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uni’kon: Wie erinnern Sie Ihre Zeit in Konstanz,
sowohl als Student als auch als Wissenschaftler?
Prof. Dr. Anselm Haverkamp:
Ich hatte in Frei-
burg, Tours, Zürich und Bonn studiert, alles Pro-
vinzmetropolen mit einer großen akademischen
Tradition. Konstanz war dagegen klein, voll von alt-
deutschem Pathos, aber ohne den Hauch eines eige-
nen Begriffs von studentischem Leben. Das Inselhotel
war eine kongeniale historische Lokalität. Lokale wie
das „Scharfe Eck“ gegenüber, auf der anderen Seite
der Bahnschranke, das durchaus ein eigenes, in sich
verschlossenes altstädtisches Flair besaß, waren total
ahnungslos gegenüber der neuen Klientel der Studen-
ten, diesen unbekannten Wesen, die in „Bunkerles“
auf Allmannsdorfer Äckern hausten. Mit der Zeit än-
derte sich so manches, aber kaum das. Die Universität
war unverwechselbar, die „Konstanzer Schule“ der Li-
teraturwissenschaft eine Weltmarke geworden, aber
die Stadt selbst blieb nicht viel mehr als ihre Kulisse
– nicht ihr Teil, wie es die Studentenstädte Freiburg
oder Bonn waren und sogar die Weltstadt Zürich. Die
tiefe Konstanzer Reserviertheit hatte Charakter, ja sie
war sogar von einem gewissen Vorteil, denn dadurch,
dass sie die Universität nicht umstandslos integrierte,
schwebte diese für eine Weile über den Wassern des
Sees, eine internationale Fata Morgana im Föhn.
Sie waren der Student mit der Matrikelnummer 50
an der Universität Konstanz. Was hat Sie damals
hierhergeführt?
Einer meiner Freiburger Lehrer, der Althistoriker
Herbert Nesselhauf, gehörte zu den Gründungspro-
fessoren, und mein Bonner Lehrer, der Germanist
Richard Alewyn, schickte mich nach seiner Eme-
ritierung nach Konstanz. Die guten Leute in den
Geisteswissenschaften (diese beiden waren mit die
prominentesten) erwarteten viel von Konstanz, zu
Recht, wie sich zeigte. Die Konstanzer Reform führte
aus schwer beschädigten, korrumpierten Nachkriegs-
verhältnissen der deutschen Universität heraus; ein
Verdienst der Gründungsgeneration, das man viel zu
schnell vergessen hat. Ich vermute, man weiß heute
gar nicht mehr, was Konstanz bedeutet hat. Konstanz
war Reform, deshalb kam man her, auch als Student.
Statt in Berlin ‘68 Revolution zu machen, machten
wir in Konstanz seit ‘67 Sache.
Nach Ihrer Promotion in Heidelberg kamen
Sie für Ihre Habilitation zurück an die Universität
Konstanz. Was hat Sie dazu bewogen?
In Heidelberg wurde ich als Konstanz-Export Wis-
senschaftlicher Assistent; nach Konstanz kehrte ich
folgerichtig zurück, statt einem Angebot nach Berlin
zu folgen. Die Konstanzer Schule der Literaturwissen-
schaft, ich habe es schon erwähnt, hatte Weltruf. Von
Konstanz ging ich nach Yale, literaturwissenschaft-
lich damals so etwas wie der Zwilling von Konstanz,
und bekam von dort aus unter anderem einen Ruf an
die New York University, an der ich für 25 Jahre blieb.
Wie haben Sie von diesen exponierten
internationalen Wissenschaftsstandorten auf
die Universität Konstanz geblickt?
Ihre Frage illustriert, was ich eben bedauert habe:
Man weiß nicht einmal mehr in Konstanz, was Kon-
stanz war. Das sind keine Standorte; Universitäten
sind keine Industrieunternehmen. Yale, Harvard, NYU
sind akademische Lebensformen, und Konstanz war
auf dem besten Wege, eine zu werden. Das war keine
Frage des Marketing, des Standortvorteils, sondern
der methodischen Leistung und der konsistenten Re-
formarbeit.
Könnte man sagen, dass Sie in Ihrer Person
explizit oder implizit für die Universität Konstanz
Werbung gemacht haben?
Es war weniger eine Sache der Werbung als der Ko-
operation, des wechselseitigen Lernens, und nicht des
Wettbewerbs. Konstanz zeichnete sich dadurch aus,
auf internationalem Niveau operieren zu können,
Maßstäbe zu setzen, nach denen in übernationalen
Hinsichten gearbeitet, nämlich: voneinander gelernt
werden kann. Das ließ sich nur von wenigen Univer-
sitäten sagen und war schwer auf Dauer zu stellen
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... und der Konstanzer Schule.
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