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Eva Eßlinger
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Vorwort
Eva Eßlinger
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Heimkehr eines Kriegsveteranen. Einleitende Überlegungen zu Homers Odyssee
Wolfgang Schadewaldts 1946 in einem Taschenbuch für junge Menschen erschienene Nacherzählung des Homerischen Epos stellt den Heimkehrern des Zweiten Weltkriegs Odysseus als glücklichen Helden vor Augen, auf den daheim eine treue Gattin wartet. Dabei blendet er die auch nach dem Freiermord fortgesetzten Gewalthandlungen im 24. Gesang der Odyssee aus. Der Aufsatz nimmt Schadewaldts Lesart zum Anlass, um Odysseus als einen Gewaltakteur zu analysieren, der aus dem Gewaltmodus selbst in der anbrechenden Friedenszeit nicht herausfindet. Aktuellen Forschungen zu Kriegstraumatisierten, die auf Homer Bezug nehmen, wird die antike Heroisierung des Kriegers im Konzept des ménos gegenübergestellt.
Wolfgang Schadewaldt’s synopsis of the Homeric epos, published 1946 in a Taschenbuch für junge Menschen, presents Ulysses to the homecoming soldiers of World War II as a fortunate hero for whom a faithful woman is patiently waiting. Schadewaldt ignores, however, the fact that even after Ulysses’ return and the slaying of Penelope’s suitors, he continues to perpetrate violent acts. Namely, he threatens the murdered suitors’ families with death, as is recounted in the 24th song of Homer’s text. The essay takes Schadewaldt’s reading as a cause to analyze Ulysses as a violent actor who is unable to get out of combat mode even in an incipient era of peace. The essay discusses current research into war traumatization in contrast to the heroization of the warrior and the concept of ménos in Greek antiquity.
Susanne Gödde
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Heimkehr ohne Ende? Der Tod des Odysseus und die Poetik der Odyssee
Im 11. Gesang der Odyssee berichtet Odysseus, dass der Seher Teiresias ihm bei seinem Besuch in der Unterwelt prophezeit hat, dass er nach seiner Heimkehr und nach der Bestrafung der Freier erneut aufbrechen muss, um an einem rätselhaften Ort jenseits des griechischen Kulturraums Opfer für Poseidon zu bringen. Dies, so die Implikation der Teiresias-Rede, sei die Voraussetzung seines Todes in hohem Alter. Der Beitrag untersucht die Ambiguität der Teiresias-Rede mit Blick auf die Reflexion einer unabgeschlossenen Heimkehr nach dem Krieg sowie die Poetik des Epos.
In the account of his visit to the Underworld in the 11th book of the Odyssey, Odysseus relates the prophecy given to him by the seer Teiresias, according to which Odysseus, after returning home and killing the suitors, must again set out from Ithaca. On this journey, Odysseus must find an enigmatic place beyond the boundaries of Greek culture, where he is to sacrifice to the god Poseidon. This, as Teiresias’ prophecy implies, is the precondition for Odysseus’ death in old age. This paper examines the ambiguity of Teiresias’ prophecy with a view to how it reflects the ever-uncompleted homecoming after war as well as the poetics of epic.
Anna-Lisa Dieter
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Verweigerte Heimkehr bei Balzac. Zu Napoleons Nachleben in der französischen Restauration (1814/15–1830)
Die französische Restauration ist eine Nachkriegszeit, in der sich widerstreitende Formen von Heimkehr überlagern und die Integrität der Nation bedrohen. Die unbestimmte Situation der napoleonischen Heimkehrer nimmt Honoré de Balzac zum Ausgangspunkt für seine realistische Poetik, die er erstmals in der Novelle Adieu (1830) entwickelt. In dieser verkehrten Heimkehrerzählung kommt der Krieg zu keinem Ende, sondern setzt sich in anderen Formen fort, etwa der Jagd oder dem gewaltförmigen Geschlechterkonflikt. Dieser Aufsatz zeichnet eine »Kunst der Übergänge« nach, die Balzac zufolge als Signatur der Restaurationsepoche zu gelten hat, und legt die narrativen Verfahren offen, die in der Bewegung der Heimkehr die Zäsuren von Empire und Restauration, von Krieg und Frieden abschleifen.
The French Restoration was a postwar period in which conflicting forms of homecoming intersected and overlapped with one another, threatening the integrity of the nation. Honoré de Balzac takes the ambiguous situation of Napoleonic soldiers returning home after defeat as a point of departure for his project of developing realist poetics that he first developed in the novella Adieu, written in 1830. An inverted narration of a homecoming, it shows that the return home does not mark the end of war, but witnesses the martial conflict’s metamorphosis into new forms, like hunting or violent gender conflicts. This essay traces an »art of transitions«, which for Balzac is the signature of the Restoration period. It reveals the narrative mechanisms of the movement of homecoming, which mediate between apparent caesura between Empire and Restoration, war and peace.
Ulrike Sprenger
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Illusion of a room. Katabasis und Kolonisierung in Joseph Conrads The Return
Conrads Romane erzählen die koloniale Reise als einen Sturz aus Zivilisation und Geschichte, als Rückkehr an einen menschheitsgeschichtlichen Nullpunkt. Das Motiv der Rückkehr gewinnt so eine vorgesellschaftliche Tiefendimension – die Katabasis wird zum dominierenden Chronotopos der Conrad’schen Odysseen. Schon die frühe, in London spielende Erzählung The Return (1897) bereitet die räumliche wie perspektivische Modellierung von Conrads serialisierten Höllenfahrten vor: In der narrativen Zersetzung melodramatischer, auf stabilen Gefühls- und Redeordnungen gründender Bühnen und Diskurse entwickelt Conrad jene ›epischen‹ Verfahren, welche die Darstellung seiner »shifting landscapes« prägen. Aus dem Zusammenbruch illusionärer Räume gewinnt er zum einen perspektivische Unbestimmtheit, zum anderen öffnen sich die Höllenlandschaften auf ›fremde‹, dem romantisch-subjektiven Blick nicht mehr integrierbare Körper und Gegenstände. Bereits das heimische London, nur auf den ersten Blick konventioneller realistischer topos, entwirft so jenes diesseitige und dennoch inkommensurable Unheimliche, das auch Conrads koloniale Landschaften formt. Heimkehr zeigt sich vor diesem Hintergrund als Erkennen des Fremden im Heimischen, als das Entbergen eines hinter der »illusion of a room« bereits lauernden Abgrundes; die in diesem Sinne zum Sturz geratende Heimkehr wird zugleich Ausgangspunkt einer unabschließbaren epischen Katabase. Die genaue Textanalyse zeigt zudem, wie Conrad für die Zersetzung subjektiv stabilisierter Räume narrative Verfahren einsetzt, die sich seiner Flaubert-Lektüre verdanken.
Conrad’s novels equate colonial travel to a fall from civilisation and history, back to humanity’s zeropoint. Returning thus opens into a presocial depth, the catabasis becomes the leading chronotope of Conrad’s odysseys. As early a tale as The Return (1897) shows Conrad fashioning narrative perspective and space to accommodate these serial descents to hell: with the narrative disintegrating melodramatic scenes grounded in stable affective discourse, Conrad develops the »epic« procedures which will allow him to form his »shifting landscapes«. The collapse of »illusions of a room« generates an uncertainty of perspective, while the intruding infernal landscapes produce bodies and objects that will resist integration into romantic subjectivity. Domestic London, seemingly a conventional topos of literary realism, thus maps out the very secular yet incommensurable uncanny of Conrad’s elusive colonial landscapes. Homecoming in this context means recognising the alien in the familiar, means unveiling an abyss always lurking beneath the »illusion of a room« – in this sense homecoming will turn into a fall as much as it will be the starting point for an interminable epic catabasis. Moreover, close-reading can reveal how much of Conrad’s narrative procedures of disintegrating subjective space is owed to his readings of Flaubert.
Cornelia Zumbusch
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>Wieder einmal<. Heimkehr und Moderne in Gottfried Kellers Roman Martin Salander
Die Heimkehrszenen in Gottfried Kellers Roman Martin Salander spielen sich vor dem Hintergrund politischer und ökonomischer Modernisierungsbemühungen im späten 19. Jahrhundert ab. Ausgehend von dieser Beobachtung möchte der Aufsatz dreierlei aufzeigen. Er deckt zuerst latente Gewaltmomente in den wiederholt geschilderten Heimkehrszenen auf, arbeitet dann Wiederkehr und Wiederholung als zentrale Strukturmomente des Textes heraus, um schließlich beide Befunde als eine auf formaler Ebene gegebene Antwort auf die im Roman gestellte geschichtstheoretische Frage nach Fortschritt und Rückschlag in der Moderne zu deuten.
Scenes of homecoming in Gottfried Keller’s novel Martin Salander are developed against the background of political and economic modernization taking place in the late 19th century. Following this observation this essay attempts to lay out three lines of investigation. It will uncover aspects of violence kept latent in the repeatedly narrated homecoming-scenes, it will try to expose the structural affinities between returning and repeating, and it will suggest reading both features as the attempt to come to terms with theoretical notions of progress and regression.
Alexander Honold
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Absenz, Latenz, Dissidenz. Das Rip van Winkle-Syndrom
Im eigenen Hause fremd zu bleiben, war nicht erst das Schicksal moderner Heimkehrer, wie es Alfred Döblin und Robert Musil nach dem Ersten Weltkrieg beschreiben. Mit Rip van Winkle verbindet sich die Geschichte eines in die Einsamkeit geflüchteten Mannes, der nach einem Zauberschlaf in eine von Grund auf veränderte Heimat zurückkehrt. Seine wundersame Abwesenheit wirft ein überraschendes Licht in die Latenz der holländisch-englischen Kolonialgeschichte Nordamerikas, indem sie die Selbstbeobachtung innerer Fremdheit ermöglicht. Wilhelm Raabe und später auch Max Frisch nutzen die von Washington Irving eingeführte Figur, um ein jeweils zeitspezifisches Szenario der befremdenden Heimkehr zu entwerfen. Aus einer virtuell bleibenden kolonialexotischen Perspektive stellt Raabes Afrika-Abenteurer Leonhard Hagebucher in Abu Telfan oder Die Heimkehr vom Mondgebirge dem preußischen Deutschland die Diagnose einer mangelnden Fähigkeit zur Aufnahme von kultureller Alterität.
After World War I, the problem of not-belonging to one’s home had become, again, an important motif for many writers, including Alfred Döblin, and Robert Musil. Much earlier, this was the story of Rip van Winkle, the man who went back home after twenty-years of absence, after he had fallen into a magic sleep. Van Winkle returns into a home that has completely changed, while he still represents the now hidden layers of colonial history. Becoming outsiders within, is a state also experienced by the heroes in some narratives by Wilhelm Raabe and Max Frisch, authors who explicitly refer to Washington Irving’s Rip van Winkle. In Raabe’s novel Abu Telfan, the adventurer Leonhard Hagebucher returns back home from the inner regions of Africa, just to realise that nobody among his German fellows is interested in being challenged by outside views.
Inka Mülder-Bach
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Rückkehrer, Umkehrer und »angenommene Hausgenossen«. Figurationen der Heimkehr bei Musil
In den Texten, die Musil nach dem Ersten Weltkrieg publizierte, kommt dem Thema der Heimkehr eine Schlüsselrolle zu. Verschiedene Varianten sind dabei zu unterscheiden: Da ist zum einen die Erzählung der Heimkehr aus dem Krieg, in der Männlichkeitsmodelle, Geschlechterverhältnisse sowie die Überwindung des kriegerischen Habitus der Gewalt auf dem Spiel stehen. Da ist zum anderen die Figuration der Heimkehr als Inversion, als Umwendung oder Umkehrung, die das epische Erzählmuster mit einem novellistischen verbindet. Und da ist schließlich die Geschichte des falschen Heimkehrers, der sich für den lang abwesenden Ehemann ausgibt und als solcher wiedererkannt bzw. anerkannt wird; sie fasziniert Musil als Denkmodell der Stellvertretung und Übertragung. Der Aufsatz arbeitet diese Varianten und ihre Implikationen zunächst unter Bezug auf den Mann ohne Eigenschaften heraus, um auf dieser Basis zu zeigen, wie sie in den Novellen Grigia und Die Portugiesin modelliert werden, mit welchen figurativen Verfahren sie sich verbinden und welche Funktionen ihnen zukommen.
The theme of homecoming plays a key role in the texts which Musil published after the First World War. Several variants of the theme can be distinguished: There is the narrative of homecoming from war in which models of masculinity, gender relations and the question of overcoming the violent habitus of the warrior are at stake. There is the figuration of homecoming as reversal and inversion which combines the epic model with a narrative structure characteristic for the novella. And finally, there is the story of the false homecomer, the imposter, who claims to be the long-gone husband and is recognized as such by his wife; for Musil this story provides a model of reflection for operations of substitution and transference. The first part of the essay identifies these variants and discusses their implications with reference to The Man Without Qualities. On this basis, the second part analyses the novellas Grigia and Die Portugiesin in the light of their figurations of homecoming and the function attached to these figurations.
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