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Christian Kiening
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Einleitung: Zeit in Bewegung. Die Temporalität des Reisens, 1350–1650
Michael Stolz
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Petrarcas Itinerarium ad sepulcrum domini nostri. Yehsu Christi im Spannungsfeld der Zeiten
Der Beitrag analysiert das Spannungsfeld zwischen auktorialem Schreibakt und der darin thematisierten künftigen Reiseerfahrung des Adressaten in Petrarcas Itinerarium ad sepulcrum domini nostri Yehsu Christi. 1358 für den Mailänder Freund Giovanni Mandelli verfasst, entwirft Petrarca darin ein fiktive Reise, die von Genua aus entlang der italienischen Westküste zu den Stätten des Heiligen Landes führt. Im Fokus der Ausführungen stehen das Verhältnis zwischen Schreibendem und Adressaten in der Polarität von räumlicher Distanz und literarisch hergestellter Präsenz, die imaginierte Topografie des Heiligen Landes und die besonders im Epilog pointierte Hybridität der auf den Verfasser und den Adressaten bezogenen Raum- und Zeiterfahrungen.
This article analyses the temporal polarities as they appear in Petrarch’s Itinerarium ad sepulcrum domini nostri Yehsu Christi with the auctorial writing act and the therein anticipated future itinerary of the addressee. Written in 1358 for his friend Giovanni Mandelli in Milan, Petrarch designs in his Itinerarium a fictitious voyage leading from Genoa along the Italian west coast to the pilgrim sites of the Holy Land. The argument focusses on the relationship the text establishes between the writer and his addressee (based on the discrepancy of spatial distance and artificial textual presence), on the imaginary topography of the Holy Land, and on the hybridity of spatial and temporal experience related to the writer and his addressee, as it appears in the epilogue.
Susanne Fischer
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Das Heilige Land im Gitternetz. Die Strukturierung von Raum und Zeit in der Descriptio terrae sanctae des Johannes Poloner
Im Zentrum des Beitrags steht die Descriptio terrae sanctae des Johannes Poloner aus dem 15. Jahrhundert. Ausgehend von generellen Überlegungen zur zeitlichen Strukturierung von Texten, die über eine Pilgerreise ins Heilige Land erzählen und einzelne Reisestationen wiedergeben, betrachte ich in einem ersten Schritt am Beispiel des Johannes Poloner die Häufung von Heilsereignissen an einzelnen Orten und damit zusammenhängend die Auflösung einer chronologischen Darstellung innerhalb biblischer Episoden. In einem zweiten Schritt liegt der Fokus auf einem Kapitel der Descriptio, der Beschreibung einer Gitternetzkarte des Heiligen Landes. Dabei analysiere ich, wie sich die Darstellung der Inhalte in diesem Gitternetzschema auf die zeitliche Strukturierung der Texte auswirkt.
In this article, I address aspects of temporality in the Descriptio terrae sanctae of Johannes Poloner, dated in the 15th century. After general considerations on temporal structures in pilgrimage narratives, I discuss in a first step the accumulation of biblical events in one place and the resolution of a chronological representation of the events. In a second step, the focus lies on a chapter of the Descriptio that describes a grid map of the Holy Land. In doing so, I analyse how the presentation of the contents in this grid scheme affects the temporal structuring of the texts.
Einat Klafter
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Mary’s handmaiden. Margery Kempe’s ex situ self-insertion in the passion narrative
The Book of Margery Kempe recounts how its eponymous protagonist experienced meditative visions of the Passion both in England and during her pilgrimage to the Holy Land. A close reading of these visionary experiences shows that Kempe engages with the biblical narrative very differently in these two locations. While her vision at Calvary is purely descriptive, her meditations back in England are much more powerful, immersive experiences, in which she collapses past and present and inserts herself in the biblical story. This article views these differences as the result of Kempe’s privileging of the Eucharist over local sancta as a visionary trigger and an effective conduit to the divine. It further argues that such a preference should be read as a byproduct of the author’s local historical context, in particular her engagement with the debates regarding transubstantiation that were sparked by the English Lollard movement.
The Book of Margery Kempe erzählt von den meditativen Passionsvisionen, die die gleichnamige Protagonistin in England und auf einer Pilgerfahrt ins Heilige Land erlebte. Eine genaue Lektüre dieser visionären Erfahrungen zeigt, dass Kempe das biblische Narrativ an beiden Orten sehr verschieden abruft. Während ihre Vision auf dem Hügel Golgatha rein deskriptiv bleibt, sind ihre Meditationen in England viel wirkmächtigere, immersivere Erlebnisse, in denen sie Vergangenheit und Gegenwart verschränkt und sich selbst in die biblische Geschichte einschreibt. Dieser Aufsatz interpretiert diese Unterschiede als das Ergebnis von Kempes Privilegierung der Eucharistie gegenüber den loca sancta als Visionsauslöser und effektivem Weg zum Göttlichen. Ich argumentiere, eine solche Präferenz kann als Nebenprodukt des lokalhistorischen Kontexts der Autorin verstanden werden, besonders ihrer Verwicklung in die von der englischen Lollard-Bewegung ausgelösten Debatten um die Transsubstantiation.
Daniela Fuhrmann
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Margery Kempe: Zum Potenzial einer Verspäteten
Indem The Book of Margery Kempe zwei im Spätmittelalter erfolgreiche Genres, die mystische Lebensbeschreibung und den Pilgerbericht, verbindet, inszeniert es Lebenszeit als Reisezeit. Gleichzeitig koppelt es das spirituelle Unterwegssein der Protagonistin an ihre physische Fortbewegung und präsentiert Margery auf beiden Wegen auffällig häufig als verspätet. Der Artikel zeigt auf, wie das Book im Nachklang der Hochphase mystischer Vitenliteratur die Form des Pilgerberichts in seinen Dienst nimmt, um über die berichteten physischen Reisen der Protagonistin auch ihren spirituellen Weg zu Gott zu beleuchten. Hier erhalten insbesondere die für Margery typischen Verspätungen poetologische Relevanz, da das Book Momente dieser Zeiterfahrung nutzt, um seine eigene Epigonalität zu reflektieren, zu kommentieren und schlussendlich aufzuwerten.
Combining two popular genres of the Late Middle Ages – a mystical life and a pilgrimage narrative –, The Book of Margery Kempe turns lifetime into travel time and, simultaneously, ties the protagonist’s spiritual motion to her physical movement. Interestingly, Margery oftentimes is delayed on her way through the world as well as on her way to God. This article aims to show, in what way the Book as a rather late representative of mystical life narratives makes certain use of the travelogue as a literary form in letting Margery’s worldly travels shed also light on her way to God. Within this process, her characteristic of being late receives poetological value because the Book in particular uses this experience of time to reflect, comment and even enhance its own status as an epigone.
Kathryne Beebe
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Journey, Geography, and Time in Felix Fabri’s Sionpilger
In his essay, »Of Other Spaces,« Michel Foucault contrasts a medieval sense of time and place with that of the modern, and he characterizes the modern concept of space and time as a network. However, this essay suggests that careful attention to medieval artefacts of cultural history reveals that Foucault’s supposed transition from a sense of medieval »emplacement« to a sense of modern »network« is not quite accurate. Analysis of the Sionpilger, a fifteenth-century guide for »imagined« pilgrimage written by the Dominican Felix Fabri, reveals that far from being a modern concept, an idea of space and time connected as a network was very much a medieval phenomenon. In the Sionpilger, the concept of geography is imbricated with the concepts of journey and time; all three of these concepts then serve to create a local, southern-German landscape of religious reform that is connected across space and time to Jerusalem and the events of sacred history.
Michel Foucault kontrastiert in seinem Aufsatz »Of Other Spaces« ein mittelalterliches Zeit- und Ortsgefühl mit dem der Moderne und charakterisiert das moderne Konzept von Raum und Zeit als Netzwerk. Dieser Aufsatz hingegen legt den Schluss nahe, dass für mittelalterliche Texte und Praktiken der von Foucault angenommene Übergang von der »Verortung« zum »Netzwerk« nicht ganz zutreffend ist. Die Analyse des Sionpilger, eines Leitfadens für »imaginäre« Pilgerfahrten des Dominikaners Felix Fabri aus dem 15. Jahrhundert, zeigt, dass die Vorstellung von Raum und Zeit, die als Netzwerk verbunden sind, nicht erst ein modernes Konzept ist. Im Sionpilger ist der Begriff der Geografie mit den Begriffen der Reise und der Zeit verflochten. Alle drei Konzepte dienen dann dazu, eine lokale süddeutsche Landschaft religiöser Reformen zu schaffen, die über Raum und Zeit mit Jerusalem und den Ereignissen der heiligen Geschichte verbunden ist.
Oliver Grütter
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Verzeitlicht und verewigt. Das reisende Ich in Konrad Celtis’ Dichtung
In Konrad Celtis’ Elegien, den vier Büchern Amores (Nürnberg 1502), durchwandert ein Ich auf Weisung Apolls zehn Jahre lang Deutschland. Getaktet ist diese peregrinatio nach Jahreszeiten und Lebensaltern, sodass sich eine zeitsemantisch spezifische Temporalität des reisenden Ichs herausbildet. Zugleich steht das Reisen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Nachruhm des peregrinator: Es ist die Möglichkeitsbedingung seiner Monumentalisierung, kann sogar Darstellungsmodus seiner Verewigung sein. Der darin sich andeutenden Spannung zwischen Temporalität und Monumentalität ist der vorliegende Beitrag gewidmet (unter Einbezug der Odendichtung).
In the Elegies of Konrad Celtis, the four books Amores (Nuremberg 1502), an I roams Germany for ten years by order of Apollo. As the rhythm of this peregrinatio is determined by the seasons and the ages of life, a chrono-semantically specific temporality of the travelling I crystallizes. At the same time, travel stands in immediate conjunction with the peregrinator’s posthumous fame: travel marks the very condition of possibility for the wanderer’s monumentalization, potentially even a mode in which to represent his immortalization. The present contribution aims to illuminate this tension between temporality and monumentality, including the author’s odes in the argument.
Julia Frick
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Ascendimus Hierosolimam. Mediale Zeitsemantiken in Johannes Ecks Schiff des Heils (1512)
Johannes Ecks 1512 erschienenes Schiff des Heils (Straßburg: Johannes Grüninger) präsentiert den Lebensweg des Menschen als eine geistige Pilgerfahrt ins himmlische Jerusalem. Der Text basiert auf Johannes Geilers von Kaysersberg Predigtzyklus Navicula penitentie (Straßburg: Matthias Schürer 1510), der einen Gegenentwurf zur Konzeption von Sebastian Brants Narrenschiff bietet, dem der Straßburger Prediger ebenfalls eine Predigtreihe widmete (1498/99). Ecks ›Kurzfassung‹ des von Geiler vorgelegten Entwurfs wird durch die Beigabe von 13 Holzschnitten als intermediales Gefüge inszeniert, das die begrenzte Lebenszeit des Menschen mit der Prospektive auf die Ewigkeit verschränkt und unterschiedliche Zeitsemantiken unmittelbar ausstellt. Ein dem Text separat beigegebenes Doppelblatt soll als schriftliche und visuelle Verdichtung des Lebensweges zum Memorieren der ›inneren‹ Reise anleiten.
Johannes Eck’s Ship of Salvation (Strasbourg: Johannes Grüninger 1512) interprets the human life as a spiritual pilgrimage to the Heavenly Jerusalem. The text is based on Johannes Geiler’s of Kaysersberg sermon series Navicula penitentie (Strasbourg: Matthias Schürer 1510), an explicit alternative to the conception of Sebastian Brant’s Narrenschiff, about which Geiler was preaching a few years earlier (1498/99). Eck’s Ship of Salvation represents an abridged version of Geiler’s sermon series, which is accompanied by 13 woodcuts. The intermedial arrangement interlocks human lifetime with the prospect of eternity and thus enables the perception of different temporalities. A separate double leaf is added to the printed edition of the Ship of Salvation. It demonstrates the way of life in a textual and visual abbreviation in order to memorize the ›inner‹ journey.
Christian Kiening
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Neue Welten – alte Zeiten. Die Temporalität des Entdeckens in der frühen Neuzeit
In Bezug auf die überseeischen neuen Welten gewinnt der Zusammenhang von Zeit und Bewegung eine neue Dimension. Wird einerseits die Neuheit des Entdeckten hervorgehoben, so andererseits dieses in die bekannten Wissensordnungen eingestellt, die nun aber ihrerseits darauf gerichtet sind, systematisch Neues hervorzubringen: An Texten von Kolumbus, Morus, Megiser und Placcius ist die Tendenz zu beobachten, die Kategorie des Entdeckens als eine Figur paradoxer temporaler Verheißung zu benutzen – im Hinblick auf die aus dem vorhandenen Wissen gespeiste zu erwartende Emergenz eines neuen, auf die Zukunft gerichteten Wissens.
In the context of the new worlds overseas the relationship between time and movement achieves new dimensions. Emphasizing the newness of the discoveries does not prevent the authors from integrating them into the traditional systems of knowledge which, for their part, are more and more meant to produce new knowledge. By reading texts of Columbus, More, Megiser and Placcius we observe how discovery becomes a paradoxical figure of temporal promise: nourished from tradition but oriented towards the future.
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