkeitsaneignung und Erfahrungsbildung Eingang in die abstrakte Kunst. Körper wird hier nicht als ein abgegrenztes, ganzes ‚Selbst', sondern als ein Werdendes begriffen, das sich in der Wahrnehmung des Objektes oder des ‚anderen Selbst' allererst bildet. Vor dem skizzierten Hintergrund wird der Körper in der abstrakten Kunst zum "Grund skulpturaler Erfahrung" (Rosalind E. Krauss).